Einem fantastischen Apple Crumble aus Oxford auf der Spur.

Wer als Fremder nach Oxford reist, kann sich schonmal fühlen, wie ein Hund vor einem Fleischerladen, an dem ein Schild klebt: „Wir müssen draußen bleiben!“ Während der Hund sehnsüchtig von außen durch die Scheiben blickt, sieht, wie Würste in Scheiben geschnitten oder im Ganzen über Glastresen gereicht werden, darf er doch die Tür hinein nie betreten und bekommt höchstens etwas ab, wenn Kunden wieder herauskommen. Auf ähnliche Weise trottet man als Tourist an pittoresken Sandsteingemäuern entlang, man lugt fasziniert durch Torbögen in die erhabenen Colleges, um einen Blick zu erhaschen. Aber rasch tauchen mit Melonen behütete Wächter auf, die strengen Blickes den Kopf schütteln. Sie signalisieren: „Hier gibt’s nichts zu sehen, zumindest nicht für Dich.“ Wer keinen Freund in den Colleges sein eigen nennt, der muss… draußen bleiben.

Als ich dort war, vor elf Jahren, lebte einer meiner besten Freunde dort. Er war frisch von Münster dorthin gezogen, um seinen Postdoc in Chemie zu absolvieren. Er war allerdings erst so kurz vor Ort, dass er noch nicht in eins der Colleges aufgenommen war, als ich ihn dort für eine Woche besuchte – und so konnte er mich nicht mit in die Colleges schmuggeln, und ich blieb eben draußen. Er arbeitete tagsüber im Labor, ich strudelte durch die Stadt. Ich sog den kalten Duft geweihter Gemäuer ein, steckte den aus Stein gehauenen Kobolden, die am Kirchturm von St. Mary the Virgin Fratzen zogen, die Zunge raus. Bestaunte den beeindruckenden Kuppelbau der Radcliffe Camera, der runden Bibliothek, die auch in Harry-Potter-Filmen vorkommt, bewunderte die gotischen Zicken und Zacken, Türmchen und Winkel der jahrhundertealten College-Gebäude, und wenn ich verstohlen durch die verzierten Torbögen hineinspähte, sah ich wie mit der Wasserwaage akkurat geschnittene Rasenflächen – bis mich Wächter vertrieben. Einmal, da bezahlte ich Geld, und dann durfte ich mir Teile des berühmten Christ Church Colleges ansehen. Samt dem Speisesaal (Bild oben), der für Kinofilme nach Hogwarts verlegt wurde

Weil vertrieben werden, nicht zu meinen Hobbies gehört, stromerte ich lieber durch die üppige Osterglockenblüte der Christ Church Meadows, sah schmale Hausboote über die Themse tuckern, buddelte mich durch akademische Buchhandlungen, freute mich zwischendurch auf die Pints in den Kneipen am Abend – und zur Stärkung verschlug es mich eines Nachmittags auch in ein Pub namens „Bill’s“. Unter den mit Lüftungsrohren vollhängenden, niedrigen Decken dieser Kneipe habe ich einen der köstlichsten Apple Crumbles meines Lebens gegessen, der mich umhaute und all die abweisenden Mauern und Mienen vergessen ließ. Goldbraune, knusprige Streusel, unter denen sich warme, gesalzene Karamellsauce wie eine Decke um saftige Apfelschnitze schmiegten. Genau dieser Apple Crumble fiel mir vor wenigen Tagen wieder ein, nachdem ich zu viel köstliche Karamellsauce (wie kürzlich beschrieben) gekocht hatte und nicht recht wusste, was tun mit dem Rest. Und wo es draußen eisige Bindfäden goss, war mir umso mehr nach knusprig-herzwärmender Süße. Ob der, den ich mir selbst zusammenimprovisiert habe, so schmeckte wie damals? Ich kann es nicht sagen, mein Geschmacksgedächtnis ist nach elf Jahren verblasst. Aber ich war dennoch begeistert.
Hier also kommt das Ding. Führende Zahnärzte reiben sich die Hände, Diabetologen raufen sich die Haare, die Rentenkasse seufzt hoffnungsvoll, aber ich fand es verdammt gut.

Was braucht man dafür?
Für den Teig:
125 Gramm Mehl
1 TL Backpulver
3 Esslöffel Rohrohrzucker (oder auch normalen, raffinierten)
3 Esslöffel Vanillezucker
1 Teelöffel Salz
1/2 Teelöffel Kardamom
100 Gramm Butter (zimmerwarm, in etwa einen Zentimeter große Würfel geschnitten)
Für die Füllung:
Drei Äpfel
1-2 Teelöffel Zimt
1-2 Teelöffel Kardamom
Karamellsauce nach Gusto
1/2 Bio-Zitrone
1/2 Bio-Orange
Das Mehl, das Backpulver, das Salz, den Kardamom und den Zucker in einer Küchenmaschine verwirbeln. Dann die Butterwürfelchen hinzugeben und kurz verkneten lassen, bis ein homogener Teig daraus geworden ist. Den dann in Zellophan gewickelt eine, besser: zwei Stunden im Kühlschrank ziehen lassen.
Eine ofenfeste Form von vielleicht 24cm Durchmesser schnappen.
Die Äpfel halbieren, entstielen, das Kerngehäuse wegschneiden, in dünne Scheiben schneiden. Eine erste Lage Äpfel in der Form drapieren. Die Schalen der Zitrone und der Orange darüberreiben und den Saft auspressen (für Kerne gilt dasselbe wie für Touristen in Oxford: Wir dürfen draußen bleiben – und meine Zitrone und meine Orange waren sehr klein, deshalb hab ich je ne ganze genommen, aber bevor das bei Euch zu saftig und matschig und flüssig wird, empfehle ich, lieber ne halbe zu nehmen. Das Ganze in Esslöffeln abgemessen habe ich vorher nicht). Dann das Ganze mit der Karamellsauce beträufeln (ich habe etwa 75 Milliliter, ein kleines Becherchen voll, genommen – zu viel lässt das Ganze aber zu süß werden), mit Zimt und Kardamom bestreuen und die restlichen Äpfel darüberlegen. Mit sauberen Händen sorgsam vermengen, sodass alle Fruchtscheibchen etwas von Karamell, Gewürzen und Zitrussäften abbekommen. Wer keine Karamellsauce möchte oder zur Hand hat, kann zusätzlich zu Zimt und Kardamom auch noch etwas Zucker dazustreuen, je nachdem, wie süß die Äpfel auch sind.

Den Teig aus dem Kühlschrank nehmen, aus der Folie wickeln, aus dem Klumpen kleine Streuselchen reißen und über den Äpfeln verteilen, bis diese am Ende weitgehend bedeckt sind (wenn kleinere Lücken klaffen, macht nix, die Streusel wachsen noch und breiten sich beim Backen aus). Das Ganze darf dann noch einmal für etwa 25-30 Minuten in einen auf 180° Celsius vorgeheizten Backofen und da dann backen, bis die Streusel golden und knusprig sind. Am besten noch warm servieren. Wer mag kann noch Schlagsahne dazu schlagen (vielleicht mit einer Prise Zucker und Zimt). Oder, was selbstredend britischer wäre, clotted cream. Oder man lässt die Karamellsauce für sich sprechen und die hüftvergoldend köstliche Kalorienbombe nicht noch kräftiger explodieren.


Musik zum Gericht
Wenn es schon nach Oxford geht, darf eine meiner absoluten Lieblingsbands, die von dort kommt, natürlich nicht fehlen: Radiohead. Und da ich im Pub hoch und trocken gesessen habe, passt dieser Song besonders:
Weil es aber um einen Apple Crumble geht, hab ich direkt noch einen Song. Und zwar das wildschön stampfende „Crmbl“ von Mother Tongue.
Huuuuuuuuuuuuuunger…..:-)
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Vielleicht solltest Du was essen. 🙂
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Da fällt mir ein, ich muss unbedingt bald wieder nach England.
Btw. Das Rezept macht Lust auf dekadenten Sonntags Nachmittags Kaffee.
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Verwöhn Dich! Gönnt Euch was dekadent Wundervolles, wenn Euch danach ist. 🙂
Habt nen schönen Sonntag!
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Nachdem ich die Ansicht in der Vorstellung gelesen habe, stelle ich Gemeinsamkeiten fest. Die Konzentration auf den Geschmack des Essens statt auf das übertriebene Aussehen.
„Einen hässlichen Hund muss man gut schmücken.“
Un cane brutto deve essere ben decorato.
Und genau diese Devise gilt in der modernen Gastronomie. Der Putz ist teurer als
der Bau:-))
Grundsätzlich sieht ein guter Rohstoff, richtig zubereitet, besser aus als ein gekünsteltes Gespei:-))
Ich hätte das Gericht gleich aus der Form gefressen:-))
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Frohes Fressen! 🙂
Für gekünsteltes Gespei fehlen mir Zeit, Anspruch und im Zweifel auch Feinmotorik. Lust machen, es zu verschlingen, darf Essen gern. Aber wenn für die Zubereitung eine zehnköpfige Küchenmannschaft drei Tage lang 67 Arbeitsschritte vollziehen muss und man es danach am liebsten unter Plexiglas im Louvre ausstellen möchte statt hineinzubeißen, dann stehen da für mich persönlich die Dinge in schrägem Verhältnis. Ich habe große Hochachtung vor dem, was Sterneköche entwickeln, anrichten und darreichen. Aber würde ich zu Hause mit solchem Aufwand kochen, gäbe es nur alle drei Wochen was auf den Tisch (und bis dahin wäre die Hälfte der Zutaten womöglich schon wieder hinüber). 🙂
Insofern setze ich auf ungeschmückte Hunde, die gern auch zottelig sein und sich im Matsch wälzen dürfen. Hab‘ nen schönen Start in die Woche und danke für die Worte. 🙂
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Eigentlich ist das ein Streuselkuchen aus der Pfanne. Das geht ziemlich leicht und ungeheuer schnell. Anfangs etwas höher anschieben und dann bei sehr kleiner Flamme, bedeckt, fertig backen. Das geht hundert Mal schneller, als zum Bäcker zu rammeln und diesen Margarine – Shit zu kaufen. Versusch’s mal mit Butter Mürbeteig. Zur Not kannst Du auf den Boden der Pfanne, eine Silikonmatte legen. Ich habe selbst Strudel im a la minute-Verfahren so hergestellt.
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Puh, die Vermengung eines echt guten Schreibstils mit einem geilen Rezept und zum Abschluss zum verdauen einen coolen Song – sowas ist mir noch nie untergekommen. Weiter so!
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