Mehr Miteinander, Vielfalt und wechselseitiges Verständnis tun uns nicht nur in der Liebe gut – sondern auch sonst, in der Küche, beim Essen, im ganzen Leben. Ein Plädoyer.

Vor ein paar Tagen hat Alexander Herrmann in einer Freibad-Imbissbude Fritten geschmiedet. Ein Sternekoch im silbernen Haar, die Hand am Griff des Stahlkorbs, neben ihm sprudelt das kochend heiße Fett. Darin schmurgeln Pommes. Auf der Nase: Eine Maske. Das Bild hat er bei Facebook gepostet – und binnen kürzester Zeit hagelte es Empörung. Ein erster Troll behauptete, Herrmann habe die Maske nur fürs Foto aufgesetzt. Er widersprach, erklärte freundlich, dass er sie selbstredend die ganze Zeit getragen habe, um Infektionen zu vermeiden. Und danach schnurrte der Automatismus der Meckertroniker. Maskengegner, Weltverschwörer, Coronafrustrierte schaukelten sich hoch, fauchten Frustriertes, kübelten auf Knopfdruck die immer gleiche gallenbittere Sauce aus. Sie keilten gegen den Koch, sie bezichtigten sich untereinander, links- oder rechtsradikal zu sein. Sie witterten böse Pläne hinter den Schleiern geheimnisvoller Nebelkerzen.
Da brutzelt ein Sternekoch in seiner Freizeit ehrenamtlich Pommes im Freibad für einen guten Zweck, friedlich, unpolitisch, engagiert – was liegt da näher, als… exakt: sofort Grabenkämpfe zu führen und sich wutberstend in Rage zu streiten über Schutzmaßnahmen in den sonderbaren Pandemiezeiten, in denen wir leben. Eine wachsende Zahl an Menschen hat sich zuletzt in Streichhölzer verwandelt, die bei der kleinsten Reibung sofort entflammen. Dabei täte so vielen von uns ein wenig mehr Gelassenheit gut, finde ich. Lust auf Vielfalt, auf Leben (und aufs Leben lassen), auf Toleranz.
Dieser Tage ist der Regenbogen zum Symbol geworden. In dessen Farben durfte die Allianz-Arena in München heute Abend beim EM-Spiel gegen Ungarn (infolgedessen wir fast in hohem Regenbogen rausgeflogen wären) nicht leuchten. Die UEFA hat’s verboten. Viel Treffendes an Kritik ist auf die Funktionäre geprasselt, wie sie geschafft haben, ein friedvolles Zeichen respektvollen Miteinanders zu unterbinden und ihre eigenen scheinbaren Werte als womöglich nur gespielt zu enttarnen. Man kann durchaus einwenden: Wenn es dieses Zeichen der Toleranz und des Wertschätzens zwischenmenschlicher Liebe sein sollte – egal, wer da wen liebt oder anziehend findet –, warum hat man das nicht in allen drei Spielen gemacht? Als konsequentes Zeichen. Grundsätzlich. Nicht nur an einem Abend, um Viktor Órban in den Senkel zu stellen für seine immer wieder menschenverachtende Politik? Ich finde wichtig, dass Menschen wieder aufstehen und Zeichen setzen für das, was wichtig ist und was wirklich bereichert – das Miteinander und Nebeneinander. Dass darüber gesprochen wird.
Ich für meinen Teil habe immer wieder erlebt, wie sehr Essen verbinden kann. Genau deswegen habe ich schnaufend Kochbücher geschleppt, nach Farben sortiert und aufeinander gewuchtet: ebenfalls zu einer Art Regenbogen – um ein Zeichen für Toleranz, für zwischenmenschliche Liebe und Vielfalt auch in der Küche zu setzen. Eben das versuche ich in diesem Blog zu leben.
Zutaten und Gerichte wandern um die Welt, zeigen anverwandelt in neuen Kulturen ganz neue spannende, ganz eigene Gesichter und finden auch dort eine Heimat. Es ist spannend zu beobachten, wie Aromen und Gewürze fern ihrer Heimat die Küche beleben, prägen und verändern. Wie reizvoll das immer wieder ist. Wie köstlich. Wie vielfältig, und auf welch spannende Weise sich der kulinarische Brückenbau und das Verbinden von Gegensätzen immer weiter entwickeln. Aber ich habe auch erlebt, wie Essen trennen und spalten kann. Sag mir, was Du isst, und ich sag Dir, wer Du bist. Ähnlich wie bei Corona-Erbitterten sind auch zwischen denen, die Fleisch lieben, und Vegetariern und Veganern Grabenkämpfe in sozialen Medien an der Tagesordnung.
Fleischesser pöbeln in aller Regelmäßigkeit wie Kolonialherren gegen all diejenigen, die kein Fleisch essen. Es muss nur in sozialen Medien ein veganes Gericht auftauchen, und sie feixen und schmettern heraus: Da muss aber ein dickes Steak dazu. Unter Beiträgen zu vegetarischen Produkten geben sie ungefragt wurstreichen Senf dazu. Vielfach blicken sie mitleidig auf diejenigen herab, die Gründe gefunden und Entscheidungen getroffen haben, auf Fleisch zu verzichten. Als ob Essen nur dann köstlich sein kann, wenn Fleisch darin verkocht ist. Lieblingskalauer: Veganer und Vegetarier essen meinem Essen das Essen weg. Und die Gegenseite wiederum fühlt sich moralisch überlegen, weil für Tierhaltung und Tierfutteranbau Regenwaldflächen gerodet werden, weil Schlachttiere klimaschädliches Kohlendioxid ausstoßen, während Pflanzen es binden, weil man das Töten von Tieren für grundfalsch hält und bei Fleischessern die große Lust auf Fleisch nicht bedeutet, auch große Lust zu haben, dafür viel zu bezahlen. Immer wieder werden erschreckende Verstöße bekannt und Tierquälerei-Vorwürfe laut, wenn es um Massentierhaltung geht. Nun sind vegetarische und insbesondere vegane Produkte in aller Regel vielfach noch deutlich teurer, und insbesondere bei Veganern nehme ich eine geringschätzige Tendenz gegenüber denen wahr, die ihren Grundsätzen nicht folgen – wobei sie aber nicht selten auch ausblenden, dass längst nicht jeder sich insbesondere hochklassige Ersatzprodukte in Bioqualität leisten kann.
All die Diskussionen darüber gewinnen so oft etwas Fundamentales, zuletzt. Sie verlieren die Zwischentöne aus dem Blick, Wohlwollen scheint bei vielen ins Exil ausgewandert zu sein. Wer nicht für mich ist, ist gegen mich. Da werden auch Wursthersteller angefeindet, die sich so verwandelt und weiterentwickelt haben, dass sie mit vegetarischen Produkten wachsende Erfolge feiern. Vor allem aber sind Respekt und Anstand in solchen Diskussionen so selten geworden. Zuhören, verstehen wollen, abweichende Meinungen interessiert durchdenken, statt sie brüsk anzugreifen. Und der Blick auf das, worum es ursprünglich ging, ist fortgeflackert.
Dieser Blog versucht, all die Lager gleichermaßen in den Arm zu nehmen. Ja, ich esse gern Fleisch – aber ich versuche, das bewusst zu tun, in Maßen. Ja, ich esse und koche auch sehr gern vegetarisch und vegan. Ich sehe gute Gründe für jede dieser Haltungen, und ich hoffe und glaube, dass sie sich in ihrer Vielfalt wunderbar ergänzen und bereichern können, wenn sie sich nur blanchieren ließen: Einmal kurz in heißes Wasser tauchen, und schon ist der Großteil der Bitterstoffe weg. Sich anfeinden, hat in den seltensten Fällen je Gutes bewirkt. Ich selbst zeige hier, was ich gern mag – und das ist vieles, aus unterschiedlichsten Ecken der Welt, in verschiedenstem Miteinander von Aromen. Ich mag die Vielfalt der Welt, ich erlebe sie als unglaublich bereichernd, und so tummeln sich auch Kochbücher aus aller Welt auf meinen Regalen und wechseln sich ab, wenn ich blättere, um zu überlegen, worauf ich Lust habe.
Genau deshalb gibt es diesen Regenbogen. So sehr die zwischenmenschliche Liebe in all ihren Unterschieden verdient hat, dass man ein Zeichen setzt: Dieses Zeichen der gelassenen Toleranz und der Lust auf Vielfalt lässt sich eigentlich auf alles ausdehnen, was unser Leben ausmacht. Schön, dass Ihr da seid. Schön, dass Ihr mich auf so unterschiedliche Weise bereichert.
Musik zum Rant
„Es wird der Tag sein, an dem wir die Liebe,
die Freiheit und das Leben feiern:
Jeder liebt den, den er will und der Rest bleibt still.
Ein Tag, als hätte man gewonnen: Dieser Tag wird kommen.“
Vielleicht passen gerade diese Worte von Marcus Wiebusch gut zu dem, was ich hier zusammengeschrieben habe.
Der Tag wird kommen.
Denn am Ende geht es vor allem um eins: Wir müssen nur wollen.
Ole, das ist ein großartiger Beitrag der meine Stimmung auf den Punkt trifft. Ich mache mir immer mehr Sorgen über die Form, die die Kommunikation in meinem Erleben angenommen hat. Mit meinen engsten Freunden ist das bisher kein Problem aber ich beobachte, dass viele Leute um mich herum Schwierigkeiten haben, konstruktiv und fair miteinander zu diskutieren. Ein Nebeneinander von Meinungen scheint kaum möglich zu sein.
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Dasselbe beobachte ich auch mit Sorge, und dass vielfach die Entrüstung, die Anfeindungen, die starken Meinungen losgepoltert werden und man in wütender Empörung lostobt, ohne überhaupt durchgeatmet zu haben, sich für die Meinungsbildung essenzielles Wissen verschafft zu haben und den Blick auch aus der eigenen Blase herauslenkt, um auch andere Perspektiven mitzudenken. Ich hoffe, die Gegenbewegung entwickelt sich bald. Vorerst ist meine Hoffnung da leider nur klein. Aber sie lebt.
Ganz lieben Dank Dir, Manfred! 🙂
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Lieber Ole, DANKE für diesen Beitrag. Du hast so treffend formuliert, was mir schon lange auf der Seele liegt. Wo kommt diese ganze Wut her, diese Über-Bereitschaft, wegen jeder noch so kleinen Verschiedenheit übereinander herzufallen? Diese zeigefingerwedelnde Besserwisserei, diese Sucht nach einfachen Lösungen, die einem überall begegnet, dieses Desinteresse am Gegenüber, dass es wichtiger sein soll, eine Meinung um jeden Preis durchzusetzen anstatt auch mal einen anderen Blickwinkel zuzulassen? Leben und leben lassen, Empathie und sich von Vielfalt und Andersartigkeit inspirieren lassen, das macht doch für uns alle das Leben leichter und schöner.
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Liebe Susanne, tausend Dank Dir! Und ja! Ja! Ja!
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