
Die Zeit rast, der Advent hat sich auch schon wieder zu drei Vierteln in Luft aufgelöst – und das nächste Osterfest ist inzwischen schon wieder näher als der letzte Tag im Spätsommer, als ich in den Badesee gesprungen bin. Vielleicht ist es rasend Zeit, dann mal was zu tun, was ich in der Form auf Nimmersatt noch nicht getan habe. Auch wenn ich immer wieder dran gedacht habe: Euch zum Jahresende gesammelt für mich besondere Kochbücher dieses Jahres zu zeigen. Von weltöffnenden Grundlagenbüchern über saisonale Hochküche, alpine Eigenwilligkeit, poetische Alltagsküche bis hin zu klarer Kritik an konzeptuell unausgegorenen Werken findet Ihr hier einiges.
Ich sage bewusst nicht, es sind die besten. Das wäre völlig vermessen und auch Quatsch, denn viel zu viele kenne ich nichtmal. Und es ist auch eins dabei, das ich zwar besonders fand – aber nicht besonders gut.
Es sind Bücher, die mir als Juror für den Deutschen Kochbuchpreis in die Finger gekommen sind (einige der Texte werdet Ihr auch dort finden), und Bücher, die mir den Alltag verschönert haben. Ihr wollt Euren Lieben oder Euch selbst vielleicht ein neues Kochbuch zum Fest schenken? Hier findet Ihr Ideen, was toll passen könnte – und auch, wovon Ihr die Finger lassen könnt. Und Ihr erfahrt, ohne welches Buch es diesen Blog wahrscheinlich nie gegeben hätte. Vorweg: Hier gibt es ehrliche Meinung, keine Affiliate Links, keine PR im Auftrag. Ich bin an keinem Verkauf beteiligt, habe die meisten als Rezensionsexemplare zur Verfügung bekommen. Und eigentlich hätte ich mit diesem Beitrag zehn Wochen lang diesen Blog mit je einem Beitrag bestücken können. Häppchen. Statt des vielleicht üppigsten Blogbeitrags der Nimmersatt-Geschichte. Aber dann wären wir erst im Februar fertig – und Weihnachten ist längst vorbei.
Was Ihr hier bekommt?
Samin Nosrats tollen Nachfolger des Buchs, das diesen Blog geprägt hat
Claus Meyers gigantische kulinarische Reise durchs Jahr
Noor Murads raffinierte Hommage an ihre Heimat Bahrain
Die stille Liebeserklärung an Suppe eines Mannes namens Maggi
„Kraulis“ verrückt-verwurzelte Alpenküche
Den wortgewitzten Spaß, mit Elisabeth Raether über den Wochenmarkt zu zuckeln
Ein Buch, das den Leser allein im Wald zurücklässt
Eine extrem hyggelige Reise durch Schweden
Noch mehr Suppe – und zwar richtig gute
Ausgefuchste Hochglanzkulinarik für ambitionierte Gourmets
Vielschichtiges Texturenspiel veganer Brotbaukunst
Samin Nosrat – Etwas Gutes: Rezepte und Rituale für Dich und Deine Liebsten

Wenn ich mich begeistere, will ich verstehen. Will durchdringen bis zum Herz, verborgen eingewobene Strukturen entdecken, Einzelteile, die in Summe so viel mehr sind! Die Stellschrauben kennenlernen, Kontraste, Widersprüche. Denn wer versteht, gewinnt Freiheit.
Das ist beim Kochen nicht anders als in der Musik. Genau deshalb mag ich Kochbücher nicht, die reine Rezeptsammlungen sind, nichts erklären, keine Geschichte erzählen. Kulinarische Partituren, notierte Arrangements: Führen zu passablen Ergebnissen, wenn man sie gehorsam nachspielt. Die Essenz bleibt aber verborgen, das Kochen mechanisch.
So, wie es mich viel mehr anrührt, wenn tolle Musiker gemeinsam auf die Bühne springen, aufeinander hörend loslegen, grooven, aus dem Moment Musik improvisieren, die – wenn sie gut aufeinander achten und die Strukturen verstanden haben – wie auskomponiert klingen kann, ohne es zu sein. Aber sie packt! Wild, ungezähmt, spontan. Kommt mit dem aus, was da ist. Hat im besten Fall Herz und Seele. Improvisation ist selten Chaos, sondern beherrschtes Spiel mit bekannten Mustern. Regeln kennen, genussvoll brechen.
Deshalb liebe ich Kochbücher, die mir genau das ermöglichen – mich an die Hand nehmen, mir Welten öffnen, mich verstehen lassen und meine Kreativität aufblühen lassen. Weil ich mit dem Verstandenen zu besseren Ergebnissen komme. Selbst, wenn ich Zutaten, die nicht im Rezept stehen, aber im Regal liegen und mal wegmüssen, dazumogele. Oder denke: Wie wär’s mit einem völlig anderen Säuregeber? Tamarinde statt Zitrone? Oder Hibiskus?
Ein gutes Gericht lebt von schlau ausbalancierten Gegensätzen: sauer ringt mit süß, knackig neckt cremig. Ein gutes Musikstück ebenso: Spannung gegen Auflösung, Harmonie gegen Dissonanz, Rhythmus gegen Ruhe. Kochen wie Musik brauchen Timing, Energie und vor allem Zusammenspiel, das passt. Es braucht längst nicht immer viel. Punk braucht nur drei vier Akkorde, wilde Wucht, rohe Energie – die aber auf den Punk(t). So wie Pizza, Currywurst/Pommes oder Pasta Cacio e pepe mit ganz wenigen Elementen eine begeisternde Welt öffnen.
Das Buch, ohne das es Nimmersatt wohl nicht gäbe
Genau deshalb ist „Salz, Fett, Säure, Hitze“ von Samin Nosrat mein vielleicht liebstes Kochbuch. Aus dem ich nie gekocht, dessen ungemein klugen Text ich aber immer wieder verschlungen habe. Ein Buch, ohne das es diesen Blog – „Nimmersatt“ – wohl nie gegeben hätte. Weil sie befreit. Weil sie wahnsinnige Lust macht, sich zu befassen.
Ein sensationelles Kochbuch, das insgeheim Kochbücher abschaffen will. Indem man Grundlagen versteht, Zusammenhänge begreift, mündig wird, statt auswendig Gelerntes zu wiederholen. In Restaurantküchen herrscht totalitäres Regime: Marsch! Yes Chef! Aber zuhause?
„Salz, Fett, Säure, Hitze“ wurde zurecht Welterfolg. Heimste den James-Beard-Award ein – quasi den Kochbuch-Oscar. Hievte die kleine Kochlehrerin, die zuvor nur wenigen Kennern ein Begriff war, auf die ganz große Bühne. Und da stand sie nun: nach nur einem Kochbuch vom Time Magazine zu den 100 einflussreichsten Menschen der Welt ernannt, eigene Netflix-Serie, Millionenverkäufe. Verdattert, überrumpelt vom Erfolg. Erschlagen von der Frage: Und jetzt?
Erdrückt vom eigenen Anspruch
Was sollte nach so einem grandiosen Wurf noch kommen? Samuel Goldwyns Reportage-Regel: „Mit einem Erdbeben anfangen und dann ganz langsam steigern“ – für ihr Folgewerk uneinlösbar. Samin stürzte in Depressionen. Überfordert, verunsichert. Zog sich zurück in ihr kleines Haus in Oakland, Kalifornien. Weinte, Brunnenkresse zupfend, erdrückt vom eigenen Anspruch. Wollte der Welt doch noch mehr geben – aber was? Wie?
Samin hatte ihre Leser aus den Ketten der Regeltreue befreit, sie verständig gemacht, so dass sie eigentlich keine Rezepte mehr bräuchten. Oder nur wie eine lose Skizze im „Real book“: Thema hingeworfen, Zutaten und Konsistenz grob umrissen – den Rest schaffste von selbst. Aber wie sollte sie selbst den Rest schaffen?
Nun, nach langem Ringen, kommt sie mit ihrem zweiten Werk zurück. Mühsam erkämpft – und es ist… ein Rezeptbuch? Nichts anderes ist „Etwas Gutes“.
Die befreiende Jazz-Lehrerin unter den Kochbuchschreibern kehrt auf die Bühne zurück und hat einen Packen Partituren dabei? Ab hier wird wieder vom Blatt gespielt?
Ja, aber nein!
„Kennst Du mich eigentlich? Ich hasse Rezepte!“, knurrte sie einer Freundin zu, die ihr vorgeschlagen hatte, als nächstes doch ein Buch mit ihren Lieblingsrezepten zu machen. Doch dann, während sie ein cremiges Miso-Dressing mit Koriander und Erdnüssen zu geraspeltem Kohl zusammenrührte, vom Aromen- und Texturzusammenspiel hingerissen, dachte sie: „Ich wünschte, ich könnte dieses Rezept irgendwie weitergeben.“
Ein Rezeptbuch von der, die Rezepte hasst?
Oh-oh. Plötzlich „tobte in mir ein Kampf. Ich muss zugeben, dass es mir manchmal wie Verrat – an mir selbst und an meiner Leserschaft – vorkommt (…), nun doch eine Rezeptsammlung zu veröffentlichen“, schreibt sie. Ausgerechnet. Und dann? Liefert sie allen Ernstes ein Buch, prall gefüllt mit ihren absoluten Lieblingsrezepten. Verrat!
Zerlegt sich und ihren Anspruch mit dem Hackmesser – aber nur, um im selben Atemhauch diese Liste wieder auseinanderzuschrauben. Im eigenen Geist. Weil sie Rezepte als Möglichkeitsräume anlegt. Als Songskizze, der man sklavisch folgen kann – von der aus man aber auch weiterjazzt. Vordergründig klassische Rezepte, immer umrankt von persönlichen Geschichten.
Wer nur flüchtig hinsieht, blättert, sieht Rezept nach Rezept: geschmortes Huhn mit Aprikosen und Harissa, knusprige Quesadillas, Karotten-Kokos-Suppe mit Curry, Ashura-Müsli, cremige Ricotta-Pancakes, langsam gebratener Lachs, Dulce de Leche aus dem Schnellkochtopf, sogar Anleitungen zum Kochen von Eiern.
Aber genau hier bleibt Samin Samin. Denn sie fragt: Was mach ich jetzt damit? Was kann noch daraus werden? Wie lässt sich das kombinieren? Sie erzählt nicht nur Geschichten, nimmt nicht nur brillant an die Hand – sondern hat ihr Erstlingswerk nur verkleidet. Als Rezeptbuch, das eines ist. Und gleichzeitig gar nicht. Stattdessen dreht Samin Nosrat Schleifen, die sie von nahezu allen anderen Autoren abheben. Als ob Keith Jarrett nach dem Köln-Concert stoisch vom Blatt gespielte Bach-Partiten als nächstes Album angekündigt hätte – die er dann improvisierend zerlegt.
Schlaue Flussdiagramme, gewitzter Baukasten
Samin tut so etwas, wenn sie Flussdiagramme zum Komponieren von Salat mit Ofengemüse baut. Als Matrix. Ein Ofengemüse als Basis – Blumenkohl? Pastinaken? Rote Bete, Romanesco, Kürbis? Vielleicht ein zweites dazu? Dann schichtend: etwas Cremiges? Labneh, Miso, Ricotta? Marinierter Feta drüber? Getreide? Dressing? Schärfe? Vielleicht Süßes – und Knusper obendrauf? Für all diese Variablen finden sich Rezepte im Buch. Von denen man ausdrücklich eingeladen ist abzuweichen.
Die Charts sind schlau – selbst wenn man leise die handgezeichnet-gewitzten Grafiken des Erstlings vermisst. In Summe haben die Texte einen Tick weniger Suff als im Erstling, dafür eine andere Tiefe: Unter aller sonnigen Zugewandtheit liegt die Düsternis von Depression und Scheiternspanik.
Samin zeigt, wie perfekt sich alles im Baukasten kombinieren lässt. Und lässt zugleich den Leser am Steuer – schließlich ermöglicht sie nur, lädt ein. Ideen-Wisperin, nicht Vorschreiberin. Irgendeine Zutat nicht zu kriegen? Hier ist ein Füllhorn weiterer Ideen.
All das niedrigschwellig: In Samins Club darf jeder mitjammen. Aber die Unsicheren, die bislang nur vom Blatt gespielt oder keine Erfahrung gesammelt haben, nimmt sie besonders an die Hand. Überall lauern Tipps, praktische Kniffe, leicht vorzubereitende Kleinigkeiten, die sich flexibel nutzen lassen – wie Licks in der Musik.
So entsteht ein Buch, das man kreuz und quer durchblättert, weil es sich der Linearität entzieht. Teilweise Hypertext ist, der querfeldein auf sich selbst verweist. Aber immer wieder bei sich selbst landet: bei Samin, die sich in ihren Rezepten tief öffnet, selbstironisch und verwundbar zeigt. Im konventionell getarnten Zweitling die typische Gehorsamslehre der Kochbücher unterwandert. Als zutrauende Freundin, die eigene Geschichten und Lieblingsrezepte teilt. Eine, die Dir auch beisteht und Dir erklärt, wie Du Verkorkstes rettest – wenn Du den Einsatz verkackst, Dich in der Tonart verhedderst, das Riff vergurkst oder Deinen Solo-Ausflug versemmelst. Im Notfall: Einfach überzeugt und unbeirrt gucken. Das sollte so. Und so ist „Etwas Gutes“ sogar etwas sehr Gutes geworden.
Samin Nosrat – Etwas Gutes: Rezepte und Rituale für dich und deine Liebsten
Kunstmann, 464 Seiten,
44 Euro, ISBN-13: 978-3956146558
Claus Meyer – Almanak

Einsteigen, bitte – die Zeitmaschine wartet. Ziel: Kopenhagen, vor fünfzehn Jahren. Dort erschien Almanak – das fast zwei Kilo schwere Werk von Claus Meyer. Ein Kochbuch, das Dänemark im Sturm eroberte, ein Jahr lang die Bestsellerlisten anführte und in über 150.000 Küchen landete – eine kulinarische Volksbewegung. Hochgerechnet auf Deutschland: zwei Millionen verkaufte Exemplare.
Umso schöner, dass der Echtzeit-Verlag aus Basel unter dem Motto „Das Beste von gestern“ handverlesene, legendäre Kochbücher ins Deutsche bringt – wie jetzt Almanak. Vielleicht das aufregendste Kochbuch dieses Jahres auf Deutsch!
832 Seiten, mehr als 1000 Gerichte, ein Jahr voller Ideen. Ein Buch, das nirgends imponieren will, aber tief beeindruckt, weil es achtsam macht und Wissen vermittelt – ein Ideenschatz, nicht nur für ein Jahr, sondern für den Rest des Lebens. Meyer mag das jahrelang weltbeste Restaurant Noma mitgegründet haben, doch Almanak ist völlig geerdet. Sein Traum: „gutes, einfaches, selbstgekochtes Essen, das nach der jeweiligen Jahreszeit duftet und schmeckt.“
Das Buch ist Jahresbegleiter, dem jedes Prätentiöse abgeschrubbt ist. Darin verschmelzen persönliche Geschichte, Lieblingsgerichte der eigenen Kinder, Rezepte, Natur- und Warenkunde zu einem großen Ganzen. Verwurzelt in der nordischen Küche, doch offen für Einflüsse von außen – kreativ, nie dogmatisch, nie belehrend.
Meyer serviert Rote-Bete-Salat mit Orangen und Joghurt, gefüllte Tomaten mit Getreide und Ziegenfrischkäse, Makrele mit warmem Rhabarberkompott, Kebab vom Sommerbock mit Koriander und Minze, Crème brûlée mit Bier, Sauermilch mit Mirabellenkompott, Ravioli mit Wirsing und Speck. Ergänzt wird das durch Fotos von stiller, natürlicher Schönheit.
Vorbildlich auch die Struktur: Jeder Monat beginnt mit einem Überblick über die Gerichte, dazu ein sattes, 33 Seiten starkes Register für alle, die Rezepte zu einer bestimmten Zutat suchen. Nun hat dieser brillante Brecher auch seinen Preis: 68 Euro sind kein Pappenstiel. Kilopreis: 35 Euro. Aber bei mehr als 1000 Rezepten steckt darin auch die Fülle von 10 bis 15 anderen Werken, und die gemeinsam wären deutlich teurer.
Almanak ist kein selbstbespiegelndes Hochglanzmanifest eines Starkochs, sondern ein Buch, das man benutzt, bis die Seiten speckig und die Ecken abgewetzt sind. Gute Küche braucht keine Sterne. Sie braucht nur einen Korb, einen Wochenmarkt, vielleicht Wald, Wiese – und dieses Buch.
Claus Meyer – Almanak: Neue nordische Alltagsküche
Echtzeit, 832 Seiten
68 Euro, ISBN-13: 978-3906807423
Noor Murad – Lugma: Rezepte und Geschichten aus dem Nahen Osten

Weit draußen in der kargen Geröllwüste Bahrains steht ein einsamer Baum. Niemand weiß, woher seine Wurzeln ihr Wasser ziehen: Die einzige bekannte Quelle ist einen Kilometer entfernt. Doch der Baum lebt, seit 400 Jahren. Bahrain war schon vor 5000 Jahren blühendes Kulturzentrum – Dilmun nannten die Sumerer es, „paradiesisches Land“. Von dort aus brachen Tausende Schiffe mit Perlentauchern auf. Heute: Erdöl, Monarchie am Persischen Golf, zur Hälfte Wüste mit uralten Ruinen, zur Hälfte Hochglanzfassaden, wo aberwitziger Reichtum und bittere Armut kollidieren. Autoritär geführt, Scharia, 1,5 Millionen Einwohner auf der Hälfte der Fläche von Gran Canaria, systematische Unterdrückung von Frauen.
Da ist es umso bemerkenswerter, dass ausgerechnet eine Frau der besonderen Kultur ihres Landes ein Denkmal setzt. Noor Murad, die Yotam Ottolenghis Test Kitchen leitete und zwei Bücher gemeinsam mit ihm veröffentlicht hat, ist zur kulinarischen Perlentaucherin geworden. In „Lugma“ hebt sie verblüffend reiche Schätze. Und zeigt uns, dass selbst wir, die die Küche des Nahen Ostens längst vertraut finden, hier Nuancen entdecken, die besonders sind. Noor nimmt uns mit. Erzählt vom Leben auf der Insel, das Widersprüche in sich vereint, von Geschichten rund um schwarze Limetten und Datteln, über das Erinnern an die Heimat, während in London nasskalter Nebel in den Straßen klebt und die düsteren Wintertage der in Sonne groß gezogenen Seele zusetzen. Jedem Gericht gesellt sie kleine Erinnerungen bei.
Wer sich in die Küche des Mittleren Ostens vertieft hat, trifft einige Bekannte. Aber oftmals anders frisiert, gekleidet. Und so werden selbst die Bekannten zu Neubegegnungen mit ganz eigenen Twists. Etwa, wenn Noor von den Pfannkuchen-Tagen ihrer Kindheit erzählt, wenn ihre Mutter köstliche dünne Hefeteig-Fladen mit Pistazien und Limettensirup kredenzte. Sie erzählt von Schimpfe einer Freundin, weil sie ein so grandioses Gericht wie „Mathrooba“, verhauenes Hähnchen mit Reis, so unter Wert verkauft habe. Sie dreht den Aromen-Scheinwerfer der klassischen Auberginen-Creme Muttabal hier in Richtung köstliches und von Kommissar Knickarm verschlungenes Blumenkohl-Gemetzel.
Sie widmet einer untergehenden Insel des 33-Insel-Archipels Bahrain eine fernöstliche Variante des berühmten russischen Mayo-Schwergewichts Salad Olivier. Serviert würzige Butterbohnen in Joghurt und Chilicrisp, und auch das Nationalgericht „Machboos“, ein überwältigend-verwirrendes Aromen- und Konsistenzenkuddelmuddel, in dem sich Reis und Spalterbsen, halbierte gekochte Eier und Rosinen, Koriander, Dill, Kardamom, Zimt, Kreuzkümmel und Cashews tummeln, gern serviert mit langsam gegartem Bockshornklee-Lamm. Und auch genascht hat sie gern, damals, als sie in Bahrain aufwuchs, kleine Krapfen mit Dattelsirup, Sesam und Fenchelsalz etwa, Rosenwasser-Vanille-Milchreis mit Filoteig-Knusper – oder Sonnenaufgangs-Clementinen mit Hibiskus und Orangen-Öl.
Zuletzt umspülte uns fast eine Flut an Büchern über die Küchen des Orients, angesichts herausragender Bücher, die es längst gibt: Wie viel „more of the same“ braucht es eigentlich noch? Nur: Noor macht mit „Lugma“ einen erfrischenden Unterschied. Leicht nachzukochen, sofern man ein gut ausgestattetes Gewürzregal und sich vielleicht im Netz noch schwarze Limetten geordert hat. Spannend und widersprüchlich, weil man glaubt, Gerichte zu kennen – sie dann aber erfrischend anders schmecken. Und immer wieder garniert mit diesen kleinen, nahbaren Geschichten. Vom grünglänzend juwelisch schimmernden Prägedruck des Covers und seiner fruchtglitzernden Fülle zu schweigen. Gerade, um die Geschichten genießen zu können, kann „Lugma“ indes teure Nebenwirkungen haben: Mancher mag einen Besuch beim Augenarzt und eine neue Brille benötigen, so klein ist die Schrift. So fein aber ist dieses Buch. Und so köstlich ist es, dieses Insel-Archipel kochend zu bereisen, das in aller Widersprüchlichkeit so viel mehr ist als Erdöl-Staat und winziger Flecken Erde. Riesiger Reichtum, auch kulinarisch, auf kleinstem Raum.
Noor Murad – Lugma: Rezepte und Geschichten aus dem Nahen Osten
ars vivendi, 288 Seiten
34 Euro, ISBN-13: 978-3-7472-0706-2
Maurice Maggi – Suppe: eine Liebeserklärung

Wenn Maurice Maggi hungrig wurde, ging er gern auf den Friedhof. Nicht, um an Gräbern zu trauern, sondern um – am liebsten für Suppe – Wildpflanzen zu pflücken. 40 Jahre lang verstreute er nachts heimlich Saatgut auf Spaziergängen und verschönerte seine Heimatstadt Zürich mit wilden Malven und Mohn. Seine „Blumen-Graffiti“ waren ein poetischer Akt des Widerstands gegen das Betongrau der Moderne, eine leise Rebellion gegen die Hast.
Der „Guerillagärtner“ entdeckte Schönes in kleinen Dingen, nahm sich Zeit in einer hektischer werdenden Welt. „Suppen zu kochen ist für mich wie ein Bild zu malen. Zeit, Muße und Geduld sind dabei entscheidend“, schrieb er in seinem letzten Buch „Suppe – eine Liebeserklärung“. Er starb mit 70 Jahren, sechs Wochen vor der Veröffentlichung. Seine Philosophie: Kochen ist Geduld, Zuwendung, Hingabe. So wird dieses von der Cucina povera inspirierte Buch zu einem stillen Manifest für die Wiederentdeckung der Langsamkeit. Es ist ein zutiefst persönliches Werk, eine Ode an ein Gericht, das seit Jahrtausenden Teil menschlicher Kultur ist – Sinnbild von Fürsorge. Zwischen den Rezepten finden sich Erinnerungen und kleine Erzählungen, die dem Buch eine Tiefe verleihen, die weit über das Kulinarische hinausgeht.
Geschickt bringt er dabei Gegensätze ins Gespräch – günstig und exklusiv, fleischig und vegan, süß und scharf, kalt und wärmend. So entsteht eine Dramaturgie, die zeigt, dass das Einfache und das Erlesene denselben Ursprung haben: Achtsamkeit. Diese Haltung zeigt sich in den Rezepten selbst. Da treffen Safran- und Champagnersüppchen oder Crèmesuppe mit Schweizer Edelkrebs auf Reduziertestes wie Basler Mehlsuppe, Haferschleim- oder Brennnesselsuppe. Seine Weiterentwicklung der Vichyssoise zur Malven-Kaltschale oder Kürbis-Quitten-Suppe steht neben großen Suppen der Welt, von Avgolemono bis Pho Bo, von Pot-au-feu bis Tom Kha Gai.
Und doch: Dieses Buch ist sperrig. Monochrom in Blau und Weiß gehalten, ist es Reduktion aufs Wesentliche – das knappe Rezept, die kleine Geschichte dazu, viel Raum. Fast paradox, wo Maggi doch voller Wärme schreibt und denkt. Nur hier und da brechen wunderschöne Aquarelle von Mira Gisler die Monochromie auf. Die Strenge ist konsequent, doch sie nimmt dem Buch Sinnlichkeit. Sinnliche Fotos, in denen es blüht und Wildkräuter die farbenfrohen Suppenschalen umwuchern, hätten noch eine andere Erlebbarkeit geschenkt. So bleibt ein ganz besonderes Buch – eine meditative Liebeserklärung, kein sinnlicher Rausch.
Maurice Maggi: Suppe – eine Liebeserklärung: Klassische und moderne Rezepte für Leib und Seele
AT Verlag, 168 Seiten
34,00 €, ISBN-13: 978-3-03902-260-1
Christoph „Krauli“ Held – Held & Herd

Christoph „Krauli“ Held hat früh gewagt – und damit gewonnen. Er hat fast ohne Erfahrung das Wirtshaus Siriuskogl hoch über Bad Ischl entstaubt, neu erfunden. Seinen besonderen Ansatz teilt er jetzt in seinem Debüt-Kochbuch „Held & Herd“, das seine kreative Erdverbundenheit ins Papier überträgt. Tief in der traditionellen Alpenküche verwurzelt und voller Respekt vor Natur und wertvollen Produkten, wagt er den Spagat zwischen Grenzenlosigkeit und Verwurzeltsein. Beide sind für ihn im Zusammenspiel „die besten, die einzig wichtigen Voraussetzungen für gute Küche“.
Backt Sellerie in einem Teig aus Erde zu sämigem Püree, serviert Kumquat-Ragout zu einer Steinpilz-Crème-Brulée mit Rosmarin, paart Sonnenblumenkern-Risotto mit karamellisiertem Chicorée. Immer wieder gibt er österreichischen Klassikern Twists, wie mit Johannisbeersaft und Kreuzkümmel zubereiteten Rotkohl. Einfallsreich, köstlich, im Vergleich zum monumentalen „Cook the Mountain“ von Richard Niederkofler grenzenloser – dadurch aber auch für „Fischköppe“ in der norddeutschen Tiefebene machbar, ohne allzu schwer erhältliche Zutaten. Selbst 100 Gramm Erde für den Sellerie-Mantel findet jeder draußen.
Ob man selbst Platz findet, Buchenblätter zu fermentieren? Andere Frage. Doch gerade dieser Mut zum Ungewöhnlichen zieht sich durchs ganze Buch – und macht seine Küche wie seine Geschichten eigen. Nicht immer hoch literarisch, aber erdig und echt erzählt er entlang der Jahreszeiten aus seinem Leben. Er gibt umfangreich Tipps, was ihm in der Küche wichtig ist, wie man überschüssiges Gemüse wertschätzend und kreativ konserviert, was spannende Gerichte ausmacht. Die hat Monika Löff atemberaubend schön fotografisch in Szene gesetzt.
Und so kocht „Krauli“ nicht nur ganz weit oben in der Bergeinsamkeit über Bad Ischl, er landet auch mit diesem so persönlich-kreativen Werk seines Lebens weit oben.
Christoph „Krauli“ Held: Held & Herd – Grenzenlos verwurzelt kochen
Servus, 256 Seiten
40 Euro, ISBN-13: 978-3-7104-0400-9
Elisabeth Raether – Wochenmarkt

Der Morgen graut, die Nacht hat sich schon schlafen gelegt. Ein Fusselbärtiger stellt sich neben mich. Schweigt erst. Dann sagt er aus dem Nichts, mit einer Stimme so dünn wie zu kurz gezogener Tee: „Sogar in einer Coladose steckt Poesie.“ Er sammle den Zauber besonderer, flüchtiger Momente im Alltag. Genau die sammelt auch Elisabeth Raether – und hat das in ihrer ZEIT-Kolumne „Wochenmarkt“ zur Kunstform erhoben. Sie kocht „mit großer Freude und wenig Ehrgeiz“ und verwebt – das ist ebenso selten wie schön – Geschichten und Gerichte, erzählt kleine Miniaturen des Alltags – Poesie auf der Fläche eines Bierdeckels. Sie nimmt sich selbst auf die Schippe, lässt ihre Gedanken umhersausen wie einen unverknoteten Luftballon.
Mal schraffiert sie in kurzen, knappen Strichen, warum Carpaccio nach einem Renaissance-Maler benannt ist. Dann verknüpft sie Risotto mit Pilzen und Gorgonzola mit Janoschs „Oh wie schön ist Panama“, plaudert über aufwändige Gerichte wie Ottolenghis scharfe Pilzlasagne, dreht dem Rezept aber trocken die lange Nase, kocht lieber Pasta mit Pilzen, Bohnen, Speck – und reißt den Leser aus dem Moment. Der findet sich unvermittelt in der Zubereitung eines Gerichts wieder, das die Journalistin in ihrer kleinen Küche irgendwo in Berlin kocht. Ohne aufzuräumen.
Diese Kopsibolter – lakonisch zum Leben erweckte Szenen, die aus dem Nichts ins Rezept purzeln – sind Essenz ihrer „Wochenmarkt“-Kolumnen. Eine ganze Reihe davon stehen in ihrem neuen Buch – „Wochenmarkt – mit Freude genießen“ –, dem inzwischen sechsten. Wie schon die vorherigen verbirgt auch das Neue seinen unbändigen Zauber vor den flüchtigen Blätterern, indem Geschichten und Zubereitung untrennbar als Textblock verwoben sind. Besonders ist auch die Ästhetik der Fotos: Weit weniger verspielt als die Texte, sehen sie ein wenig aus, als wären sie aus einem 70er-Jahre-Kochbuch entlaufen – allerdings ohne mit Aspikmassen übergubbeltes Leipziger Allerlei oder aus Eiern, Tomaten und Majo-Klecksen gebastelte Fliegenpilze.
Liebend gern wäre man ihr mal auf längere Momentspaziergänge gefolgt – wo hier im Buch doch mehr Platz für Text wäre als unter Zeilendruck in der Kolumne der ZEIT. Doch liegen Witz und Wesen ja genau in der auf den Punkt gewürzten Kürze. Als faules Genie erschafft sie mit möglichst wenig Aufwand das Leckerstmögliche. Mit dem, was Jahreszeit und Wochenmarkt grad frisch hergeben. Genau das, wonach man sich abgekämpft nach harten Arbeitstagen sehnt. Lächelnd, während die gewitzte Autorin einen in den Zauber eines der Alltagsmomente mitnimmt, die sie sammelt. Von Goethe weiß man: „Sammler sind glückliche Menschen.“ Für diejenigen, die die Bücher von Elisabeth Raether sammeln, stimmt das ziemlich sicher.
Elisabeth Raether – Wochenmarkt. Mit Freude genießen – Lieblingsgerichte für jede Jahreszeit
Riva Verlag, 224 Seiten
25 Euro, ISBN-13: 978-3-7423-2776-5
Christian Ruß – Flosse, Speck & Grünzeug

Man kann nur mutmaßen, was Herbert Grönemeyer – selbst seit zwei Jahren Kochbuchautor – beim Blättern durch Flosse, Speck & Grünzeug sagen würde. Vielleicht schlicht: „Was soll das?“ Denn dieses Buch ist ein Rätsel zwischen Rezept und Reviergang.
Was kreative Gerichte betrifft, schüttelt Spitzenkoch Christian Ruß durchaus einige aus dem Ärmel, und manche haben sogar Zutaten aus der wilden Natur: Sauerteigbrot mit Nüssen und Tannennadeln etwa. Die Schupfnudeln mit Karotten samt Grün und Blauschimmelkäsesauce: sehr fein. Geflügelleber mit Pfefferkirschen, Chicorée und Kartoffeln: spannend.
Fotos von Jule Felice Frommelt umweben die Gerichte mit Zauber. Kreative Ideen wie Grießbrei mit karamellisierten Haselkätzchen treffen auf lebensgefährliche Anweisungen (Haselkätzchen an Bahngleisen sammeln). Hier und da lugen archaische Zubereitungsarten aus dem Unterholz: so wird ein Kürbis in die Glut des Lagerfeuers geworfen, ehe das durchgeschmurgelte Innere hinter der verbrannten Schale zu Blattsalat kredenzt wird. Da huscht kurz der Lauf der Jahreszeiten durchs Bild – man ahnt ein Konzept, doch es steckt im Dickicht fest.
Die Ideen bleiben fast komplett unerklärt. Wie fächern Brennesseln das Rezept aromatisch tiefer auf? Was steckt hinterm Salat mit Hühnerherzen und Weintrauben? Was haben ein gegrillter Lamm-Hackspieß mit Krautsalat und BBQ-Sauce oder von Käse-Lauch-Suppe inspiriertes Geschnetzeltes mit den Jahreszeiten oder dem Buchuntertitel „Natürlich kochen – wild und würzig“ zu tun hat? Kaum ein erläuternder Satz hilft dem Leser durchs Gestrüpp.
Und was, wenn man den Kürbis nicht ankokeln oder abfackeln will? Wer nur einen Balkon hat, den er nicht wegen Ruß verrußen oder verkohlen möchte, muss leider drinnen bleiben. Alternativen und Abkürzungen – etwa für den Backofen – liefert der Koch nicht. Warum nicht?
Zusätzlich enttäuschend: Leider haben die Autoren sich auch ein ordentliches Rezeptregister samt Zutaten – für alle, die etwa gerade Rote Bete oder Mangold in der Gemüsekiste bekommen haben und ein Rezept suchen – gespart. Wer den Feuerkürbis sucht, findet ihn weder unter K wie Kürbis noch unter F wie Feuerkürbis, sondern unter B wie Brotsalat.
So wirkt Flosse, Speck & Grünzeug wie eine sorgsam gebundene Loseblattsammlung – traumschön bebildert, mit manch raffinierter Rezeptidee: viel Potenzial, kunstvoll verpackt, aber ohne Not wortkarg verspielt. Der „The Taste“-Finalist von 2022 führt uns hinaus in die Natur, lässt uns aber ohne jeden roten Faden im Wald allein.
Christian Ruß: Flosse, Speck & Grünzeug: Natürlich kochen – wild und würzig
AT-Verlag, 256 Seiten
38 Euro, ISBN-13: 978-3039022663
Zora Klipp – Hej! Auf nach Schweden! Meine Lieblingsrezepte

Zora Klipp war am Ende, steckte fest als junge Köchin in der Großstadt, Stresspuls bis zum Anschlag. Kurz vorm Ausbrennen zog sie die Reißleine. Die Frage „war das jetzt schon alles?“ wurde zu drängend. Also brach sie auf – raus aus starren Strukturen und durchgeschufteten Wochenenden, mit kaum mehr als einer Reisetasche nach Schweden. Ein Jahr als Au-pair, ein Jahr, das ihr Leben – und die kulinarische Welt – verändert hat. Daraus entstand „Hej!“: eine Sammlung der Rezepte, die sie durch die Jahreszeiten begleitet haben und die sie kreativ weitergedacht hat. Dem Buch gelingt ein bemerkenswerter Spagat. Es zeigt die Raffinesse der schlichten schwedischen
Hausmannskost, fernab der archaischen, hier kaum nachkochbaren New Nordic Cuisine, die Moos und Rinde und endemische Beeren sammelt, fermentiert und räuchert. „Hej!“ ist Hygge pur, mit poetischen Bildern und auf den Punkt gewürzten Gerichten: Kabeljau in Eiersauce, Waldpilzpasta mit Hagebuttenmarmelade, Korv Stroganoff, Köttbullar in mehreren Varianten, Blauschimmelkäse-Pasta mit Walnüssen und Heidelbeeren, Topinambursuppe, Grünkohlsalat. Feste wie Santa Lucia, Midsommar und das Krebsfest sind eingebunden, auch Fika hat ein eigenes Kapitel.
Puristen könnten bemängeln, dass den Köttbullar etwa das klassische Piment fehlt oder dass Parmesan und Gorgonzola in Schweden untypisch sind. Doch macht gerade diese Offenheit die Gerichte für Nicht-Schweden kochbar. Ist Kochen nicht immer die Suche nach Alternativen?
Hinter allem liegt jedoch mehr. Der sanft umarmende Charme des Schwedenidylls hat einen doppelten Boden: Er ist untrennbar mit Klipps eigener Geschichte verknüpft, der sie mit fünfzehn Jahren Abstand neu begegnet. Dass sie hochschwanger erneut nach Schweden reist und sich so auch fotografieren lässt, zeigt Mut und Offenheit. Diese Nahbarkeit, die Rezepte aus den Händen der Gastfamilie, machen „Hej!“ besonders. Echte Hygge – mit Tiefe und doppeltem Boden.
Zora Klipp – Hej! Auf nach Schweden! Meine Lieblingsrezepte
Brandstätter, 216 Seiten
34 Euro, ISBN-13: 978-3710608957
Emily Ezekiel – Suppe macht glücklich – Rezepte für jeden Tag

Gerade jetzt, wo in der Herbstdüsternis draußen Böen beißen und Regen eisig in den Nacken perlt, wächst die Sehnsucht nach heißer Suppe, die wärmt und tröstet. Diese Sehnsucht stillt Emily Ezekiel mit einem Buch, das Kontraste reizvoll ausspielt – kreativ denkt, klug komponiert und mit Rezepten, die so fix gemacht sind, dass man selbst nach Feierabend noch zu kochen beginnt.
Dabei hat sie die Gefahr galant umschifft, ein Eintopf gewordenes Buch zusammenzurühren, in dem nur längst bekannte Klassiker landen – noch einmal aufgewärmt. Manche lässt sie ganz weg – Tom Kha Gai, Borschtsch, serbische Bohnensuppe. Dafür serviert sie Pho mit Zitronengrashuhn, Ramen mit Miso und Ingwer, Karottensuppe mit Harissa, Lammfleischbällchen mit gerösteter Fregola. Ihre Rezepte zeigen, wie virtuos Ezekiel Aromen und Texturen austariert – zwischen süß, sauer, salzig, scharf, bitter und umami.
Schön: Kleine, grafisch feine Doppelseiten widmen sich saisonalem Gemüse und Zubereitungstipps zum Improvisieren. Wo die Gestaltung so viel Sinn fürs Detail zeigt, bleibt die Autorin erstaunlich zurückhaltend. Kein persönlicher Ton, keine Geschichten, warum sie Suppe liebt, was sie inspiriert, welche Erinnerungen sie tragen.
Auch den Suppen aus aller Welt – von chinesischer Congee über mexikanische Elote bis zu italienischer Ackerbohnenbrühe – hätten ein paar Hintergrundgeschichten zusätzliche Tiefe verliehen. Ein durchdachtes Buch – raffiniert, alltagstauglich, mit klarer Ästhetik. So macht „Suppe macht glücklich“ glücklich – aber nicht selig.
Emily Ezekiel: Suppe macht glücklkich
Callwey, 208 Seiten
22 Euro, ISBN-13: 978-3-7667-2754
Andreas & Mathias Neubauer – Saison

Seit einem halben Jahrhundert holt „Der Feinschmecker“ zwar keine Sterne vom Himmel, lugt ihnen aber in die Kochtöpfe – immer auf der Spur des Besonderen, gern auch des Besten. Eine Edelfeder-Wünschelrute, die ihren Lesern Spitzenkulinarik serviert und die Augen öffnet für Orte, Menschen und Aromen, die Geschmacksknospen glücksschweißperlend glitzern lassen. Und dies auch zu Hause: quer durchs Jahr mit raffinierten Kreationen.
Dafür sorgen seit zehn Jahren die Brüder Andreas und Mathias Neubauer, Spitzenkoch und Food-Fotografen-Legende, mit ihrer „Saisonküche“, „Herzstück jeder Ausgabe“, wie Chefredakteurin Gabriele Heins schreibt. Nun erscheint das Beste vom Besten in einem Prachtband: Saison. 150 Rezepte, die den Gaumen verzaubern und die Augen glänzen lassen.
Wer Menschen in freier Wildbahn beim Blättern beobachtet, muss mit sehnsüchtigen Seufzern oder manischem „Bäpper“-Einkleben rechnen. Wie wäre es mit einer Aprikosen-Focaccia mit Mandeln, Rosmarin-Feta und Pancetta als Gruß der Küche? Als Entrée danach eine Kirsch-Gewürz-Gazpacho mit Basilikum-Joghurt-Sorbet? Als Hauptgang ein Filet Wellington vom Damhirsch mit Barolo-Schoko-Sauce und Feigen? Oder Zimtspieße mit Sauerkirsch-Pfeffer-Sirup und Pastinaken-Sellerie-Crème? Vielleicht das Teriyaki vom Lachsforellenfilet mit Wassermelonen-Gurken-Relish und Wasabi-Limetten-Mayonnaise? Und zum Dessert ein geeistes Kaffee-Soufflé mit Orangenragout?
Der innere Imaginiergaumen schlägt Purzelbäume – schon beim Lesen dieser Menü-Melodie, erst recht beim Anblick der Fotos: makellos gestylt, prachtvoll inszeniert. Die Rezepte sind nach Jahreszeiten und Hauptzutaten geordnet, das Register makellos – hier findet man alles, kulinarisch wie praktisch.
So perfekt das Kulinarische, so schade das Literarische. Abseits der präzisen Anleitungen regiert hastig hingehauener Floskelsalat, aromatisch wie gekörnte Billigbrühe. Wenn im Text zum Frühling etwa Mörike „vermörkst“ und unvollständig stehen gelassen wird – „Der Frühling lässt sein Band an Zutaten, die unsere Sinne verzaubern“ –, sehnt man sich nach redaktioneller Sorgfalt. Und dies barocke Fest des Haut Goût ist ein kulinarisch-optisches. Den Gastgebern kommen wir nicht nah, es gibt keine Geschichten, keine Erläuterungen. Sie treten hinter ihre Kreationen zurück. Hochglanzdistanz. Doch die Brillanz von Fotos und Rezepten tröstet mühelos. Man will kochen. Am liebsten: alles.
Andreas & Mathias Neubauer – Saison: Bester Genuss das ganze Jahr
Jubiläumskochbuch anlässlich 50 Jahre DER FEINSCHMECKER
Gräfe und Unzer , 312 Seiten
40 Euro, ISBN-13: 978-3-8338-9899-0
Kirsten Skaarup – Grünes Smørrebrød

Wären Stullen musikalische Kompositionen, wäre das deutsche Butterbrot vielleicht ein stumpfer Hardrock-Song: schlicht, ohne Schnickschnack. Das dänische Smørrebrød dagegen: Bohemian Rhapsody auf Roggen: kunstvoll verflochten, kontrastreich, überraschend. Hochstapelnde Poesie in exakt abgestimmten Schichten.
Die dänische Autorin Kirsten Skaarup denkt das ikonische Gericht neu – konsequent pflanzlich. Ihr Ansatz: kein Verzicht, sondern Verwandlung. Sie liefert Ideen, die sich mal an den fleischig-fischigen Originalen orientieren, mal ganz eigene Wege gehen: In Essig mazerierte Aubergine – genauso aromatisch wie Hering. Lebenspastete aus Linsen, Sonnenblumenkernen, Walnuss, Zitrone und Tamari statt Leberpastete. Rote-Bete-Hummus, Grünkohltatar mit Kapern und knusprigen Chips, karamellisierte Topinambur mit Zitronenmayo. Dazu Brotrezepte und Aufstriche wie Tahinibutter mit Estragon oder marokkanische Nuss-Nougat-Creme.
Smørrebrød ist in Dänemark fast Religion. Doch während das Museum der Tradition bislang für Nicht-Fleischesser weitgehend geschlossen blieb, öffnet Skaarup es für neue Gäste. Sie beweist: Pflanzlich kann genauso tief, salzig, sinnlich schmecken – und manchmal freier. Das wahre Smørrebrød kennt keine Grenzen, nur guten Geschmack.
Kirsten Skaarup zeigt, dass veganes Smørrebrød kein Kompromiss ist, keine Entbehrung, der Wesentliches fehlt. Indem die Dänin das kulinarische Kunstwerk auf Roggen „begrünt“, haucht sie der Tradition neues Leben ein und legt des Smørrebrøds Kern frei: die Fortsetzung einer alten Idee – das Spiel mit Texturen, das Gleichgewicht von Säure und Fett, Salzigkeit, Süße, Tiefe, Weich und Knusprig. Für ein skandinavisches Brot macht Skaarups Smørrebrød allerdings ganz schön oft im Nahen Osten statt zuhause Urlaub (Hummus und Levante-Dips). Wie dänisch das kunstvoll belegte Brot am Ende noch ist? Andere Frage.
Keine Frage: Das Ganze, im Buch fein ziseliert angerichtet, ist fast schon visuelle Poesie. Toll auch: Die Autorin liefert Unbedarften Hinweise, wo man Zutaten wie Algen-Kaviar, Yuzu kosho sancho oder Bergamotte bekommt. Auch wenn viele Aufstriche sich vorbereiten lassen, bleiben die Rezepte ambitioniert – eher etwas für Achtsame mit Sinn für Präzision, Geduld und Gestaltung, denen das Besondere selbst bei der Stulle wichtig ist.
Kirsten Skaarup – Grünes Smørrebrød – Nordisch, vegan und voller Geschmack. 80 Rezepte für pflanzliche Brotzeit
Stiebner, 248 Seiten
28 Euro, ISBN-13: 978-3-8307-1087-5
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