
Nachts, im Mondschein, lag auf einem Blatt ein kleines Ei. Ich könnte nicht nachzählen. Ich kann nicht einmal raten. Aber ich bin mir relativ sicher, dass „Die kleine Raupe Nimmersatt“ von Eric Carle das Buch ist, dass ich vielleicht am häufigsten in meinem Leben in Händen gehalten habe. Irgendwo oben in einem Regal steht noch das Exemplar aus meinen Kinder tagen. Die Ecken vom Hin- und Herbiegen gedehnt, die Seiten begrabbelt und bekrickelt, Flecken sprenkeln die Seiten, hier und da ist auch etwas abgewetzt, wo das Papier zusammenklebte. Weil ich mit marmeladebeschmiertem Mund hineingebissen und daran herumgeschmatzt hatte, oder mir Tee aus der Schnabeltasse draufgetropft war.
Ich habe die Geschichte geliebt, und ich liebe sie immer noch, und ein bisschen hat dieses Buch auch ein bisschen meiner Liebe zu gutem Essen gesät. Zu Äpfeln und Birnen, zu Pflaumen und Erdbeeren, zu Apfelsinen, Schokoladenkuchen, zu Eiswaffeln, zu sauren Gurken, Käse, Wurst, Lollis, zu Früchtebrot nur bedingt, aber zu Würstchen, Törtchen und Melone auch. Das Gute für die Raupe im Buch ist, sie bekommt nur Bauchschmerzen, der maßlose Krabbler futtert danach noch ein Blatt – und alles ist wieder besser. Anders als bei Mr. Creosote aus Monty Pythons „Sinn des Lebens“, der ähnlich viel und noch viel maßloser alles in sich hineinstopft und beim letzten Blättchen aus Waffel explodiert.
Ich schweife ab. Ich war jedenfalls kurz davor, zu Ehren von Eric Carle ein paar Löcher in Äpfel oder Birnen zu stanzen. Schließlich ist er nun mit 91 Jahren von uns gegangen, hat zum letzten Mal gefuttert und sich dann verpuppt und verwandelt, um gen Himmel zu fliegen. Dort flattert er nun als schillernder Schmetterling über die Wolken, lässt uns hier unten zurück mit ein bisschen oder auch etwas mehr Traurigkeit, weil er gegangen ist – und mit dem großen Glück, dass es sein wundervolles Buch weiterhin gibt und geben wird.
Und ein bisschen lebt sein Wirken ja auch in dieser Seite weiter. Sie, die eigentlich „Gaumenkino“ heißen sollte, was ich lustig und passend fand – aber dann fand ich heraus, dass es das Wortspiel längst gibt und auch einen Foodblog des gleichen Namens. Er hat sogar ein Kochbuch veröffentlicht. Für einige Wochen trug ich die Idee, diese Seite zu machen, schon mit mir herum. Überlegte auch, sie „Kulinarr“ zu nennen, weil ich mich selbst ungern allzu ernst nehme und ich gern Unfug treibe. Aber reine Food-Comedy war nun auch nicht in meinem Sinn, und ein Potpourri der Albernheiten soll es nicht werden. Und irgendwann, nachts, im Mondschein, schlüpfte auf meinem Kopfkissen die Idee, diese Seite „Nimmersatt“ zu nennen. Weil ich für Köstlichkeiten brenne, weil ich das Buch liebe, weil ich auch nimmersatt nach Reisen, nach Ferne und Abenteuern, nach Witz und Spaß und sinnlichen Genüssen bin. Und ein passenderer Name ist mir nicht begegnet.
Und so zeichnete ich eine erste Version des Headerbilds, in der Eric Carles Raupe sich durch einen Hähnchenwrap futterte. Aber ich habe es nicht genommen, denn ich möchte kein Epigon des Helden sein, mich nicht mit fremden Federn schmücken und auch keinen Ärger mit Urheberrechten verursachen. Hier, zu seinen Ehren, zeige ich diese Version einmal. Eric, schön, dass es Dich gab – und schön, dass Dein Buch gewordenes unersättliches Wunder weiterlebt.
Hier zu Hause gab es unlängst einen Kuchen, von Maria gebacken, zu seinen Ehren.

Lieber Ole, selbst in Lüneburg wird dein Nachruf auf Eric Carle und die Raupe Nimmersatt begeistert gelesen. Ihn sich als Schmetterling flatternd vorzustellen macht ihn unsterblich und dein Blog bringt ihn immer wieder in Erinnerung.
Sehr berührend!
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Das ist unglaublich lieb, tausend Dank, Dir!
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Das hast du wunderschön beschrieben. Ich habe meinen Kindern ungezählte Male daraus vorgelesen und das Gleiche machen diese jetzt bei ihren Kindern. Das schönste Kinderbuch, das ich kenne.
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Das freut mich außerordentlich, mein Lieber! Hier dauert es noch etwas, bis man sich überhaupt vorlesen lässt. Momentan wirft man Bücher noch durch die Gegend oder beißt einfach zahnend hinein. 😀
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