
Beim Teutates. Was für ein Käsenudel-Wetter. Düstere Wolken kleben überm Land, so tief und dicht, dass man fürchten kann, der Himmel könnte einem auf den Kopf krachen. Alles ist besser mit Käse knusprig überbacken. Wenn das doch nur mit Schietwetter ginge. Die Welt erblasst unter einer Decke aus Aschgrau, Steingrau, Bleigrau, Zementgrau, als hätte Paul Winkelmann aus Loriots Ödipussi neue Bezüge verkauft, nur nicht für Sofas, sondern fürs Firmament. Gewoben aus den extrem dichten Bindfäden, die es regnet. Es sind Tage, an denen die Osterglocken hängenden Hauptes zu Boden blicken und die Korkenzieherhaseln zwischen den sprießenden Blättern voller Tropfen hängen, die bei Sonnenschein wie Juwelen glitzern und dann verdampfen würden, so aber wie Tränen die Zweige herabrinnen. Es sind Tage voll karger Ödnis, bei denen alle jüngst gesprossene Farbenpracht der Natur doch wirkt, als sei sie in den zeitverglühenden Rauch der grauen Herren gehüllt und man sich zu fragen beginnt, ob man nicht doch solarbetrieben ist, weil ohne Sonne der Antrieb flöten gegangen ist. Es ist eine Düsternis, in der ein von schweren Depressionen umfangener, unglaublich liebenswerter Ehemann und Vater zweier Kinder in meinem Umfeld in einem dunklen, stillen Moment keinen Ausweg gesehen hat. Beinahe auf den Tag genau 30 Jahre, nachdem Grunge-Legende Kurt Cobain, ebenfalls von schweren Depressionen eingeschnürt, drogensüchtig und waidwund von Magenschmerzen inmitten der wild wogenden Welle des Ruhms, seinem Leben mit einer Überdosis Kokain und einem Kopfschuss mit der Selbstladeflinte ein Ende setzte. „It’s better to burn out than to fade away“, ein Zitat aus Neil Youngs „Hey hey, my my“, hatte er auf einen Zettel als Brief an seinen imaginären Freund Boddah gekritzelt, er lag neben seiner Leiche, als ein Elektriker ihn in einer Blutlache im Gewächshaus oberhalb seiner Garage fand. Es sind Tage, an denen man sich in die wohltuende Umarmung von Wohlfühl-Essen schmiegen mag. Essen, das nach Zuhause schmeckt. Essen, das quer durchs Netz und durch die Kochbücher-Welt immer wieder gern als „Soulfood“ angepriesen wird. So sehr das genau genommen Quatsch ist.
Woher kommt der Impuls, alles Wohlfüllessen Soulfood zu nennen?
Pedanten mag ja keiner, und wer mich kennt, weiß, wie sehr ich den kreativen Umgang mit Sprache liebe, Dinge kreativ anverwandle, mit Worten spiele, und all zu starre Regelwerke können enger einspinnen und fesseln als die Gesamtheit der Bindfäden, die es vom Himmel regnet. Manchmal hilft es zumindest aber ja, zu wissen, wovon man spricht und worum es geht. Und bei „Soulfood“ kriegt die Sache dann eine besondere, bitter aufstoßende Dimension – die womöglich insbesondere hierzulande nur wenige kennen. Und die hat insbesondere mit bitteren Entbehrungen, mit himmelschreiendem Unrecht und Rechtlosigkeit, mit Unterdrückung zu tun, meint „Soulfood“ doch die mühsam aus Resten und Weggeworfenem zusammengekratzte Küche der aus Afrika entführten Sklaven, insbesondere in den Südstaaten der USA, die aus dem Wenigen, was ihnen zum Überleben blieb, versucht haben, Minderwertiges zu veredeln und trotz Hunger und Not diesen Resten ein wenig köstliche und kostbare Würde zu geben. Die Nachfahren der Sklaven mussten sich oft mit Schlachtabfällen begnügen: Hühnerflügel, Schweinsfüße, -ohren und -schnauzen, Innereien, Rippchen. Die wurden oft lange geschmort und in viele Gewürze gehüllt, um ihnen Geschmack zu verleihen. Hinzu kommen einfache, oft sättigende Gemüse, von denen einige wie die Okraschote ebenfalls aus Afrika eingeführt worden waren. Es sind Gerichte, von denen schon geringe Mengen sättigten. Gerichte, die man mächtig nennen mag, was seltsamen Nachgeschmack auf der Zunge beim Aussprechen hinterlässt, waren die Esser doch genau das Gegenteil von mächtig. Auch dieses Essen kann über ausweglose Lebenslagen hinwegtrösten, die Seele anrühren, sie streicheln. So, wie es auch anderes Wohlfühlessen vermag, das sich unter weniger prekären Umständen entwickelt hat.
Dennoch kann man sich wundern, fragen, weshalb insbesondere in Deutschland „Soulfood“ so schnell als Etikett herausgeholt wird. Ist es Unwissen? Während „Soulfood“ als Begriff insbesondere von der afroamerikanischen Bürgerrechtsbewegung geprägt wurde und darin auch eine Komponente von Stolz und besonderer Gemeinschaft lag, gibt es im englischsprachigen Raum „Comfort food“ als Synonym fürs Wohlfühlessen. Genauso bildstark, wahrt er würdevolle Distanz zur so besonderen Küche der Unterdrückten in den Südstaaten. Im Deutschen kann man sich doppelt fragen: Warum gerade „Soulfood“? Warum überhaupt ein englischer Begriff und nicht „Seelenfutter“, das nur eine? Warum nicht „Wohlfühlessen“? Wer mich kennt, weiß: Ich bin und war nie Freund moralisch erhobener Zeigefinger. Und wo ich selbst mir Großzügigkeit wünsche, wenn es um kreativen, undogmatischen Umgang mit Sprache geht, zeige ich sie gern auch selbst. Insbesondere bei deutschen Kochbuchverlagen wundere ich mich aber schon über die Inflation des Begriffs „Soulfood“ – gerade weil es doch ähnlich knackige, vielleicht sogar frischere Worte gibt. Auch deutsche Worte. Und zumindest den Experten in Verlagen kann man ja zutrauen, von der Begriffsgeschichte und den ursprünglich gemeinten Sinnhorizonten zu wissen.

Hier jedenfalls ist es Zeit für „Seelenfutter“, für Einkuschelköstliches, für Trostessen – zartschmelzend, würzig und mächtiger als es Qin Shihuanadi, der Begründer des chinesischen Kaiserreichs einst war. Zeit für Käsenudeln. Die Kalorienklopper gibt es hier zuhause nur selten, auch weil die Fresskoma-Fallhöhe immens ist. Aber wenn, heiß geliebt. Seien es Kässpätzle oder – wie diesmal – Mac and Cheese. Ein Gericht, von dem man sich erzählt, dass es auch ein Lieblingsgericht von Kurt Cobain war – neben dem Garnelensalat seiner Mutter und Hasch-Brownies. Im heutigen Fall werden es aber Bärlauch-Mac-and-Cheese – eng angelehnt an eine Variante des britischen Drei-Sterne-Kochs und kreativen Genies Heston Blumenthal, die zwar schon so schwer ist, dass man ahnt durch die Bodenbohlen zu brechen wie einst die Büroinsassen in der „Gervais Obstgarten“-Werbung (falls wer sich erinnert). Aber sie ist auch so schwer lecker, dass man nicht umhinkommt, mehr zu wollen.
Nur sorgt bei mir insbesondere frischer Bärlauch noch für zarten Biss und frische Würze, und da das Glas mit getrockneten Tomaten notwendigen Platz im Kühlschrank blockierte, durften die feingehackt auch mit in die Sauce (wo sie sich dank ihrer vollmundigen Umami-Würze auch blendend machen). „Diese cremige Porton Großzügigkeit aus geschmolzenem Käse lässt auch viele Erwachsene dahinschmelzen“, schreibt er in seinem famosen Werk „Ist das ein Kochbuch?“ über das, was er „ultimatives Wohlfühlessen“ nennt. Und beim grauen Grauen draußen kann man auch ruhig kaloriengeplättet wie ein auf den Rücken gefallener Maikäfer ein wenig auf dem Sofa liegen und dösen, während das andauernde Prasseln der endlosen Regenbindfäden einlullt. Und vielleicht stellt man sich die Frage, woher der andauernde Impuls kommt, alles „Soulfood“ nennen zu wollen als ausgelutschte Reklame. Und vielleicht schläft man auch einfach ein – oder hört gute Musik.
Wer übrigens von Depressionen gepeinigt ist, findet unter anderem hier erste Hilfe und Anlaufstellen. Geht zum Arzt, vertraut Euch an, wenn Ihr in Dunkelheit zu gleiten spürt.

Zutaten für die Käsenudeln mit Bärlauch und getrockneten Tomaten
400 g Makkaroni (oder welche Pasta immer Euch lieb ist)
30 g Salz
300 g Milch
1 Knoblauchzehe, gehäutet, zerdrückt
1 Handvoll Bärlauch (sonst 2 Knoblauchzehen nehmen)
4-5 getrocknete Tomaten, abgetropft
200 g Frischkäse
200 g Gruyère
200 g Parmesan, gerieben
Schwarzer Pfeffer
Abrieb von 1 Bio-Zitrone (optional)
So bereitet man die Mac and Cheese oder Käsenudeln mit Bärlauch und getrockneten Tomaten zu
Einen großen, bestenfalls ofenfesten Topf (am liebsten einen flachen Bräter) mit 3 Liter Wasser und 30 g Salz füllen und zugedeckt zum Kochen bringen (Heston Blumenthal setzt auf eine 10-prozentige Lake zum Nudelnkochen und salzt dafür praktisch im Weiteren nicht nach), besser noch: 4 Liter Wasser mit 40 g Salz. Die Makkaroni darin fast al dente kochen und abgießen – einen Becher voll Pastakochwasser aber auffangen.


Parallel direkt den Bärlauch waschen und feinhacken, den Knoblauch schälen und anquetschen, die getrockneten Tomaten abtropfen lassen, einmal waschen, tropckentupfen und feinhacken. Mit dem guten Becher Milch zusammen bei niedriger Hitze erwärmen und dann bei sehr niedriger Hitze weiter ziehen lassen, auf dass die lauwarme Milch die Aromen aufnimmt. Je länger, desto intensiver. Der Sternekoch empfiehlt, die Milch durch ein Sieb abzugießen und die Aromaten zu entfernen, ich habe sie dringelassen – für mehr Würze.


Den Gruyère und den Parmesan reiben. Ich wollte mir Arbeit sparen, habe meine alte treue Küchenmaschine mit dem Durchlaufschnitzelwerk dafür zunächst genommen – wobei zwei Nupsis beim „Mitnehmer“ abbrachen und ich mehr als die Hälfte trotzdem per Hand reiben und zudem online nach Ersatzteilen suchen musste. Nächstes Mal einfach komplett Sport treiben.

Für die Sauce der Käsenudeln oder die Mac and Cheese (nennt es, wie Ihr wollt) den Frischkäse in die aromatisierte Milch einrühren, dann auch den geriebenen Gruyère und drei Viertel des Parmesans hineinrühren, damit daraus eine cremig geschmolzene, glatte Masse wird. Mit kräftig Pfeffer würzen. Wer mag, kann hier auch noch die Schale einer Bio-Zitrone hinzureiben und unterheben. Auch ein guter Spritzer Zitronensaft tut nicht schlecht, wo man eh schon gerieben hat.
Den Backofen auf 200° C Ober-/Unterhitze vorheizen. Die abgegossene Pasta zurück in den Topf geben und verteilen – oder in eine Lasagne-Backform, wenn Ihr nur hohe Töpfe habt. Denn viel Oberfläche und flache Schichtung bringt mehr Knusper obendrauf. Die Sauce darübergeben und die Nudeln wohlig darin baden lassen und sie damit umschmiegen.

Den restlichen Parmesan darüber reiben und dann ab ins Rohr damit. Am besten nah unter den Grill, dann knuspert der Käse schneller auf und die Nudeln bewahren mehr Biss. Das Ganze dann im heißen Bauch des Ofens knusprig brutzeln, bis der Käse golden ist, je nach Ofen zwischen 15 und 25 Minuten lang.
Dann rausnehmen und heiß und dampfend servieren, verschlingen und genießen – und sich ein wenig kalorienreich trösten lassen. Ganz ohne Soulfood, aber mit ganz viel Wohlfühlessen.





Musik zu den Käsenudeln
Leben ist, was einem dazwischenkommt, während man eifrig dabei ist, andere Pläne zu schmieden. Und manchmal endet Leben abrupt, mitunter von eigener Hand, wie bei Kurt Cobain. Einer der düstersten aber auch schönsten Nirvana-Songs, passend zum Wetter der letzten Wochen: „Something in the way“.
Und um Kurt Cobain weiter zu würdigen, hier auch noch eine Live-Aufnahme des brachial schönen „Heart shaped box“.
Nun, und wenn hier schon so ne fette Ladung Käse aufs Tapet kommt, dann doch auch „Big cheese“ von Nirvana.
Wie könnte das Düstergrau klingen, das uns für Wochen überwölkt hat und in die tröstenden Arme fettig Überbackenen treibt? Vielleicht so traurig schön wie „Sunday 3:52“ meiner heiß geliebten Mit-Lieblingsband Aereogramme.
Wenn man nun über das kulturelle Erbe der afroamerikanischen Bevölkerung spricht, kommt man natürlich am Blues nicht vorbei und nicht an Huddie „Leadbelly“ Ledbetter, einen der frühen Großen des Blues. Hier mit dem Traditional „Where did you sleep last night“, das insbesondere durch Nirvana, auf ihrem „MTV Unplugged“-Album 1993 gecovert, weltberühmt geworden ist. Womit wir wieder bei Kurt Cobain wären.
Und wenn man Rassismus, Unterdrückung, kolonialistischem Grusel ins Auge blickt, stößt man unweigerlich irgendwann auch auf den grandiosen Coen-Brüder-Film „O brother where art thou?“ – bis heute ein absoluter Lieblingsfilm von mir. Und darin auch auf das wundervolle „I am a man of constant sorrow“ der „Soggy Bottom Boys“.
Nun mag man ja zurecht einräumen, ich könne auch mal Fünfe gerade lassen. Mach ich. Jetzt: „2+2=5“ von Radiohead. Fantastische Band, geiler Song.
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moin Ole,
oh wie lecker, deine Mac&Cheese lesen sich köstlich. Bei dem Gericht sehe ich immer die Fertigpackung der Fa, Kr**t vor mir, die es in den 1990ern in den USA gab. 🙈. da war glaub ich Plastikkäse drin….😬 . Hab ich aber nie gekauft….
Liebe Grüße nach Ostfriesland, Karin
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Frustschutzmittel! J’adore 🫶! Dabei sind Deine dazu natürlich das eigentlich Wesentliche. Merci & eine gute Woche Dir, Charlotte
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Mac’n’cheese der Oberklasse, sehr fein ! Nicht zu vergleichen mit der ‚blue box‘ 🙈 Hier wird der Begriff soulfood normalerweise im richtigen Kontext verwendet, sprich, beschreibt typische Gerichte der Südstaaten. Warum das in D nicht so ist, weiß ich nicht, aber die Deutschen übernehmen ja gerne amerikanische Begriffe, ohne wenig Ahnung zu haben was sie eigentlich bedeuten …
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Wow, sieht das lecker aus, dass muss ich unbedingt probieren. Danke für das Rezept. LG Romy
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