
Wenn Johann, von dem fast alle im Dorf längst vergessen hatten, dass er gar nicht Joke hieß, den Mund öffnete, waren die herauspurzelnden hochdeutschen Sätze manchmal krumm. Auch, weil Joke (urnorddeutsch gesprochen, ohne Ähnlichkeit zum englischen Witz) meistens Platt sprach, stolperten Wörter manchmal falschherum hinein, hatten verkehrte Anhängsel. Seine Sätze waren mitunter ungelenk, längst nicht so schnurgerade wie die Schnitte, mit denen er vor seiner Hochzeit Europaletten zersägt hatte, um daraus Buchstaben zu bauen.
Joke, der Bagger-Lohnunternehmer, dem das Herz aufging, wenn Stahlschaufeln eine Hauswand eindrückten, Auspuffe laut röhrten, wenn es dröhnte, wenn Autos oder Motorräder rasten, wenn ein Laster rückwärts auf seine Auffahrt rumpelte, um mit durchdrehenden Reifen qualmend und hupend Reifenspuren auf das Backsteinpflaster zu schmieren, der vielleicht mehr Benzin im Blut hatte als der Durchschnitt, mochte stumpf wie ein rostiges altes Küchenmesser sein, wenn es um klassisch bürgerliche Bildung ging. Er liebte es, den Gashebel am Außenborder von Motorbooten bis zum Anschlag zu drehen und durchs Wasser zu pflügen, während er auf Schubert-Liederabenden oder Fluxus-Vernissagen stärker gefremdelt hätte als Kleinkinder bei der Begegnung mit Unbekannten auf einem Spielplatz. Bei Kant dachte er eher an Hölzer als an die Kritik der reinen Vernunft. Statt Rotwein in mundgeblasene Dekanter aus Bleikristall zu gießen und beim Trinken den kleinen Finger manieriert abzuspreizen, griff er Bierpullen beherzt mit der ganzen Pranke, stürzte sie, Kopf in den Nacken geworfen, oder baute lotrechte Türme aus leergetrunkenen Hubertustropfen-Flaschen.
Aber wenige trugen ihr Herz aufrichtiger und an rechteren Flecken, wenn es um Menschen ging, die ihm wichtig waren. Wer immer von seinen Freunden um Hilfe bat, konnte sicher sein, dass er auch mitten in der Nacht in Windeseile vor der Tür stand, wenn Not am Mann war. Um seiner großen Liebe, die er nur Schnuddelbuddel nannte, eine Freude zu machen, ließ er einen Fischkutter wegwuchten, der im Garten des Hauses lag, das beide gekauft hatten – und grub und baute dort einen Badeteich. Und gerade weil er sie so liebte und er ihr die schönstmögliche Hochzeit bereiten wollte, heckte er die geheime Idee aus, die Maschinenhalle auf dem Bauernhof eines guten Freunds und Nachbarn mit ihm auszuräumen und seiner großen Liebe darin den schönstmöglichen Hochzeitssaal zu bauen. Wochenlang verschwand er nach Feierabend darin, zersägte Altholz und zimmerte daraus Tresen und Dach für einen Kneipenausschank, wuchtete alte Autos als Deko in Zwischenböden, stapelte Strohballen als Wandverkleidung, brachte Kronleuchter an, rückte Europaletten zu Leibe und schnitt sie so zurecht, dass die Buchstaben für „Love“ und „Hochtied“ daraus wurden, jonglierte mit Stoffbahnen, um sie unter der Decke zu befestigen, schraubte Schilder mit Sprüchen an, baute mit Freunden eine Fotobox-Kulisse aus angerosteten Diesel-Zapfsäulen, einem ebenso rostzerfressenen alten Krad und einem abgetakelten Cola-Automaten, versteckte grinsend einen ausgestopften Marder zwischen Dachschindeln der Kneipenverkleidung, hängte auch ein Motorrad in luftige Höhe.
Er wuchtete Bagger an die Zufahrt zum Hof, deren Arme sich zu einem Herz zusammenreckten. Buchte heimlich einen Sänger, der im Fernsehen Erfolge gefeiert hatte, für ein Ständchen. Organisierte extra einen Bierwagen, damit niemand nach dem Traugottesdienst durstig blieb. Und von überallher waren Freunde und Kollegen gekommen, die in einem dröhnenden Lasterkorso das Paar von der Kirche abholten und quer durchs Dorf kutschierte Und wie sehr sein aufrechtes Herz auch bei den Freunden auf Gegenliebe traf, zeigte sich spät am Abend der großen Hochzeit, als die auf der Gülleplatte hinterm Hof hinter Siloballen versteckt ein riesiges Feuerwerk für ihn und seine Liebe zündeten – und die nachterhellenden Funkenwolken spiegelten sich in Güllepfützen auf dem verwitterten Beton.




Wäre Joke nun ein Gericht, vielleicht wäre er einfach ein dickes, handwerklich perfekt auf den Punkt gebratenes Steak. Eine krosse Wurst, ein großer Burger. Vielleicht wäre er aber auch – so wenig mediterran der Bagger-Unternehmer daherkommt – „Salsa di burro e rosmarino“ der legendären italienischen Kochbuch-Legende Marcella Hazan, eine dieser Pasta-Saucen, die elitäre Gourmets für allzu grob behauen, schlicht und viel zu unfein halten könnten: Werden darin doch die bei Edelkulinarikern verpönten Brühwürfel in geschmolzener Butter aufgelöst, Knoblauch und Rosmarin darin konfiert und mit geriebenem Parmesan cremig gerührt, um ganz schlicht die feine Aromenvielfalt von Sonntagsbraten-Saucenresten nachzuahmen, die Nudeln als „Pasta col tocco d’arrosto“ (Pasta mit einem Hauch von Braten) köstlichst umschmiegen können. Es ist eine Sauce, die in ihrer Einfachheit wahnsinnig viel Herz hat und zeigt, – wenn man sie nur lässt und sie nimmt, wie sie ist – Geschmacksknospen auf Händen trägt, im simpel scheinenden viel Raffinesse mitbringt und einem auch für ewig ans Herz wachsen kann. Und einmal mehr beweist, wie viel wertvoller Herz und liebevolles Zupacken sein kann als überfeinerte Fassaden und Manieren. Wie ein krachend schönes Feuerwerk über Siloballen hinterm Bauernhof, wie ein ölverschmierter Freund, der Dir hilft, Deinen verrosteten Vergaser zu polieren oder Zylinderteile plan zu schleifen – nur in köstlich.

Zutaten für die Pasta mit Butter-Rosmarin-Sauce
500 Gramm Pasta, beispielsweise Spaghetti oder Linguine
200 Gramm Butter (als vegane Variante: Olivenöl)
6 Rosmarinzweige
2 Brühwürfel, zerdrückt (original vorgeschlagen ist Rinderbrühe, Gemüsebrühe für vegane/vegetarische Optionen gehen ziemlich sicher auch)
6-8 Knoblauchzehen
120 Gramm Parmesan, gerieben, eventuell mehr zum Servieren

So wird die Pasta mit Butter-Rosmarin-Sauce gemacht
In einem großen Topf ausreichend Wasser salzen und zum Kochen bringen.
In einer Pfanne auf niedriger bis mittlerer Stufe die Butter schmelzen. Die Knoblauchzehen mit einer großen Messerklinge anquetschen und schälen und gemeinsam mit den Rosmarinzweigen konfieren, also im Fett sanft anschmurgeln, um die Aromen zu lösen.

Die Brühwürfel zerdrücken und dazugeben und mit sanftem Rühren mit einem Holzlöffel auflösen. Das Ganze insgesamt 5 bis 10 Minuten schmurgeln lassen. Währenddessen die Pasta al dente kochen.
Parmesan reiben und sorgsam mit der Butter-Rosmarin-Sauce vermengen und cremig rühren.
Die fertig gekochte Pasta sofort mit der Sauce vermengen und direkt servieren. Eventuell zusätzlich noch etwas Parmesan drüberreiben. Ob Ihr die Knoblauchstücke und Rosmarinzweige zerzupft oder rausfischt oder ganz drinlasst vorm Vermischen mit der Pasta, ist Euch überlassen. Buon appetito!



Musik zum Pastagericht
Zu dieser herrlichen Sauce passend, wird hier heute Rosmarin auch musikalisch gefeiert – ohne Parsley, Sage und Thyme, ohne Simon & Garfunkel, dafür aber zum Auftakt mit den Foo Fighters: „Dear Rosemary“.
Schwungvoll in die nächste Nummer: „Rosemary“ vom „Gaslight Anthem“-Sänger Brian Fallon.
Und weil das Ganze ein Aromenkracher ist, krachen hier die Deftones hinterher mit „Rosemary“.
Und weil Feuerwerk, das sich in Güllepfützen spiegelt und hinter Siloplatten in den Nachthimmel auf dem Land kracht, so besonders ist, gibt es hier auch noch eine meiner Lieblingsbands: „There Will Be Fireworks“ aus Schottland – mit „River“ vom atemberaubend guten Album „The dark, dark bright“.
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Lieber Ole, was für ein Feuerwerk: Eine Herzfunkelgeschichte und Liebe in Form von Essen, die hier den Magen quert wie einst Lorelei den Rhein. Hier poltert schon wieder ein Gewitter herum, Wald und Wiesen strotzen vor Grünlust und der Regen ist jetzt einigermaßen langsam. Danke für die wieder feine Mucke, ich muss vom Balkon…
Hab es gut, Lesedank und liebe Grüße 🍃
Amélie
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Ein Traum. Marcellas Gerichte sind immer wieder einfach und sooo köstlich. Butter wie herrlich! Und dazu noch eine hervorragende Menge an Knoblauchzehen. Rosmarin eh. Wie ich den liebe! Und der wuchert in meinem Garten, aus einen kleinen Töpfchen gezogen vor 7 Jahren nun ein meterhoher Strauch. Lustig 😉 Ich hab gerade auch was mit Rosmarin gemacht. Allerdings mit Hähnchen Sollte eigentlich ein Piemonteser werden, aber dann kam alles anders…..
Liebe Grüße aus dem Heim der Friesen ganz im Süden von wiesengenuss
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Deine auch dank Claudia raffiniert abgewandelte Nummer las sich aber auch wahnsinnig spannend. Ganz liebe Grüße zurück!
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Schmuddelbuddel kann sich glücklich schätzen; wie romantisch ist das bitte?!
Diese Pasta werde ich unbedingt ausprobieren, die Sache mit den Brühwürfeln klingt ein bisschen pervers aber auch ziemlich geil! 😁
Und beim nächsten Mal (ich hoffe, es gibt ein nächstes Mal!) musst Du dringend bei #ichkochedeinensong bei IG mitmachen! Das wäre doch DEINE Challenge schlechthin!
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Das ist schon außerordentlich romantisch, oder? Die Geschichte ist tatsächlich wahr und ich war zum Teil ihr Zeuge, auch wenn der Bräutigam anders heißt und ich bewusst verschleiere, wo die Geschichte sich abgespielt hat. 🙂
Und ich hab mich unglaublich geärgert, dass ich erst zum Ende der Aktion zufällig bei Insta die Sache entdeckt habe. Definitiv meine Challenge. Ein paar Songtexte, die zu Rezepten geworden sind, gibt es hier ja sogar. 🙂
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Und tausendundeinen Dank für so liebe Worte!
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herrlich, deine Pasta. Die Sauce ist ja schon fertig, während man noch Mantel und Schuhe auszieht. Brühwürfel an einer Sauce? eine irre Kombi. Aber alleine schon Rosmarin, Parmesan und der olle Knofel machen eine Sauce schon wunderbar. Ich glaub, das teste ich demnächst mal.
Liebe Grüße von Karin
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Mach das von Herzen gern! Ich mag die Sauce wirklich sehr!
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Obwohl ich garantiert kein Edelkulinariker😂 bin, habe ich den/die Brühwürfel schon lange aus meiner Küche verbannt und verwende nur selbstgemachte Gemüsepaste. Jetzt überlege ich aber glatt, ob ich mir nicht doch so einen Würfel holen sollte.😜
Das klingt auf jeden Fall so schräg, dass man es eigentlich zwingend probieren muss!
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Ich habe ewig keine Brühwürfel zuhause gehabt und sie auch extra dafür gekauft und musste schräg grinsen dabei, weil es mir fast wie Dir geht. Auch wenn ich aus pragmatischen Gründen schon noch gekörnte Hühner-, Gemüse- und Rinderbrühe im Regal habe, wenn es mal schnell gehen muss. Und der Geschmack ist schon rustikal und burschikos. Ich fand es aber tatsächlich sehr lecker und der frische Knoblauch und Rosmarin vertuschen die Instant-Aromen sehr gekonnt 🙂
Ganz liebe Grüße
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