
Enthält unbezahlte, unbeauftragte Werbung durch eine Buchnennung
Irgendwann hatte Wulnikowski gehört: „Jedes Stück Schokolade, das du vertilgst, verkürzt das Leben um zwei Minuten.“ Und dann hatte er nachgerechnet. Zweifelsfreies Ergebnis: Er war schon im Jahr 1587 gestorben.
Daran erinnert er sich, als er eines Morgens den Herbst riecht. Wie bei Tucholsky ist es noch nicht kalt; es ist nicht windig; es hat sich eigentlich gar nichts geändert – und doch alles. Und während es noch gar nicht so lange her ist, dass er in kurzer Hose barfuß durch taunasses Gras geschlurft war, eine milde Brise umschmiegte das T-Shirt, ist ihm plötzlich nach heißem Kakao, in eine Wolldecke gehüllt, oder nach Schokokeksen.
Draußen reißen Böen an den Ästen großer Eichen und Linden. Auf dem taunassen Gras, das die Füße gekitzelt hat, landen trocken gewordene, fast knusprige Blätter, die ihr Grün gegen ein Braun-Orange getauscht haben, böenzerrupft – und sie landen in Gruppen, als tuschelten sie, als versammelten sie sich, um gemeinsam über den Jahrmarkt zu ziehen und zu viel Julischka zu trinken – und alle paar Meter stehen zu bleiben, um in munter durcheinanderschiebenden Menschentrauben vor der Schwarzwaldbude Leute zu begrüßen, die sie den Rest des Jahres nicht vermisst haben.

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Der Duft gebrannter Mandeln und in Fettmassen geschmurgelter Pilze weht in Wolken über die neuerdings wieder von Mützen bedeckten Häupter, mischt sich mit dem Grillrauch vom Bratwurstrost, und in den Mundwinkeln kleben Mayo oder Zuckerwattereste. Irgendwer schultert übergroße Plüschtiere, beim Dosenwerfen erschleudert. Backblechweise Pizzen werden in winzige Schnitze zerteilt, im Riesenrad überspielen Furchtsame ihre Höhenangst. In Fritteusen brutzelt Fett, und darin knuspern Berliner, Churros, Fritten oder Frikadellen auf, beschweren den Magen so machtvoll, dass sie gefühlt eine in Müllsäcke gestopfte, zerlegte Leiche unter Wasser halten könnten; dabei sollen sie nur die Grundlage bilden, dass einem der Hektoliter Bier nicht ganz so zu Kopf steigt. So ein Jahrmarkt wie der Gallimarkt im ostfriesischen Leer, der gerade wieder gefeiert wird. Und während es draußen Bindfäden regnet, dass Wulnis Oma, Gott hab’ sie selig, daraus dutzendweise Socken stricken könnte, schieben sich durstige Massen unbeirrt durch die engen Gassen, vertilgen Matjesbrötchen, ziehen – Gewinnegewinnegewinne – Lose, dippen Krakauer in Ketchup. Er hingegen bleibt diesmal zuhause. Der Schnief.
Stattdessen sind seine Nebenhöhlen dichter als das Publikum bei Woodstock anno 1969 und er kauert in eine Wolldecke gekuschelt auf dem Sofa, liest Artikel darüber, dass doch gar nicht die Schweizer, sondern zwei Dresdner im Jahr 1839 die Milchschokolade erfunden haben – mit 60 Prozent Kakao, 30 Prozent Zucker und 10 Prozent Eselsmilch. Die war dermaleinst viel verbreiteter als die Milch von Kühen. Weil Esel aber nur zu bestimmten Jahreszeiten Milch geben, wurde später Kuhmilch eingesetzt.
„Chocolade mit Eselsmilch präpariert, ohne Gewürz, sowohl zum Kochen in 5/5 Tafeln pr. Pfd, als auch zum Rohessen in 24 Täfelchen pr. Pfd., haben wir anfertigen lassen und verkaufen solche à 1 Thaler pr. Pfd.“ Im Jahr 1839 inserierten dies Gottfried Heinrich Christoph Jordan und August Friedrich Timaeus, die gemeinsam 1823 die „Chocolade- und Cichorienfabrik Jordan Timaeus“, die erste Schokoladenfabrik Deutschlands, in Dresden gegründet hatten. Die belieferte auch den sächsischen und den k.-u.-k. Hof in Österreich. Neben Schokolade wurden in der Fabrik auch Nudeln und Zichorienkaffee hergestellt. Der wurde aus der Wurzel der „Gewöhnlichen Wegwarte“ gewonnen, einer Urform des Chicorée. „So viel unnützes Wissen, das man beim Smalltalk an der Schwarzwaldbude zwischen die Julischkafläschchen streuen könnte“, denkt Wulnikowski bei sich. „Dann eben nächstes Mal. Und dann feiere ich selbst eben ein bisschen im Kleinen.“
Im Kleinen feiern geht bei Wulnikowski in diesem Fall so: „Ich mag nicht fit genug sein, um draußen rumzuturnen im Fahrtwind wild umhersausender Karussells, aber zum Ausgleich feiern die Geschmacksknospen umso ausgiebiger.“ Und da ist dann der nächste Zirkelschluss zur Schokolade. Diesmal keine Milchschokolade, sondern hochprozentige. Ebenso unwiderstehliche. „Wenn ich einmal anfange, kann ich nicht mehr aufhören, bis die Tafel weg ist“, sagte Goethe einst, der Schoki auch auf seinen Reisen zum Genuss und Launeheben bei sich führte. Und so ähnlich war und ist es immer wieder mit Wulnikowskis Lieblings-Schokoladencookies. Teile, die so viel besser und köstlicher waren als fast alles Schokoladengebäck, das er zuvor gekostet hatte. Knusprige, saftige Teile, deren Aromenpracht durch einen zarten „Fleur de sel“-Kick noch klarer strahlt, mit satten Karamellnoten. Süß, mächtig, unwiderstehlich.
Vor Jahren bei der Zürcher Sterneköchin Tanja Grandits in ihrem fantastischen Kochbuch „Tanja vegetarisch“ entdeckt (unbezahlte Werbung ohne Auftrag aus voller Überzeugung, 2021 als weltbestes vegetarisches Kochbuch bei den Gourmand World Cookbook Awards ausgezeichnet), sind sie gerade zum Herbst, wenn man umso mehr Gebäck braucht, um es in Kakao zu dippen, Dauergäste in Metalldosen in Wulnikowskis Küche. Leicht gemacht, aus gar nicht so vielen Zutaten, „dafür aber aus wirklich guten“, hörte er sich manchmal selbst sagen in Gesprächen mit Freunden, die diesen Keksen rasant ebenso verfallen waren wie er selbst. Nur so viel Mehl, wie es braucht, um Leib, Seele und Keks zusammenzuhalten, umso mehr Schokoladigkeit, und abhängig davon, wie stückig man die Tafeln vorm Backen zerhackt, die Chance auf belohnenden Knack. In ihrer Schlichtheit so bezwingend gut. Nun ist Wulnikowski keiner für Superlative, Freunde hatten die Kekse aber schon „spektakulär“ genannt, und er hatte ihnen still zugestimmt. Und während diese Freunde sich nun also einen weiteren Abend feiernd unter Regen durch grelle Neonlicht-Budenschluchten schieben, hockt er still zuhause, ein wenig gute Musik aufgelegt, und dippt nun also diese geilen Kekse in Kakao. Und so ganz schlecht ist das nicht. Um nicht zu sagen, ganz schön gut.

Das braucht man für die grandiosen Schokoladen-Cookies mit Fleur de sel
250 Gramm Butter, kühlschrankkalt und gewürfelt
150 Gramm brauner Zucker
1 guter Teelöffel Fleur de sel/Meersalz (5 Gramm)
1 Vanilleschote, das Mark ausgekratzt
290 Gramm Mehl
50 Gramm (drei Esslöffel) Kakaopulver
ein guter halber Teelöffel Natron
250 Gramm gute, dunkle Schokolade (mindestens 70%), gehackt
So macht man die grandiosen Schokoladen-Cookies mit Fleur de sel
Die Vanilleschote der Länge nach halbieren und das Innere auskratzend in die Schüssel der Küchenmaschine schaben (die Schote selbst kann man in einer Gewürzmühle feinhacken und für eigenen Vanillezucker nutzen, nicht wegwerfen!), die kühlschrankkalte Butter dazuwürfeln, Zucker und Salz dazurieseln und das Ganze mit dem Knethaken gut vermischen. Dann den Kakao, den Natron und auch das Mehl nach und nach dazusieben und das Ganze vermengen (nicht zu lange und wild rühren, nur so lange, bis alles sich gerade so verbunden hat).
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Derweil die Schokolade feinhacken. Dafür am Besten ein großes, scharfes Messer nutzen, per Hand. Wenigstens zum groben Zerkleinern. Küchenmaschinenmesser tun sich mit harten Schokoladeblöcken oft eher schwer.

Die Schokoladensplitter in den Teig regnen lassen und vermengen.
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Den Backofen auf 180° C vorheizen (160° C bei Umluft).
Aus dem Teig kleine Kugeln rollen, platthauen und mit ordentlich Abstand zueinander auf einem mit Backpapier ausgeschlagenen drapieren. Die Teile wachsen beim Backen kräftig in die Breite.
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Dann in den heißen Schlund des Ofens schieben und darin etwa 14 Minuten lang knusprig backen. Die ersten ofenwarmen schon knuspernd krachend verschlingen, während die nächsten im Ofen backen. Lustvoll genießen, sei es in Kakao oder Milch gestippt, oder einfach so, in Decken gehüllt auf dem Sofa – und sei es, um den Geschmacksknospen etwas zu feiern zu geben, während andere auf Jahrmärkten lustvoll feiern.

Musik zum herbstlichen Keks-Geknusper
Wenn schon Schokolade, wenn schon Herbst, dann gern auch die raspelknurrige Stimme von Tom Waits, der zu gut abgehangenem Jazzbluesfolk von „Chocolate Jesus“ singt und statt nicht zum Jahrmarkt lieber nicht zur Kirche geht und sich stattdessen zuhause Schokolade reinschraubt. Köstlich.
Wenn draußen der Herbst frischböig sein Revier markiert, gehört auch das wunderschöne „Serpentine“ von dEUS zu den Nummern, die immer wieder aus meinen Boxen klingen. So schön.
Ebenfalls fast schon ein moderner Herbst-Klassiker bei mir: „Perth“ von Bon Iver.
Und während man so still vor sich hinkauert und Schokokekse mampft, kann man sich auch dank Jon Hopkins und „Feel first life“ wie neu geboren fühlen.
Wissenschaftliche Studien haben ergeben: Schokolade soll, in Maßen genossen, sogar gut fürs Herz sein. Grund genug, „Scientist studies“ von Death Cab For Cutie mal wieder zu hören.
Draußen Herbststurm, Regen, der gegen die Scheiben der Fenster peitscht, drinnen warmer Kakao und Schokokekse: Das darf auch John K. Samson gern musikalisch begleiten: hier mit „Letter in Icelandic from the Ninette San“.
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Schöne Grüße aus dem etwas „stürmischen“ Norden + DANKE für die Knusper-Salz-Kekse-Anregung ☺
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Gerade bei dem roten Sofa gesehen…Sehr interessante Seite,tolle Fotos, hammer Musik…Danke und lieben Gruß aus der Nachbarschaft Funnix👍😉😇
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Donnerknispel! Riesigen Dank! Und ganz liebe Grüße aus Leer nach Funnix!
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Grade habe ich einen Schokolade-Kuchen aus dem Ofen gezogen- da werden diese Kekse wohl ein wenig warten müssen. Getestet werden die auf jeden Fall, muss ja wissen wie sie gegen Humm und Hermé abschneiden 😋😊. Übrigens unterstütze ich total die naturwissenschaftliche These dass Schokolade gut für Herz und Kreislauf sei, wofern sich der Zuckergehalt mäßigt.
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Oh ja, diese Kekse sind schon seit Jahren Routine-Teil meines Weihnachtskekssortiments! ❤ Sehen bei mir allerdings oft sehr viel solider aus, vielleicht versuche ich es mal mit deiner Formgebung (Rolle formen und in Scheiben schneiden ist hübsch, aber massiv). Und ich streue dann gerne noch ein bisschen extra Fleur de Sel auf jeden einzelnen Keks!
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Ein fulminanter Einstieg in deine Geschichte, lieber Ole, wieder mal. Es reizt mich gerade sehr, nachzurechnen, wann ich gestorben bin oder wäre – aber dafür bin ich doch heute schon ein bisschen zu müde. Ich les so gern bei dir!
Gute Nacht und alles Liebe,
Maria
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moin Ole, was für grandiose Fotos von der Kirmes. Hammer. Den Bericht muss ich noch lesen …. und die Kekse sehen sehr verführerisch aus. lecker.
Liebe Grüße von Karin
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Moin Karin, Donnerknispel, tausendundeinen Dank Dir! Und die Kekse sind grandios, finde ich!
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Moin Ole, ich hatte das tolle Rezept „verloren“, es aber im Verlauf meiner Safari wiedergefunden. Die werde ich zum Nikolaustag an meine lieben Nachbarn verteilen.
Danke!
Herzliche Grüße aus Linden
Emma
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Wie schön, dass Du den Weg aber zurückgefunden und das Rezept noch entdeckt hast (bei Fragen: auch immer gern!) hast. Und größte Grüße gen Linden!
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