
Das Ungeheure, das einem Menschen eingeräumt ist, ist die Wahl, die Freiheit“, schrieb der große Philosoph Søren Kierkegaard einst. Und ich? Habe das Ungeheure gewagt und freiwillig gewählt, mich eines Teils meiner Freiheit zu berauben: mit der Entscheidung, sich einen Ernteteil der Solidarischen Landwirtschaft am Rand des abgelegenen Dörfchens Potshausen zu sichern. Dort, kurz hinter einer scharfen Kurve, versteckt sich ein uralter Gulfhof unter Laubbaumkronen abseits der kleinen Landesstraße, hinter dem Blattgrün von der Fahrbahn aus kaum zu erkennen. Dort zerfuttern die beiden Schafe Ludwig und Paulchen, die aussehen, als wären sie kurz nach ihrer Geburt in einen Kessel Kakao gefallen, das hohe Gras einer Weide unter Apfelbäumen und teilen sich einen Stall mit einem kleinen Haufen Hühner.










Dort wiegen sich im Spätsommer Sonnenblumen in der milden Brise, dort wuchert Liebstöckel fast schulterhoch, wachsen Spinatblätter, gefühlt so groß wie Belgien oder wenigstens Flandern. Mizuna, dieser ein wenig an Rucola erinnernde und nach Grünkohl schmeckende Asia-Salat, hat nasse Füße bekommen und reckt seine gelben Blüten schnippisch gen Abendrot. Postelein oder Portulak lugt schüchtern über die Erdkrume. Kohlrabiknollen sprießen kraftvoll. Laufenten watscheln vergnügt zwischen den Beeten und Folientunneln umher, in denen auch Fenchel gedeiht, Tomatenpflanzen ihre Muskeln spannen, Auberginen und Paprika auf ihren Einsatz warten. Hummeln umschwirren Minzgebüsche. Der Schnittlauch hat die Haare schön und trägt sich knatschviolett und offen.


Es ist ein kleines paradiesisches Idyll auf einem knappen Hektar Fläche hinter der Scheune des alten Gulfhofs. Dort, wo neuerdings das Gemüse gedeiht, das in unserer Küche landet. Weit aromatischer als das, was in den Auslagekisten der Discounter lungert. Weit kostspieliger auch, ja, aber bio und nachhaltig angebaut, mit solidarisch geteilter Ernte. Und mit der freien Entscheidung dafür habe ich nun einen Teil der freien Entscheidung in den Wind schlagen müssen, was es denn Tag für Tag zu essen gibt. Denn es kommt, was kommt, in der Kiste. Saisonal, tagesfrisch. Und wo die Zutaten darin so wertvoll sind, sollen und wollen sie natürlich auch zubereitet werden.

Als dieser Tage nun die erste Gemüsekiste kam: steckten darin ein spannender Haufen Zutaten und die Frage: Was fange ich an mit Spinatblättern, gefühlt groß wie Belgien, einem Papiertütchen voller Postelein oder Portulak, einem Bund Schnittlauch, Radieschen und einem Kopf Pak Choi? „Jetzt entscheiden also schon andere Leute, was ich esse?“, faucht der Widerspenst von meiner rechten Schulter. „Nimm es als kreative Herausforderung. Mach was draus!“, säuselt der kulinarische Abenteurer von meiner linken. Statt wie sonst eigenen Impulsen und Lustbarkeiten zu folgen und alles zusammenzuraffen, was man für das braucht, wonach einem gerade ist, gibt es jetzt die neue kreative Herausforderung: Was lässt sich aus dem Gegebenen zaubern, was lässt sich dank der Zutaten, die man vielleicht nicht selbst in den Einkaufskorb gelegt hätte, an Köstlichem entdecken, an das man sonst gar nicht gedacht hätte? Vielleicht wird dies auch dazu führen, dass sich Dinge hier ein wenig ändern. Mehr Kürze, mehr Tempo, mehr Rezepte? Die Zeit wird zeigen, wie viel Zeit für mehr bleibt.

Und grundsätzlich finde ich, dürfen solche tollen Projekte ruhig mehr Unterstützung finden. Rückbesinnung auf Wesentliches, gute, wertvolle, gesunde Produkte, nicht weit von der Haustür gewachsen, von Menschen mit Hingabe und Liebe und einer guten Idee zum Leben erweckt und geerntet. Vor knapp zwei Jahren kamen Johanna und Lukas, knappe 30, sie studierte Grundschullehrerin, er mit Öko-Landbau-Studium in Witzenhausen, vom Raum Hannover übers Sauerland ins kleine Dörfchen im Süden Ostfrieslands, um hier ihren Traum einer solidarischen Landwirtschaft zu verwirklichen. Beide hatten zuvor schon Erfahrungen gesammelt und über fein gesponnene Netzwerke davon erfahren, dass die Eigentümerin des „Hofs Kok“ dort sich neues Leben auf dem Hof wünschte. Zuvor hatte es da schon Bio-Landbau gegeben. Und mit dem neu hinzugekommenen Paar wächst nun neues Leben – und eine verblüffend herzliche Gemeinschaft da am Dorfesrand.


Und in meinem Hirn hat es rasant zu rattern begonnen. Ein neuer, spannender Tatendrang beim Kistenanblick, und weil draußen ein kühler Wind ums Haus strich, war mir nach Feuer, nach Ferne: danach, einen Teil des üppigen Spinat-Busches in ein Curry zu verwandeln. Mit Erdnussknack, mit Süßkartoffeln, mit heißer Chilischärfe. Dass das den doch eigentlich so sinnvollen Gedanken regional zu kochen ad absurdum führt? Geschenkt. Aber: köstlich. Und vielleicht ist dies ja auch ein Zugeständnis an den sehr lebhaften inneren Rebellen in mir. Dem man zumindest die Illusion lassen muss, Dinge selbst und frei zu entscheiden. Und der nun frei mitbestimmt hat, dass es derart Köstliches gab. Mit solidarischem Spinat. Und dem ersten Schritt in ein – ungeheuer – spannendes neues kulinarisches Abenteuer.
Wer übrigens in der Nähe von Leer wohnt und auch mitmachen möchte: Es sind noch ein paar Ernteteile frei. Schreibt einfach an solawi-potshausen@posteo.de.

Zutaten für das Spinat-Süßkartoffel-Curry
750 g Spinat
750 g Süßkartoffeln
450 g Dosentomaten, gehackt
1 Handvoll Cocktailtomaten, halbiert
2 Handvoll geröstete Erdnüsse
5 cm Ingwer, geschält und feingehackt
2 Knoblauchzehen, abgezogen und feingehackt
1 große Zwiebel, abgezogen und feingehackt

Für die Würze:
1 gehäufter EL scharfes Currypulver
1 TL Kardamom
1 TL Fenchelfrüchte
1 TL Koriander
1 TL Zimt
1 TL Bockshornklee
1 TL Senfsamen
1 TL Chiliflocken
2 Sternanis
1 EL Kokosraspeln
1 Bund frischer Koriander
1 Handvoll Curryblätter (optional)
1 Limette, unbehandelt
Salz
Pfeffer
Zucker
neutrales Öl
Als Beilage: gekochten Reis




So bereitet man das Spinat-Süßkartoffel-Curry mit Erdnüssen zu
Die trockenen Gewürze ohne Fett in einem Bräter bei mittlerer Hitze anrösten, für etwa eine Minute – bis sie duften. Dann rausnehmen in ein Schälchen. Nicht länger rösten, nicht heißer, sonst verbrennen die Gewürze und werden bitter.

Die Zwiebel und den Knoblauch abziehen und feinhacken, den Ingwer schälen und feinhacken oder reiben. Die Süßkartoffel schälen und in relativ dünne Scheiben oder kleine Würfel zerlegen (kleiner gart schneller).
Etwas Öl in den Bräter geben und darin bei niedriger Hitze die Zwiebelwürfel etwa fünf Minuten lang anschwitzen. Dann Ingwer und Knoblauch hinzugeben, drei Minuten mitrösten, ehe die Süßkartoffeln ebenfalls mit anrösten dürfen. Die Gewürze und die Kokosflocken hinzugeben, nochmals eine Minute verbinden lassen und dann mit den Dosentomaten ablöschen. Bei niedriger Hitze eine halbe Stunde lang köcheln lassen.
Den Reis nun in Salzwasser nach Packungsanleitung garen, etwa 20-25 Minuten dauert das meist.
Den Spinat waschen. Wer mag kann ihn noch in brodelndem Salzwasser blanchieren (was bei Blättern in der Größe Belgiens heraufordernd sein kann), ich habe mir den Part gespart. Das kleine Mehr an Bitternoten ist nur gesund und stört nicht. So oder so: den Spinat feinhacken und samt der Handvoll Cocktailtomaten dazugeben. Die Schale der Limette hineinreiben, Saft hinzupressen. Falls vorhanden: Curryblätter nun auch hinzugeben und mitköcheln lassen. Und auch die Erdnüsse für kecken Crunch hinzugeben.



Abschmecken mit Salz und Pfeffer – und etwas Zucker oder Ahornsirup, sollte es zu stark ins Säuerliche spielen. Wer es etwas milder mag, dann aber auch fetter, kann auch noch Kokosmilch hinzugeben. Zum Servieren mit frischem Koriander auf Reis anrichten.







Musik zum Menü
Wenn schon Solidarische Landwirtschaft, kann man Solidarität doch auch nochmal musikalisch ausbuchstabieren. Zum Beispiel mit dem inzwischen mehr als 50 Jahre alten Ton-Steine-Scherben-Klassiker.
Und wo ich grad bei Solidarität bin: Die ist ja auch bei Tocototronic Thema gewesen. Und zu einer sehr schönen Nummer geraten.
Und dann war da noch Pete Seeger, der sich den abolitionistischen Bürgerkriegsmarsch über John Browns im Grab modernden Körper mit seinem berühmten „Glory, glory hallelujah“-Refrain geschnappt und auf „Solidarity forever“ umgetextet hat.
Und was ist mit Tee? Äh Spinat? Gibt’s auch. Bitteschön: „Spinaci“ von Blond.
Reicht nicht? Wie wäre es mit dem ultimativen Spinat? Ultimate Spinach – „Visions of your reality“.
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Mal wieder super schön geschrieben; wie idyllisch kann Lebensmittelproduktion sein? Ja! Davon träumen wir doch alle! Auch wenn Gemüsekisten einen schon mal herausfordern. Oder verzweifeln lassen… 😂 Gut gelöst, mein Lieber!
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wunderwunderschöner Beitrag, der so wahr und auch so wichtig ist. Schon früher wurde genau das verarbeitet, was da war und es schadet uns bestimmt nicht, uns wieder mehr darin zu üben 🙂
Ich hab mir mit meinen Huhns, der Mit-Hilfe auf dem Milchschafhof meiner Freundin und Nachbarin und meinem Gemüsegarten ein bisschen Konsum-Freiheit und doch auch viel Arbeit angeschafft. Aber bewusst und gewollt, für mehr Bewusstsein und Wertschätzung den Tieren und den Lebens-Mitteln gegenüber 🙂
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