
Und am sechsten Tag griff Gott sich einen großen Laib Feta. Schnitt ihn in Würfel und streuselte den Weißkäse über ein Felsenarchipel, das er schroff aufragend aus Vulkangestein im Mittelmeer geformt hatte. Und er sah, dass es hübsch war. Fand er zumindest. Und so schnitzte er Fenster und Türen in die Feta-Würfel, kratzte verschlungene Treppen und kleine Terrassen dazwischen, denn er hatte sich für diesen Tag sonst nicht viel vorgenommen, und er machte Häuser daraus, auf dass Menschen darin wohnen. Und weil er in dekorativer Bastellaune war, ritzte er kleine Kuppeln aus manchen Würfeln, denn es brauchte ja auch Kirchen, in denen Menschen ihm huldigen konnten, und er griff zum Tuschkasten und tünchte sie in ein tiefes Blau. Denn, so fand er, das war eine sehr schöne Farbe und ergänzte sich wundervoll mit der Farbe des Himmels, der sich oft wolkenlos über dem Archipel, den Kykladen, wölbte. Und ein bisschen fand er, er hätte auch schon am fünften Tag auf diese Idee kommen können, aber da war er noch mit so vielem Anderen beschäftigt. In jedem Fall gefiel ihm die Idee, Häuschen wie Fetawürfel an schroffe Inselhänge zu streuseln- und er nannte eine dieser Inseln Santorin

Vielleicht war alles auch ganz anders, und vielleicht heckten stattdessen Kronos und Rhea, die alten griechischen Titanen diese Idee aus, und vielleicht hat auch Zeus geschnitzt, und vielleicht ist Leda in Form eines Schwans über die sanften Mittelmeerwellen geglitten, die unterhalb der idyllischen fetawürfelförmigen Fleckchen Oia oder Thira an die schroffe Küste branden.

Die göttlichen Tomatenfrikadellen von Santorin
So oder so: Manche mögen den Anblick der pittoresken weißen Quaderlabyrinthe an den Felshängen Santorins für göttlich halten. Göttlich indes schmeckt auch, was dort auf der kleinen Insel in Pfannen schmurgelt, aufknuspert und kross auf Tellern landet: Tomatokeftedes, wie sie auf Santorin kredenzt werden und genial-einfacher Hausmannskost-Klassiker sind. Frikadellen, wie sie kaum ein vollermundigeres Aroma entfalten könnten, stecken sie doch bis in die Knusperspitzen voller Zutaten, die vor Umami nur so strotzen: voll sonnengereiften Tomaten. Ganz großes Gaumenkino.

Umami taufte der Chemiker Kikunae Ikeda, der diesen lange unbenannten Geschmackssinn entdeckte, ihn 1909. Und was ihn anschlagen lässt, ist das, was gar nicht zwingend selbst nach etwas schmeckt, aber vielleicht den perfekten Balancepunkt zwischen salzig, süß, sauer und bitter beschreibt. Das, was uns im Verborgenen auch Nahrhaftigkeit verheißt, weil es Eiweiße verspricht. Etwas, das wir schon mit der Muttermilch aufsaugen und was womöglich genau deshalb ein heimeliges Wohlgefühl auslöst, in Aromen eng verflochtene Glutaminsäure und ihre Salze als Auslöser für kulinarisches Kuscheln. Die Essenz des Schmackhaften. Der Punkt, an dem die Rezeptoren der verschiedenen Sinne sich ansehen, einverstanden nicken und in die Arme fallen. Den Punkt, an dem Nuancen erst so richtig klar hervortreten und strahlen, Gerichte ganz neue aromatische Tiefe gewinnen und sich geschmacklich von „hmjoa, nett“ zu „Heidimarokko, himmlisch“ entwickeln – oder eben zu „göttlich“.
In Tomaten, je länger sonnengereift und/oder ofengeröstet und getrocknet desto mehr, steckt besonders viel Glutaminsäure, was das vollmundige Wohlgefühl auslöst. Und in Tomatokeftedes, diesen göttlichen Klopsen aus dem fernen Süden, stecken wiederum besonders viele Tomaten – frische, sonnengereifte, getrocknete und dann auch noch die mehrfach konzentrierte Aromenwucht von Tomatenmark. Die erstrahlt gern gekontert mit der Nuancen-Raffinesse frischer Kräuter – Minze macht sich überraschend gut, aber auch frischer Oregano, Thymian, Schnittlauch, Petersilie. Wer mag, gibt der Sache mit einem Teelöffel Kreuzkümmel einen zartorientalischen Twist und mit Paprika noch etwas Komplexität. Es ist dies eins der veganen Gerichte, die man in ihrer Köstlichkeit auch hartgesottenen fleischfressenden Pflanzen unterjubeln kann, ohne dass sie irgendwas vermissen sollten. Und es ist eins der Gerichte, die aufs Tollste den Berg frischer, reifer Riesentomaten veredeln, die aktuell wochwöchentlich in grünen Kisten als Ernteteil der kleinen solidarischen Landwirtschaft in Potshausen in meiner Küche landen und veredelt zu werden verdienen.

Zumindest noch vegetarisch bleibt, zugleich aber noch umso köstlicher wird das Ganze, wenn man der heiß-sinnlichen Knusprigkeit und dem Aromenknistern der Tomatenfrikadellen die zugleich kühle wie rattenscharfe Raffinesse des scharfen Feta-Dips hinzugesellt, dessen Verkaufsschüsseln in Feinkostläden auf Wochenmärkten meist am schnellsten leergeläffelt sind: Tirokafteri. Der schmeckt selbst ein wenig nach Sommersonne an Tavernentischen vor Fetawürfelhäuschen oberhalb des blauen Mittelmeers. Frische rote Chili sowie scharfe Chili-Flocken machen den Geschmacksknospen Feuer, Joghurt bringt kühle Milde und zarte Säure. Knoblauch sorgt für kesse Bitzigkeit. Beide Rezepte sind eng angelehnt an Zubereitungen aus dem fantastischen Kochbuch und im vorigen Jahr zurecht mit dem Deutschen Kochbuchpreis in Gold ausgezeichneten „Sonne und Meer auf dem Teller“ von Lazaros Kapageorglou. Und genau das ist, wonach zumindest ich mich gerade sehne: Jetzt, wo der Sommer sich spät in einen kleinen Herbst verwandelt hat, belebt diese Aromenfülle mit ihrer kraftvollen Schärfe – und bringt die heißen Tage wenigstens noch einmal auf den Esstisch, um den Gaumen zu verzaubern.

Ihr liebt griechische Küche und das Flair dort? Wie wär’s parallel und zusätzlich mit ner Reisereportage von Kreta und einem kross guten Moussaka-Rezept?
Zutaten für die Tomatokeftedes
1 Kilo reife Tomaten
3 EL Tomatenmark
100 g Schalotten oder rote Zwiebeln
2 Knoblauchzehen
2 große Frühlingszwiebeln (etwa 150 Gramm)
100 g getrocknete Tomaten, in Öl eingelegt, abgetropft
1-2 Esslöffel Tomatenmark
200 g Weizenmehl
1 TL Backpulver
Würze:
20 g frische Minze, gehackt
1 TL getrockneter Oregano
1 EL Salz
1 TL Zitronenpfeffer oder schwarzen Pfeffer
oder auch:
frischen Oregano, Thymian, Dill, Schnittlauch, Petersilie
und eventuell 1 TL Kreuzkümmel und 1 TL Paprika, edelsüß
auch 1/2-1 TL Zimt ergänzt das Ganze wundervoll als heimlicher Geliebter der Tomaten.

Zutaten für die scharfe Fetacreme
1 rote Chilischote
3 EL Olivenöl
100 g griechischer Joghurt
etwa 200 Gramm cremiger Feta oder Hirtenkäse
3-4 Knoblauchzehen
½ TL scharfe Chiliflocken
1 TL Paprikapulver, edelsüß

So macht man die Tomatokeftedes
1 Die Tomaten über eine grobe Reibe schrubben – in ein über einer großen Schüssel hängendes Sieb (oder erst in eine Schüssel reiben und das Ganze danach in ein über einem Topf hängendes Sieb geben).








Die Häute der Tomaten kann man beim Reiben in der Regel so abzupfen und beiseitelegen/anderweitig verwenden. Für die Tomatenfrikadellen brauchen wir sie nicht. Den aromatischen Saft gern auffangen und trinken oder ebenfalls anderweitig verwenden. Ist köstlich, würde die Frikadellen aber unnötig matschig machen, daher darf die Flüssigkeit in diesem Fall weichen. Das Ganze daher erstmal in Seelenruhe abtropfen lassen. Wer ungeduldig ist, drückt zart aufs Tomatenfleisch, das beschleunigt Dinge. Aber aufpassen, dass das Sieb nicht bricht.



2 Parallel Schalotten/Zwiebeln und den Knoblauch sehr fein hacken/schneiden, auch die Frühlingszwiebeln entstrünken, fein ringeln und all das – zusammen mit dem Tomatenmark in einer Pfanne mit einem guten Schluck Olivenöl bei niedriger Hitze zärtlich anbraten.
3 Das Tomatenfleisch gemeinsam mit den getrockneten Tomaten sowie den Kräutern (etwa, wie vorgeschlagen: frische Minze, getrockneter Oregano, Salz, Pfeffer) vermengen und bei Lust und Laune auch glatt pürieren. Das Mehl hineinsieben, Zwiebeln, Knoblauch und Tomatenmark hinzugeben und mit Schmackes verschlagen – und dann noch einmal eine ganze Weile ziehen lassen, damit das Mehl Zeit hat aufzuquellen und seine Bindungskräfte zu entfalten. Wir wollen ja nicht, dass die Teile in kleine Brösel zerfallen.



4 In der (zwischenzeitlich ausgewischten) Pfanne abermals Olivenöl (oder neutraleres Rapsöl) auslassen, auf mittlerer Stufe erhitzen und, wenn die Hitze erreicht ist, Klopsklumpen der Tomaten-Mehl-Masse hineingeben. Für möglichst gleichmäßige Teile kann sich ein Eis-Portionierer anbieten.

5 Zunächst gut eine Minute von einer Seite anbraten, auf jeden Fall aber, bis die Masse sich am Boden fest verbindet und bestenfalls beim Wenden nicht zerfällt, dann einmal wenden und von der anderen Seite ebenfalls anbraten – bestenfalls, bis beide Seiten von außen goldbraun sind. Nicht zu heiß braten, sonst ist es außen rasch verkohlt und von innen noch roh.


6 Die Tomatokeftedes auf Küchenpapier abtropfen lassen und bestenfalls im Ofen bei 50-80 Grad warm halten, während die nächsten Tomatenfrikadellen brutzeln und aufknuspern.

1 Für den scharfen Feta- oder Hirtenkäse-Dip die Chilischote die Kerne und die Samenfäden herausschneiden und die Chilihälften fein ringeln. Wer es noch schärfer möchte, kann die Kerne auch an der Schote lassen, dann kriegt der Käseaufstrich aber noch deutlich mehr wildes Feuer.
2 Den Knoblauch schälen und feinhacken. Die Chilischnitze für den scharfen Hirtenkäse-Dip sowie den Knoblauch in eine Schüssel oder den Mixtopf einer Küchenmaschine geben. Den cremigen Feta oder Hirtenkäse samt Lake hineinpurzeln lassen und gegebenenfalls mit einer Gabel zerdrücken.
3 Jetzt noch das Olivenöl, den griechischen Joghurt, die Chiliflocken sowie das Paprikapulver hinzugeben und das Ganze entweder im Mixbehälter der Küchenmaschine oder in der Schüssel mit den Knethaken eines Handrührgeräts zu einer glatten Creme verbinden.
4 Wer dem Tirokafteri etwas mehr Frische geben möchte, kann die Schale einer unbehandelten Zitrone hineinreiben und den Saft einer halben Zitrone hinzupressen. Damit die Aromen nicht zu sehr ins Säuerliche spielen, mit einer Prise Zucker abschmecken. Auch ein wenig frisch abgezupfte Zitronenthymian-Blätter machen sich prima im Käseaufstrich.
Die abgetropften Knusperklopse dann mit dem scharfen Fetacreme anrichten – und gern auch noch frischen Gurkensalat dazu servieren. Göttlich. Finde ich.

Musik zum Menü
Santorin, Träume von Köstlichkeiten unter südlicher Sonne: Da kann man schonmal nach langer Pause mal wieder den sommerlichsten Sommerhit nördlich des Südpols auflegen. Über Jahre totgenudelt bis nach Meppen. Aber immer noch ein riesiger Hit: „Island in the sun“ von Weezer.
Wo wir bei Riesenhits sind: Ein solcher ist auch „Muscle Museum“ vom fantastischen Debütalbum von Muse, das kürzlich auch schon wieder ein Vierteljahrhundert alt geworden ist. Und dieser Song mit seinen fast schon griechisch anmutenden Gitarrenfiguren (oder spielt da wer Bouzouki?) passt schon deshalb famos.
Kommen wir aber zu echten griechischen Bands wie den tollen Bokomolech, die sich vor mehr als 30 Jahren als Architekturstudenten in Athen kennenlernten, begannen gemeinsam Musik zu machen und teils wunderschöne Songs aufgenommen haben – wie „Talk about fires“.
Und wenn man schon Schiffbruch erleiden möchte, dann vielleicht zumindest vor der traumschönen Kulisse Santorins, oder? Na, vielleicht auch einfach gar keinen Schiffbruch erleiden. Aber Shipwreck um Sänger und Gitarrist Stavros Georgiopoulos und ihr Song „Lovely“ sind trotzdem toll. Griechische Midlake, ein wenig.
Ebenfalls aus Athen und nicht von Santorin, aber griechisch, sind 33 Lovers – und wenn es hier ums Göttliche geht, darf es auch mal um Engel gehen. Und um Sehnsucht geht’s im Text ja auch. „Angels yearn“? Passt.
Und wenn schon Engel, darf man sie auch treffen und kennenlernen, oder? Also: „Meet the angels“, ein vogelwild-kreativer Indie-Klopper des Filmregisseurs und Musikers Alexandros Voulgaris, der sich „The Boy“ nennt.
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Du hast ja wieder was ausgefallenes gekocht, Ole. Liest sich sehr lecker und schön tomatig.
Liebe Grüße, Karin
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Ich habe gerade über ein ganz anderes Rezept hergefunden, aber das hier hat mich noch mehr gecatcht. Ja, Hallo! Das wird aber die Tage mal sowas von nachgekocht.
Die Idee mit der Minze finde ich auch klasse. Das ist glaube ich ein perfekter Gegenpol für die würzigen Tomatenpuffer.
Ganz tolle Fotos hast du auch geschossen, Daaanke für die ausführliche Anleitung!
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Über welches Rezept hast Du denn hergefunden? 🙂
Und tausendundeinen Dank für so liebe Worte! Komm gern wieder, bleib gern. Herzlich willkommen! Ganz liebe Grüße
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Hallo Ole,
ach, ich träume mich gerade nach Griechenland! Santorin und Tomatokeftedes – und vielleicht Sonne und Meer und gute Laune. Die Insel mag ich. Ach ja, in Matala war ich auch schon öfter – wir scheinen ähnliche Vorlieben für Urlaubsziele und Essen zu haben. Egal, ob einer der Götter Feta bröselt oder nicht.
Liebe Grüße
Barbara
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Tolle Idee 👍🏼
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