
Ich kann nur ahnen, was Alfred Biolek jetzt, oben im Himmel, zuerst tun wird: Er wird seine Küche einrichten, sich dann einen guten Weißwein aus dem Kühlschrank nehmen, die Nase kräuseln, während er das Bouquet erschnuppert und langgezogen „Mmmmmmmhhh“ und „Aaaaahhhh“ schnurren. Und vielleicht kommt Karl Dall vorbei, der dort oben ja schon vor einiger Zeit eingezogen ist, und dann gibt es Saunudeln. Vielleicht bringt auch die genialische brandenburgische Kodderschnute Regine Hildebrandt zum Einzug im Himmel ihren Frankfurter Kranz mit Margarine-Pudding-Creme vorbei, oder Dirk Bach klingelt – beladen mit Konservenbüchsen und Tütenwürze – rum, um daraus mit ihm ein Fertigzutaten-Chili zu kochen. Und an Vatertag schwankt Jan Fedder bis an „Bios“ Haustürtreppe, kippt noch nen ordentlichen Schluck Gin in eine Pampe aus Mayo, Senf, Remoulade, Ketchup und Meerrettich, leert mit einer Hand ein Glas Wein (das ist ja kein Alkohol), schnippelt Würstchen (das ist ja kein Fleisch) in Eiersalat – und lädt „Bio“ zum vegetarischen Festmahl ein.
Möglicherweise schwenken die Klitschko-Brüder hier unten auf Erden ihm zu Ehren ein paar Blini in der Pfanne, vielleicht stellt sich Stefan Raab auch in die Küche und kocht noch einmal „Plumps-Säckchen“. „Mutter Beimer“ Marieluise Marjan könnte noch etwas „Hühnerfrikassee à la Lindenstraße“ aus der Kühltruhe holen. Heino könnte ihm ein Abschiedslied trällern und dabei noch einmal Kaiserschmarrn durch die Pfanne schieben. Trompeter Till Brönner könnte für ihn erneut das Jazz-Trio „Gebackene Pellkartoffel, Kräuterquark und Tomate“ zelebrieren, und eventuell haut sich Rainer „Calli“ Calmund auch im Gedenken an „Bio“ wieder einen Fisch mit Zitronenpfeffer in die Pfanne.
Natürlich hat Alfred Biolek die deutsche Fernsehgeschichte und auch das Leben zu Hause weit stärker geprägt als nur mit seiner legendär gewordenen Kochsendung „Alfredissimo“. Doch eben die war für mich besonders prägend, und „Bio“ hatte sie alle. Gefühlt jeden, den man seit Mitte der 90er Jahre im deutschen Fernsehen kannte, begrüßte er in seiner Küche. Und allen gegenüber begegnete er mit der gleichen Gastfreundschaft, dem gleichen Witz, jedem stellte er, beim Kochen plaudernd, gut vorbereitete Fragen und schaffte es so auf ganz besondere Weise, zugleich unglaublich gelöste, private Seiten, witzige Anekdoten und Schattierungen bei seinen Gästen aufschimmern zu lassen, die sonst hinter der oft professionell ausgefeilten Deckung blieben. Schlagersänger wie die Wildecker Herzbuben waren ebenso dort zu Gast wie Opernsängerin Gwyneth Jones, Box-Champions wie die Klitschkos ebenso wie „Werner“-Comiczeichner Rötger „Brösel“ Feldmann. Hunderte Politiker, Schauspieler, Moderatoren, Musiker ließen sich bei ihm während des Kochens in die Karten gucken.
Und er schaffte es auch, eine bis dato ungekannte Neugier auf etwas mehr Raffinesse in der eigenen Küche aufflammen zu lassen: Er brachte köstliche Seiten der Welt mit in seine Sendung – sei es über die Lieblingsrezepte seiner Gäste, sei es mit eigenen Kreationen: von marokkanischem Zucchini-Gemüse über Hähnchenfilet mit Fenchel und Kardamom, Schweinelendchen mit Blaubeersalsa, Hühnchen-Saltimbocca (Hühner-Involtini mit Bratkartoffeln an Marsala-Sauce), Semifreddo mit Haselnüssen, Wildente mit karamellisiertem Sauerkraut, pochiertem Ei auf Fettunta, „Podiddldatschkerln“, Blunzengrösti, Schmortopf Mont Ventoux, Lauch mit Senf-Zabaione und Gigantensalat aus weißen Bohnen bis hin zum „Lungenbraten nach Mama Biolek“. All das mit verschmitztem Grinsen serviert und mit jeder Menge Wein begossen. Und zum Schluss hob immer und immer wieder eine bizarr riesige Pfeffermühle, fast ein halber Baseballschläger, ab und drehte Helikopter-Rundflüge über den Tellern, auf denen schärfend Frischgemahlenes landete.
„Alfredissimo“ hat tatsächlich mein kulinarisches Heranwachsen und meine Neugier auf gute Küche mitgeprägt. Wenn ich nach der Schule in Jugendjahren nach der Schule nach Hause kam, sah ich hier und da „Star Trek – The next Generation“ mit meinem Vater oder schaute mit ihm stundenlang im Sommer zu, wie Marco Pantani, Lance Armstrong, Jens Voigt, Laurent Jalabert, Bjarne Riis oder Jan Ullrich aus dem „Peloton“ der Tour de France ausrissen, um sich Etappensiege zu sichern. So wuchs meine Liebe zu Frankreich und meine Neugier, diese Orte selbst zu sehen. Und ebenso wuchs mit „Alfredissimo“, das meine Mutter gern mit mir gemeinsam schaute, meine Liebe zu gutem Essen.
Insbesondere die Pilzrahmsuppe, die er in der legendären Folge vor fast 25 Jahren mit Regine Hildebrandt gekocht hat, ist mir geblieben und war eins der ersten Rezepte, die ich je nachgekocht habe. Womöglich werde ich sie ihm zu Ehren in den kommenden Tagen einmal wieder auf dem Herd schmurgeln lassen (weil ich noch nicht dazu gekommen bin, habe ich heute kein Foto für Euch – nur das selbst gezeichnete Bild oben). Wenn, werde ich beim Probieren „Mmmmmhhhh“ und „Oooooohhhh“ und „Aaaaahhhh“ sagen, und ich werde mir Wein eingießen und das Glas gen Himmel haltend ihm zuprosten. Dem Menschenfreund, der eigentlich Zirkusdirektor werden wollte, und der erst Jurist und dann Tausendsassa wurde: Talkmaster, TV-Größe, Koch, Kochbuchautor und vieled mehr. Danke, „Bio“, dass es Dich gegeben hat. Schade, dass Du nicht mehr da bist.
Zutaten
500 Gramm Champignons (Steinpilze oder getrocknete Steinpilze ergänzen das Ganze wundervoll, falls zur Hand)
100 Gramm durchwachsenen Speck (gewürfelt)
250 Gramm Kartoffeln (am besten mehlig kochend)
1 große Zwiebel
1/2 Liter Fleischbrühe
2 EL Butter
1 Becher Sahne
1 Bund Petersilie
ein Schluck trockenen Weißwein (75 ml?)
etwas getrockneten Thymian (etwa 1 TL)
Salz
Pfeffer
Zubereitung:
Das Messer wetzen, und damit die zuvor geputzten Champignons und in feine Scheiben schneiden sowie die Zwiebel fein würfeln. Die Petersilie waschen, trocken schütteln und ihr ebenfalls – fein hackend – mit dem Messer zuleibe rücken. Die Kartoffeln schälen und in etwa einen Zentimeter große Würfel schneiden.
Den Speck in einem Topf auf mittlerer Hitze auslassen, dann die Butter dazugeben und die Zwiebelwürfelchen etwa 5 Minuten glasig dünsten. Die Pilze hinzufügen und weitere fünf Minuten mitschmurgeln lassen. Die Kartoffelwürfel dazugeben und mit der Brühe aufgießen. Mit geschlossenem Topfdeckel etwa 30 Minuten bei mittlerer Hitze köcheln lassen. Dann die Sahne und den Wein aufgießen und noch einmal aufkochen lassen. Zum Schluss mit Salz, Pfeffer und Thymian abschmecken und mit Petersilie bestreut servieren.
Musik zum Menü
„Bio“ war auch Musikförderer und unter anderem einer der ersten (der erste?) in Deutschland, der Sting und The Police im deutschen Fernsehen auftreten ließ. Weil seine Seele sich jetzt mutmaßlich weit über uns befindet, passt für mich „Walking on the moon“ prima. („Truth hits everybody“ mag ich bedeutend lieber, fände ich angesichts der Trauer ums Ableben aber zu makaber.)
Und um eine der legendären Folgen noch einmal aufleben zu lassen (in der auch die Suppe auftaucht), hier noch einmal die Sendung mit Regine Hildebrandt aus dem November 1996 (verlinkt ist Teil 1 von 4):
Sehr krass, ich habe die Hildebrandt-Folge mehrmals gesehen und hätte nie sagen können, was Bio eigentlich gekocht hat. Regine Hildebrandt redet ihn so in Grund und Boden 🤣 Ich hatte nur Augen und Ohten für ihre Maragarine, Haferflocken, Pulverpudding und Fertig- Vanillezucker. Heimat 😁
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Bei so einem Naturereignis kann das passieren. 😀
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Wunderbar geschrieben. Ich muss gestehen, dass ich keine einzige Sendung mit ihm je gesehen habe. Warum? Ich weiß es nicht! Kann es daran liegen, dass ich eine andere Generation als du bin?
Ach ja und noch etwas, du kannst nicht nur wundervoll schreiben sondern auch ebenso zeichnen!?
Was bist du nur für ein Tausendsassa😳
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Ich hab keine Ahnung. Meine Ma, die eine andere Generation als ich ist (er war ja grauhaarig und halbbeglatzt wahrlich kein Jugendheld), war Fan, und so hab ich interessiert mitgesehen. 🙂
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Und Du tust was für meine Gesichtsdurchblutung!
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Die Helden unserer Kindheit und die beste Zeit mit Oma vorm TV. Du wirst fehlen Bio, aber danke, das du da warst!
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Ja Alfred Biolek war eine wirkliche Größe im Fernsehgeschäft. Ich habe seine Sendungen gerne gesehen. Bis auf die Kochsendungen. Die waren nicht wirklich gut. Biolek hatte vom Kochen keine Ahnung. Meistens seine Gäste auch nicht. Es war Klamauk. Sehr unterhaltsam aber keine Gourmet-Offenbarung. .
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Das hatte Biolek aber auch nie im Sinn oder mal so dargestellt, dass es das sein soll, oder? In meiner Erinnerung waren ihm lediglich bei seinen eigenen Gerichten Zutaten mit guter Qualität wichtig.
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Kann Dir nur zustimmen.
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Ich finde, es war deutlich mehr als Klamauk. Richtig, Bio hat keine hochwohlfeinen Küchentechniken angewandt, seine Julienne war grob behauen, aber dennoch hatten viele Rezepte Raffinesse und waren einfallsreich und für die Zeit ungewöhnlich weltgewandt. Klamauk? Kann man es nennen. Ich habe mich sehr gut unterhalten gefühlt, und ich kenne viele, die gerade seinetwegen Lust auf Kochen und tiefere Beschäftigung damit bekommen haben. Mich eingerechnet. Und damit ist schon einiges zum Guten erreicht, finde ich. Wäre es haute volée-Sterneküche gewesen, hätte ich damals nur respektvoll irritiert mit den Schultern gezuckt, durch seinen Mut zur Lücke und die Nahbarkeit seiner Rezepte hat er mich aber erreicht. Die hohe Küche machen schon andere – und sich der als Ahnungsloser zu widmen, wäre doch peinliches Scheitern geworden, glaube ich. 🙂
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Ich komme ja aus einem Dorf, das nächste ist eine Kleinstadt, und damals waren noch bestimmte „simple“ Zutaten, sagen wir mal ne Vanilleschote, in meiner Gegend gar nicht zu bekommen. Bio war vielleicht kein Gourmetkoch, aber Pfeffermühlen groß wie ein afrikanisches Männerbein (Zitat Rainald Grebe) waren für mich schon unerreichbar. Einen Zestenreißer habe ich vielleicht seit 10-15 Jahren. Den hat er auch immer so angepriesen. Die Dinger sind aber auch gut für meine Weihnachtssause 😅!
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Ich finde, es war deutlich mehr als Klamauk. Richtig, Bio hat keine hochwohlfeinen Küchentechniken angewandt, seine Julienne war grob behauen, aber dennoch hatten viele Rezepte Raffinesse und waren einfallsreich und für die Zeit ungewöhnlich weltgewandt. Klamauk? Kann man es nennen. Ich habe mich sehr gut unterhalten gefühlt, und ich kenne viele, die gerade seinetwegen Lust auf Kochen und tiefere Beschäftigung damit bekommen haben. Mich eingerechnet. Und damit ist schon einiges zum Guten erreicht, finde ich. Wäre es haute volée-Sterneküche gewesen, hätte ich damals nur respektvoll irritiert mit den Schultern gezuckt, durch seinen Mut zur Lücke und die Nahbarkeit seiner Rezepte hat er mich aber erreicht. Die hohe Küche machen schon andere – und sich der als Ahnungsloser zu widmen, wäre doch peinliches Scheitern geworden, glaube ich. 🙂
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Ein kleiner Tip nebenbei. Alle, denen Steinpilze o.ä. zu teuer sind – vor allem getrocknete Ware- haben die Möglichkeit, aus ihrem Pilz (z.b. gefrostet), mehr Aroma zu ziehen. Dazu gibt man den Pilz einfach in einen Kutter (-vorsatz auch für Mixstäbe) mit Butter zusammen und fertigt sich daraus eine Pilzpaste. Die hält gekühlt, in etwa, ein viertel Jahr in einem Schraubglas verschlossen (die Haltbarkeit kann verlängert werden, wenn man das mit Öl bedeckt). Das Aroma ist überwältigend und als Verstärkung des Geschmackes von weniger- intensiver Frischware sehr gut geeignet. Die Pilze werden ungekocht/-gegart (roh) mit Butter vermengt. Die Zugabe von etwas mehr Salz, das dann beim Kochen eingespart werden muss, verlängert die Haltbarkeit. Statt Butter kann ein neutrales Öl verwendet werden. Die Konsistenz/der Geschmack ist dann etwas anders.
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Schöner Tipp, danke Dir!
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Wunderbar geschrieben und die Zeichnung erst! Chapeau! Dein Beitrag würdigt den Verstorbenen in wunderbarer Weise und so bleibt er in Erinnerung, wie wir ihn geliebt und bewundert haben – Schönes Restwochenende LG M. Kuhl
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Du tust was für meine Gesichtsdurchblutung. 🙂 Riesigen Dank, schönen Sonntag!
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Frau Hildebrand, was für eine unglaubliche Frau.
Ich mochte sie sehr, direkt, offen, unverfälscht und doch nie verächtlich oder gemein.
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Sie war – im positiven Sinne – ein Naturereignis. So herzlich und wirbelig, so taff und aufrichtig, so anpackend und witzig. Charakterköpfe wie sie fehlen.
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Die gibt es schon noch, sie gehen aber nicht in die Politik. Leider.
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Ich habe „in der Politik“ still mitgedacht. Aber ja. Wir sind uns einig. Hab nen tollen Abend!
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Marie-Luise Marjan kocht ihr Hühnerfrikassee meines Wissens nach aber noch hier bei uns auf Erden, oder?
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Das ist ein sehr schönes „Requiem“ lieber Ole! Und Du kannst toll zeichnen!
Ich bin überzeugt, dass Bio(lek) das Koch- und Ess-Verhalten von Millionen Deutschen maßgeblich beeinflusst hat. Er war in vielerlei Hinsicht ein Vorreiter und mein kulinarischer Wegbegleiter für viele Jahre. Er hat den Hausfrauen-Mief weggepustet und Menschen Lust aufs Kochen gemacht, die ohne ihn vielleicht nicht auf die Idee gekommen wären. Die Rezepte sind allesamt so übersichtlich und machbar, dass auch Laien keine Angst haben müssen und Erfolgserlebnisse haben. Schön ist das.
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Ich bin jedem Wortwipfel Deiner Meinung! Unbedingt!
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Und ganz lieben Dank Dir!
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