
Ein bisschen ist es mit Bärlauch ja wie mit dem, was Gerassimow gesagt hat. Gerade jetzt, wo die Aprilsonne sengt und das grüne Kraut wuchert und seine Blütentriebe sich zum Himmel recken, gerade jetzt wird er schon blasser, weil alle Kraft nicht mehr in den Blättern. Wie wenn Dir das Blut woandershin schießt. Meist nicht ins Hirn. Den Gerassimow kennt heute fast keiner mehr, und Bärlauch nie dran interessiert gewesen, ob er wen kennt, quasi feuchter Kehricht. Und die meisten glauben ja, Gorbatschow wär’s gewesen. Der, der damals im Oktober 1989 gesagt hat: „Wer zu spät kommt, den bestraft das Leben.“ Damals, kurz vor der Wende, als Udo Lindenberg schon zwei Jahre mit dem Sonderzug nach Pankow durch die Gegend fuhr und Honecker noch Hornbrille im Amt trug. Mit dem hat Gorbatschow sich getroffen, doch gesagt hat’s wohl der Gerassimow, über Honni.
Nun war Bärlauch ja nie Erster Sekretär des Zentralkomitees der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands und damit Staatschef der DDR, und wenn Vergleiche hinken können, so ist das hier der Einbeinige ohne Krücken bei Sturm. Weil als Lauch wirst Du kein Staatschef, egal wie erlaucht Du bist.
Aber interessant. Weil bei Bärlauch ist es auch so: Wer zu spät kommt, den bestraft zumindest die verdaddelte Chance auf Genuss. Hundertprozentige Hilfsausdruck. Um es fast mit Rilkes Herbsttag zu sagen: Wer jetzt keinen Bärlauch pflückt, pflückt sich keinen mehr. Und Du darfst eines nicht vergessen. Ein bisschen ist es mit Bärlauch aktuell auch wie mit dem Lied vom Grönemeyer. Jetzt oder nie. Aber den hört man zurecht ja jetzt auch fast nie mehr. Parkt Ihr nur Eure Autos.

Und genau deshalb muss man jetzt flott sein. Weil sonst musst Du erst wieder ein Jahr warten. Etwa, bis Du diese Quiche machen kannst, und die ist dann doch zu lecker, um einfach ein Jahr verstreichen zu lassen, nur weil man als Sofakartoffel mit seinem Hintern zu tief in die Polster gesunken ist. Und so lange warten, das ist dann schon Zeitverschwendung. Und Verschwendung grundsätzlich immer kritisch. Und bei der Quiche mmmmhhhst Du vor Dich hin wie nix Gutes. Aber interessant. Quiche, das weiß ja heute keiner mehr, kommt ja etymologisch eigentlich von Kuchen. Nur dann irgendwie irgendwer eher allemannisch genuschelt oder so. Und das hier: Super Bärlauchkuchen, mein lieber Schwan. Hab ich vor Jahren spontan zusammengeworfen, als da ein frisch gepflückter Strauß Bärlauch aus Elterns Garten mahnend in der Küche stand und raunte, dass er schon anderes Verhalten als Getrödel von mir erwartet, weil sonst wird er böse. Und dann Bestrafung, weil verdorben. Gerassimow und so. Also improvisiert. Und hinterher begeistert gewesen. Da zwickt abgeriebene Zitrone die Geschmacksnerven in die Wadln, da packt der Lauch selbst seinen Chlorophyllrucksack aus, das alles knallgrün wird, frage nicht. Da macht Dich Ziegenkäse vom nächsten Frankreichurlaub träumen. Mit Uschi oder wem auch immer. Honig darf auch mitspielen. Und Du darfst eines nicht vergessen. Denn dann sind da noch Ofentomaten und Parmesan, die der Nummer eine Vollmundigkeit geben, da können selbst Hochstapler wie Felix Krull, die den Mund immer zu voll genommen haben, einpacken. Handgepäck Hilfsausdruck. Schminkkasten oder, wie man heute sagt, Beauty Case, vielleicht gerade noch.

Und vor Ostern kauft man ja auch immer zu viele Eier, und färbt dann doch nur die Hälfte, und dann müssen die anderen ja auch weg, weil sonst blockieren die wieder den Kühlschrank wie ne Kuhherde ostfriesische Feldwege oder Landstraßen in Masuren. Und wenn Du da mit dem Rad unterwegs bist: Immer aufpassen, dass Dich kein frei laufender Hund beißt, denn die verstehen keinen Spaß. Und dann kann man besser Bärlauch-Kuchen backen, weil der Bissschmerz. Frag nicht nach Blütenstaub.

Aber pass auf: Ganz besonders vollmundig, quasi Felix Krull blass vor Neid, wird es, wenn Du schon am Tag vorher einmal das Ofentomaten-Wunder vorbereitet hast und am Backtag in die Quiche-Masse schmuggelst. Kann man sich natürlich auch sparen und einfach frische Tomaten nehmen. Aber dann kann man auch einfach ein Glas Wasser trinken und an Tomaten denken.
Nun kann, wer Zeit sparen will, sich natürlich für den Boden einfach nen Fertigblätterteig in die Form drücken. Knuspert am Rand schön auf, wird in der Mitte aber schon eher matschig, frage nicht, und dann schlappt das Ding ohne jede Spannkraft vom Tortenheber, frisch gewaschene Haare nix dagegen. Und der Teig hier, den ich nun spontan genommen habe, ist auch nicht viel aufwendiger. Auf das Rezept gebracht hat mich Susanne, eine Freundin, und die kennt sich aus. Hat Kochbücher, so viele, da könntest Du auch nen Fahrradschuppen draus bauen. Nur vielleicht nicht in Masuren. Oder wenn, dann lieber bissdichte Hosen anziehen. Jedenfalls: Der Teig, der aus dem Buch „Delicious days“ der tollen Bloggerin und Kochbuchautorin Nicole Stich entlehnt ist, geht so:

Man nehme für den Teig
125 Gramm eiskalte Butter (plus etwas mehr zum Form-Einfetten)
125 Gramm Speisequark
200 Gramm Mehl
1/2 Teelöffel Salz
1/2 Teelöffel Thymian hab ich noch dazugemogelt, weil ich mag, wenn das Geknusper ein bisschen Eigenaroma übers Knusprigsein hinaus entwickelt.
3 Esslöffel Semmelbrösel, als kleiner Trick.
Kichererbsen oder Backerbsen zum Blindbacken
Und nun?
Guter Mürbeteig ist ja ein wenig wie die Eiswahnsinnigen, die sich mitten bei tiefstem Frost in Fluten stürzen. Herzklabaster Hilfsausdruck. Für den muss auch die Butter rappelkalt sein. Und wenn Mürbeteig sich selbst einen Lebensmittelpunkt aussuchen könnte: Der könnte schon auch Wohnungsannoncen in Grönland durchforsten. Oder auf den Lofoten. Deshalb find ich, macht der sich auch am besten in der Küchenmaschine, wo keine warmen Hände an ihm herumpatschen.
Also:
Kühlen Quark und kühle Butter zusammenwerfen und beide im Doppelpack rührschnetzeln,
dann wirft man auch das Salz dazu und,
wenn man mag, den Thymian.
Und danach das Mehl einsieben, nach und nach.
Und dann immer wieder rund geht die Fahrt.
Aber bloß nicht zu lang. Mürbeteig hält wenig von ausladenden Massagen. Kurz, knackig, gut ist.
Wenn sich alles zu einer Masse verbunden hat, geht’s für den Teig nochmal dahin, wo er sich wohlfühlt: in den Kühlschrank. Für mindestens ne halbe Stunde. Am besten in ein Stück Backpapier eingewickelt. Das pappt nicht so an wie Cellophanfolie. Und man darf sich zumindest einreden, dass das etwas umweltfreundlicher ist und weniger Plastikmüll macht. Zumal man das Backpapierstück zum Blindbacken eh noch braucht. Man kann ihn natürlich auch einfach in eine etwas eingefettete Tupperdose tun. Oder Du drückst ihn schon direkt in die vorher mit etwas weicher Butter eingefettete Form (es soll ja nicht anpappen, auch nach dem Backen nicht). Eine 28er Springform oder Quicheform tut da gute Dienste. Und schön flachdrücken oder flachrollern mit so Hilfsrollen, weil dicker Teig drunter stört. Ich hab nie so viel Platz im Kühlschrank, daher erst in Backpapier einwickeln, flach drücken und Lücke in einem der Fächer finden.
Danach den Ofen auf 180° C vorheizen und dann entweder, wie oben, den Teig in die Form drücken – oder den Teig samt Form ausm Kühlschrank nehmen.
Dann die Semmelbrösel auf dem Teig verteilen. Die saugen später die Feuchtigkeit der Quichemasse ein und verhindern, dass der Teig zu doll durchnässt. Und die kann man auch ruhig noch ein wenig aufknuspern vorher.

Das Stück Backpapier auf den Teig legen und so viele Kicher- oder Backerbsen hineinpurzeln lassen, dass sich das alles dicht drängt wie früher vor der Bühne im Moshpit von der Lieblingsband. Kichererbsen-Körperkontakt beim Blindbacken macht vieles besser. Wenigstens aber die Formstabilität der Seitenränder. Aber unbedingt Backpapier zwischen Teig und Teilen legen. Niemand will Backerbsen hinterher massenhaft einzeln aus gebackenem Teig pulen.
20 Minuten lang im Ofen blindbacken. Und während man das macht, ist es Zeit für die Quiche-Masse.

Für die Quiche-Masse
6 Eier
1 großes Bund Bärlauch
1 Päckchen Ziegenfrischkäse (150-200 Gramm) oder Ziegenkäse
Abrieb von 1 Zitrone
200 ml Sahne
75 Gramm Parmesan
1/2-1 Teelöffel Salz
1 Teelöffel Honig oder Zucker
Pfeffer
3 reife Tomaten oder, weil deutlich besser, ne entsprechende Menge tomatiges Ofenwunder
Den Bärlauch, das Bund darf durchaus unterarmdick sein, waschen. Wer es richtig schön grün möchte und zudem ein paar Bitterstoffe loswerden, der blanchiert die Blätter vorher einmal in einem Topf mit sehr viel kochendem Wasser für jeweils eine Minute. Dann rausnehmen und in Eiswasser werfen und abschrecken darin.
Bärlauch grob vorschneiden. Zitrone abreiben. Parmesan auch.
Alle Zutaten mit Ausnahme der Tomaten und etwa der Hälfte des Parmesans zusammen in einen Standmixer oder in einen großen Messbecher geben und pürieren. Im Messbecher den Pürierstab nehmen und dann Vollgas. Man kann die Zitronenzesten auch beiseitenehmen und erst nach dem Backen drüberstreuseln.
Im Zweifel das Obere mit einer Hand bedecken, weil das spritzt da schonmal… und grünes Gespütter muss man schon bewusst in Klamotten oder als Muster an der Wand haben mögen. Das ist jetzt nicht jedermanns Ding. Und da passt man dann besser auf.
So lange mixen, bis sich alles zu einer gleichmäßigen Masse verbunden hat.
Den fertig vorgebackenen Quiche-Boden aus dem Ofen nehmen, er sollte mildgolden sein.
Den Ofen nicht zu lange offen lassen: Die Wärme brauchen wir noch. Gleich wieder zu damit.
Das Backpapier mit den Back- oder Kichererbsen vorsichtig herausheben, bestenfalls an allen vier Zipfeln gleichzeitig, und huschhusch zurück ins Körbchen, beziehungsweise ins Glas, in dem man sie aufbewahrt. Weil kannste zigfach verwenden.
Dann die Quiche-Masse vorsichtig in die vorgebackene Teigform gießen. Die Tomaten vorsichtig drauflegen, einmal die Pfeffermühle wie ein Seeadler in konzentrischen Kreisen über der Masse schweben lassen (und dabei natürlich Pfeffer mahlen) – und den Rest Parmesan gleichmäßig verteilen.

Dann das Ganze auf mittlerer Schiene nochmal in den Ofen schieben. Etwa 30 Minuten. Die Kruste sollte schon sanft gebräunt sein. Unbedingt vermeiden, zwischendurch den Ofen zwischendurch zu öffnen, wenn man keinen völlig blickgetrübten Ofen hat: Weil jeder kalte Windzug lässt die Quiche-Masse, die sich während des Backens luftig wölbt, in sich zusammenfallen. Kartenhaus nix dagegen.
Den Boden auch nach dem Backen nicht zu schnell aufreißen, lieber ein paar Zentimeter mehr alle fünf bis zehn Minuten. Wer ungestüm ist, schert sich nen feuchten Kehricht. Aber wer zu schnell aufreißt, den bestraft, Ihr könnt Euch den Rest denken. Jedenfalls ist das Ganze dann fertig. Guten Appetit!

Musik zum Menü
Lieder über Bärlauch gehören zu den wenigen Dingen, mit denen Musikern sich thematisch kaum je befasst haben. Aber „Boarische Lauchs“. Von Kiste.
Und weil der Bärlauch nun kurz vor der Blüte steht, ist „Blossom“ eine schöne Alternative. Zumal die Band, The 101, gefühlt nur kaum länger als eine Bärlauchsaison aktiv war. Eine kleine Indie-Band aus New York, deren Sänger Eric Richter einst mit „The Christie Front Drive“ in den 90ern zu den Emo-Pionieren gehörte.
Und wo da nun schon die legendär gewordenen Worte Gerassimows eigentlich sinnfrei im Text herumgetanzt sind, aus dem Herbst 89, kann man – der Zeit Respekt zollend – auch nochmal in den „Sommer 89“ blicken. Auch wenn beides mit Bärlauch nix zu tun hat. Aber mit Kettcar und der famosen Nummer, in der „er“ im blauen Fort Granada zur österreichisch-ungarischen Grenze ins Burgenland gefahren ist, um in einem abgelegenen Waldstück mit einem Bolzenschneider Löcher in den Zaun zu knacken.
Ich durfte in den Genuss kommen – absolut EMPFEHLENSWERT! Und – zusammen mit einem Spaghettieis – mein kulinarisches Osterhighlight!
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Das freut und ehrt mich sehr. Und Spaghetti-Eis muss ich unbedingt auch sehr schnell mal wieder essen. 🙂
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Quiches sind immer fein, besonders mit Quarkblätterteig. Und im Garten wächst Knoblauchsrauke
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Das ist doch ne prima Alternative. 🙂 Liebe Grüße
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Ole, I am impressed. So eine tolle Quiche. Allerdings müsste ich die Ziege durch Kuh ersetzen, wir mögen den „strengen“ Ziegengeschmack im „Abgang“ nicht…. das Rezept merke ich mir, danke schön und liebe Grüße, Karin
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Ich glaub, das kann auch toll mit Feta oder Kuhmilch-Hirtenkäse schmecken, wobei man (wie natürlich generell) da dann die größere Salzigkeit beachten muss. Oder mit Ricotta. Oder einfach normalem Frischkäse und vielleicht etwas mehr Parmesan. Da ist ja vieles möglich. Ich bin auch kein zwingend riesiger Ziegenkäse-Fan, aber hier passt er für mich prima.
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Oh, und ganz lieben Dank für die lieben Worte!
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