
Damals, in der Grundschule, als ich später als manch Anderer mein Seepferdchen erpaddelt hatte, schmiss ich mich oft Bällen in den Weg. Hechtete auch bei Schietwedder in jeder Schulpause als Torwart beim Fußballspiel durch Pfützen, lenkte schlammige Pillen an Pfosten und Latte – und weil das Internet damals zwar schon erfunden war, aber die wenigsten etwas damit anfingen, musste mein Vater damals satte 60 Kilometer weit zur nächstgrößeren Stadt, nach Oldenburg, fahren, weil es nur dort Torwandhandschuhe von Reusch gab, der Marke, in die auch mein Kindheitsheld Andi Köpke seine Flossen stopfte, bevor er Angriffe stoppte. In regnerischen Woche kam ich quasi täglich mit Hosen nach Hause, die eher einem Golfplatz nach einer Flutkatastrophe glichen: nass, matschig und voller Löcher.
In stoischer Seelenruhe, vielleicht mal mit einem Seufzer, aber gefasst nahm meine Mutter diese Hosen und die Pullis mit schlammstarren Ellenbogen, stopfte sie in die Waschmaschine, wusch sie, kochte Tag für Tag Köstliches, und manchmal gab es zum Nachtisch etwas, das aus den Supermarktregalen seit Jahren verschwunden ist: Majala Traumcreme. In Jahren, als ich noch ganz klein war, zog ein Esel einen Karren mit einem Haufen Zitrusfrüchte über die Verpackung, später, wahrscheinlich waren Esel nicht mehr so modern, zog kein Esel mehr umher. Und noch Jahre später verschwanden auch die Zitruspuddingpulverpackungen aus den Regalen. Ich habe die Teile geliebt, diesen fluffigen Pudding, für den Zucker mit Wasser und Pulver gekocht wurde und es eine vor konzentrierten Aromen strotzende Kapsel gab, die mitgekocht wurde, und ich glaube, sie löste sich auf. So, wie über die Jahre meine Erinnerung an dieses Majala-Zeugs. Vor Jahren fand ich die Marke selbst beim Googeln noch auf einer Unterseite des Unilever-Konzerns, heute findet man sie nicht mehr.







Und das führt mich zu einem Geständnis. Zu zweien sogar. Zum einen beschleicht mich rückblickend bis heute schon ein schlechtes Gewissen, wie viel Arbeit ich durch all die Matsch-Hechtsprung-Paraden meiner Mutter aufgehalst und ihr damit schon auch Zeit gestohlen habe, ihren traumschönen Garten zu hegen und pflegen – oder auch nur durchzuatmen. Zum anderen: Wer meiner Seite schon länger folgt, hat hier etwa eine Handvoll Kuchenrezepte gefunden, nicht zuletzt den legendären Apfel-Streuselkuchen meiner Ziehoma Hanna, die am Muttertag vor einem Jahr leider verstorben ist. Alle weiteren Kuchenrezepte sind Käsekuchen-Variationen, und jetzt kommt’s: Denen kann ich durchaus wie Mielke einst zurufen, „ich liebe Euch alle“. Aber noch viel inniger liebe ich neben dem Apfel-Streuselkuchen einen anderen, einen significant other, der hier bislang nie zutage getreten ist – bis heute. Mein Lieblingskuchen ist ein Lemon & Lime Pie, den ich in Studienjahren, als ich noch nicht so richtig viel Ahnung vom Kochen hatte, erstmals im „Naked Chef“ von Jamie Oliver entdeckte. Den ich ausprobierte, und der mich direkt in Kindheitserinnerungen katapultierte, weil die Füllung fast wie Majala schmeckte – nur noch frischer, besser, raffinierter. Saft und abgeriebene Schale frischer, neckisch-saurer Limetten, vor allem, und Zitronen verschwimmen in einer aufschäumenden Melange aus Ei, Zucker, Sahne und einer Prise Salz – und festigen ihre Meinungen und ihren Zusammenhalt nach dreiviertelstündigem heißem Gebrodel im Ofen, wenn sie gemeinsam wieder auf Zimmertemperatur abkühlen.

Das Ganze ist im Zweifel mächtiger als es die Königsfamilie in Jamie Olivers Heimat, dem britischen Commonwealth, ist. Aber auch mindestens so köstlich. Und aus dankbaren Erinnerungen an meine Kindheit, an hinter Schuppen aus Zweigen und Ästen gebastelten Höhlen, an Flecken an der Wand meines Kinderzimmers, gegen die ich Fußbälle geschleudert und aufs Bett hechtend gefangen habe (was meine Eltern in stoischer Liebe ertragen haben), habe ich genau diesen Kuchen heute zum Muttertag für meine Mama gebacken und zum Besuch mitgebracht. Frühlingsfrische Wonne zu fastsommerlichen Temperaturen.
Zutaten für den Lemon & Lime Pie

Für den Teig:
300 Gramm Mehl
150 Gramm kalte, gewürfelte Butter
100 Gramm Zucker
1 großes Ei
1 Teelöffel Kardamom
1/2 Teelöffel Salz
Für die Füllung:
250 Gramm Zucker
8 Eier
200 Milliliter Sahne
4 Bio-Limetten, Schale abgeraspelt, Saft ausgepresst
1 Bio-Zitrone, Schale abgeraspelt, Saft ausgepresst
1/2 Teelöffel Salz
Zusätzlich, optional:
Bohnen oder andere Hülsenfrüchte zum Blindbacken
frische Zitronenverbene zum Garnieren für zusätzliche verzaubernde Zitrusfrische
200 Milliliter Sahne mit ein wenig Zucker zu Schlagsahne schlagen
eventuell: Puderzucker zum Bestreuen des Kuchens
frische Erdbeeren oder Himbeeren machen sich prächtig

So macht man den Lemon & Lime Pie
Tipp vorweg: Diesen Kuchen bereitet man am besten am Tag vor dem feierlichen Ereignis zu – mindestens aber einige Stunden, weil er Abkühlzeit braucht.
Für den Teig die kühlschrankkalte Butter würfeln und mit Mehl, Eiern, Zucker, Salz und Kardamom am besten in einer Küchenmaschine rasch verkneten – und ihn dann direkt wieder, am besten für zwei Stunden, zum Kühlen zurück in die Kälte des Kühlschranks oder in den Gefrierschrank stecken.
Den Ofen auf 180 Grad Ober/Unterhitze erhitzen (das ist hier wichtig, damit der kalte Teig schön kross und luftig wird).
Dann den Teig dünn ausrollen und in eine Springform basteln (bei mir waren es 28 cm, bei 26cm wird der Pie etwas höher, was ihn aber nicht minder köstlich macht). Eventuell mit einem Teigroller glattstreichen. Dann mit einem Stück Backpapier den Kuchenrohling ausschlagen und den Teiginnenraum zwischen den Rändern mit trockenen Hülsenfrüchten zum Blindbacken füllen. Nicht die Hülsenfrüchte direkt auf den Teig geben, es sei denn, Ihr habt Lust, die Teile danach alle wieder aus dem Teig zu friemeln.
Das Ganze in den Ofen schieben und etwa 20-25 Minuten vorbacken.
Dann macht der Kuchen einen kurzen Boxenstopp außerhalb des Ofens: Etwas Eiweiß von einem der Eier abnehmen und mit einem Spritzer Wasser verschlagen und damit den Boden des Teigs mit einem Pinsel bestreichen. Dann gleich nochmal etwa fünf Minuten weiterbacken. Das sorgt für eine wasserdichte Schicht, auf dass die Ei-Sahne-Zitrus-Masse nicht so matschig in den Boden zieht.
Unterdessen für die Masse zunächst Eier und Zucker samt der Prise Salz schaumig rühren. Dann die Schale von den Limetten und der Zitrone abreiben, die Zitrusfrüchte halbieren und in den Zucker-Ei-Schaum pressen. Die Sahne dazugießen. Nochmal kräftig durchquirlen, möglichst lange, damit, falls Ihr Zesten gerissen habt, statt die Schale abzureißen, die Messer des Pürierstabs das Ganze in kleinere Stückchen fetzen.
Den nunmehr zart angeknusperten Teigrohling rausnehmen und die Ei-Sahne-Zitrusmasse hineingießen – und flugs zurück in den Ofen damit, für etwa weitere 45 Minuten.
Dann nimmt man das brodelnd heiße Teil aus dem Ofen – und lässt ihn bestenfalls mindestens zwei Stunden abkühlen. Diese Zeit braucht der Kuchen, sich zu setzen, das Ei, um vollends zu stocken, auf dass er saftig, aber schnittfest ist. Wer gierig ist und nicht warten kann, bekommt eine art zitronig-limettigen Lava-Cake, dessen Inneres noch flüssig ist.
Wenn er nun erkaltet ist, kann man den Kuchen noch mit Puderzucker bestäuben (und für Menschen, die man liebt, ein Herz aus Papier ausschneiden und es in die Mitte legen, auf dass das beim Bestäuben ausgespart wird).












Ganz fantastisch schmeckt frische Schlagsahne dazu. Auch Erdbeeren und Himbeeren ergänzen sich damit umwerfend.
Wer hat (und man sollte haben): Frische Zitronenverbene-Blätter von der Pflanze zupfen. Die Pflanzen werden gerade wieder auf fast allen Wochenmärkten verkauft, und es gibt kaum Küchenkräuter, die ich mehr liebe. Und in diesem Fall passt Zitronenverbene besser als jede Kirmesboxerfaust aufs Auge.




Musik zum Muttertagskuchen
So, und was hört man nun zum Muttertag? Vielleicht ein paar Songs, in denen Mütter besungen werden? Natürlich hätte hier jetzt auch „Bohemian Rhapsody“ von Queen stehen können, denn wo sonst wird so inbrünstig „Mammaaaaaaaaaa“ intoniert? Aber irgendwie war mir nach anderem. Nach Idles etwa. Mit „Mother“.
Da es hier um meine Kindheits- und Jugenderinnerungen (und auch um meine Mutter) geht: „Mother Mother“ von Tracy Bonham war in den Jahren, in denen ich erstmals Discos besucht habe, ein riesen Alternative-Rock-Hit. Damit gibt’s den hier auch nochmal.
Meine Mutter ist ne ganz Große (vielleicht nicht körperlich, aber sonst), John Lennon war auch ein ganz Großer. Und mit der Plastic Ono Band hat er auch „Mother“ besungen.
Und weil ich aus einer Gegend komme, wo viele Kühe auf den Weiden stehen (immer noch, wenngleich seltener als früher), und weil eine davon auch das legendäre Cover von „Atom Heart Mother“ von Pink Floyd ziert – und weil ich dieses Album als kleines Kind genau wegen der Kuh besonders oft aus dem Plattenregal meines Vaters gezogen und aufgelegt habe, gibt es hier auch noch die „Atom Heart Mother Suite“.
Hhhm hört sich köstlich an 🫶
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Das ist es auch wirklich!
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Ganz lieben Dank Dir!
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Was für eine schöne, wunderschöne Liebeserklärung an deine Mama! Und weißt du, Ole, ich bemühe mich redlich, wie deine Mutter zu sein und lediglich fast unmerklich seufzend die dreckige Wäsche meiner Kinder entgegenzunehmen. Denn: Dreckige Kinder sind glückliche Kinder! Dieses Mantra hab ich mir über die Jahre zugelegt und es hilft (mir) auch irgendwie. Ebenso wie dieser Spruch:
Kinder brauchen Eltern, die wegschauen können!
Alles Liebe und einen schönen Tag in die Woche …
Maria
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Ich bin völlig bei Dir! Und die Welt braucht mehr dreckwühlende Wildschweinkinder, die in der Regel bei aller Abenteuerlust und Neugier auch die deutlich angenehmeren, pragmatischeren, auch bescheideneren Menschen später werden, weil sie nicht in pinken antiseptischen Reinräumen neben Schleife tragenden Chihuahuas aufgewachsen sind oder in anderen überfeinert freudlosen Gemächern.
Ich versuche auch so zu sein, wobei die Hohekunst ja ist, wegsehen zu können und doch im Blick zu behalten, Freiheiten und lange Leine lassen und zugleich auch Orientierung bietend klare Kante zeigen, Werte vermitteln und auch an die Hand nehmen…
Alles Liebe auch Dir!
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Ganz lieben Dank für die überaus lieben Worte zudem!
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Lieber Ole,
Was für eine Ode an den Muttertag! Nun bin ich kein Kuchenliebling, doch wo im Essen Zitrone mit drinsteckt, steckt gute Laune mit drin, weiß ich. Meine Kinder sind mir jede Mühe wert. Sie sind jetzt bereits große Leute und immer ist es besonders schön für mich, die kleinen Leute, die sie mal waren, noch in ihren Essenswünschen wieder zu finden. Mama, machst Du mal wieder Zitronenhuhn? Wenn diese Frage seitens der Kiddies geäußert wird, spurte ich sofort los…
Liebe geht schließlich durch den Magen. Deine Geschichte sättigt an einer Stelle, wo sich normalerweise kein Magen befindet. Doch wer sagt, dass der Geist keinen Schlund zum Schlucken hat und keinen Magen?
Herzliche Maiengrüße und mein Lesedank
Amélie 🍃
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Was für wunderschöne Worte. Darauf ein Zitronenhuhn. Ich kann nur danke sagen, hab’s schönstmöglich!
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