
Vor etwa einem halben Jahrtausend konnte es vorkommen, dass Frauen, die Männer um ihre zarten Finger wickeln und für sich gewinnen wollten, wie Erbsen- oder Linsensuppe dufteten. Konkreter: wie das Kraut, mit dem bis heute gern deftige Eintöpfe gepimpt werden und das auch Maggi-Kraut heißt, obwohl es in der Würzsauce gar nicht vorhanden ist. Immerhin aber so ähnlich schmeckt. Denn seinerzeit parfümierten die liebeshungrigen Damen ihr Badewasser mit Liebstöckel. Schon jungen Mädchen wurde dazu geraten, um unwiderstehlich zu wirken.
Tatsächlich soll Liebstöckel, in Kärnten sagt man auch Luststock dazu, die beckennahe Durchblutung steigern und der Wuschigkeit zart nachhelfen können. Gegen böse Geister und Dämonen helfen konnte oder sollte es zudem. Ghostbuster-Gewürz quasi.
Dennoch ist dieses eher festfaserige Gewächs ist, vielleicht weil es so oft in Hausmannskost aufgetaucht ist, in den vergangenen Jahr(zehnten) die Hipsterskala rapide runtergepurzelt und überholt worden von Thymian, Thai-Basilikum, Rosmarin, Koriander, und ich muss zugeben: Ich selbst habe es zuletzt auch nur selten geerntet, gehackt und in meine Kochtöpfe gestreuselt. Dabei kann es so viel, hat in der Würz-Arena fast einzigartige Superhelden-Fähigkeiten, quasi Special Moves. Und wenn ich ehrlich bin: Ich hätte mutmaßlich einige Monatsgehälter verwettet, dass ich bei der Frage, „was hältst Du davon, Bitterschokoladenkakao mit frischem Liebstöckel zu kreuzen – und meinst Du, das schmeckt?“ Fluchtimpulse verspürt, losgerannt und auf halbem Fluchtweg „die Bohne nicht“ gerufen hätte.
Nun wage ich mich gern in Neuland und probiere Unerwartetes, weshalb ich auch gern über Gewürze, ihre Besonderheiten und das Zusammenspiel mit anderen Geschmacksgesellen lese und damit experimentiere. Nun habe ich vor geraumer Zeit im wirklich spannenden Kompendium „Aroma“ zweier Herren blätterte, die beide Thomas A. mit Vornamen heißen und deren Nachnamen beide mit Vi beginnen (Vierich und Vilgis) geblättert. Es ist ein wundersames, irres und spannendes Werk, das die Aromenkomponenten von Gewürzen aufschlüsselt, und zu jedem Gewürz oder Kraut gibt es mindestens ein Rezept, das ein überraschend anderes Licht darauf wirft, es in verblüffenden Kontexten auftauchen und andere Rollen schlüpfen lässt. Und bei Liebstöckel stutzte ich fast am meisten, denn der Geschmacksforscher Prof. Dr. Thomas Vilgis schlägt dort ohne mit vielen Wimpern zu zucken vor, dunkle Bitterschokolade in warmer Milch aufzulösen, sprich: Kakao zu kochen – diesen aber zusätzlich mit frischem Liebstöckel zu würzen und zwar gleich mit zwei, drei Esslöffeln auf einen halben Liter Milch. Heidimarokko. Kakao mit einem Hauch von Erbsensuppenflair? Als hätte das Rezept ein Alchimist ersonnen, der dem Met allzu sehr zugetan war, nachts nach der Rückkehr aus der Taverne vom Pferd gefallen, im Mondschein, nachdem er Hornspäne in Wasser gerührt hatte und über eine Kröte gestolpert war.
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Und nun, wo Regen und Wärmeschauer den Liebstöckel wild wuchern lassen haben, wollte ich dem schrägen Faszinosum nachspüren, es selbst erleben, was in der Theorie durchaus Sinn hat – so sehr mein innerer Imaginiergaumen skeptisch „Njet“ murmelte. Und doch ist Liebstöckel abseits seiner beckendurchblutend anregenden Vorzüge eben ein Kraut mit weiteren Superhelden-Fähigkeiten. Denn es ist, so absurd es klingen mag, eins der einzigen Kräuter, die Röstaromen in sich tragen wie von karamellisiertem Zucker oder Ahornsirup, ohne geröstet worden zu sein. Er duftet, folgt man Vilgis, frisch „nach Moschus, Anis, Zitrone und Hefe, Er ist würzig-säuerlich, ganz leicht brennend, sehr krautig und erinnert an Sellerie und Petersilie“. Weniger fruchtig und ein bisschen „herb im Abgang“ sei er zudem, schreibt der Herr Professor. Aber da ist dann eben der Aspekt, dass Liebstöckel als Kraut „wie kein zweites von vornherein eine hohe Anzahl und Dichte an röstigen Duftnoten aufweist“. Sotolon ist der Stoff, den man sonst in Karamell, in Currys, aber auch in reifen Port-, Madeira- und Jura-Süßweinen findet. Und dann sind da auch aromatische Verbindungen zu Sellerie, der wie kaum ein anderes Gemüse sonst ebenfalls Röstnoten, aber auch Umami, die vollendete Vollmundigkeit im Geschmackserleben, in sich trögt.
Und diese Umami-Fülle, gepaart mit Karamellnoten: In beidem ergänzt sich das Gewürz damit in weitestem Sinn mit Schokolade, weswegen die Kombination nicht nur unerwartet und daher spannend ist, sondern auch Sinn gibt. Und weil ich mich gern in Neuland wage und Unerwartetes probiere, gibt es hier und heute einfach mal Kakao. Mit Liebstöckel. Selbst wenn sich zumindest anfangs die Suppenpulver-Aroma-Skepsis noch nicht ganz abschütteln ließ. Doch der verfliegt, wenn man das schaumig gequirlte Gesöff dann wirklich an die Lippen nimmt. „Liebstöckel braucht kräftige Gegenspieler“, schreibt Vilgis. Hier lässt die Schokolade ihre Muskeln spielen, spannt Bizeps und Trizeps, als wolle sie an einem Bodybuilding-Wettbewerb teilnehmen, stellt das Gewürz aber nicht völlig in den Schatten, das im Zusammenspiel der Sache eine durchaus spannende Note gibt. Als ich das Ganze probierte, verwandelte sich die Skepsis dann aber doch in Begeisterung. Schon, weil ich Kakao einfach liebe. Aber der Liebstöckel schmiegte sich harmonisch ein. Und dieser Kakao muss jetzt zwar nicht künftig jedes Mal sein, verleiht dem Getränk aber schon noch einmal eine erfrischend andere Note, wagt eine neue Perspektive, lässt es von Neuem schillern. O Liebstöckel, wer hätte das gedacht.




Zutaten für den Kakao mit Liebstöckel
für 2 Personen
400 Milliliter Milch
130 Gramm dunkle Schokolade (Ich habe 115 Gramm 70%ige und 15 Gramm Vollmilch-Karamell genommen)
2 Esslöffel frischen Liebstöckel, gehackt

So wird der Kakao gemacht
Milch in einen Topf gießen und sanft erhitzen. Schokolade kleinhacken – ebenso wie den Liebstöckel.
Alles gemeinsam köcheln lassen – nicht kochen. Vielleicht um die fünf bis zehn Minuten, damit die Aromen sich verbinden.
Mit einem Pürierstab schaumig quirlen.
Wer keine Grünzeugfitzel im Getränk mag, seiht das Ganze durch ein Sieb ab.
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Musik zum Getränk
Kakao ohne Schokolade ist undenkbar – die aber steckt auch in diesem Song: „Chocolate“ von Snow Patrol.
Und um die zweite Zutat ebenso zu würdigen, gibt es hier einen Hauch Klezmer mit Klarinette und Harfe: „Liebstöckel“ von Mulo Francel und Evelyn Huber.
Wow, Ole, Maggikraut im Kakao? Du beweihkochst heute eins meiner Lieblingskräutlein. Endlich habe ich wieder eins! Kann kaum noch sitzen auf meinem Balkon, weil Maggikraut ein Tiefwurzler ist. Also Liebstöckel oder Luststock. Huch- kam das in unserer Familie deshalb in fast jede Suppe? Nicht nur Linsen oder Erbsensud, auch Pellkartoffeln gewinnen ungemein mit einem Stängelchen Liebstöckel und auch an die Hessischen Bohnen gebe ich es. Noch kann ich mein Liebstockkind nicht zupfen, höchstens zart streichen und darum bitten, dass es auch im Kübel gut gedeiht. Es braucht am liebsten lehmige Erde, schön gehaltvoll. Ist kein Genügsames wie der Thymian.
Diesen Kakao werde ich unbedingt ausprobieren.
Hab es gut,
Sonntagsgrüße von Amélie 🍃
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Das Buch steht hier auch, ziemlich vernachlässigt, sehr toll dass du daran erinnerst ind ein Wagnis eingehst
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Für mich hat sich das Wagnis gelohnt und es macht Lust, endlich noch mehr aus dem Buch nachzukochen 🙂
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Brownies zum Beispiel 😊die sind sehr fein
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Aus dem Aroma-Buch? Oder mit Liebstöckel? 😃
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In dem Buch gibt es ein Rezept, ganz fein
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Das seh ich mir beizeiten gern an! Danke für den Tipp!
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Als Kräuter äh.. frau, läuft es mir da ja heiß und kalt den Rücken runter…! Schon der Name „Geschmacksforscher Prof. Dr. Thomas A. Vilgis“ gibt mir einen Kick. Kenn ich irgendwoher…. Ab jetzt habe ich mir vorgenommen den lieben Stöckel wieder Liebzuhaben 😉 Im Kakao, was für eine strange Mischung, aber ich werde mal das von mir vernachlässigte Kräutlein im Garten suchen und diese Megamischung ausprobieren. Super, danke!
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Der Vilgis ist wirklich spannend und einsichtsreich. Und vielleicht finden Du und der Liebstöckel ja wieder zueinander.
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Und die Mischung ist wirklich strange. Und ich war verflixt skeptisch, fand es aber tatsächlich super. Vielleicht vor allem, weil Kakao super ist. Aber schon auch sonst. Ganz liebe Grüße 🙂
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Vielleicht hat ja Maggikraut Pheromone…..😅🦋
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Ausschließen will ich da nichts 😃
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Aber Vorsicht, im Wald, der Maggi Geruch, ist nicht die Frohlockung…eher eine Wildsau🙈🌱🐷
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😃😃😃 das ist wildsäuisches Königswissen!
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😅
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Oder ein Pilz, da gibt’s nämlich auch welche mit dem Aroma 😀
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Boah. Der weiß ja, was er tut, der Herr Vilgis, aber das muss ich erst mal sacken lassen 😁.
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Moin Ole,
das ist ja ein irres Rezept. Aber bei Kakao mit Liebstöckel, da bin ich raus. Auch ohne es zu probieren. Ich kann es mir vom Geschmack her nicht vorstellen, obwohl ich Maggi gerne mag.
Liebe Grüße, Karin
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Ich möchte es genre mahl ausprobieren 😊👍
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Ich hoffe, es wird Dir so gut schmecken wie mir – und einigen Freunden, die es inzwischen auch probiert haben. 🙂
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