
Es war einer dieser „Weißt Du noch“- und „Eigentlich müsste man mal wieder“-Abende, die das Herz weiten in sehnsüchtigen Erinnerungen, die noch immer frisch und wild duften wie in den Jahren, als sie noch Erlebnisse waren. Der Tisch: Jetzt aus Massivholz, kein wackliger, vom Sperrmüll gefischter Klapptisch mehr. Darauf: nicht mehr „Karli“, „Aldis Rache“, das billige Dosenpils, das der Discounter früher, weit vorm Pfand auf Blechbüchsen, massenweise verkaufte. „Was haben die Plörre, gesoffen! Schmeckte wie Knüppel aufn Kopp, aber dicht wurde man ja schon davon“, sagte Jürgen, den sie früher „Biene“ nannten, weil er ja Meyer mit Nachnahmen hieß. Den hatte Wulnikowski ewig nicht gesehen. Jürgen war gerade in der Stadt.
Doch er hatte kein Dosenbier mitgebracht, als er zu Besuch kam. Stattdessen: Riesling vom Calmont, Moselschleife Bremm, steilste Hanglage Europas. „Mit viel feiner und filigraner Frucht-Verwirrung (gelber Apfel, Ananas und Pfirsich), leichter und würziger Schiefer-Mineralik und fast schon belebender Frische strömte er uns aus dem Glas entgegen. Am Gaumen überzeugte er trotz gutem Druck mit einem sehr homogenen und ausgewogenen Mundgefühl. Dank fruchtunterstützenden 7,8 Gramm Zucker und zart wirkender 6,3 Gramm Säure bekommt er sogar die Kurve zur schwer greifbaren ‚Cremigkeit‘ hin. Im Abgang wird es leicht salzig und pfeffrig“, zitierte Jürgen die Weinbeschreibung, und sie lachten, und doch blieb zumindest Wulnikowski der Scherz tiefer im Hals stecken als der Wein, der durchaus entspannt über die Zunge rann. Weil, so gut der Tropfen mundete, zersplitterte doch gleich zu Beginn seine Selbstbespiegelung, wie jung und rebellisch er doch im Herzen noch war und fühlen wollte, nun, wo er seinen alten Jugendkumpel wiedertraf. „Wir werden alt“, sagte „Biene“ Meyer. „Du mit deutlich mehr Tempo als ich“, dachte Wulnikowski, sprach es aber nicht aus. Und eigentlich wollte Wulni auch lieber Bier.
Sie legten die alten Platten auf. Neutral Milk Hotel, Portishead, Karate und Refused. Get Up Kids. Dashboard Confessional, Kyuss. Und die Pixies. Und sie grölten „Where is my mind?“ mit. Und es war ein bisschen wie früher, nur dass Kerzen auf der Fensterbank flackerten. Und Jürgen hatte sogar noch uralte Seven-Inch-Split-Singles von Hardcore-Bands mitgebracht, bei denen es seinerzeit nur wichtig war, dass sie keiner kannte, und deren Songs Jürgen in grün-gelb gesprenkeltes Vinyl gepresst gekauft und gesammelt hatte. Hören war da schon schwieriger.„Was das für’n Kack war“, sagte Wulnikowski, als er eine dieser Bands auflegte. Beide lachten. Und dann legte Wulni die Weakerthans auf, und bei „Pamphleteer“ sagte er: „Wohl nirgends sonst ist Schüchternheit schöner besungen worden: „How I don’t know what to do with my hands when I talk to you, how you don’t know where to look, so you look at my hands.“
Wulnikowski ließ „Biene“ Wein nippen, er trank Bier. Und dann erzählten sie sich davon, wie damals, als das große Festival absoff und Luftmatratzen auf den Fluten trieben, während die Zelte in Matschfluten ertranken, Jürgen zum Dixie-Klo gepaddelt war auf einem aufblasbaren Flamingo, der zufällig an ihrem Zeltcamp vorbeitrieb – und als er so notdürftig in der blauen müffelnden Zelle saß, brach plötzlich Batman herein. Und zwar durchs Dach. Batman krachte auf „Bienes“ Nacken und beide gemeinsam durch die Dixie-Klo-Tür hinaus in den Matsch, „Biene“ noch mit blankem Hintern. Und dann rauften sie im Schlamm. Wann rauft man schonmal mit Batman? „Aber wann passiert es auch, dass ein Spackifant als Batman verkleidet meint, er muss oben auf die Dixieklos klettern und drüberrennen als wäre es das Dach vom Darjeeling Express?“, fragte „Biene“, der inzwischen doch eher Jürgen war, und nahm noch einen Schluck Riesling vom Calmont. Und wie sie dann das für die Tauchpumpen der Feuerwehr gebuddelte Loch abgeflattert hatten und die Absperrstäbe versteckt. Wie sie dann spontan mit Campnachbarn ein Wettbüro eröffnet hatten: Wer rutscht als nächstes in den Krater und steht bis zur Hüfte im Schlamm? Wie einer aus dem Nachbarcamp seiner Oma, die um die Ecke wohnte, Weckgläser abgeschwatzt hatte, in die er Schlamm gefüllt und sie in einem improvisierten Matsch-Tante-Emma-Laden als Souvenirs vertickt hatte. Andere hatten ihre vom Schlamm verschluckten und geschrotteten Ghettoblaster um die Wette weit geworfen. Und wie sie vorab gottweißwie gezittert hatten, weil sie „Tüti“ mit zum Festival genommen hatten, der eigentlich Thomas hieß, aber eine „Tüte“ nach der nächsten geraucht hatte, und der hatte auch gottweißwieviel Gras im Rucksack, und kurz vorm Festival stand plötzlich die Polizei mit Suchhunden. Wie durch ein Wunder waren sie durchgewinkt worden.
Später war so ein strumpelduuner, also sturzbesoffener Rheiderländer am Pavillon der Kumpels aufgekreuzt und hatte „Wuuuaauuuääm?“ gegrölt. „Watt?“, hatte Jürgen gefragt. „Wuuuaauuääm?“ Jürgen hatte die Schultern gezuckt. „Wullt Hau hemm?“ Willst Du Prügel?, auf Platt. Jürgen wollte nicht. Und Udo, hatte eigentlich irgendwer nochmal was von Udo gehört? Hatte erst einen ganzen Becher Nudelsalat aus dem mit Trockeneis aus dem Chemielabor von der Uni befüllten Styroporkasten geholt und komplett leergemampft, dann Instant-Kaffeepulver mit kaltem Wasser aufgegossen, es leergetrunken, um danach wildfremden Passanten aus dem Camp ihre Zukunft aus dem plörrigen Kaffeesatz zu lesen. „Du wirst noch in diesem Jahr eine Mettwurst beim Knobeln gewinnen“ und sowas.
Irgendwo auf dem Campinggelände hatte es eine geile indische Frittenbude gegeben. Eine, wo es irgendeine Kreuzung aus Bratkartoffeln und Pommes gab, aber nicht mit Zwiebeln, Speck, vielleicht Ei, sondern mit schwarzem Sesam und Fenchel und Kreuzkümmel und so heißem Scheiß. „Panch Phoron Aloo“ war auf ein an die Bretterbude genageltes Schild mit Kreide geschrieben. „Sweet as the Panch“, hatte Jürgen damals wortspielend gegrölt und auf diese ausgeleierte Nummer der Bloodhound Gang angespielt. Und Wulnikowski hatte gegengefrotzelt: „Müssten wir eigentlich im Aluhut essen.“ Gab es in einer Pappschale. Schmeckte grandios. Was „Panch Phoron“ eigentlich hieß, war ihnen damals wumpe, aber die krispen, würzigen Frittenwürfel waren perfekte Grundlage für „Aldis Rache“.
Genau deshalb hatte Wulnikowski für Jürgens Besuch Kochbücher gewälzt und war in Nigella Lawsons famosem Debüt „How to eat“ auf genau dieses Gericht gestoßen – wobei die es wiederum aus Sameen Rushdies Buch „Indian Cookery“ entliehen hatte. Witzig genug, wenn Nigella ein Rezept mit schwarzem Sesam anbot, dessen Körner auf Englisch ja Nigella Seeds sind. Und „Panch Phoron“ oder „Panch Phoran“, das hatte er inzwischen gelernt, hieß eigentlich nur „fünf Gewürze“ und war der Name einer Mischung aus fünf Gewürzen, die zu gleichen Teilen gemischt werden und die wundervolle Würze der krossen Kartoffeln bewirkten: Bockshornklee, schwarzer Sesam, schwarze Senfkörner, Kreuzkümmel und Fenchel. Und Aloo war Indisch für Kartoffeln. „Boah geil, wie damals im Schlamm“, rief „Biene“ aus, als er dem Duft in die Küche folgte, wo zudem die zweite Flasche Wein stand. „Ja“, sagte Wulnikowski. „Wie damals wird es aber nicht mehr“, dachte er still bei sich. Auch weil er sich selbst noch einen Tahin-Joghurt-Dip dazu ausgedacht hatte. „Aber es bleibt super.“

Das braucht man fürs „Panch Phoron Aloo“
900 g Kartoffeln (geschält)
neutrales Pflanzenöl (Raps etwa)
½ Teelöffel gemahlener Kurkuma
1 frische rote Chilischote (entkernt und fein gehackt)
1 gehäuften Teelöffel Salz
½ Teelöffel Bockshornklee (als Samen oder gemahlen)
½ Teelöffel schwarzer Sesam
½ Teelöffel schwarze Senfkörner
½ Teelöffel Kreuzkümmelsamen
½ Teelöffel Fenchelsamen
1 Teelöffel Currypulver (optional und nicht original)
frischen Koriander (gehackt)
Für den Tahin-Joghurt-Dip
200 Gramm griechischen Joghurt
1 Knoblauchzehe
2 Esslöffel Tahin
½ Teelöffel Salz
½ Teelöffel Zucker
1 kräftigen Spritzer Limettensaft

So werden die „Panch Phoron Potatoes“ gemacht
Wer hat, nimmt am besten einen Bräter oder eine Pfanne mit passendem Deckel, auch ein Wok tut gute Dienste, aber auch hierfür wäre ein Deckel von Vorteil, weil die Kartoffeln quasi roh gebraten und gedämpft werden.
Die Kartoffeln schälen, in 1/2 bis 1 Zentimeter dicke Scheiben schneiden und danach so gleichmäßig wie möglich würfeln. Die Chili halbieren, entkernen, in feine Ringe schnitzen.

Den Boden des Bratgeräts dünn mit Öl bedecken, das ganze stark erhitzen und die Kartoffelwürfel darin von allen Seiten kross anbraten. Einige Minuten lang.


Danach die Hitze auf mittlere Stufe schalten und den Deckel auflegen, damit die Kartoffeln fortan in ihrem eigenen Dampf garen können. Wer keinen Deckel hat, kann auch Alufolie nehmen, was aber ökologisch hoch fragwürdig ist.
Sobald die Kartoffeln weich werden, nach etwa einer Viertelstunde, die Gewürze hinzufügen. Chili und etwas Salz hinzu.
Die Pfanne gut umrühren, dann wieder zudecken und weitere 10 Minuten kochen; wenn die Kartoffeln fast fertig sind, den Deckel abnehmen und ein letztes Mal kräftig erhitzen, damit überschüssige Flüssigkeit verdampft und die vom Dampf etwas weicher gewordenen Kartoffeln nochmal aufknuspern.


Für den Dip die Knoblauchzehe pressen, reiben oder anderweitig ganz fein zerkleinern. Alle weiteren Zutaten vermengen und gut durchrühren.
Die krossen Kartoffeln mit dem Dip beklecksen und mit frischen, feingehackten Korianderblättern überstreuseln.






Musik zu Erinnerungen und Menü
„How I don’t know what to do with my hands when I talk to you, how you don’t know where to look, so you look at my hands.“ Die Weakerthans waren eine poetisch-rockige Wucht.
Schon weit vor „Fight Club“ und seiner Schluss-Szene legendär und bis heute ein Riesenhit: „Where is my mind“ von den Pixies.
Stille, verzaubernd angejazzter Emo für nächtliche Autofahrten: „This day next year“ von Karate
Und plötzlich drehten die hornbebrillten Pottschnittträger durch und ließen ihre Arme wie Windmühlen kreisen: „Holiday“ von den Get Up Kids.
Wüstes Geballer, raffinierte Grooves, brachiale Riffs: Erinnerungen an wilde Jugendnächte. „New noise“ von Refused.
Große Hymne, betrunken auf dem Rad im Regen auf der Heimfahrt von Discos gegrölt: „Hands down“ von Dashboard Confessional.
Ganz großes Kino, wildschönes Album: „In the aeroplane over the sea“ von Neutral Milk Hotel
Bonjour, raffinierte Tristesse: „All mine“ von Portishead
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Biene Meyer, ich pack’s nicht … Haha!!! Und die Kartoffeln so wunderbar und mein Credo für die nächste Zeit auch noch bei dir ausgefasst: Alles bleibt super ♥. Schön schön hier.
Alles Liebe! Maria
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Gab es gestern und wird es sicher bald wieder geben. Einzige Änderung (ohne geht es selten bei mir) statt Curry und Chili hab ich Berbere verwendet. Hat sehr gut gepasst. Ach ja statt tahin habe ich im Mixbecher geschredderte frisch geröstete Sesamkörner verwendet, mach ich immer wenn mal wieder kein tahin da ist. – Dazu gab es noch geräucherte Makrele, hat tatsächlich gepasst.
Große Empfehlung für dein Rezept und danke
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Berbere ist auch ne famose Idee! Und geräucherte Makrele dazu: Wie spannend! Tahin hab ich eigentlich nie nicht da. Aber geschredderte frisch geröstete Sesamkörner sind ne fantastische Idee! Verzeih‘ die späte Antwort. Die vorigen Wochen waren wild. Ganz liebe Grüße!
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