
Garni war gar nie zur See gefahren. Wobei: So ganz sicher konnte man sich da nicht sein. Angesichts all der Geschichten, die er von sich schon erzählt hatte. Das fing schon damit an, dass keiner so genau wusste, wie er eigentlich wirklich hieß. Mal hieß er angeblich mit bürgerlichem Vornamen Alireza, dann nannte er sich Nazmi. Irgendwem hatte er auch erzählt, er sei Namensvetter des Fußballers Ali Karimi. Nun, und dass sein Onkel der beste Freund von James-Bond-Autor Ian Fleming gewesen sei. Glaubte keiner. Aber schöne Idee. Wie seine vielen verschiedenen Namen zusammenpassten? Er lächelte und schwieg. So wenig er das sonst tat.
Eher hielt er Monologe. Gab gern Ratschläge, wusste vielleicht längst nicht alles, aber das meiste besser. erzählte aber auch immer wieder, dass er in jungen Jahren aus dem Iran geflohen und nach Deutschland gekommen war, dass er sich kurz nach dem ersten Golfkrieg Anfang der 1980er gegen die despotische Haltung des islamischen Ayatollahs Ruhollah Chomenei aufgelehnt hatte – „Krieg, Krieg, Krieg, bis zum Sieg“ – so dass sie ihn in Gefängnissen gefoltert, ausgepeitscht, bespuckt, fertig gemacht hatten: All das war mindestens glaubhaft. Dass er aber 36 Jahre alt sei, dass er den jungen Frauen reihenweise schöne Augen machte am Tresen von Gertruds Kneipe, das war eine andere Geschichte – wo doch silberner Flaum sich zwischen dem schwarzen Gestrüpp auf seinem Kopf ausgebreitet hatte und seine Stirn zerfurcht war wie ein Hochgebirgsrücken. Zumal er auch auf traurige Weise eigentlich verheiratet war. Und als er und seine Feierfamilie aus der Kneipe irgendwann gemeinsam auf eine Goa-Party in einer weltentlegenen Bauernhofscheune gefahren waren, hinter der zottelbärtige Hippies mit Lagerfeuerschein so etwas ähnliches wie Kunst aus Holzklötzen hackten (war keine Kunst, konnte weg), musste Garni seinen Ausweis vorzeigen, und Onno hatte einen kurzen Blick erhascht und gesehen: Der Kerl war 58. Wie er wirklich hieß, konnte auch da keiner sehen. Daumen davor.
Und mal erzählte er, er sei Fußballtrainer nah an der Nationalmannschaft seines Landes gewesen, dabei konnte er damals ja höchstens 17 oder 18 gewesen sein. Auch wollte er bei Holstein Kiel auf dem Sprung in die erste Mannschaft gewesen sein. Stattdessen aber Informatik studiert haben. Oder doch Handelsfachpacker gelernt? Alles schwierig zu googeln, wenn man nicht weiß, wie der Kerl wirklich hieß. Er jedenfalls erzählte. Dass man ihn zum Drogenschmuggeln aus Afghanistan über die iranische Grenze zwingen wollte. Oder dass er mit einem Esslöffel einen Tunnel aus dem Gefängnis, in das sie ihn gesperrt hatten, gegraben haben wollte, dann auf dem Rücken einer am Rande des Großen Basars in Teheran geklauten Eselin stadtauswärts durch die zerklüftete Wildnis des Elburs-Hochgebirges nach Armenien geflohen war, diese Eselin teils gemolken hatte, um nicht zu verdursten, sein Magen dann aber so verrückt gespielt hatte, dass sich manchen Morgens das flüssige Frühstück magenaufwärts auf den Rückweg machte und er es an Wasserfällen aus der Hose spülte: Das glaubte ihm nicht jeder, aber die Geschichten waren trotzdem gut.

Manchmal seufzte er, Tränen in den Augen, und erzählte von den rot funkelnden Granatapfelkernen, die er sich, frisch aus der Frucht gepult, noch im Garten seiner Großmutter in den Mund geschoben hatten. Und wie viele der köstlichen Früchte dort wuchsen. Und manchmal träumte er davon, Weltmeister im Tischkickern zu werden, brachte Tage und Nächte an den Stangen zu, wie besessen, und zwischen all den Niederlagen, die ihm sein Leben vor die Füße geworfen habe, taten die Siege gut, genoss er Knall um Knall, wenn er wieder einen der weißen Bälle am Torwart vorbei ins Tor und gegen die Stahlplatte dahinter gepfeffert hatte.
Und mancher fragte sich schon, was mit ihm los war, wo er doch mit Mittzwanzigern Speed schnupfte und nach wilden Partynächten noch mittags zu dröhnenden Technobeats weitersoff, bis er im Garten seiner eigenen Familie auf dem Rasen einschlief, wo seine kleine Tochter ihn bei der Rückkehr vom Einkaufen fand. Und woher diese Sehnsucht nach Jugend rührte, dass er sich und 30 Jahre Jüngeren beweisen musste, dass er noch bis zum Umfallen feiern konnte zu Technobeats in Schummerschuppen, wo er doch eigentlich Mark Knopfler und die Dire Straits verehrte. Und ob es nun stimmte, dass ein Freund von ihm großer Gastronom in Dänemark war und ihm die Geschäftsführung eines seiner Restaurants übertragen wollte, ehe er wegen massiver Steuerrückzahlungsforderungen vom Angebot zurücktreten musste? Niemand wusste es, und ein bisschen wie Seemannsgarn wirkte das – weshalb sie ihn auch Garni nannten, worin zugleich die Buchstaben seines Heimatlandes steckten: i, r, a, n.
Wulnikowski wusste noch, wie Garni eines lauen Sommerabends zu Garni in seinen Garten eingeladen war, aus der Küche dröhnten die komplexen Gitarrenriffs und Grooves von „Ænima“ von Tool und erzählte Sänger James Maynard Keenan in lupenreinem Deutsch, wie man Haschkekse backt. Draußen tanzten Mückenschwärme und glitzerten mit den Flügel schwirrender Libellen im Sonnenlicht am Teich um die Wette, Mittzwanziger kamen, setzten sich ins Idyll, packten Spiegel aus, streuten sich Pulverlinien darauf und zogen sie in ihre Nasen, als wäre es das Normalste der Welt, am frühen Abend bei Tageslicht in einem Gartenidyll. Speed. Pep. Sollten sie doch. Aber Wulnikowski fragte sich still, warum. Dass man das Zeug spätnachts nahm, berauscht vom Tanzen, um länger durchzuhalten, erschien ihm noch verständlich. Dass man es aber an einem sanften Sommerabend nahm, um dann mit rasendem Puls aufgeputscht in einem Garten zu sitzen? Nun, er musste ja auch nicht alles verstehen. Und fand das Ganze so bizarr, dass er die Geschichte nie vergaß. Und er weiß, dass er Garni mal gesagt hatte: „Wenn Du ein Hotel nach Dir benennen würdest, gäb’s kein Frühstück.“ Der verstand den Scherz nicht, zuckte mit den Schultern. Nun gut, das Hotel Garni hätte ja auch ein Hotel Alireza, Hotel Ali Karimi, Hotel Nazmi sein können. Wer wusste das schon genau?
Was er aber auch nie wieder vergessen sollte, war dieses gigantisch gute Kräuter-Omelett, das Garni zum Grillen in die Pfanne gehauen hatte. Kuku Sabzi. Angeblich nach einem Rezept seiner Granatapfelgarten-Oma. Ein grünes feinblättriges Gebirge aus Petersilie, Koriander, Minze und Dill, fein geringelten Frühlingszwiebeln, zart nach Bockshornklee und Kurkuma duftend, in dem gestocktes Ei seine Arme ausstreckte und alles zusammenhielt, umarmt von hauchdünnen Lavash-Fladenbroten (wobei Wulnikowski schien, dass auch das erfunden war und es nur Supermarkt-gekaufte Tortillas waren), bekleckst mit dickem Joghurt, und darauf funkelten wie im Garten seiner persischen Oma: Granatapfelkerne. Was für ein unglaubliches Fest. So scheinbar simpel, so komplex, so umwerfend gut. Und so sehr sich die Wege von ihm und Garni getrennt hatten, so sehr sie sich aus den Augen verloren hatten, so blieben diese Aromen gefühlt ewig am imaginären Gaumen kleben.
Und wann immer Wulnikowski beim kleinen arabischen Laden im Schatten des großen Modehauses in der Stadt frische Kräuterbündel sah, konnte er nicht anders als sich ein ganzes Büschel mitzunehmen, es hauchfein zu hacken, in die Pfanne zu werfen und noch einmal erinnernd diesen grotesken Gartenabend zu erschmecken, und dann legte er „Ænima“ auf und dachte an all die schrägen und vielleicht wirklich wahren oder frei erfundenen Geschichten von Garni und daran, wie er inmitten von pep-schnupfenden Herzrasern saß, damals inmitten von Mückenschwärmen und Glitzerlibellen im Sommer. Und fragte sich, ob Garni vielleicht doch zur See gefahren war– oder wenigstens irgendwem eine gute Geschichte von den sieben Weltmeeren aufgetischt hatte, vielleicht als einarmiger Seemann. Und vielleicht war es ihm gelungen, mit dem einen Arm eine Jungfrau aus den Klauen eines Maelstroms zu retten. Oder wenigstens ein Bier mit ihr zu trinken.


Das braucht man fürs Kuku Sabzi
3 Bund frischen Koriander
3 Bund Petersilie
2 Bund Dill
2 Bündel Frühlingszwiebeln
2 Teelöffel Bockshornkleesamen
3/4 Teelöffel gemahlene Kurkuma
1,5 Teelöffel Salz
1 Teelöffel frisch gemahlener Pfeffer
1 Teelöffel Backpulver
5 Eier
Öl
Zum Servieren:
griechischen Joghurt
frische Granatapfelkerne
frisches Fladenbrot oder aufgeknusperte Tortilla-Fladen

So wird das Kuku Sabzi zubereitet


Die Kräuter unterhalb der Blätter kappen. Die aromatischen Stiele kann man kleinsthacken und kühl gestellt zum Würzen weiterer Speisen in den Folgetagen nutzen. In diesem Fall brauchen wir sie nicht. Den grünen Blättern nach und nach mit einem Hackmesser zuleiberücken und sie hauchfein hacken. Was geschreddert ist, fliegt erstmal in eine große Schüssel.

Auch die Frühlingszwiebeln in feine Ringel hacken, als hätte man ein Huhn mit ihnen zu rupfen – und ebenfalls in die Schüssel werfen.
Die Bockshornkleesamen fein mörsern, eventuell in einer kleinen Pfanne ohne Fett für etwa eine Minute auf mittlerer Hitze anrösten, bis sie zu duften beginnen. So oder so: In den zerhackten Kräuter-Dschungel streuen.
In dem landen auch die Eier, das Kurkuma-Pulver, das Backpulver, Salz, der frisch gemahlene Pfeffer. Alles gut vermengen. Es mag wirken, als sei’s zu wenig Ei, aber das ist ja vor allem dazu da, alles zusammenzuhalten. Nur so viel brauchen und wollen wir. Entsprechend gut vermengen sollte man aber.

Das ganze Gelumpe wird dann mit einer Gabel gründlich durchgepflügt, verschlagen, verrührt, während man im besten Fall einen ofenfesten Bräter (mit Deckel) mit einem dünn mit Öl überzogenen Boden ins Backrohr bugsiert und da auf der höchstmöglichen Schiene (ohne dass der Deckel mit Heizstäben kollidiert) bei 180° Celsius schonmal vorheizt. Das Ganze geht auch in einer Pfanne mit Deckel, wird im Ofen aber gleichmäßiger.
In jedem Fall: Deckel ab, Kräuter-Ei-Masse rein. Deckel druff. Rein in den Ofen. Höchstmögliche Schiene. Oder bei niedriger bis mittlerer Hitze auf dem Herd erhitzen. Der zirkulierende Dampf der erhitzten Kräuter dämpft und gart das Ganze. Nach etwa 8 bis 10 Minuten den Ofen kurz öffnen: Deckel ab. Ofen zu.
Dann nochmal ein bis zwei Minuten auf der höchsten Schiene im Ofen garen, um dem gestockten Ganzen etwas mehr Textur zu geben. In der Pfanne: Wer mag, kann einmal rasch wenden und nochmal eine Minute auf der anderen Seite braten. Kann aber herausfordernd sein, dass bruchfrei hinzubekommen.







Die fertig gestockte, zart röstaromatische Kuku auf ein Schneidbrett rutschen lassen und in Stücke zerteilen. Mit frisch aufgeknusperten Lavash-Fladenbroten, kurz gerösteten Tortillas, Joghurt und Granatapfelkernen servieren. Guten Appetit!




Wer statt eines Kräuter-Kukus übrigens lieber eins mit Auberginen möchte, das Lieblingsrezept des einstigen Großmoguls Humayun, wird hier fündig:
Musik zum Kuku Sabzi
Der, den sie Garni nannten und der vielleicht Alireza hieß, liebte heimlich die Dire Straits, das Gitarrenspiel von Mark Knopfler, besonders die frühen Alben. Und weil er immer wieder sowas wie Seemannsgarn erzählte, passt „Single handed sailor“ umso besser.
Während die jungen Wilden im Gartenidyll Pep schnupften und Garni seine Kuku zubereitete für den Grillabend, lief das legendäre Tool-Album „Ænima“. Hier „H.“, das mit seinen zart orientalisch anmutenden, verschachtelten Grooves vielleicht mit am besten passt, so fantastisch das Album durchweg ist.
Und dann ist da auf diesem Album ja noch der hoch seltsame Track, bei dem Sänger James Maynard Keenan zu kryptischen Gitarrenriffs in vergleichsweise lupenreinem Deutsch und wachsend dramatisch ein Haschkeks-Rezept skandiert… „Die Eier von Satan“…. und keine Eier!
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Unglaublich gerade habe ich auf meinem Blog ein Sabzi erwähnt,und schon postest du es 💚 und wie schön mal wieder
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das ist schon eine sehr besondere Verbindung!
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Kuku, wie lecker! Und die Geschichte umzu ist natürlich ebenfalls ein Fest. Herrlichst!
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Herrlichsten, leider etwas spät servierten Dank! Ganz liebe Grüße!
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