
Vielleicht hätte der König sich rechtzeitig Brandschutzvorschriften überlegen sollen. Vielleicht hätte auch Wulnikowski vor allem das mit dem Absinth sein lassen sollen. Oder zumindest etwas weniger davon in seinen Rachen kippen. Doch weil der Abend so vergnüglich lief hatten Ada und er sich genüsslich eine ganze Flasche davon reingeschraubt. Und irgendwann, draußen schlich die Dämmerung sich schon wieder ins Dunkel der Nacht, war er in Schlaf gefallen. Was folgte, war eine Achterbahnfahrt durchs Unterbewusste, oder durch was auch immer, aber was Wulnikowski träumte, war wild. Seine Fantasie bugsierte ihn in eine mittelalterliche Altstadt aus Knete, in der ein vollbärtiger König mit seiner Königin auf einem Eselkarren tanzte, mitten in einer schmalen Kopfsteinpflastergasse. Und, wie das im Mittelalter so war: König und Königin waren fast ungerührt, dass in ihrem Rücken eine Mondrakete zwischen den Fachwerkhäusern abhob. Nicht auszumalen, wie hier die ganze Stadt abfackeln könnte. Niemand lässt doch Raketen mitten in engen Altstadtgassen starten. Und das nicht nur an einer Stelle, sondern quer durch die Stadt.







Wenig später, niemand konnte herleiten, wie, stürzte Wulnikowskis Fantasie in einen Abgrund, kraxelte erst durch ägyptische Pyramiden, wo sich Schildkröten in verschneiten Katakomben eine Schneeballschlacht lieferten, türmten sich neben ihm plötzlich gigantische Wolkenkratzer auf, und überall, ja überall war die Welt mit Käse überbacken. Aus Pfannkuchen geschichtete Menschen saßen in Wohnzimmern aus Emmentaler.
U-Bahnen pflügten durch die kross überschmolzene Welt. Emmentaler-Bissen flatterten um blubbernde Fondue-Kessel, als hielten sie sich für Fledermäuse. Käsebrunnen sprudelten, Fäden hingen von Decken. Hummel- und Glühwürmchenschwärme brummten umher. Hier und da stapften Tomaten auf käsetriefenden Stufen umher. Taxis kurvten reifenschmatzend durch halbflüssigen Cheddar.
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Und plötzlich löste all der Käse sich auf. Wulnikowski fand sich im Kerzenschimmer düsterer Labyrinthe wieder. Wendeltreppen verschlungen ineinander, umgarnten sich, Feuerbälle schossen hoch, eine Rothaarige, vielleicht eine Zauberin, kletterte auf ein Podest in der Mitte. Überall labyrinthische Wendeltreppen. Oktoberfest-Kellnerinnen im Dirndl wuchteten Maßkrüge darüber. Er kletterte weiter und weiter, traf auf MacBeth, der von einem Feuervogel umflattert auf einem Thron Kakao trank. Kletterte weiter. Begegnete weiteren Hummelschwärmen. Immer wieder dieser rätselhaften Rothaarigen. Endlos schien dieses Labyrinth.
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Durch eine Seitenpforte gelangte er in einen Nebentrakt, der diesig voller Nebel hing. Völlig moosüberwuchert war, und eine Frau versuchte zwischen Schlingpflanzen und Lianen Glühbirnen zu tauschen. Er rannte weiter. Gelangte auf einen Schrottplatz. Da: Fast dasselbe Bild. Frauen, die zwischen rostigen Schraubenschlüsseln, verrottenden Lastern, Autos und Treckern unter Altreifenbergen Glühbirnen tauschten. Warum nur? Fragte Wulnikowski sich später.
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Doch schwemmten die Wellen des Unterbewussten ihn weiter. Ließen ihn dem Schwippschwager von Caspar David Friedrichs „Mönch am Meer“ begegnen, der an einem Strand in die Ferne blickte auf die Dampf- und Rauchschwaden eines gigantischen Kohlekraftwerks. Hier wollte er nicht bleiben. Doch das Gefühl, in ein Gemälde Caspar David Friedrichs gelangt zu sein, blieb noch eine Weile. Nun aber eher die „Abtei im Eichwald“, doch war hier alles übervölkert. Menschen, die Kameras zückten und knipsten. Touristen?





Er ging in die Ruine hinein, weil er von weitem ein Gehupe hörte. Lauter und lauter. Infernalisch. Und als er in die Ruine der Kathedrale hineinstieg, war sie über und über erfüllt mit dem größten Taxi-Stau, den ein Mensch sich denken konnte. Leuchtende Quallen, teilweise auch schwebende leuchtende Kühe erfüllten die Luft. Irgendwo draußen dröhten riesige Raumschiffe. Eins sah aus wie eine violette Ananas. Ein anderes versuchte eine Ruine in seinen Bauch zu ziehen. Was war hier nur los?
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Er versuchte, durch die Sakristei zu entkommen, wo Feen Line-Dance-Formationstanz übten, gelangte in ein plötzlich ganz in weiß getünchtes Nebenschiff, in dem ein Drache Feuer spie und ein in ein grünes Fußballtrikot gewandetes Walross in den Flammen Marshmallows briet.

Und er selbst? Träumte davon, dass es nichts Köstlicheres geben könnte, als jetzt eine Portion lila Kokosmilchreis mit Rotkohlsirup, Blaubeeren und gehackten Cashews zu essen. In immer neuen Formen erschien Wulnikowski sich selbst.










Als Wulnikowski nun also aus unruhigen Träumen erwachte, hatte er sich nicht verwandelt. Schon gar nicht in einen Käfer. Aber er fragte sich, ob er eigentlich noch alle hatte. Und, woher er denn jetzt bitteschön die Idee für Kokos-Milchreis mit Rotkohlsirup und Blaubeeren und gehackten Cashews bekommen haben könnte. Und dann entsann er sich, dass er genau solch ein Rezept im überaus spannenden Kochbuch „School of Taste: Veggie“des aus der Nähe von Heilbronn stammenden Lehrers Tobias Henrichs entdeckt hatte (unbezahlte, unbeauftragte Werbung aus privater Begeisterung).
Der Aromen-Abenteurer hat in diversen Fernsehshows schon Jurys mit seinen sehr besonderen, gewagten und raffinierten Kombinationen begeistert – so sehr, dass der große Tim Raue ihm für sein Buchdebüt sogar das Vorwort geschrieben hat. Anverwandelt hat es einen Teil eines Rezepts – Süßkartoffeln mit Birnen-Anis-Chili-Salsa – auf dieser Seite schon in Kombination mit Grünkohl, Feta und Spekulatius gegeben. Doch steckt sein Buch prallvoll mit Ideen, die abwegig erscheinen, ein wenig verrückt sind, aber famos schmecken und funktionieren. Mago-Rotkohl-Salat? Deftige Zwiebelsuppe mit Malz und Banane? Arme Ritter mit Aprikosensenf und Salbeisauce? Kiwi-Sorbet mit Petersilienwurzel und Rosa Pfeffer? Schalotten mit Käse-Tee-Sauce und Maracuja? Und oder Lakritze? Pekannuss-Eis mit altem Balsamico und Wacholder? Banane mit Avoc Spaghetti mit Apfel, Fenchel und Ziegengouda? Banane mit Avocado, Kräutern und Kräuterbonbons? Machbare Nummern, in denen der traumwandlerisch sichere Abenteurergeist der Sterneküche sich mit Hausmannskost mischt, die auch Wulnikowski nachgekocht bekommt. Und so ist das Buch auch für den Deutschen Kochbuchpreis nominiert worden, Ende vorigen Jahres.
Und während Wulnikowski im Nachklang seines irr-wirren Traums sich an einen Rechner setzte, um zu versuchen, die verrückten Bilder in seinem Kopf auch anderen zeigen zu können, gibt es hier das in Tobias Henrichs Buch versteckte Lila-Milchreis-Rezept. Seine lila Farbe behält der Rotkohl hier, weil er beim Kochen nicht mit Säure in Kontakt kommt (die färbt ihn rot). Wer es lieber blau möchte, kann sogar noch ein wenig Natron zugeben. Ins Gleichgewicht gerät das Rezept durch die zarte Säure der Blaubeeren am Ende.

Zutaten für den lila Milchreis mit Rotkohlsirup und Heidelbeeren
Für 42 Personen
Für den Sirup:
300 Gramm Rotkohl
2Teelöffel Butter
60 Gramm Zucker
2 Gewürznelken
1 Zimtstange
Für den Milchreis:
300 Gramm Rundkornreis oder Milchreis
700 Milliliter Milch
400 Milliliter Kokosmilch
4 Esslöffel Zucker
1 gute Prise Salz
Zimt/Kardamom (optional)
400 Gramm Heidelbeeren
2 Handvoll Cashews, gehackt

Wie bereitet man den Lila Milchreis mit Rotkohlsirup und Heidelbeeren zu?
Eine etwa 300 Gramm schwere Scheibe vom Rotkohlkopf abschneiden und danach zerkleinern.


Die Rotkohlschnitze mit dem Teelöffel Butter etwa fünf Minuten lang dünsten. Dann den Zucker zugeben und leicht karamellisieren lassen.



500 Milliliter Wasser, die Gewürznelke und den Zimt zugeben und offen so lange köcheln lassen, bis sich die Menge der Flüssigkeit auf weniger als die Hälfte verringert hat. Den Sud dann durch ein Sieb abgießen, die Flüssigkeit auffangen und beiseitestellen.

Für den Milchreis die Milch und die Kokosmilch in einem Kopf aufkochen, den Reis hineinrühren und das Ganze unter ständigem Rühren einmal aufkochen lassen, bei mittlerer Hitze. Ich für meinen Teil würze ihn gern noch mit Zimt und Kardamom, einem wenig Zucker dürfen und einer Prise Salz. Dann die Temperatur reduzieren und den Reis zugedeckt bei niedriger Hitze etwa 30 Minuten lang garen. Zumindest zwischendurch nochmal mit einem Kochlöffel drei oder vier Mal kräftig umrühren.
Zum Schluss den Rotkohlsirup einrühren, den lila Milchreis in Schüsseln füllen und Heidelbeeren drüberstreuen. Wer mag, streut für Crunch noch gehackte Cashews drüber – oder halbierte Haselnüsse (ich vertrage die leider nicht).



Musik zum Milchreis
Hier wird’s auch musikalisch lila. „Purple rain“ von Prince wäre der naheliegendste Treffer. Mir sagt „Purple haze“ von The Jimi Hendrix Experience aber mehr zu und passt auch besser zu den Verrücktheiten, die in diesem Traum und Text passieren.
Und dann gibt es noch ein ganzes Album obendrauf: „Purple“ von den Stone Temple Pilots.
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moin Ole, welche Phantasie, Wahnsinn. Dein lila Laune Milchreis liest sich ausgesprochen interessant und die Fotos dazu sind mega. Aber ich bin Spießer, Milchreis esse ich nur mit Zimt und Zucker, oder als Auflauf mit Mandelblättchen und Mandarinchen…. aber die Blaubeeren, die nehm ich auch.
Liebe Grüße, Karin
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Wow, den Milchreis stell ich mir großartig vor, der KANN NUR SCHMECKEN!
Grüße,
Gabriel
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das klingt geradezu psychedelisch, ich fühle mich an frühe Pink-Floyd oder Doors-Musik erinnert. Und paradiesisch käsig, hier gibt es doch Emmentaler an jeder Ecke
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Großes Kino, Applaus!
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Du bist ja ein richtiger KI Künstler, ich glaube ich mache mal bei Dir einen Lehrgang😀
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