
Am Tag, als Wulnikowski unter die Massenmörder ging, schmatzte der Boden unter seinen Gummistiefeln. Sogar die Tauben, die ihn außer sich vor Wut fluchen hörten, spürten, dass etwas anders war unterhalb der Dachrinne, von der aus sie das Treiben besahen. Für Mensch und Federvieh klar erkennbar schaubte da einer, den sie sonst nur als friedfertig kannten, vor Wut und trat eine Plastikgießkanne durch die Gegend. Von Ekel geschüttelt hatte er zuvor eine halbe Stunde lang geduscht und insbesondere seine Füße geschrubbt und geschrubbt, denn als er im Halbdunkel des Morgens im Flur seine Schlappen nicht gefunden hatte und barfuß in den Garten gegangen war, um noch schnell die Müllsäcke vor der Abfuhr an die Straße zu bringen, war er in gleich fünf Nacktschnecken getreten, die die Waschbetonplatten überschleimten. Ihre zerquetschten Leiber rupfte er – sich schüttelnd – von der Fußsohle. Warf schnell die Säcke vors Haus und duschte und duschte und duschte.

Und als er nach dem Frühstück an diesem Wochenende sich die Regenjacke überwarf, um sein Hochbeet zu besuchen, sah er, dass die braunen schleimigen Biester namens „spanische Wegschnecke“ auch die letzten Reste des liebevoll gepflanzten Pflücksalates gnadenlos vertilgt, die Tomaten über Nacht zu einem heillosen Gerippe zerfressen, den Thai-Basilikum vernichtet und auch sonst kaum Leben gelassen hatten. Leben und Leben lassen? Jetzt sollten die Unholde ihr Leben lassen. 73 verfressene Glitsch-Halunken auf grob einem Quadratmeter. Es war ja nicht so, dass er nicht erst zwei Abende zuvor fünf Dutzend schleimiger Killer aus den Rabatten geklaubt hatte, und am Abend zuvor auch. Er hatte sich im Baumarkt mit Eisen-III-Phosphat eingedeckt, falls auch mal eine Taube ein Körnchen pickt oder ein frei umherhoppelndes Kaninchen, auf dass die nicht auch dran glauben müssten, nur weil da braune Schleimer seinen Hass auf sich gezogen hatten und im Dunkel der Nacht Hunderte Eier versteckt unter der Erdkrume seines Hochbeets in den Boden gedrückt hatten – für noch mehr unerbittlichen Schneckenfraß.

Was tun gegen Schnecken, die schleimigen Schietviecher?
Bierfallen aufstellen? Dafür war Bier zu schade. Kaffeesatz hatte er schon seit Wochen im Hochbeet ausgekippt, aber noch nicht flächendeckend genug für die Unholde, anscheinend. Kupferbänder? Waren im Baumarkt ausverkauft. Wulnikowski nahm einen Stock und spießte die Viecher auf. Schnecken-Schaschlik. Zerquetschte sie. Zertrat sie, so sie über den Boden schleimten. Mit Sohle war ihm nun alles egal. Auch sein Karma, das womöglich plötzlich kippen könnte, nun, wo er plötzlich wutschäumend und hassbrodelnd zu morden trachtete, Killerkiller wurde. Einfach, weil er sich wirklich Mühe gegeben hatte beim Gärtnern, Geld in die Hand genommen, und weil diese nutzlosen Viecher sinnfrei einfach alles zerstörten, was sich für ihn fast ein wenig nach biblischer Plage anfühlte, so wenig er sich der Schrift sonst nah fühlte. Wär ich Schimmel, wär’ ich weiß wie ein Turnschuh, ein bisschen ähnlich ist es mit all den Schnecken. Irgendwann wirste kreidebleich. Auch Wulnikowski. Gut. Und manchmal karminrot vor Wut im Gesicht.

„Ist es nicht seltsam, dass bei uns ,Plage’ das zerstörerische Übermaß an etwas bedeutet, das Leben, Lebensqualität, Natur oder auch Nerven zerstört und vernichtet – mit mühseligen Folgen… und in Frankreich ,plage’ einfach der Strand ist? Wie viel lieber ich jetzt am Strand wäre. Da gibt es zwar Quallen, zumindest aber keine Schnecken – oder hat irgendwer im Sommer am Strand schonmal Schnecken getroffen?“, dachte Wulnikowski, murmelte es laut vor sich hin, und die Tauben gurrten und nickten oder pickten in der Regenrinne. Ein wenig, als stimmten sie zu. „Aber gut, hier ist umfahren ja auch das Gegenteil von umfahren.“ Überfahren würde er Schnecken jedenfalls auch, da war er sich sicher. Und er fauchte ein wenig „kill kill kill kill kill“ vor sich hin wie James Hetfield in „All within my hands“ auf dem Metallica-Album St. Anger, auf dem das Schlagzeug wie Feta-Blechdosen mit Plastikdeckel klang.
Und bei dem Gedanken bekam Wulnikowski Hunger. Aller Schneckenschleim hatte ihm die Lust aufs Ernten verdorben. Und er hatte – vor Schnecken sicher eingeschweißt und eingedost – noch Kichererbsen und Rote Bete im Haus. Und Feta. Woraus sich mit Feta gefüllte Frikadellen oder Falafeln oder irgendwas dazwischen basteln ließen. Die, um Kardamomjoghurt ergänzt wie in einem famosen Rezept von Anna Jones, taugte, um – außen knusprig, innen sämig-würzig, aromatisch raffiniert gewürzt und im feinen Kontrast von heißen Klopsen und kühlem Joghurt – den angewiderten Schauder abzuschütteln und durch Wohlgefühl zu ersetzen. Und ein wenig Kraft zu spenden für die nächste Schneckenjagd.

Zutaten für Rote-Bete-Bratlinge mit Feta und Kardamomjoghurt
Für die Bratlinge / Falafel / Frikadellen
1 Dose oder 1 Glas Kichererbsen (à 400 Gramm), abgetropft
250 Gramm geschälte, gekochte Rote Bete
2 TL Kreuzkümmelsamen
2 TL Senfsamen
2 EL gehacktes Koriandergrün
2 EL gehackte Petersilie
2 Frühlingszwiebeln, fein geringelt
abgeriebene Schale und Saft einer halben unbehandelten Bio-Zitrone
2 Eier (gern bio)
Salz
Pfeffer
125 g Feta oder Hirtenkäse
Mehl (optional)
Öl
Für die Joghurtsauce
150 Gramm griechischer Joghurt (10% Fett)
2 Kardamomkapseln / 1/4 TL Kardamom
abgeriebene Schale und Saft der anderen Bio-Zitronenhälfte
Salz
evtl. 1 Prise Zucker


So bereitet man die Rote-Bete-Bratlinge mit Kardamom-Joghurt zu

Kichererbsen abtropfen lassen, für etwas spannendere Konsistenz einen gehäuften Esslöffel beiseitelegen. Den Rest in einer Küchenmaschine oder einem hohen Glas mit einem Pürierstab glatt pürieren. Die Paste in eine Rührschüssel geben. Die restlichen Kichererbsen mit einer Gabel zerdrücken und ebenfalls in die Schüssel bugsieren.

In einer Pfanne die Senf- und Koriandersamen mit etwas Öl auf mittlerer Hitze anbraten, bis die Senfkörner hüpfen und das Ganze wohlig duftet. Auch damit: hinein in die Schüssel!
Die Rote Bete raspeln oder ebenfalls in der Küchenmaschine/mit dem Stab pürieren. Ausdrücken, um überschüssige Flüssigkeit loszuwerden. Die Kräuter kleinhacken, die trockenen äußeren Strünke der Frühlingszwiebeln abziehen, den Wurzelansatz wegschneiden, den Rest fein ringeln. Von der Zitrone die Schale in Zesten abreiben, danach den Saft auspressen. Je die Hälfte von beidem hinzugeben. Ein paar Minuten ziehen lassen.

Die gesamte Masse mit der flachen Hand nochmal ausdrücken und die austretende Flüssigkeit abgießen.
Die Eier hinzugeben und je nach Restfeuchtigkeit und Größe der Eier eventuell auch noch ein klein wenig Mehl. Das Ganze mit Salz und Pfeffer abschmecken (nicht zu offensiv salzen, der Feta oder Hirtenkäse bringt ja zusätzliche Salzigkeit).


Den Feta oder Hirtenkäse in kleine Würfel schneiden. Dann die Rote-Bete-Kichererbsen-Masse um den Würfel schmiegen und zu einer Kugel rollen. Immer und immer wieder.

Öl in der Pfanne erhitzen auf mittlerer Stufe. Die Klopse hineinbugsieren (nicht zu viele auf einmal, damit das Fett nicht zu stark verwässert und Ihr die Dinger eher kocht als bratet). Vier bis fünf Minuten warten, bis die Unterseite gut aufgeknuspert und fest geworden (aber nicht steinhart) ist. Dann wenden. Wer zu früh wendet, riskiert, dass die leckeren Teile zerfallen.

Unterdessen die Kardamomkapseln öffnen die Körnchen feinmörsern und zum Joghurt geben (oder einfach den gemahlenen Kardamom), die andere Saft- und Schalenabriebhälfte hinzufügen und mit Salz abschmecken. Falls es zu sehr ins Säuerliche spielt: mit einer Prise Zucker kontern.
Wer mag, kann frisch aufgeknusperte/gebackene Naan-, Chapati- oder Fladenbrote dazu servieren und oder Salat. Beispielsweise den Gurkensalat mit Feta, Granatapfel und Cranberry-Minz-Dressing, den scharfen Erdnuss-Wassermelonen-Salat mit Limetten, Chili und Sumach oder Pflücksalat mit Orangen, Blaubeeren, Parmesan und Zaubermarinade.

Musik zum Menü
Spanische Wegschnecken sind Monster, von denen Gartenbesitzer sich durchaus bedroht fühlen können. Da passt „Monster“ von Käptn Peng & Die Tentakel von Delphi wie aufs Auge, oder?
Angesichts wüster Fraßschäden mag man Schnecken anbrüllen und ihnen „Danke für alles!“ ins Gesicht pfeffern – wie im wildschön rotzigen Songjuwel der fantastischen österreichischen Band „Endless Wellness“, deren neues Album für mich bislang die musikalische Entdeckung des Jahres ist.
Und wenn der Schaum vorm Mund quillt vor Wut und alles „Killkill kill kill, kill!“ im Körper dröhnt, war das hier vielleicht die Vorlage:
Musikalisch ein Denkmal gesetzt haben ja die Smashing Pumpkins der Schnecke mit „Snail“ auf dem famosen „Gish“.
Snail, Smashing Pumpkins? Kann man auch umdrehen. Denn die famose Snail Mail hat den großen Klassiker „Tonight, Tonight“ der Pumpkins gecovert.
Und nicht wenige zählen ja Abend für Abend, wie viele Schnecken schon wieder ihre Hochbeete befallen (und sie danach dann abgemurkst) haben. Da passt auch „Body Count“, oder?
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Mörderisch köstlich, auf jeden Fall!😋
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lecker, lecker, sehen die Bratlinge aus.
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Hach, das ist ja köstlich wie du den Bogen von den schleimigen Schnecken zu den Köstlichkeiten aus Rote Bete (Beete) gekriegt hast, dabei habe ich fast vergessen, dir zu erzählen was ich damals mit den Schnecken gemacht habe, die meinen neu angelegten Schattengarten zerfressen wollten…
Dabei habe ich gelernt, warum sie Spanische Weg Schnecken heißen, haha die Autokorrektur hat’s verstanden 😉
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Ein paar Jahre war Ruhe und ich hatte schon gehofft, dass die Schnecken in meinem Garten ausgestorben wären – aber dieses Jahr wurde ich eines Besseren belehrt. Die haben innerhalb weniger Nächte meine ganzen roten Bete abgemampft. So kann ich das Rezept gar nicht nachmachen (zumindest nicht mit eigenen…). 😉
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