
Also eigentlich war der Wolferl ja in Kur. Nicht so richtig auf Rezept, sondern mehr so: freiwillig gezwungenermaßen. Weil der Arzt hat gesagt, der Blutdruck, der macht nimmer lang mit, und das Herz sowieso nicht, wenn er sich weiterhin nur von Rahmgulasch und drei Viertel Rotem pro Tag ernährt. Jedenfalls hat er sich gedacht, Spanien ist gesünder als Simmering. Na ja, und dann ist der Wolferl aber aus dem Sanatorium ausgebüxt, weil die Linda hat ihn bei den Massage-Anwendungen durchgewalkt als wär’ er ein Germknödelteig, und bei der kardiologischen Wandergruppe ist er dann einfach im Wald zum Pinkeln verschwunden. Wie zum Zigarettenholen und nie wiederkommen. Und ist zurück zum Parkplatz und einfach davongebraust.
Man will ja auch was vom Land sehen, und da landest du als Wolferl irgendwie in der mittleren Pampa von Extremadura, weiß Gott, wie. Und draußen ist es so heiß, dass selbst die Olivenbäume müde dreinblicken. Hundemüde. Und dann kam erst lange nix, und dann Talaván. So ein Ort, wo die Kirche aussieht, als hätte ein Fleischer einem Kaninchen eins mit dem Holzhammer über den Kopf gesemmelt, und wo sogar die Gottverlassenheit gesagt hat: „Mir wird das hier zu blöd.“ Und wo vor 50 Jahren noch doppelt so viele Menschen wie heute gelebt haben. Jetzt nicht dass Du glaubst, Serienmörder. Landflucht.
Talaván! Wenn man den Namen lang genug kaut, klingt er wie ein zu trocken gebackener Kuchen mit viel zu viel Rosmarin. Ein Ort, der sich anfühlt, als hätte man das Jahr 1963 in einen alten Peugeot geladen, ihn in die Zeitmaschine geschoben, ein bisschen Ziegenmist drübergestreut, Olivenöl draufgeträufelt und dann mitten im Nirgendwo Kofferraumklappe auf: Raus mit Dir. Steinige Straßen, Männer mit Gesichtern wie getrocknete Datteln. Kein Meer, keine Touristen, nicht einmal so richtig Häuser, sondern nur so viereckige Klötze, Dächer rot wie Wassermelonenfruchtfleisch, wo du nicht weißt, wohnen da jetzt Menschen oder Ziegen.
Zu Gast beim verschrumpelten Feigenkaktus
Draußen flimmert die Straße wie ein Lügenbarometer. Und während der Wolferl da also sein eigenes Denken kaum noch hört, weil sein Magen so laut knurrt, und er seine Füße übers staubige Trottoir schleift wie diese Blechschachteln, die Kinder früher an Bindfäden hinter sich hergezogen haben, entdeckt er an einem dieser eierstichfarbenen Klötze ein kleines Schild: „Venta“. Die sah eher aus, als hätte man eine Mopedwerkstatt aufgelöst und sich gedacht: „Na gut, dann halt jetzt Gastronomie.“ So ein Bau aus bröseligem Putz, mit einem Pepsi-Schild, das die Sonne längst so ausgebleicht hat, dass es jetzt mehr an eine vergilbte Zahnarztbroschüre erinnert. Und drinnen ist es finster, also nicht richtig finster, sondern mehr so staubig-grau-vergilbt, wie wenn man durch alte Gardinen atmet.
Und da ist er dann einfach reingegangen, weil sein Hirn zwischen allem Magengeknurre zumindest ganz kurz zu Wort gekommen ist und sich dann auf die Schnelle gedacht hat, „wenn I schon sterb’, dann vielleicht mit einem vollen Bauch“. Und der Wirt, ein uralter Hund mit einem Gesicht – weniger getrocknete Dattel, eher verschrumpelter Feigenkaktus -, der sagt: „Solo el menú del día.“ Kein „Hóla“, kein „Wie geht’s“, kein Garnichts. Aber der Wolferl, der ist ja gewohnt, dass man ihn nicht unbedingt mit offenen Armen empfängt. Er nickt also nur und setzt sich.
Und plötzlich überall Uschi
Und dann kommt diese Vorspeise. Du erwartest irgendwas Trockenes mit Brot vielleicht, oder Tomaten mit zu viel Essig, du kennst das ja. Und dann kommt es anders. „Ensalada de naranjas“, brummelt der Bär von Kerl mit seinen Armen wie aufgeblasene Erdnüsse. Und dem Wolferl fällt im ersten Moment nicht viel mehr ein als: „Was zur Hölle?“ Weil was soll das denn für ein Salat sein?
Weil das war vielleicht ein Haufen. Nicht irgendwie, sondern angebraten, leicht kross, und es dampft noch so ein bissl, als ob es sich auch nicht sicher ist, was das jetzt soll.
In Scheibchen gesäbelte Orangen.
Knoblauchfitzelchen, so braun und knusprig, dass er beim Draufbeißen ein Geräusch macht wie Kiesel unter Reifen.
Und dann darauf kross gebratene Chorizo, scharf wie die Uschi, die Ehefrau vom Bezirksinspektor, mit der der Wolferl mal heimlich, wie auch immer…
Und in der Mitte ein Spiegelei.
Ein Spiegelei.

Und das hat den Wolferl mit seinem Dotter angeglotzt, als wüsste es alles über die Sache mit der Uschi. Auch die Sachen, die er selber lieber vergessen hätte.
Der Wolferl hat sich diesen Haufen angesehen und hat gedacht, der Wirt hat’s auf ihn abgesehen. Und vielleicht kurz vorher Anruf von der Klinik, falls der Wolferl vorbeikommt. Man weiß ja nie. Fürs Erste hat der Wirt sich nichts anmerken lassen. Zur Tarnung nur kross geröstete Sauerteigbrot-Scheiben nachgereicht.
Und der Wolferl denkt noch kurz bei sich, dass der verschrumpelte Feigenkaktus von Wirt den Verstand verloren haben muss, weil wer zur Hölle kombiniert sowas? Das war ja fast wie als er bei der kleinen Tochter von der Schneider-Gertl Wiener Würstl mit Erdbeerjoghurt probieren sollte, weil die das so liebte. Aber interessant: Der Wolferl dann mit der Gabel erstmal ins Ei gepiekst, weil von so einem Dotter lässt man sich nicht gern länger anglotzen. Schon gar nicht, wenn es das mit der Uschi weiß. Und das flüssige Eigelb dann beleidigt in den Orangensaft geflossen. Und dann war’s das mit dem Denken aber auch wieder, und der Wolferl hat nix mehr gehört, weil sein Magen wieder einen Heidenlärm gemacht hat. Und dann beißt er einfach rein.
Und dann hatte gar nicht der Wirt den Verstand verloren, weil andersrum Verstandsverlust Hilfsausdruck. Weil dem Wolferl die Sinne übergingen vor Begeisterung, und der Haufen Salat war eine verrückte Orgie der Kontraste. Kross-zart, fruchtig-deftig, Die Orange bricht auf in süße, spritzige Zitrusnoten – fast verspielt – und im nächsten Moment kommt diese Chorizo angeschossen wie ein wütender Stier in einer scharfen Knoblauchwolke. Die Limette sticht. Die Petersilie – oder was auch immer dieses kleine grüne Zeug war – tanzt darüber. Und dann das Eigelb. Warm. Wachsweich. Passt da eigentlich rein wie ein eckiger Klotz ins runde Loch beim Bauklotzspiel, denkt man. Aber denkste. Und in dem Moment, wo sich das Ei mit der Orange verbunden hat – also diese Süße und die Säure und das Fett und der Knoblauch und überhaupt – in dem Moment hat der Wolferl gewusst: Der Wirt hat’s wirklich faustdick auf ihn abgesehen.
Weil sowas serviert man niemandem ohne Hintergedanken. Sowas serviert man, wenn man will, dass wer bleibt. Oder stirbt. Aber wenn das, dann Eins A Henkersmahlzeit. Mit Sternchen. Und knusprigem Sauerteigbrot zum Sauce auftunken. Und der Wolferl? Der hat alles aufgegessen. Natürlich. Weil, auch wenn er nix mehr glaubt, ans Wegschmeißen von gutem Essen hat er nie geglaubt. Und als er dann zahlen will, sagt der Wirt nur: „Está pagado.“ Und der Wolferl? Der sagt nix. Weil das ist genau das Problem: Immer wenn er sich was denkt, ist’s meistens schon zu spät. Obwohl er jetzt wieder gekonnt hätte, wo der Magen fürs Erste wieder Schweigegelübde abgelegt hatte. Und so ein bisschen hat der Wolferl dann doch mal wieder an die Uschi gedacht. Und nochmal an den seltsamen Salat, der dich zuerst verwirrt, dann verführt, und dann verändert. Und wenn er später nochmal an Talaván denken wird, dann weiß er: In Talaván – diesem staubigen Nest irgendwo zwischen Nichts und Nirgendwo – küsst das Schwein die Orange. Und sie meinen es ernst.

Zutaten für den Orangensalat mit knuspriger Chorizo und Spiegelei
für zwei Personen
1 Bio-Limette
3 Bio-Orangen
6 EL Olivenöl
100-200 Gramm frische Chorizo, in Würfel geschnitten (als vegane/vegetarische Variante bieten sich etwa knusprig gebratene Artischockenherzen an)
4 Knoblauchzehen, in feine Scheiben oder Fitzelchen geschnitten
2 Bio-Eier (die lässt man als Veganer gern weg)
Meersalz und frisch gemahlener schwarzer Pfeffer
Zum Servieren
Filigranes Grünzeug, seien es Microgreens, die José Pizarro empfiehlt, etwa von Amaranth, Erbse oder Radieschen, oder kleingezupfte frische (Zitronen-)Thymianblätter oder feingehackte Petersilie
geröstetes Sauerteigbrot
vielleicht ein paar winzig geschnitzelte entkernte Datteln
vielleicht frische Granatapfelkerne

So wird der Orangensalat mit krosser Chorizo und Spiegelei gemacht
Das Rezept beschreibt der Sternekoch José Pizarro, der aus Talaván stammt und in England riesige kulinarische Erfolge feiert – in seinem wundervollen, zurecht mit dem Deutschen Kochbuchpreis in Gold ausgezeichneten Werk „Die spanische Landküche“ (Werbung ohne Auftrag, Buch selbst gekauft). Das Rezept selbst, das José Pizarro hier beschreibt – er möge mir das Gefrotzel über sein Heimatdorf verzeihen -, stammt ihm zufolge aber aus „Las Hurdes“, einem kleinen idyllischen Mittelgebirge im Norden der Extremadura, gute 120 Kilometer nördlich von Talaván, am Rande der „Sierra de Gredos“.
Er selbst schreibt: „Als ich Freunden von diesem Rezept erzählte, bezweifelten sie, dass es wirklich schmecken würde. Heute sind sie davon begeistert! (…) Häufig wird es einfach ensalada de naranja – genannt, „Orangensalat“, was den anderen Zutaten gegenüber nicht gerade fair ist, denn zusammen ergeben sie ein wunderbares Gericht. Wenn Ihnen danach ist, können Sie gleich mehr Chorizo braten als im Rezept angegeben. Schließlich macht sie irgendwie süchtig …“
Und wie geht das Ganze jetzt? Ganz einfach!
Eine Salatschüssel bereitstellen. Die Schale der unbehandelten Limette (und falls Ihr unbehandelte Orangen ergattern könnt, auch davon) mit einer Reibe oder einem Zestenreißer abschrubbeln. Dann die Zitrusfrüchte sorgfältig schälen und in Scheiben schneiden – oder, edler noch, filetieren.

Die Chorizo ebenfalls in Scheiben schneiden und in einem kleinen Glucks Olivenöl bei mäßiger Hitze von allen Seiten knusprig brutzeln. Aus der Pfanne nehmen und auf einem Teller beiseitestellen, um im Chorizobratfett den Knoblauch in der heißen Pfanne eine Minute lang knusprig zu braten. Er darf danach noch abseits der heißen Platte oder Flamme noch ein wenig im Öl ziehen und es aromatisieren.

In einer zweiten Pfanne derweil die Spiegeleier zwei Minuten lang auf hoher Stufe braten, bis die Eiweiße gestockt, am Rand knusprig und die Eigelbe noch nicht komplett gestockt. Eventuell etwas heißes Öl über die Eigelbe träufeln, damit sie
Das restliche Öl in einer Pfanne mit Antihaftbeschichtung auf hoher Stufe erhitzen und die Eier darin 2 Minuten braten, bis die Eiweiße am Rand goldbraun und schön kross sind, die Eigelbe aber noch nicht vollständig gestockt sind. Pizarro empfiehlt: „Etwas heißes Öl aus der Pfanne über die Eigelbe träufeln, damit sie gerade eben stocken.“ (Ich habe mir das gespart, war auch so gut).
Zum Servieren einige Scheiben Sauerteigbrot rösten oder toasten, derweil die Chorizo mit den Zitrusfruchtschnitzen mischen, die Chorizo unterheben und nen Schluck des Chorizobratfettknoblauchöls darübergeben. Mit Salz und Pfeffer abschmecken, vielleicht noch Dattelschnitze und Granatapfelkerne und winziges Grün als schmackhafte Deko darüberstreuseln. Ob man nun die Eier vorher in Stücke schneidet, auf dass das Eigelb sich mit dem frischen Zitrusfruchtsaft und dem Knoblauchöl zu einer spannenden Sauce verbindet, oder ob man sich den Spaß auf dem Teller vorbehält: Lirum larum.

Die Spiegeleier auf die Zitrusfrüchte heben, die Chorizo darauf verteilen und mit etwas Knoblauchöl beträufeln.
Vor dem Servieren mit Salz und Pfeffer verfeinern. Mit den Microgreens garnieren und mit geröstetem Sauerteigbrot servieren. Zum Verzehren am besten die Eier in Stücke schneiden und alle Zutaten vermengen, sodass sich das Eigelb mit den Zitrusfrüchten und der fettreichen Chorizo verbindet. ¡que te aproveche!
Musik zum Menü
Oh wie dem Wolferl dieser Salat gemundet hat – und mir auch. Auch wenn ich mir durchaus vorstellen kann und auch schon erlebt habe, dass Menschen dabei das Gesicht verzogen haben voller Abscheu, verschrumpelte Datteln Hilfsausdruck. Aber der Wolferl hätte dem Salat auch gut und gern „Me gustas tú“ zuflüstern können. Und da wär’s dann direkt passend gewesen, hätte der Wirt Manu Chao aufgelegt.
Und wenn wir schon bei spanischer Musik sind, dann darf auch eine der live mitreißendsten Bands, die ich je erlebt habe, nicht fehlen (die auf Platte leider allzu oft relativ blutleer klingt): Crystal Fighters, 2013 beim Appletree Garden Festival in Diepholz erlebt und völlig aus den Socken gehauen. Hier für Euch: „Champion Sound“.
Und wenn Spanien, dann auch eine bis heute viel zu unbekannte Band aus Madrid, deren Hymnen viele viele Partys meiner Studienzeit beben lassen haben: Dover. Hier mit dem großen Hit „King George“.
Aber wenn schon Orangensalat, dann darf die auch nach etwas klingen. Beispielsweise so unverschämt bluesig und rumpelig wie bei der Jon Spencer Blues Explosion: Orange!
Orangen können natürlich auch deutlich feiner klingen, mit feiner Klinge komponiert wie bei den wundervollen Big Thief.
Was mit der Orange am Hut hatte eventuell auch Frank Ocean. Zumindest hat er sein bahnbrechendes R’n’B‘-Album „Channel orange“ genannt. Und daraus kriegt Ihr „Crack rock“.
Und weil sieben ja eine magische Zahl sein soll und in diesem Orangensalat schon eine krude Magie steckt, serviere ich Euch zum Abschluss noch die feinen Mt. Joy mit „Orange blood“.
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