
„Laß in den Tiefen der Sinnlichkeit
uns glühende Leidenschaften stillen
in undurchdrung’nen Zauberhüllen
sei jedes Wunder gleich bereit“
(Goethe, Faust I)
Das unbezähmbare Verlangen packte plötzlich zu, wie aus dem Nichts brodelte es auf, flutete den Körper mit Genussgier, schäumte über: Karamellsauce. Auf Eis. Jetzt. Und wenn nicht jetzt, dann aber dalli. Draußen kübelten bleigraue, schwere Wolken Regenmassen auf das Land. In den Nebenhöhlen drückte Schnief. Der Gedanke an Eis überrascht da, aber: Karamellsauce! Das macht bestimmt auch wieder gesund – wobei: Es war zu spät am Abend, um noch welche zu kaufen. Zumal erkältet durch Sintfluten hetzen auch keine schlaue Idee ist. Nicht einmal für Karamellsauce.
Nun ist Karamell etwas, das mich von jeher mit vorsichtiger Ehrfurcht erfüllt hat. Zu oft habe ich von Pfannen gehört, die am Ende frustriert in Mülleimer gepfeffert wurden, weil die Zuckerpampe schon leiseste Unachtsamkeit bestraft hatte und nicht nur rabenschwarz verkohlt war, sondern auch noch fester als Bauschaum am Pfannenboden pappte und jeder Antihaftbeschichtung eine lange Nase drehte. Aber binnen Momenten schnappte das Verlangen sich die Vorsicht, warf sie über die Klippe und raunte: „Bange machen gilt nicht, weil: Karamellsauce!“ Und zwar eine, die am besten ein bisschen nach Ferne, nach Erinnerungen an Palmenstrände unter südlicher Sonne, nach Sri Lankas Südküste schmeckte. Mit Kardamom und gehackten, karamellisierten Cashewkernen.
In einem meiner Kochbücher, dem wundervollen „The flavor equation“ von Nik Sharma (S. 323f.), fand ich, wonach ich suchte.
Und ich lernte, dass ein wenig Weinstein-Backpulver, der schmurgelnden Masse hinzugefügt, verhindert, dass das Karamell nach dem Abkühlen kristallisiert. „Auf ins Abenteuer, wagen wir es“, sagte ich – und legte los.
60 Milliliter Wasser
200 Gramm Rohrohrzucker
1/2 TL Salz und
1/4 TL Weinstein-Backpulver
habe ich in eine Pfanne gegeben, die Platte auf mittlere Hitze gestellt und dann mit einem Schneebesen begonnen zu rühren. Leidenschaftlich, pausenlos, minutenlang. Sehnscheidenentzündungen riskierend. Aber ich wollte mich vom Karamell-Dämonen nicht bezwingen lassen. Ganz langsam, aber stetig loderte die Glut im Zucker auf, und es begann zu brodeln. In entsprechend schnelleren Schwüngen wirbelte ich mit dem Schneebesen durch die heißer werdende Masse, die allmählich aufschäumte und Blasen schlug. Die Verwandlung in Karamell vollzog sich vorerst nur unmerklich. Aber das Glück kommt zu den Geduldigen. Ich widerstand der Versuchung, die Temperatur hochzuregeln, denn schwarze, angebrannte Pampe sollte mir nicht ins Haus kommen. Ich schlug weiter unbeirrt Zuckerschaum in konzentrischen Kreisen – so, dass auch die äußeren Ränder der Pfanne nicht als Schlingel der klebrigen Umklammerung des Zuckers vorschnell nachgaben und festpappten. Nach etwa zehn Minuten dann geschah die Verwandlung allmählich, dem Rohrohrzucker stieg die Hitze zu Kopfe, aus mildem Beige wurde kraftvolles Braun. Um das Knistern zu vergrößern, habe ich zwei Handvoll Cashewkerne feingehackt und im zähklebrig-heißen Gebrodel mitspielen und karamellisieren lassen.

Vor dem ultimativen Überschäumen und Glutbersten des immer wilder brodelnden Gemischs habe ich es flugs von der Pfanne gezogen. Dann die goldene Hitze mit einem guten halben Becher behutsam einmassierter Schlagsahne etwas abgekühlt, dem Ganzen mit einem gestrichenen Teelöffel Kardamom neue Würze gegeben und es mit etwa 50 Gramm kalter, gewürfelter Butter cremig gerührt und sanft entspannen lassen.
Ein wenig spannte ich meine Geduld noch auf die Folter, denn verbrannte Zungen helfen niemandem, und Eis, das sofort in flüssigen Brei zerschmilzt, ebensowenig. Nach etwa einer Viertelstunde Abkühlzeit aber war es dann soweit (wer das Ganze beschleunigen will, kann die Karamellsauce auch in einer Metallschüssel in einem mit Eiswasser befüllten Topf schneller kühlen. Flüssiger Stickstoff geht natürlich noch schneller, aber den hat ja sowieso fast niemand zu Hause, und es sollte ja bitteschön schon noch warm sein). Auf einem Schälchen mit ein paar frischen Blaubeeren angerichtet, ein wenig (gekauftes) Stracciatella-Eis drapiert, mit den goldenen Wonnen der Karamellsauce übergossen und etwas Cashew garniert. Sundae on a weekday. O himmlischer Genuss.

Musik zum Dessert
Um die überbordende Sinnlichkeit, während die Dessertsauce hochkocht und aufbrodelt, auch musikalisch aufzufangen, liefert Chet Faker mit „Release your problems“ einen möglichen passenden Soundtrack dazu.
Weil das Ganze aber natürlich auch eine spaßige Sache ist, kann man alternativ das Ganze auch mit einer nahezu unbekannten japanischen Band garnieren, die heißt wie das, was am Ende rauskommt: Fudge.
Alleine die Fotos verlocken dazu, das zu machen, weil ich es unbedingt essen will. Dein Text, wie immer phantasievoll und lyrisch, tut ein übriges. Muss es Weinstein sein oder tut es auch normales Backpulverder Natron?
LikeGefällt 1 Person
Mein Lieber, ich wollte beizeiten Freunde von mir mal fragen, die Lebensmittelchemiker sind – auf dass die mir mal genauer erklären, wie das zusammenhängt und was da passiert. Ich weiß es noch nicht. Nik Sharma schreibt übersetzt: „Weinstein verhindert die Kristallisierung, indem es Sukrose „invertiert“, und es zerfällt in Glukose und Fruktose, was die Kristallbildung unterbricht.“ Es scheint schon um Tartrat, was ja in Weinstein/Weinstein-Backpulver ist, zu gehen. Aber Genaueres weiß ich auch (noch) nicht.
LikeLike
Ach so, und tausend Dank für die lieben Worte!!!
LikeLike
Ich will Karamellsoße. Jetzt. Sofort. OK, zeitnah!
LikeGefällt 1 Person
Hier ist sie leider aufgefuttert. Sonst hätte ich Dir – jetzt. Sofort. Ok, zeitnah – was abgegeben. Aber mit dem Rezept hier könntest Du Dir welche machen. 🙂
LikeLike
Das sieht wirklich phänomenal aus und ich liebe es, deine Texe zu lesen 🙂 Den Song von Chet finde ich ab 1:00 saugut 🙂 (Vorher würde ich Gefahr laufen, einzunicken und mir den Dessertlöffel ins Auge zu stoßen.) So ein schöner Blog!
LikeGefällt 1 Person
Es stimmt, die Nummer kommt ziemlich schleppend aus den Puschen. Ich werde die Plattenfirma anschreiben und bitten, Warn-Aufkleber auf die CDs zu drucken, dass man den Titeltrack der Scheibe bitte nur mit diesen Chemielaborbrillen hören soll, damit nicht plötzlich ein Dessertlöffelstiel die Pupille am Gucken hindert. 🙂
LikeLike
Und, das soll in keiner Weise untergehen: Du tust was für meine Gesichtsdurchblutung! Tausend Dank!
LikeLike
😂😂😂 Geiler Blog, geile Bilder und gute Musik.. Ok, Ok überzeugt, ich komme zum Essen😉
LikeGefällt 1 Person
Donnerknispel, Du tust was für meine Gesichtsdurchblutung! Und: Ich freu mich drauf! Danke! 🙂
LikeLike
😅😅
LikeGefällt 1 Person