Futtern mit Freunden, Teil 1: Mit Ria aus Halle mit jüdischem Gebäck in der Hand auf den Spuren von Woody Allen in New York.

Coronabedingt haben viele von uns viele ihrer Freunde seit Langem nicht mehr persönlich getroffen und besuchen können. Dies ist der erste Teil meiner Serie „Futtern mit Freunden“, bei der Menschen, die mir am Herzen liegen, ihre Lieblingsrezepte und Geschichten drumrum erzählen – auf dass man selbst das Essen nachkochen und man sich darüber nah sein und vorstellen kann, gemeinsam zu essen und quatschen – auch wenn es aus anderen Gründen gerade nicht geht.
An einer belebten Kreuzung der Lower East Side in Manhattan, dort, wo fünfgeschossige Backsteinklötze aus dem 19. Jahrhundert mit frei hängenden Feuerleitern von gigantischen Glas-Wolkenkratzern überragt werden, hat Ria ihrer großen Liebe nachgespürt. Dort, wo einst aschkenasische Juden aus Osteuropa das Straßenbild prägten, schieben sich heute Automassen über den Asphalt. Und dort kauert sich ein kleines Lädchen ins Erdgeschoss eines alten Hauses – als eins der wenigen Überbleibsel dieser Zeit. Im Schaufenster drängeln sich faustdicke Teigklumpen dicht an dicht auf Backblechen. Es ist die Bäckerei, die der aus Rumänien eingewanderte Jude Yonah Schimmel Ende des 19. Jahrhunderts aus der Taufe hob, als er zunächst mit einem Handwagen voll frisch gebackener Knishes, so heißen die Teigkissen, durchs Viertel stromerte und sie feilbot.

Diese knusprigen Köstlichkeit umhüllt in der Regel ein Strudelteig eine Füllung aus Stampfkartoffeln oder Kascha (Buchweizengrütze) mit Zwiebeln. Und ihr huldigte vor zwölf Jahren der große Filmregisseur Woody Allen in seinem Streifen „Whatever works“. Woody ist eine der großen Lieben in Rias Leben, auf den Spuren seiner Streifen streifte sie vor drei Jahren dank ihres Freundes Henning durch New York, und dabei besuchte sie auch Yonah Schimmels „Knishery“. Im Film schlurfen der ehemalige Physikprofessor Boris Yellnikoff (Larry David) – kurz zuvor ist er daran gescheitert, sich umzubringen – und sein junger Schwarm Melody (Evan Rachel Wood) in eben diesen Laden, um sich einen faustdicken Klumpen auf die Faust geben zu lassen.
Und es heißt, kein Bürgermeister sei in New York in den vergangenen fünfzig Jahren gewählt worden, ohne mindestens einmal mit einem heißen Knish von Yonah Schimmel in den Pfoten für ein Foto posiert zu haben. Seit 1910 sitzt die wie ein schmaler Schlauch ins Innere ragende kleine Bäckerei nahezu unverändert in der 137 East Houston Street, im Schaufenster hängt sogar ein kleines verblasstes Foto des Regisseurs und der Filmszene.

Als sie ihr Herz an Woody Allen verlor, erkannte Ria nur wenig, und ihre Wahrnehmung war – technisch – getrübt. Man könnte sogar sagen, sie sei ihrer großen Liebe dank ihrer Fernbedienung begegnet. Nur schemenhaft erahnte sie die Bewegungen der Figuren, das Bild war verschlüsselt, als sie 16-jährig gelangweilt in den Schulferien in Halberstadt umherzappte und beim Bezahlsender Premiere landete. Aus den Boxen ihres Fernsehers schwirrte der Satz: “Da ist doch dieses junge Mädchen in meiner Vorlesung. Von der stammt eine fabelhafte Kurzgeschichte: Oraler Sex und das Zeitalter der Dekonstruktion.“
Die Skurrilität des Satzes schlug sie in Bann, fesselte sie so sehr, dass sie dem bilderlosen Film als Hörspiel bis zum Ende folgte. Kurze Zeit später hörte sie sich beim selben Sender gleich mehrfach „Alle sagen I love you“ an und schlug sich fortan regelmäßig die Nächte um die Ohren, weil der Sender zwischen 2 und 4 Uhr morgens alte Filme von Woody Allen zeigte.
Ein Vierteljahrhundert später stehen alle Filme des Regisseurs auf DVD in einem Regal. Sie selbst lebt etwa 100 Kilometer südöstlich von Halberstadt in Halle an der Saale, und gegenüber eines silbernen Sitzsacks in ihrem Wohnzimmer, dem „Koningsberg-Tempel“, prangt Woody auch auf einem riesigen Poster an der Wand über dem Fernseher und blickt sie durch dicke Brillengläser an. Als ich kürzlich angekündigt habe, „Futtern mit Freunden“ aus der Taufe zu heben, war Ria Feuer und Flamme und erzählte direkt: Würde ich zu ihr zum Abendessen kommen, gäbe es genau diese Knishes in Erinnerung an Yonah Schimmel zu essen. Mehr noch, sie legte selbst los, schoss Fotos und buk – sodass diesmal alle Fotos von ihr sind. Und sie machte sich auch die rührende Mühe, ihre Geschichte, die ich hier erzähle, in Teilen aufzuschreiben, was ich unglaublich schön finde.

17 Jahre ist es her, dass Ria und ich uns getroffen haben – am Bahnhof in Mainz, wo ich seinerzeit Hospitant beim Fernsehsender 3sat war und als ich noch nicht ahnte, dass Werder Bremen gerade zum vorerst letzten Mal Deutscher Meister geworden sein würde. Nach so langer Zeit hätten wir uns bei einem echten Treffen viel zu erzählen. Während des gemeinsamen Abendessens würde Ria mir vielleicht von weiteren Abenteuern in New York berichten, etwa, wie unglaublich sie sich darauf gefreut hatte, an der Queensboro Bridge zu stehen wie Diane Keaton und Woody in dessen Filmklassiker “Manhattan”.

Und wir würden sogar genau den Woody-Streifen mit den Knishes gemeinsam schauen, und vielleicht würde auch ich endlich seinem Zauber erliegen (denn ich muss gestehen, bislang den meisten seiner Filme eher ratlos begegnet zu sein: Allzu verkopft und hektisch fand ich sie). In jedem Fall aber würde ich erstmals in diese jüdische Köstlichkeit beißen, von der ich ohne Ria nie erfahren hätte. Und die macht man so:
Zutaten
Für den Teig:
400 g Mehl Type 405
1 TL Zucker
1 TL Salz
1 TL Backpulver
1 verquirltes Ei
gut 100 ml Pflanzenöl
etwa 200 ml Wasser
Für die Füllung:
1,3 Kilogramm Kartoffeln (mehligkochend)
4 mittelgroße weiße Zwiebeln
1 verquirltes Ei
Gewürze und Kräuter nach Wahl
etwas Pflanzenöl
1 TL Salz
1 TL Zucker
1 TL weißer Pfeffer
1 TL Thymian
1 TL geriebene Muskatnuss
Wie wird’s gemacht?
Vor allem anderen empfiehlt es sich, den Teig zuzubereiten, damit er genügend Zeit zum Ruhen hat. Das Mehl und das Backpulver in eine Schüssel sieben und zunächst trocken mit Zucker und Salz verrühren. Das Ei aufschlagen und verquirlen und dazugeben und vorsichtig einkneten. Dann das Wasser und das Öl nach und nach dazugeben und ebenfalls vorsichtig kneten. Eine Kugel daraus formen, in Frischhaltefolie wickeln und bei Zimmertemperatur ruhen lassen. Es gibt auch Rezepte, in denen empfohlen wird, den Teig auf einem Tuch über heiß dampfendem Wasser ruhen zu lassen.
Für die Füllung die Kartoffeln schälen und in ausreichend viel gesalzenem Wasser etwa 20 Minuten gar kochen. Zwiebeln schälen, kleinschneiden und in etwa 1 EL Öl auf niedriger bis mittlerer Flamme anschwitzen, eine Prise Salz und 1 TL Zucker zugeben und schmurgeln lassen, bis sie karamellisieren und goldbraun werden, aber nicht anbrennen. Die Kartoffeln abgießen und zerstampfen und mit den karamellisierten Zwiebeln vermengen. Würzen. Ria schreibt, Gewürze nach Wahl. In anderen Rezepten für diese Knishes wird voneinander abweichend etwa vorgeschlagen, nur 1 TL Pfeffer zu nehmen – oder aber je 1 TL Pfeffer, Thymian und geriebene Muskatnuss zu nehmen.
„Jetzt wird geknisht und geknasht“
Ria
Teig und Füllung werden nun geviertelt. Den Ofen auf etwa 180 Grad Celsius vorheizen. Das erste Teig-Viertel wird dann sehr flach rechteckig auf eine Größe von etwa 15 mal 45 Zentimetern ausgerollt, also drei Mal so breit wie hoch. „Die obere Kante des Rechtecks mit Ei einpinseln. Feststellen, dass auf dieses Teig-Viertel zwei Viertel Füllung müssen … Füllung straff einrollen“, schreibt Ria. Mit einem Messerknauf oder der Handkante Knishes erst einteilen. „Mit der Handkante getrennt, lassen sich die Knishes besser schließen“, sagt Ria. Deshalb schlägt sie diese Technik vor, wobei die Knishes nur unten geschlossen werden und nach oben offen bleiben. „Mit dem Ei abglänzen.“ Das Ganze wird jetzt genau so noch einmal wiederholt. „Restliche zwei Teig-Viertel einfrieren oder improvisieren“, fügt Ria hinzu. Sie hat diesmal aber noch süße Knishes mit frischen Beeren zusätzlich zubereitet.
Für 25-30 Minuten goldbraun backen, „bis der Teig fest, aber nicht knüppelhart ist“, schreibt Ria. Man will sie ja essend genießen und niemandem damit werfend Kopfverletzungen zufügen. Ria empfiehlt: „Nach 15 Minuten mal prüfen. Zwischendurch das Biertrinken nicht vergessen. Oder Taybeeren-Schorle. Taybeeren sind eine
Kreuzung aus Brombeeren und Himbeeren.“ Ich gestehe: Ich habe vor Rias Empfehlungen nicht nur keine Knishes gekannt, sondern auch keine Taybeeren (wo man die wohl bekommt?). Mahlzeit und L’Chaim!

Musik zum Menü
Ria selbst empfiehlt den „Lonesome Blues“ von Woody Allen & His New Orleans Jazzband.
Ich wiederum habe Ria Anfang 2004 kennen gelernt, weil wir uns beide für Olli Schulz begeistert haben, damals in der Online-WG der Fernsehsendung „Zimmer frei“, die in diesem Jahr ebenfalls 25 Jahre alt wird – wie Rias Begeisterung für Woody Allen. Insofern ist meine musikalische Menü-Empfehlung aber „Der Moment“ von Olli Schulz & Der Hund Marie.
Richtig toll
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Riesen Dank, mein Lieber!
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Ein sehr gelungener Auftakt deiner Reihe „Kochen mit Freunden“. Die Knishes werde ich auch mal versuchen und sollte ich einmal nach New York kommen, natürlich dort im Original probieren.
Grüße -unbekannterweise- an Ria für das Rezept und ihre engaierte und bildreiche Unterstützung.
Wozu mag sie den Philadelphia-Joghurt verwandt haben? 🤔
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Den Philadelphia und den Hüttenkäse sowie die Beeren hatte ich als Notreserve für den übriggebliebenen Strudelteig außenrum. Ich mag den sehr dünn und deshalb war etwas übrig. Achtung! Der Hüttenkäse ist schon gesalzen, man kann also nochmal Zucker zugeben bei den Beeren-Frischkäseknishes!
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Ich würde, wenn, vermutlich die Beeren auch mit ein bisschen Limettenzeste, braunem Zucker und Kardamom noch ein bisschen aufbrezeln. Auf jeden Fall aber total spannende Sache!
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und ganz lieben Dank, Spiegelei! 🙂
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Das macht Lust auf Knishes! Danke für diesen spannenden Ausflug nach New York und die sehr anschauliche Zubereitungsanleitung 👌
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Tausend Dank, meine Liebe! Das freut und ehrt mich sehr!
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Für Taybeeren eignen sich ein eigener Garten und eine Bestellung bei einem gut sortierten Saatguthändler. Mein lieber Freund Bernd hat sie in seinem Garten, neben vielen anderen Schätzen.
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Verdoppeln sich die Ls eigentlich im LLaufe der Jahre, oder halbiert sich meine L-Erinnerung? 😀
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Dieser Nickname ist noch aus grauen Vorzeiten und einem WordPresszugang biblischen Alters, mittlerweile ist es durchgängig nur 1 L.
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und das mit den Taybeeren klingt spannend. Ich habe bislang zwar liebe Freunde, aber keine, von denen ich wüsste, dass sie sowas im Garten haben
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Knish ist eigentlich eine Art Plunderteig, der als Basis, Hefeteig hat:-))
Entschuldige, Ole, das ist keine Kritik in dem Sinne, sondern lediglich der Hinweis darauf, Knish statt mit Backpulver, mit Hefeteig zu versuchen.
In der gastronomischen Küche kennen wir heute um die siebzig Empfindlichkeiten, zu denen leider auch Backpulver gehört wie auch Hefe und viele andere Zutaten inklusive Milch:-)) Aus dem Grund möchte ich unseren Lesern gern auch die Ausweichmöglichkeiten empfehlen, die wir tag-täglich unseren Gästen zu bieten haben:-) Betrachte meine Hinweise diesbezüglich als zusätzliche Anregung und nicht als Kritik in dem Sinne.
Wir kennen Knish als Schnecke, die bisweilen reichlich in der Armenküche Anwendung findet. Also auch in der sächsischen Weberküche.
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Danke für den bereichernden Hinweis!
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