Karamellisierte Ofen-Süßkartoffeln in einer Tomaten-Kardamom-Limetten-Sauce.

So’n Januar ist irgendwie auch nichts anderes als ein Montag. Nur länger“, sagte Wulnikowski vor sich hin, während er in der Fußgängerzone auf einer Bank saß und versuchte, das Gekrickel auf einem Mülleimer zu entziffern. „Januar ist wie Steuerprüfung kombiniert mit Wurzelbehandlung. In einem Flugzeug mit Turbulenzen. Aber zum Glück kommt bald Karneval“, sagte eine dauergewellte Frau, die zufällig vorbei kam, sich in den Monolog einmischte, gleich aber wieder verschwand.
Und eigentlich sind die vergangenen zwei Jahre auch wie ein noch viel, viel längerer, ein kaum erträglich langer Montag gewesen. Kaum wilde Feiern, wenig Gelegenheiten, seine Freunde zu treffen und mit ihnen witzige Ideen auszuhecken, Abenteuer zu erleben, es schön miteinander zu haben. Seltenst die Chance, einfach zu verreisen. Vorteil an Montagen: Man könnte all die Dinge im Supermarkt kaufen, die man tags zuvor gebraucht hätte, um genau dieses eine leckere Gericht zu kochen. Nachteil an Montagen: Man kommt gar nicht zum Einkaufen, weil man wieder zur Arbeit muss. Und Zeit zum Kochen fehlt dann auch meist – etwa für dieses Süßkartoffelgericht. Da kribbeln die Geschmacksknospen im Gaumen, Knisterbrause Hilfsausdruck. Wulnikowskis seltsame Passantin würde vielleicht sagen: „Es schmeckt, wie nackt in den Tropen am Strand unter Palmen ums Lagerfeuer tanzen – nach zu vielen Cocktails, aber ohne Wurzelbehandlung. Wie ein ein Einhorn, das zu Punkrock pogt.“ Und so ganz unrecht hätte sie nicht. Vielleicht würde sie auch völlig andere Dinge sagen. Zumindest versetzt dieses Gericht in köstliches Staunen: Tomatensauce? Klar, kennt (fast) jeder. Diese aber, in der in Ahornsirup marinierte Süßkartoffelscheiben, doppelt so dick wie Doppeldecker-Kekse, baden: Die ist eine ganz andere Nummer.
Rattenscharf durch frische Chilis, voll zartstechender Raffinesse durch Kardamom, belebt durch kecke Säure von Limetten, ergibt sich mit der Süße der in Ahornsirup und Olivenöl marinierten Süßkartoffeln ein verblüffendes Zusammenspiel, das süchtig machen kann. Und weil Süßkartoffeln anders als ihre erdapfeligen Schwippschwager, die wir hier deutlich öfter essen, keine Nachtschattengewächse sind, darf die Schale dranbleiben (natürlich auch mitgegessen werden) und wird beim Backen herrlich knusprig, während das Innere butterweich-zart wird. Es ist dies das zweite meiner beiden Süßkartoffel-Lieblingsrezept neben den Süßkartoffeln mit Joghurt-Limetten-Dip und crunchigen Erdnüssen, die ich kürzlich vorgestellt habe. Dies ist einen Ticken aufwendiger, aber eigentlich immer noch mit relativ wenig Handgriffen gemacht. Aber es ist ein Gericht, das trübe Januartage aufhellen, Tristesse bunt pinseln und Launen heben kann. Auch zu anderen Jahreszeiten.
Das Rezept für dieses irre leckere Gericht haben Ixta Belfrage und Großmeister Yotam Ottolenghi entwickelt – für ihr fantastisches, wirklich durchweg gaumenverblüffendes Kochbuch „Flavour“, das immer und immer wieder Geschmackserwartungen narrt und mit ungewöhnlichen, bestechend tollen Aromenverbindungen begeistert. Es ist und bleibt für mich eins der spannendsten Kochbücher überhaupt. Dies Gericht das erste Mal zu essen war fast wie ein Erweckungserlebnis, und seitdem gibt es das regelmäßig. Ich weiche in einigen Details allerdings vom Original ab. Aus unverständlichen Gründen knausert der Großmeister nämlich mit der hinreißenden Sauce. Deswegen verdopple ich sie direkt, und selbst dann ist man so oft versucht, zwischendurch zu naschen, dass es im Zweifel eher knapp reicht. Aber ein bisschen disziplinieren kann man sich ja. Der Großmeister himself schreibt, dass „die Sauce auch mit Kichererbsen, Tofu, Fisch oder Hähnchen köstlich schmeckt“.

Was braucht man dafür?
Für die Süßkartoffeln:
1 Kilo Süßkartoffeln (in der Regel sind das vier bis fünf mittelgroße) – geputzt, aber ungeschält in etwa 2,5 Zentimeter dicke Scheiben geschnitten
2 Esslöffel Olivenöl
1,5 Esslöffel Ahornsirup
1/2 Teelöffel Kardamom, gemahlen oder besser: frisch gemörsert
1/2 Teelöffel Kreuzkümmel, gemahlen oder besser: frisch gemörsert
1/2 Teelöffel Salz und Pfeffer
Für die Tomaten-Limetten-Kardamom-Sauce:
5 Esslöffel Olivenöl
6 Knoblauchzehen (im Original werden im Verhältnis doppelt so viele verlangt, aber man will trotz sozialer Distanz aktuell ja irgendwann auch noch wieder Menschen gegenübertreten)
2 Dosen Tomaten à 450 Gramm, gehackt – wer es sämiger mag: püriert. Oder direkt Tomatenpüree kaufen.
2 Esslöffel Tomatenmark
4 grüne oder rote Chilis (wer weniger Schärfe mag, nimmt weniger und/oder entkernt sie zudem)
4 Schalotten
2 gestrichene Esslöffel Zucker
2 gestrichene Esslöffel Kardamom, gemahlen oder besser noch: frisch gemörsert
3 Teelöffel Kreuzkümmel, gemahlen oder besser noch: frisch gemörsert
2 Bio-Limetten, die Schalen von einer abgerieben und beiseite gestellt, dann ausgepresst. Eine später in Schnitze geschnitten zum Servieren.
Frischer Dill, feingehackt – oder frischer Koriander, zum Bestreuen.
2 Teelöffel Salz
1/2 Liter Wasser
Reis oder Couscous, nach Packungsanweisung zubereitet, als Beilage
Was tun?

Zuerst das Öl, den Ahornsirup, Kardamom und Kreuzkümmel, Salz und eine kräftige Prise Pfeffer in einer großen Schüssel vermengen. Die Süßkartoffelscheiben hineingeben, darin umhermantschen und bewegen, sodass sie am Ende alle von einem zarten Öl-Sirup-Gewürzfilm überzogen sind. Ein wenig stehen lassen und schonmal den Ofen auf 240°C vorheizen. Das ganze Gelumpe dann in einen ofenfesten Topf mit Deckel oder eine Tajine oder Lasagneform geben, die Ihr ofenfest zudecken könnt. Notfalls nehmt Alufolie, aber ich finde die erste Variante nicht nur aus ökologischen Gründen sinnvoller.
Das Ganze dann erstmal ne knappe halbe Stunde zugedeckt backen, quasi dämpfen, und dann nochmal ne knappe Viertelstunde unterm Grill aufknuspern (im Auge behalten, dass das Ganze nicht schwarz wird). Die Gar- und Backzeiten können natürlich ein bisschen variieren, je nach Ofen, den Ihr nutzt und je nachdem, wie dick oder dünn Eure Scheiben geworden sind.
Für die Sauce einen Schmortopf (oder was immer Ihr für einen nicht zu kleinen Topf zur Hand habt) nehmen. Den Knoblauch feinhacken, die Schalotten auch, die Chilis in feine Ringe schneiden (eventuell entkernen, wenn Ihr es weniger scharf möchtet).
Knoblauch, Chili und Öl gemeinsam in den Topf geben und bei niedriger (!) Temperatur gute zehn Minuten glasig anschwitzen. Aufpassen, dass der Knoblauch nicht braun undoder knusprig wird, sonst verwandelt er sich vom mildtätig-sanften Kollegen, den wir hier wollen, zu einer verbitterten, scharf-spitzen Rampensau, die sich komplett in den Vordergrund drängt. Die braucht hier keiner. Die Hälfte dieser Mischung beiseite nehmen, in eine kleine Schüssel. In den Rest die Schalottenwürfelchen purzeln lassen und ebenfalls, weiterhin bei niedriger Hitze, glasig schmoren. Das Tomatenmark kurz mit anrösten. Dann die Dosentomaten aufgießen, sprich: ebenfalls reinkippen. Zucker, Salz, Kardamom, Kreuzkümmel und Limettenzesten/-schalenabrieb zugeben, den halben Liter Wasser aufgießen und eine halbe Stunde bei offenem Deckel köcheln und leicht einkochen lassen.
Nicht vergessen, Reis oder Couscous als Beilage aufzustellen und zu kochen/garen, je nach Packungsanleitung.
Die Süßkartoffeln, wenn sie fertig gebacken, knusprig karamellisiert und duftend im Ofen sind, in die Sauce legen und zugedeckt bei weiterhin niedriger Hitze noch einmal etwa zehn Minuten ziehen lassen.
Währenddessen das Knoblauch-Chili-Öl, das Ihr beiseitegestellt habt, mit dem Limettensaft verrühren. Damit die Süßkartoffeln vorm Servieren beträufeln, Dill oder Koriander drübergeben und in der Pfanne servieren. Dazu den Reis oder Couscous reichen.
Musik zum Menü
Ein Einhorn, das zu Punkrock pogt – oder Unfug in Schulfluren treibt? Gibt’s auch musikalisch. Eine ebenso verrückte wie hinreißende Nummer, die durchaus famos zum Gericht passt, finde ich.
Ebenfalls voll überraschender Einflüsse, mit bestechend tollen, kreativ-versponnenen Einflüssen, die wirklich mitreißen: „Mansard roof“ von Vampire Weekend.
Immer wieder klasse deinen Content zu lesen und die Bilder anzusehen. 😎
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Das freut mich riesig. Ganz lieben Dank Dir!
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ja schöne Bilder, wenn ich doch nur nicht so faul wäre das zu kochen😰
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Du kannst Dir… hungrig… sonst auch hier mehr Bilder ohne Essen gucken:
https:://www.instagram.com/olecordsen
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Und lieben Dank 😊
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moin Ole,
du beschreibst das Gericht hier so lecker, dass sollte ich jetzt wirklich mal testen. Grüße aus dem Rheinland, Katharina
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Ich liebe dieses Gericht wirklich sehr. Wenn, hoff ich, schmeckt’s Dir auch ebenso gut. 🙂 Hab nen schönen Abend. Große Grüße!
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Ich weiß gerade gar nicht, was mich mehr begeistert: das Rezept, die Bilder oder deine Art zu schreiben.
DANKE, ich sitze gerade mit dir in dieser Fußgängerzone und schaue noch der Dame hinterher -:)
Wir lieben aromatische Gerichte und dieses wird definitiv nachgekocht, zudem wird selbstverständlich gleich der Newsletter abonniert. Warum bin ich dir nicht früher schon über den Weg gelaufen ?
liebe Grüße vom Kochclub Hamburg
Maren
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Donnerknispel, Du tust was für meine Gesichtsdurchblutung! 🙂
Ich verneige mich, ziehe meinen (imaginären) Hut und sage gerührt: Danke!
Und, sagen wir, diesem Blog hättest Du theoretisch ein Dreivierteljahr früher über den Weg laufen können – aber er ist halt noch klein. Und als Papa eines Kleinkinds plus Arbeit plus naduweißtschonwasdenalltagsonstnochallesfüllenkann kommt man nicht im Maße dazu, sich selbst zu tummeln und woanders „Hey“ zu sagen. Und so ist der Blog weiter ein bisschen klein geblieben bisher. 🙂
Das besonders Schöne ist ja, Du bist mir jetzt über den Weg gelaufen. Und sofern Du Zeit und Lust findest, kannst Du die anderen Gerichte, Texte und sonstigen Unsinn von mir ja auch rückwärts lesen. Ich mach das umgekehrt auch gern. 🙂 Und sag’s gern weiter.
Tausend Dank für so liebe Worte und große Grüße von der Ems an die Elbe! 🙂
Ole
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