Wenn Freunde einen wegen der Würze für verrückt halten – und warum dem Fisch ein Kuss auf den Rücken gut tut.

Mehrfach haben sie mich für wahnsinnig oder verrückt erklärt – und für geschmacksverwirrt. Den Kopf geschüttelt, sich an die Stirn getippt. Mich angeblickt, als wollten sie mich tätscheln wie einen verzottelten Hund, der sich verlaufen hat und dabei in einer Matschpfütze ausgerutscht ist. Ein ums andere Mal.
„Wie, Du würzt Lachs mit Lakritztee?“ Schweigen. Schulterzucken. Rhetorische Pause. „Das kann doch gar nicht schmecken. Würzt Du Deine Tomatensauce auch mit Gummibärchen? Und machst Marzipan zu Fischstäbchen?“, haben sie gefragt. Und dann habe ich ganz ruhig und freundlich „nein“ gesagt. So ganz falsch ist das mit der Verrücktheit ja nicht, gebe ich zu. Aber das tue ich ja tatsächlich nicht. Auch wenn es eine witzige Idee ist. Insbesondere, falls jemand sich über Gelatine-Gubbel in der Sauce freut.
Aber dann habe ich sie probieren lassen. Und dann standen sie da, und ganz langsam klappte ihnen der Kiefer südwärts, die Ladeluke klaffte staunend offen, um dann aber schleunigst einen weiteren Happen Lachs hineinzuschaufeln und darin zu verstauen. „Das schmeckt ja. Sogar richtig gut“, haben sie gesagt. „Das kann doch gar nicht sein. Lakritztee? Du bist ja irre! Und wie kommt man da drauf? Und wo kriegt man so Lakritztee?“, haben sie gefragt. „Ich habe ihn aus einem Supermarkt in Holland, wenige Kilometer entfernt“, habe ich gesagt. „Aber den muss es hier doch auch geben.“
Ich kann die Male nicht mehr zählen, in denen ich Freunden von meinem selbst entwickelten Lieblingslachs erzählt habe und deren Zeigefinger tippend an die Schläfe wanderte. Nun ist der Lakritztee ja nicht aus heiterem Himmel im Lachs gelandet: Ich hatte Lust auf asiatische Würze statt einfach nur einem bisschen Zitronensaft, Salz, Pfeffer.
Ingwer, Chilis, Fischsauce, Koriander, Limetten hatte ich im Haus, aber besonders sehnte mein Gaumen sich nach Thai-Basilikum. Doch unser Beziehungsstatus ist kompliziert. Meine Liebe ist groß, ich will nicht klammern, doch Thai-Basilikum entzieht sich, taucht oder säuft ab. Mehrfach habe ich versucht, ihn hier selbst zu ziehen und anzubauen, aber dieses fragile Pflänzchen ertrinkt in den nasskalten Regenstürzen Ostfrieslands (mutmaßlich kein Seepferdchen) oder wird von Schnecken vertilgt, sobald ich mich nur kurz umdrehe. Und weil der kleine, liebenswerte Asialaden in unserer Kleinstadt – der einzige in gefühlt mindestens 35 Kilometer Umkreis – keinen frischen mehr verkauft mangels Nachfrage und es ihn getrocknet mangels Aroma nicht gibt: Habe ich mich gefragt, was ich denn stattdessen nehmen könnte. Thai-Basilikum schmeckt hauchfein lakritzig. Warum? Es enthält mit Anethol eins der Aromaöle, die sich auch in Sternanis, Anis, Fenchelfrüchten oder eben Süßholz und damit in Lakritz finden. Und weil ich aus Holland doch noch Lakritztee dahatte, habe ich zur Würze eins der Beutelchen aufgerissen und hinzugegeben. Die Wirkung war subtil, fein, aber verblüffend.
Und nehmt dies, Ihr Zweifler: Wie ich im vergangenen Jahr entdeckt habe, stärkt mir immerhin Heston Blumenthal, kreatives Genie, Englands höchstdekorierter Koch, Inhaber von drei Michelin-Sternen und dem Restaurant Fat Duck, unwissentlich den Rücken: Der kombiniert in seinem fantastischen Kochbuch „At home“ ebenfalls Lachs mit Lakritz, wobei er allerdings „Pontefract cakes“ von Haribo zu einem Sud kocht und zu einem Gelee einkocht. Beides wird mit feinsten Grapefruit-Segmenten, eingekochtem Balsamico, Vanille-Mayonnaise und Spargel serviert.
Demgegenüber ist meine Variante schlichter, grüner, bunter, weniger filigran – aber auch deutlich, deutlich schneller und einfacher gemacht: Chilischärfe, geröstete Cashewkerne oder Erdnüsse (was grad da ist), Ingwer, Schalotten, Saft und Zesten von Bio-Orangen und -Limetten, ein bisschen Knoblauch, knusprige Rohrzuckersüße.

Zutaten
Lachsfilets (ich hab etwa 800 Gramm genommen)
3 rote Zwiebeln (oder 4 Bananenschalotten)
3 frische Chilischoten (ich hab je einmal rot, orange und gelb genommen)
1 Bio-Limette
1-2 Bio-Saftorangen
2 Lakritz-Teebeutel (alternativ: Süßholzraspel oder im Zweifel auch Fenchelfrüchte), das entspricht grob ein bis zwei Teelöffeln und um die 4 Gramm
1-2 Handvoll Cashewkerne (alternativ: geröstete Erdnüsse)
1 gehäufter Esslöffel Rohrzucker
3 cm Ingwer
1 Zehe Knoblauch
2 EL Sojasauce
2 EL Fischsauce (Nam pla)
ne Sättigungsbeilage nach Wahl: Ich mag Linguine gern dazu (oder welche Pasta gerade zur Hand ist, Reis geht natürlich mindestens so gut – jeweils nach Packungsangaben zubereitet)
Frischer Koriander und (falls zur Hand) frischer Thai-Basilikum
Rapsöl oder Butter
Zubereitungs-Exkurs: Lachs richtig braten – und warum ihm ein „Kuss auf den Rücken“ gut tut
In der Pfanne wird Lachs nicht so verrückt wie der Hund, ist aber eine Mimose. Noch schneller als Thai-Basilikum im Hochbeet ertrinkt oder verwelkt, ist er hinüber. Etwa außen schwarzknusprig und innen noch fast roh, wenn man nicht aufpasst und man auf die irrige Idee kommt, ihn scharf anzubraten. Mitunter zerfällt er schon in der Pfanne, die winzigen Fitzel werden schnell übergar und rabenschwarz, und der Rest erinnert an pockennarbige Gesichter von Teenagern in schwierigen Aknephasen. Oder er wird kreidetrocken und zäh, trennt sich in Fest und Flüssig und verliert seine Saftigkeit, falls das Telefon klingelt, während er in der Pfanne schmurgelt und man ihn ein wenig aus den Augen lässt. Oder er verwandelt sich von der Konsistenz in ein Gummihuhn. Nur dass er nicht quiekt. Ist auch mir alles schon passiert. Ich bin da nun wahrlich keine Instanz. Aber man lernt ja – und ich habe mich deshalb schlau gelesen und verrate das, was ich in verschiedenen Büchern übereinstimmend gefunden habe: in besonders beeindruckend gebündelter Form beim mehrfach preisgekrönten Kochbuchautor J. Kenji López-Alt, dessen Werk „The Food Lab: Better Home Cooking Through Science“ 2018 mit dem „Kochbuch-Oscar“ prämiert wurde, dem „James Beard Award“ fürs beste Kochbuch, und zudem den Preis „Cookbook of the year“ der International Association of Culinary Professionals gewann. Nicht die schlechteste Quelle, hoffe ich.
Grundsätzlich ist Lachs schon wegen der Zuchtbedingungen ja ein schwieriger Fisch. Ich versuche, wenn ich in seltenen Fällen mal Lachs kaufe, welchen zu ergattern, der aus nachhaltiger Hochseefischerei stammt und nicht in schwimmenden Käfigen in einer Lösung aus Süßwasser und Antibiotika gedümpelt ist.
Generell gilt, Lachs nur sehr sanft zu braten, weil sonst die Proteine zu schnell klumpen – und dann kommen das Gummihuhn oder das trockene Gebrösel schnell in Reichweite, ebenso wie „außen schwarz, innen roh“. Also: sanft, geduldig, bei niedriger Hitze braten. Zugleich aber das Fett rechtzeitig vorher erhitzen, denn andernfalls klebt der Kollege rasch an der Pfanne fest. Wichtig ist auch, den Lachs gut abzutrocknen, bevor er ins Fett wandert, weil die Energie des Öls sonst zu viel damit zu tun hat, das Wasser zu verdampfen statt den Fisch aufzuknuspern und zu garen. Nun wölbt Lachs mit Haut sich gerade in den allerersten Minuten des Bratens auch gern etwas widerspenstig, weil die Haut schrumpft, wenn Eiweiße klumpen und Wasser verdampft. Weil das Wegwölben vom Pfannenboden aber zu ungleichmäßigem Garen führen kann, schlägt J. Kenji López-Alt vor, einen flachen Metall- oder Silikon-Pfannenwender zu nehmen, mit dem man den Fisch zu Beginn des Bratens sanft (!!!) andrücken und ihm die Richtung weisen kann, falls das passiert.
Aber: Für J. Kenji López-Alt liegt das Geheimnis gut gebratenen und fein gegarten Lachses ganz besonders in der Haut-Unterseite. Unterhalb der Haut liegt nämlich eine Fettschicht. Die schützt den Fisch im Meer vor rapiden Temperaturstürzen im Wasser – und sie tut dasselbe in der Pfanne. Sie wirkt wie ein Hitzeschutzschild, gibt die Energiewellen des Pfannenbodens nur sehr behutsam nach oben ab und sorgt dafür, dass der Fisch sehr gleichmäßig von unten nach oben durchgart. Die Haut des Lachses erfüllt exakt dieselbe Rolle wie Panade beim Wiener Schnitzel oder Tempura-Teig, in dem Shrimps frittiert werden. Als Hitzepuffer, der das Innenleben sanfter und damit auch gleichmäßiger garen lässt. „Man kann jetzt fragen, aber was ist mit der anderen Seite des Filets? Schließlich hat handelsüblicher Lachs nur eine Haut-Seite, oder?“, schreibt J. Kenji López-Alt. „Das stimmt. Es gibt immer noch das potenzielle Problem, diese Seite zu übergaren.“ Seine Lösung: „Den Lachs einfach nahezu komplett auf der Hautseite braten und durchgaren. Französische Chefköche, die auf prätentiöse Weise erhaben klingen wollen, sprechen von unilateralem Kochen, nur von einer Seite.“ Für ein bisschen Knusper und Gare schadet ein bisschen direktes Techtelmechtel mit der Hitze der Oberseite aber auch nicht. Aber kaum länger als 15 Sekunden. Sie braucht „nur einen Kuss auf den Rücken“, wie J. Kenji López-Alt schreibt. Den flüchtigst denkbaren Kuss der Flamme. Und wer die Haut nicht mag oder mitessen möchte: Sie lässt sich nach dem Braten ganz zart und leicht, etwa mit dem Pfannenwender, ablösen.

Wie wird’s gemacht?
Schalotten in feine Ringe schneiden, die Chilis längs halbieren und die Kerne rausbugsieren, dann auch in feine Halbringe schnippeln, den Ingwer schälen und fein würfeln (noch besser und zarter schmeckt er und verliert seine bissige Schärfe, wenn man ihn ohne Fett auf etwa einen Zentimeter dicke Scheiben geschnitten von beiden Seiten in einer gesonderten Pfanne röstet, bis er karamellisiert, und erst danach würfelt, aber das ist Extra-Aufwand). Einen der beiden Lakritztee-Beutel aufreißen damit die Oberseite des Lachses einreiben.
Butter oder geschmacksneutrales Öl in einer Pfanne bei niedriger Hitze auslassen, den Lachs mit der Hautseite nach unten hineinlegen und sanft anbraten.
Parallel Nudelwasser oder Reis aufstellen.
Den Inhalt des zweiten Lakritztee-Beutels ins Öl streuen, auf dass sich die Aromen darin lösen (nochmal: niedrige Hitze nehmen, sonst verbrennt auch das Gewürz und der Rest und alles wird zwar knusprig, aber bitter und das ist hier nicht das Ziel).
Ingwer und Schalotten dazugeben und sanft anschmoren. Die Zehe Knoblauch entweder hineinpressen oder feinst gewürfelt dazugeben (aufpassen, dass er nicht braun wird, sonst die Hitze reduzieren, weil andernfalls sticht er bitter hervor).
Nudeln kochen.
Mit einem Zestenreißer oder einer Reibe die Schale der Bio-Limette und der Bio-Orange dazuraspeln und die Chilis zugeben, danach auch den Saft dazupressen. Mit zwei Esslöffeln Sojasauce und 2 Esslöffeln Fischsauce salzen und die Säure mit 1 EL Rohrzucker ausbalancieren.
Parallel entweder im selben Pott (oder in der separaten Ingwerpfanne, dann wird es knuspriger) die Cashewkerne anrösten, bis sie golden, möglichst aber nicht schwarz werden. Oder man nimmt geröstete Erdnüsse aus der Dose.
Die Sauce je nach Geschmack möglicherweise noch mit einem halben Becher Wasser verdünnen. Und wie gesagt wer die Haut nicht mag oder mitessen möchte: Sie lässt sich nach dem Braten ganz zart und leicht, etwa mit dem Pfannenwender, ablösen.
Am Ende Sauce/Lachs auf die Nudeln geben und mit frischem Koriander (falls zur Hand gern auch frischem Thai-Basilikum) garnieren. Ich gebe am Ende, so völlig unasiatisch das ist, sogar noch etwas geraspelten Parmesan dazu. Aber das Ganze ist ja eh dem Hirn eines Verrückten entsprungen, und der Parmesan sorgt für noch mehr „umamige“ Vollmundigkeit und Aromenfülle. Guten Appetit!

Musik zum Menü
Man kann auch ruhig mal Musik hören, in deren Songtitel Lakritz vorkommt:
Und weil doch all die Zweifler und Skeptiker bei Lakritz und Lachs zuerst getan haben, als wären sie die Pinguine in den Uli-Stein-Comics, die ihre „Dagegen!“-Schilder hochhalten, hier noch der große Hit „Anti anti“ des famosen Bonaparte.
Und weil ich gerade in Fahrt bin, hier noch ein etwas surrealer, aber famoser Hit. Die Welt braucht mehr positive Verrückte: „Land of the blind“ von Yard Act. Nehmt das, Ihr Blindfische. 🙂
Das MUSS ich nachmachen. Es klingt superklassetoll! Und Yard Act hör ich gerade zum dritten Mal 🙂 Danke dir
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Yard Act: völlig zurecht! Super Band!
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Und ich liebe das Rezept sehr! Funktioniert übrigens mit derselben Menge Hähnchen ebenfalls fantastisch! Wenn, schmeckt es Dir hoffentlich. Tausend Dank 😊
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Wunderbares Rezept! Vor allem die Geheim-Zutat, der Lakritz-Tee, den ich übrigens sehr liebe, ist eine spannende Zutat!!! Prima Informationen auch über den Lachs und seine Haut!
Grüße aus dem Wohnzimmer,
Amalie
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Das freut mich riesig! Wirklich! Und zu blöd, dass ich irgendwie fast zwei Wochen gebraucht habe, um zu antworten. Verzeih! Danke!
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