
Manchmal ist es besser, Philosoph zu bleiben – und zu schweigen. Und Ideen zu verwerfen. Denn die Chance ist groß, dass niemand hier Geschichten über Bauchgrummeln und ungewollte Flüssigkeitsverluste, über Magen-Darm-Beben und derlei ausgeschmückt lesen möchte. Zurecht. Nachdem mich ein Teufelsinfekt über Tage auf Fliesen in die Knie gezwungen hat, war ich kurzzeitig geneigt, hier jetzt über die aromatischen Geheimnisse der Moro’schen Möhrensuppe und ihre beruhigenden Wunderwirkungen auf die Peristaltik zu berichten. Aber nein. Das Rezept und die tatsächlich interessanten Hintergründe findet man unter anderem hier.
Doch nun, zum vierten Advent (und wo mein Magen sich wieder stabilisiert hat), ist es da nicht um ein Vielfaches schöner, sich dem vorweihnachtlichen Zauber zu widmen, den Aromen der Gewürze, die wir so sehr mit dem Fest verbinden – Zimt und Kardamom, Anis, Nelken, Muskat, Ingwer, weißer Pfeffer. Die verbinden ihre Wunderfülle unter anderem in Spekulatius, dem knusprig-zuckrigen, nach Ferne und Kerzenschimmer schmeckenden Traum, der die Supermärkte in der Regel schon entert, während man am Badeseestrand noch in der Sonne schmelzendes Eis schlürft. Spekulatius und mich verbindet eine tiefe (womöglich nur einseitige) Liebe, eine heiße Affäre an jedem Jahresende. Ich liebe die Aromen, das Karamellige der Kekse. Und wer mich und mein rastlos assoziierendes Hirn einschätzen kann und wer insbesondere auch meine (wirklich in jeder Form berechtigte) Liebe zu Lachs (oder Hähnchen) mit Lakritztee kennt, weiß, ich denk‘ ganz gern mal um die Ecke, liebe es, Dinge aus ihren gewohnten Kontexten zu zupfen und sie an überraschenden Stellen neu zu verbinden, auf dass sie sehr passend, aber auf aufregend neue Weise schillern, überraschend anders wirken und aufs Neue verzaubern können.

Haltet mich gern für verrückt, einen Spinner, einen irrenden Irren, aber ich sage Euch, Spekulatius machen zwar keine Bikini-Figur, aber eine Top-Figur in Kakao gestippt und als Kekskrümelboden für Kuchen oder über Pannacotta gestäubt. Sie können aber auch eine Traumrolle in herzhaften Gerichten spielen wie diesem verblüffend simplen, aber mindestens so verblüffend genialen und leckeren: Hähnchenbrust (es geht auch mit Schweineschnitzeln und sicherlich auch mit Pilzen stattdessen) in einer Sauce, die vor allem aus zwei Komponenten besteht:
Crème fraîche und Spekulatius.

Gewürzt wird mit Salz und Pfeffer. Und dem Aromen-Regenbogen der so herrlich gewürzten Kekse. Deren Gewürze und Nuancen – Zimt, Kardamom, Ingwer, Muskat, weißer Pfeffer – verleihen der Sauce ein vielschichtiges Schillern, zugleich aber auch (gerade, wenn man die Kekse ungleich groß zerbröselt) reizvollen karamelligen Crunch und kleine Texturabenteuer, bei denen es plötzlich ein bisschen knuspriger und süßer wird, ehe die milde Säure der Crème und das Herzhafte des Fleisches sie als Kontrapunkte einnorden und erden.
Salopp gesagt, ist das Ganze hier eigentlich eine Art Rahmschnitzel. Fleisch mit Sahnesauce. Und doch wird es durch die Spekulatiusbrösel zu so viel mehr. Nun will ich mich nicht mit fremden Federn schmücken, denn das Rezept in seiner brillanten Schlichtheit stammt nicht von mir (ich Experimentiertiger habe es nur aufgegriffen und war hingerissen), sondern von der hinreißenden Kochbuchautorin Dorie Greenspan aus ihrem Buch „Around My French Table“. Ich fand die Idee, diese Kekse in die Sauce zu bröseln, irre reizvoll und spannend, zugleich aber schon eher bizarr, doch es funktioniert fantastisch.
Bei mir gab es das Ganze mit Supermarkt-Spätzle. Die kann man natürlich auch super selbst machen, aber nach harten Tagen hab ich mir den Aufwand gespart – und es war auch so wundervoll. Ebenso möge Euer vierter Advent sein! Habt’s schönstmöglich inmitten des Weihnachtstrubels, umschwebt von berauschendem Duft (Herrscher des Himmels, erhöre das Lallen der Glühweintrunkenen), inmitten hetzender Geschenke-auf-den-letzten-Drücker-Käufer – und gönnt Euch ein bisschen überraschende Festlichkeit, zurück im trauten Heim. Statt fettiger Pilzpfanne auffe Hand. Oder Krakauer-Curry im Labberbrötchen. Es sei denn, genau danach gelüstet es Euch. Aber das hier ist besser. Und in vielleicht 20 Minuten aufm Tisch.






Das braucht Ihr fürs Spekulatius-Hähnchen
Vier Hähnchenbrustfilets (bestenfalls bio; oder vier Schweineschnitzel, für Vegetarier: 500 Gramm Champignons)
Einen Becher Crème Fraîche (200-250 Gramm)
Fünf bis sechs Spekulatius (Dorie Greenspan empfiehlt zwei von den dicken karamelligen von LU Bastogne/Biscuits Spéculoos, was unbezahlte Werbung ist)
1 rote Zwiebel, geschält und fein geringelt (optional)
Salz
Pfeffer
Butter
eine Handvoll frischer Petersilienblätter, feingehackt (auch optional)
500 Gramm Spätzle, in Salzwasser gar gekocht

So werden die Spekulatius-Hähnchen (und ihre Alternativen) gemacht
Die Hähnchen für mehr Zartheit am besten schon tags zu vor kaufen und salzen. Im Kühlschrank ziehen lassen. Vorm Zubereiten auf Zimmertemperatur gelangen lassen.
Salzwasser zum Kochen der Spätzle aufsetzen, wenn es sprudelt: Nudeln rein und nach Packungsanleitung gar kochen (meist ja um die 13 Minuten lang).
Währenddessen die Spekulatius mit einem Brotmesser zersägen, so dass sie sich teils in Kekskrümelstaub, teils in winzige Würfelchen, teils aber auch in ein wenig größere Bröckchen verwandeln (der Staub verteilt die Aromen, die unterschiedlich großen Kekskrümelteilchen sorgen für Gaumenüberraschungen). Ein klein wenig beiseite schieben: Fürs Drüberstreuen vorm Servieren.

Butter in einer Pfanne auf mittlerer Hitze auslassen.
Die Hähnchenbrustfilets trocken tupfen und in etwa zwei Zentimeter dicke Scheiben schneiden und . Optional: die Zwiebel schälen und fein ringeln. Die Hähnchenbrüste anbraten, bis sie von beiden Seiten samtgolden sind und zu knuspern beginnen. Wer Zwiebeln dazunimmt: die gern auf halben Weg dazuwerfen und mitschmurgeln lassen. (Für die Schnitzelvariante ähnlich verfahren, nur dass Ihr selbst überlegen könnt, ob Ihr die Schnitzel schnetzelt.)
Wer Champignons nimmt, putzt sie, schnippelt sie in kleine Scheiben oder gottweißwasfür mundgerechte Formen, brät sie bei niedriger Hitze an, bis auch sie beginnen etwas anzuknuspern.
Die Crème Fraîche einrühren und die Spekulatius (bis auf den Dekorierhügel) hineinstreuen. Wenige Minuten köcheln lassen, damit die Sauce die Röstaromen vom Pfannenboden aufnehmen kann.
Spätzle abgießen. Mit dem Gebratenen samt Sauce überlöffeln. Ein wenig Spekulatius drüberstreuen. Nach Gusto auch mit ein wenig frischer, feingehackter Petersilie bestreuen. Fertig.

Musik zum Menü
Schon seit mehr als 20 Jahren gibt es für mich kein schöneres, kein besinnlicheres Weihnachtsalbum als „It’s snowing on my piano“ des norwegischen Pianisten Bugge Wesseltoft. Es ist Musik, die auf ihren stillen Kern, aufs Allernötigste konzentriert ist. Hier ist ganz viel Raum, ganz viel Stille. Bekannte Melodielinien aus der Weihnachtszeit, mitunter um überraschende harmonische Wendungen ergänzt und so auch neu in Szene gesetzt, ein bisschen wie bei Rahmsauce mit Spekulatius. Aber: Kein Chichi, kein Glitzer, keine säuselnden Streicher, kein Kitsch. Nur pure Schönheit.
Und weil es so schön ist, hier gleich noch ein Werk vom selben Album. „What child is this? (Greensleeves)“.
Mmmmmmmh, wundervoll geschrieben und ebenso fotografiert. Und dann noch die Musik dazu, herrlich. Und eine Entspannung nach einer morgendlichen Odyssee mit einem ICEeee, der nicht kam. Stattdessen traurig irgendwo auf der Strecke liegen blieb. Dafür freute sich ein Taxifahrer. Und ich zünde nun vier Kerzen an, träume von Spekulatius und deinem Rezept.
LikeGefällt 2 Personen
Das freut mich richtig! Ganz lieben Dank Dir! Und Mitgefühl für die Odyssee! Vielleicht kann das Rezept ja ein paar Kräfte zurückgeben! Erhol Dich gut!
LikeLike