Warum mich dieses Gericht zu Tränen rührt, liegt nicht an der zarten Schärfe

Ich war mal kurz weg. Nach aufreibenden Wochen, dichter gestopft als Truthähne zu Thanksgiving, finde ich endlich wieder Zeit, die wild wogende See, durch die meine Tage wie Nussschalen geschaukelt sind, beruhigt sich ein wenig. Und doch bin ich in diesem Fall ein wenig näher am Wasser gebaut als sonst. Vieles im Leben, was querschießt, während man eifrig andere Pläne hatte, nehme ich gern pragmatisch und freigeschrubbt von saumseligem Pathos. Doch wenn jemand mich anrührt, befeuchten sich meine Augen und mein Herz weitet sich. In diesem Fall hat es mein Vater einmal mehr geschafft. Ich kenne wenige Menschen, die aus Liebe eine solch selbstlose Großzügigkeit entwickeln, sich aus Zuneigung so derart ins Zeug legen und fast blind vor Eifer losziehen und anpacken, nur um denjenigen, die ihnen lieb sind, zu helfen oder Freuden zu machen.
Vor einem Dreivierteljahr, zu meinem Geburtstag, habe ich in einem der schönen Pakete ein Kochbuch ausgepackt, das mein Vater quer durch Europa für mich gejagt hat. Schon vor Jahren hatte ich „Cooking with Poo“ von Saiyuud Diwong entdeckt. Sie heißt nur „Poo“ mit Spitznamen, niemand kocht darin mit Kacke. Vielmehr ist es ein Thai-Kochbuch, von dem ich Tolles gelesen hatte, das Preise gewonnen und so mein Interesse geweckt hatte. Ich wollte es seinerzeit am liebsten direkt kaufen, doch war es im Buchhandel vergriffen und keine neue Auflage in Sicht. Ich selbst buddelte im Zentralverzeichnis antiquarischer Bücher und fand es dort nur reichlich überteuert. Auch beim großen A fand ich es zwar, aber nur gebraucht zu unverschämt hohen Preisen. So nahm ich selbst deutlichen Abstand davon, packte es aber auf meinen Wunschzettel dort, zur Selbst-Erinnerung, falls es irgendwann mal wieder zu zivilen Kursen zu ergattern sein sollte. Ich selbst hatte es dort in der Zwischenzeit schon fast wieder vergessen, doch mein lieber 80-jähriger Vater erspähte es darauf, und in seiner wohlwollenden Verrücktheit und Großzügigkeit machte er es sich zur Aufgabe, es für mich zu besorgen. Er hat es am Ende für rund 60 Euro in den Niederlanden erstanden, immer noch ein bizarr hoher Preis – zumal für ein Kochbuch, das klein im Format und mit gut 100 Seiten auch noch dünn ist. Ich war fast verlegen, als ich das Buch geschenkt bekam, gerade weil in seinem Handeln so viel Großzügigkeit und Liebe stecken.
Am Wochenende ist mir das Buch in die Finger gekommen, und ich habe mir einen Ruck gegeben und mich endlich dran gemacht, ihm und dem Buch die Ehre zu erweisen. Herausgepickt habe ich mir das „Massaman Curry“ oder „Gaeng Massaman“. Mehrfach hatten die Teilnehmer an Umfragen des US-Nachrichtensenders CNN nach dem leckersten Gericht der Welt genau dies Curry an die Spitze gewählt. Grund genug, mich daran zu versuchen. Mit mehr Liebe habe ich selten gekocht – und ich fand das Curry unglaublich köstlich.

Würzgrundlage ist eine Curry-Paste, die in ihrer bräunlichen Fusseligkeit ein wenig aussieht, als habe man das verleimte Innere aus Sperrholzbrettern gekratzt, geschmacklich aber in keiner Weise an Holzleim erinnert, sondern verführerisch duftet. Dafür tanzen zunächst Koriander- und Pfefferkörner, Fenchelsamen, Zimt und Kardamom miteinander in einer heißen Pfanne, bis sich ihre Poren weiten – gemeinsam mit kleingehacktem Zitronengras, Nelken, Zwiebelwürfelchen sowie hauchfeinen Schnitzen von Galgant (der etwas edlere, weniger bissige Bruder von Ingwer). Danach werden sie in einem Mörser mit getrockneten Chilis und Knoblauch zu einer Paste zerdrückt, wobei sich die Aromen umso deutlicher duftend und schmeckbar freisetzen (für Faule oder Mörserlose: eine Gewürzmühle oder das Schnitzelwerk einer Küchenmaschine erledigen das auch, wobei man dann aufpassen muss, dass man nicht zulange die Messer sirren lässt: wenn die Zellen von Zwiebeln und Knoblauch zu wüst zerfetzt werden, kann es ziemlich bitter werden). Das Ganze würzt dann in heißem Öl duftend gerührt Fleischwürfelchen und Kartoffelspalten, die in Kokosmilch und Tamarindenwasser, in die geröstete Erdnüsse gepurzelt sind, schonend gar geköchelt werden.
Eine unglaublich köstliche Curry-Variante, die raffiniert und scheinbar mild daherkommt, es aber faustdick mit Rachenschärfe hinter den Ohren hat. Subtil, elegant, aber fetzig. Wird es schon zu Ehren Papas immer wieder geben. Danke!

Was braucht man dafür?
Eine 400-Milliliter-Dose mit Kokosmilch (erspart Euch mit zig Zusätzen gestreckte Light-Varianten)
500 Gramm Hähnchen- oder Schweinefleisch, gewürfelt (ich habe Bio-Hühnerbrust genommen)
100 Gramm geröstete Erdnüsse
4 Teelöffel Rohrzucker
1-2 Teelöffel Salz
1 Esslöffel Tamarindenpaste, in einem Becher Wasser ausgedrückt und aufgelöst (alternativ: der Saft einer Limette)
2 Lorbeerblätter
2 Kartoffeln, gewürfelt
2 Zwiebeln, ebenfalls gewürfelt
4 Esslöffel neutrales Öl, etwa Raps
Zum Garnieren: frische Koriander und/oder Thai-Basilikum-Blätter
Als Beilage: Reis (wie Ihr den kocht, wisst Ihr selbst, oder?)
Für die Massaman-Curry-Paste:
4 Teelöffel feingehacktes frisches Zitronengras
2 Teelöffel Galgant, feingehackt
2 Teelöffel frischen Knoblauch, zerdrückt oder feingehackt
2 Teelöffel schwarzer Pfeffer
2 Teelöffel rote Zwiebeln, feingehackt
2 Teelöffel Fenchelsamen
2 Teelöffel Kardamom, gemahlen
2 Teelöffel Koriandersamen
2 Nelken
1 Zimtstange
Miteinander in einem Wok, eine Pfanne oder einen Bräter geben, bei mittlerer Hitze etwa fünf Minuten ohne Fett unter ständigem Rühren anrösten, bis sie zu duften beginnen und die frischen Gewürze eine zartgoldene Farbe annehmen. Auf keinen Fall zu heiß werden lassen oder zu lange in der Pfanne lassen: Sonst verbrennen die Gewürze und werden unnötig scharf und bitter. Rausnehmen, und in einem Mörser mit
10 großen, getrockneten roten Chilis
zu einer Paste zerreiben und dann – zurück in der Pfanne, in der inzwischen die 4 Esslöffel Öl auf mittlerer Hitze heiß geworden sind, noch einmal drei bis vier Minuten unter Rühren anbraten.
Rausnehmen, beiseitestellen.
Im Wok oder der Pfanne nun die Hälfte der Kokosmilch erhitzen, bis sie blubbernd kocht. Die Würzpaste und das Fleisch zugeben und fünf Minuten lang mitkochen. Dann den Herd auf niedrige Stufe herabschalten, die Erdnüsse, Zucker, Tamarindenwasser (oder Limettensaft), den Rest der Kokosmilch und die Lorbeerblätter hinzugeben und in etwa eine halbe Stunde weiterköcheln lassen, bis Fleisch und Kartoffeln zart und weich sind. Nun die Zwiebelwürfelchen zugeben und noch einmal etwa fünf Minuten mitköcheln lassen (indem man sie erst so spät zugibt, behalten sie ihren „Crunch“, der gemeinsam mit den Erdnüssen dazu führt, dass hier butterzartes Fleisch und samtige Kartoffeln und knusprige Texturen dem Gaumen vielfältige Reize bieten). Das Ganze mit dem Zucker abschmecken und nach Geschmack auch mit noch etwas Salz (oder Fischsauce).
Mit frisch gekochtem Reis servieren.

Musik zum Menü
Mein Vater liebt gut abgehangenen, sanft schleppenden Blues. Und den gibt es in seiner berückend schönen Schlichtheit hier zu seinen Ehren als musikalischen Kontrapunkt zur raffinierten Schärfe und zum vielschichtigen Miteinander der Aromen des Currys.
Mensch, Ole, grandios. Ich könnte sofort loskochen, wenn ich nicht gerade fern der Heimat wäre. Das Geheimnis dieser großartigen Currys ist, glaube ich, das Zermalmen von Koriander und Co. und das anschließende Zerstäuben in der Pfanne. Dein Vater muss ein wundervoller Mensch sein.
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Mensch Bibo, tausend Dank Dir!
Das Zermalmen und vorherige Anrösten hilft beim Aufschlüsseln der Aromen sehr. Das Fettlösen danach auch. Wobei für sri lankische oder auch indische Curries ja in den Rezepten, die ich kenne, eher gar keine (Sri Lanka) oder nur eine Paste aus Ingwer und Knoblauch (Indien) gemörsert wird.
Und ich mag meinen Papa unglaublich gern! 🙂
Hab nen hinreißenden Urlaub!
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B.B. King und Lucille- das Stück ist 70 Jahre alt, hab ich eben nachgelesen- fügen sich wunderbar in die Geschichte und das Gericht ein
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Das freut mich sehr! Danke Dir! 🙂
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Das Rezept klingt sehr verführerisch. Aber wenn du die Biohühnerbruststückchen insgesamt 40 Minuten köchelst, dürften sie ziemlich trocken werden. Ich würde sie höchstens 6-8 Minuten mitkochen.Die werden doch sowieso nicht angebraten. Ich werde das auf jeden Fall nachkochen und freue mich schon drauf. Weiter viel Spaß beim Kochen.🙂🍽🥘🍗🍷
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Ich salze das Huhn in aller Regel gern einen Tag vorher, was die Proteine auflöst und dafür sorgt, dass die Fleischstücke Flüssigkeit besser aufnehmen können beziehungsweise die Proteine bei Hitzeeinwirkung die im Fleisch enthaltene Flüssigkeit in weit geringerem Maße rauspressen. Dadurch war das Fleisch trotzdem sehr saftig und zart. Du hast da natürlich trotzdem nen Punkt (und das hier dargestellte Rezept ist einfach das, wie es sich im Kochbuch findet, hätte man beides als Hinweis aber ergänzen können, stimmt). Dir ebenfalls. Ganz liebe Grüße!
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Trocken? Wenn man Fleisch in Flüssigkeit simmern lässt, egal ob Huhn oder was auch immer, wird es doch nicht trocken, es sei denn, die Flüssigkeit verkocht. Nicht selten wird Hühnersuppe doch auch stundenlang köcheln gelassen und das Fleisch fällt am Ende butterzart vom Knochen.
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Lieber Ole, du bist ein ganz großer Koch, Journalist, Forograf und Mensch – und Menschenfreund. Ich wünsche dir noch viele tspannende kulinarische Entdeckungsreisen uns freue mich an deinen Beiträgen . Liebe Grüße tat
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Liebe Tat, Du tust was für meine Gesichtsdurchblutung. Menschenfreundlichen, herzlichsten Dank Dir! 🙂
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Ich liebe Massaman-Curry. Danke für den Reminder, das endlich mal wieder zu kochen.
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