
Als Wulnikowski eines Tages aus unruhigen Träumen erwachte, war ein Pottwal auf seiner Stirn gestrandet und drückte ihn mit aller Tonnenschwere zurück in die Kissen. Vielleicht hatte irgendwer ihn auch mit dicken Tauen eingewickelt und Senkbleie daran befestigt. Oder Isaac Newton hatte sich seiner über Nacht bemächtigt, um die wunderbare Welt der Schwerkraft vorzuführen. Irgendwo unter der Dachverkleidung hatte sich ein Marder, gefühlt durch ein Megafon, durch die Isolierwolle gefuttert. Entnervt vom Krach war er mitten in der Nacht in seinen alten Fiat gestiegen und gefahren, über laternenlose Straßen, fast ins Nichts, bis an die niederländische Grenze. War unter Sternen über einen Bohlenweg gestakst, um ihn herum raschelte Schilf, bis ans Wasser. Dort, wo die Kiekkaaste – eine Holzhütte auf Stelen – emporragte. Die sah von weitem wie ein Vogel aus und diente auch dem Beobachten von Vögeln. Nur dass die tief in der Nacht ebenfalls schliefen – im Gegensatz zu ihm. Statt dessen aber saßen dort drei Zottel, die sich zum Vollmondtrommeln verabredet hatten. Wieder keine Ruhe. Entnervt war er wieder von dannen getrottet, hatte sich ins Auto geworfen und zurück zu Haus sich den Restinhalt einer uralten Absinthflasche reingezimmert. Wulnikowski rieb sich die Augen, wuchtete sich hoch (ein Kraftakt mit Pottwal auf der Stirn) und spähte durch einen Gardinenspalt nach draußen. Eine Taube kackte auf die Fensterbank. Klaus-Dieter, der Nachbar, mähte Rasen. Das Dröhnen hallte und schepperte im Kopf.
Noch immer erfüllte ihn eine Müdigkeit, die so meilentief war, dass ohne Unterstützung selbst stärkster Kaffee irgendwann die weiße Flagge hissen müsste beim Versuch, Wulnikowski wach zu bekommen. Das allerdings konnte dann gelingen, wenn der sattwürzige Duft im Ofen schmurgelnder Tomaten, kecken Kreuzkümmels, brennend scharfer Chilis seine Nase kitzelte. Dann, wenn darin fürs Frühstück ein Pott mit Shakshuka brodelte, in dem die feurige Sauce unbescholtenen, friedfertigen Eiern einheizte, der danach mit frischem Koriander oder glatter Petersilie garniert noch dampfend aus dem Rohr gezogen wurde und auf ganz besondere Weise vermochte, Lebensgeister wieder zu erwecken.

Auch in Italien gab es so etwas. „Uova in purgatoria“ nennt man sie da. Eier im Fegefeuer. Als Neapel das letzte Mal von der großen Pest heimgesucht wurde und die Menschen siechten, klammerten sie, die erzkatholischen, ihre Hoffnung an Gebete zu Jesus, Maria, Gott und den Heiligen. Die Seuche scherte das wenig. Doch in dieser Zeit bitterer Not entstand der Brauch „a refrische ‘e ll’anime d’o priatorio”: Totenschädel wurden mit Blumen ausgeschmückt und weich gebettet. Besonders begehrt waren – makaber – die Schädel kleiner, unschuldiger Kindern. Die Idee war, den Seelen der Verstorbenen ein Lächeln zu schenken – auf dass sie beim nächsten Frühstück mit Gott ein gutes Wort für die noch Lebenden einlegen. Auch die „Eier im Fegefeuer“ sind mit diesem Spannungsfeld zwischen Himmel und Hölle aufgeladen worden. Wobei das Eiweiß den reinen Umhang für die Seelen symbolisiert, der sie vor dem Fegefeuer und Höllenflammen der scharfen Tomatensauce schützt.

In Südamerika werden verlorene, pochierte Eier in Tomatensauce geneckt von schwarzen Bohnen und gefüllt in frische Tortillas, „Huevos rancheros“ genannt, Bauern-Eier, und waren wohl das karg-köstliche Mahl von Farm-Arbeitern. Auch in der Türkei kennt und liebt man die Kombination von Eiern in brodelnder Tomatensauce (zurecht). Dort unter dem Namen „Menemen“ und eher als tomatiges Rührei. Als „Shakshuka“ hatte er das Gericht kennen und sofort lieben gelernt. Quasi Nationalgericht Israels, auch wenn die Wurzeln in Nordafrika liegen sollen. Wo genau weiß heute niemand mehr, stört aber auch keinen großen Geist. Kennengelernt hatte er es indes nicht in Tel Aviv, Netanja, Jaffa oder Jerusalem, sondern bei Schorsch, der es ihm einst nach durchzechter Nacht zum Frühstück serviert hatte. Die Chilischärfe, gepaart mit starkem Kaffee, hatte seine schwipszerlegten Lebensgeister auf einen Schlag wiederbelebt und seinen Organismus wachgerüttelt. Und genau das, genau solche Wunderkräfte brauchte Wulnikowski auch jetzt. „Vielleicht lassen sich damit sogar Pottwale abschütteln“, murmelte er vor sich hin. Rollte sich aus dem Bett, begann zu schnippeln und schmurgeln für seine Lieblingsvariante, in der in der Tomatenschärfe auch noch cremiger Feta zerschmolz, heizte den Ofen vor, brühte sich Kaffee. Und als alles fertig war, nahm er sich eine Schüssel der heißen Köstlichkeit und schlurfte damit in den Wald, um ganz allein in Einsamkeit, fernab vom Lärm der Stadt und Vollmondtrommler wach zu werden.


Zutaten für die Shakshuka
Für 2 Personen, am besten aber gleich die doppelte Menge machen, das Ganze ist zu gut.

1 Dose gehackte Tomaten (400-450 Gramm), alternativ eine Portion „Ofentomatenwunder“ (dann auf den weiteren Knoblauch verzichten)
3 Knoblauchzehen, in feine Scheiben geschnitten
2 große rote Zwiebeln, geschält, in Ringe geschnitten
1-2 Esslöffel Harissa (nordafrikanische Chilipaste, am besten in Dosen oder im Glas im arabischen Laden kaufen. Das, was Lidl etwa als Aktionsware anbietet, ist Murks und schmeckt nicht. Auch nicht zu verwechseln mit trockenen Gewürzmischungen, die auch manchmal in Plastikmühlen als ,Harissa‘ verkauft werden. Den Rest der Dose am besten umfüllen und mit etwas Öl begießen, sonst schimmelt sie bald, so aber hält er sich für Monate. ACHTUNG: Die Pasten fallen verschieden scharf aus. Wenn Ihr die Wirkmacht Eures Zeugs noch nicht kennt – und auch abhängig davon, wie gern ihr scharf esst und wie gut Ihr das vertragt: geht im Zweifel erstmal defensiv ran und schärft im Zweifel später nach, falls es Euch zu lasch ist. Ich mag es fetzig. Ich mag aber auch keine Klagen, sollten meine Rezepte fremde Magenschleimhäute demolieren ;))
1 Teelöffel gemahlene Kurkuma
1 Teelöffel Zimt
1 Teelöffel gemahlener Kreuzkümmel
1 Teelöffel gemahlener Koriander
1-2 Teelöffel Zucker
1 Teelöffel Salz
1 Packung Feta oder Hirtenkäse, also etwa 200 Gramm
4 Eier
2 Esslöffel Olivenöl oder Butter
Pfeffer
1/2 Bund frischer Koriander
Fladenbrot zum Servieren und Eintunken

So wird die Shakshuka gemacht
Am besten – insbesondere für die doppelte Menge – einen großen ofenfesten Bräter verwenden. Für die kleinere Version habe ich den Unterboden einer marokkanischen Tajine genommen.
Für die Sauce das Fett (Olivenöl oder Butter) auf niedriger Stufe erhitzen und darin Zwiebeln und Knoblauch ein paar Minuten sanft glasig schwitzen (nicht zu hoch drehen, wir brauchen hier nichts kross und schwarz), bis sie zartgolden werden.
Die Gewürze, also Kurkuma, Zimt, Koriander und Kreuzkümmel, hinzugeben, auf dass sich die Aromen lösen und entfalten. Rühren, damit nichts anbappt, weiterhin die Hitze nicht erhöhen, sonst wird es rasch bitter.
Dann die Harissa-Paste dazugeben und weiter mitschmurgeln, bis auch die duftet. Die Dosentomaten draufgeben, vorsichtig mit Zucker und Salz abschmecken (es kommt ja noch Feta dazu, der ja auch salzig ist).
Die Stängel von den frischen Korianderblättern abschneiden und ganz fein hacken und mit in die Sauce einrühren.
Den Backofen schonmal auf 180° C vorheizen (160° bei Umluft) und dann die Sauce auf dem Herd aber noch etwa 20 Minuten lang weiterköcheln lassen.
Den Feta zerbröseln und teils in die Sauce drücken, teils als Geröllfeld auf dem flammenden Tomaten-Inferno liegen und aufknuspern lassen im Ofen. Vier Mulden mit einem Löffelrücken in die Sauce drücken und darein jeweils ein frisch aufgeschlagenes Ei geben. Das Ganze dann 10 bis 12 Minuten im Ofen backen, bis das Eiweiß fest geworden ist. Falls Ihr Fladenbrot dazu servieren wollt, backt es im Ofen doch gleich mit auf.
Zum Servieren mit dem restlichen Koriandergrün bestreuen und mit dem Fladenbrot zusammen essen.

Musik zum Menü
Eine so köstliche, heißscharfe, unwiderstehliche Sauce wie die im Shakshuka-Rezept hier gehört gefeiert. Auch musikalisch. Also: „Baby’s got sauce“ von den einstmals verflixt grandiosen G. Love & Special Sauce!
Weil die Sauce schön chilischarf ist, bieten sich die „Peppers“ hier natürlich auch musikalisch an. In diesem Fall nicht funkwild, sondern zart-balladesk wie die milden Eier inmitten des Fegefeuers. Und weil Wulnikowski nen kleinen Ausflug bei Nacht gemacht hat und weil der Song sehr schön ist: „Road trippin'“ für Euch!
Und weil „Wulni“ ja fast ans Meer gefahren ist (eigentlich ja nur an den Dollart, aber Wasser ist da auch, und dahinter kommt das Meer), gibt es zu guter Dritt noch „Headed for the ocean“ der fabelhaften und zu Unrecht unbekannt gebliebenen Schweizer Emo-Rocker von „Favez“.
So kafkaesk die Verwandlung mit Wulnikowski auch vonstatten geht – er kocht so chilischarf, dass ich nebenbei schon Zutaten notiere. Und so eine Shakshuka erschafft Wulnikowski sogar noch mit einem Pottwal auf der Stirn. Klingt ganz nach dem richtigen Rezept für mich.
Mit viel Lesegenuss goutiert.
Lieben Dank und Grüße
Amélie
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Kafkaeskesten lieben Dank – und beste Grüße von Gregor Samsa. Den hab ich kürzlich beim VW-Käfer-Freunde-Treffen getroffen. 😀
Und sorry, dass ich so lange zum Antworten gebraucht habe. Wilde Wochen.
Freut mich sehr, dass es nach einem richtigen Rezept für Dich klingt.
Ganz liebe Grüße!
Ole
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Und Du versteckst Deine kostbaren Textjuwelen (vorübergehend?) jetzt vor der Welt? Wie schade – womöglich aber ja gut begründet. Ganz liebe Grüße!
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Lieber Ole,
ich freue mich sehr, dass Du meinen untergetauchten Blog gesucht hast. Der ist nicht mehr öffentlich, das stimmt. Ich bin einfach viel zu blöd für diesen Datenschutzkram. Als ich nachts Alpträume von Rechtsanwaltsrudeln auf Beutefang bekam, machte ich die Schotten dicht und ging auf Tauchstation. Doch wer Zugriff haben möchte, dem öffne ich sofort mit Knicks und fröhlichem Hallo meine blogtür.
Als ich Deinen Blog entdeckte, habe ich vor Freude eine Runde Pogo im Salon getanzt. Der ist nämlich auch ein Text- Musik- und Bild-Juwel…
Nach dem Lesen habe ich immer alles gleichzeitig: Hunger, Lust zu tanzen, nachzudenken und zu lachen, mit einem guten Lesestöffchen in der einen Hand und mit der anderen nach Zutaten wühlend.
Dein blogrezept geht auf wie ein Schokoladen- Soufflé.
Bald besuche ich Ostfriesland. Acht Tage lauter Siele an der Küste. Ich freu mich schon dull…
Liebe Grüße
Amélie
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Du kommst nach Ostfriesland? Sag gern Bescheid, falls Du magst. Vielleicht kriegen wir ja ein spontanes Treffen hin.
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Wow, was für eine schöne Idee- toll wäre das, Dich spontan kennen zu lernen, Ole, – lieben Dank! Vom 14.8-22.8 sind meine Freundin und ich in Carolinensiel und Umgebung unterwegs. Ich werde sie fragen – erzählt habe ich ihr schon von Dir, Deinem Blog und wie Du aus köstlich klingenden Rezepten auch literarische Amuse-gueules zauberst…und dass Du noch viel mehr tust als das, es klang für sie so spannend wie für mich. Einen schönen Sonntag wünsche ich Dir.
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Und tausend Dank Dir und lad mich gern zum Blog ein! Ich bleibe gern. Und was den Rest betrifft, muss ich auch noch ran. Grauzone ahoi. Mindestens
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Du bist sehr herzlich eingeladen…nur…du müsstest erst auf diesen Button hauen, der meine Blogtürklingel darstellt und deinen Lesezugangswunsch – sonst kann ich diese Tür nicht öffnen…das haben die Schlaumeier von WP so eingerichtet…
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Was 14.-22.8. betrifft: Ich hab da auch Urlaub. In diesem Jahr ist aber Chaos. Deswegen hab ich noch immer null Peil, ob ich diesmal den Urlaub in der Heimat verbringe, irgendwohin reise und wenn, wohin. Sollte ich da sein, würde es mich sehr freuen, kriegten wir das hin. Dann könntesollte es mich ausm Hinterland auch mal wieder an die Küste verschlagen, wo ich verblüffend selten bin. Weil es dann doch noch ne gute Stunde Fahrt bis Carolinensiel ist. Was eigentlich kein Argument sein kann. Schreib mir doch mal ne Mail, dann können wir Kontaktdaten tauschen und uns weniger öffentlich besprechen, ob wir da was hinkriegen. Und danke für die Weiterempfehlung!
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Alles Klärchen, dann maile ich Dich gerne an, es wäre fein, wenn das klappt! Mit Kümmel, Muskat und Chaos kenne ich mich gut aus…Wildschön- das trifft den Sattel mitten in die Stütze – mal sehen, was der Kohlrübenwinter noch so auf der Kette hat. Eins steht fest: Pisse fetzt!
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Den Button hab ich gern gehauen!
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Ein herzliches Willkommen bei der Karfunkelfee, Ole. Ich freue mich sehr, dass Du jetzt zu meinen Blogfreunden mit dazu gehörst und ich wünsche Dir ganz viel Spaß beim Stöbern.
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