
Der Mann, der wie kein zweiter Demokrat in den USA dafür gekämpft hatte, den Finanzmarkt aus Fesseln der Vernunft zu lösen, trägt die silbern glänzenden Haare nach hinten gekämmt. Chuck Schumer, 1950 in Brooklyn, New York, geboren, lupenrein rasiert, die Krawatte sorgsam glatt gestrichen, ist heute Mehrheitsführer im US-Senat. Und so entfesselt er den Finanzmarkt sehen wollte, der unkontrolliert vor 14 Jahren implodierte, so entfesselt schwärmt der Mann auch für Käsekuchen. 8600 Dollar, verriet er vor etwa zwei Jahren, habe er binnen zehn Jahren für den „besten Käsekuchen der Welt“ ausgegeben. Den, so gab er zu Protokoll, gebe es bei „Junior’s Bakery“ in seinem Heimatstadtteil. Schon als Viereinhalbkäsehoch hatte er den Kuchen dort vertilgt. In seinem Geburtsjahr unter diesem Namen gegründet, hatte ein Bäckermeister namens Eigel Peterson das Rezept, das in seiner Familie schon seit Generationen weitergereicht worden war, ins Restaurant eingebracht – mit durchschlagendem Erfolg. Auch Präsidenten, etwa Barack Obama, und Popstars wie P. Diddy schwörten und schwören auf den Kuchen.
Nun ist vor ein paar Jahren ein kleiner Zettel auf Reisen gegangen. Eine Freundin meines Kumpels Henning, der in der Sterneküche gelernt und danach einige Jahre im Hamburger Hotel Atlantic unter anderem Udo Lindenberg bekocht hat, ehe er in Ostfriesland als Koch Gäste zu begeistern begann, stand dort mit ihm gemeinsam in der Küche. Zuvor hatte sie allerdings einige Jahre lang, auf kulinarischer Wanderschaft, bei „Junior’s“ Köstlichkeiten kreiert. Das genaue und vollständige Rezept für den Kuchen wurde extrem geheimgehalten, und auch als sie ging und zart fragte, ob sie es bekommen könnte, um es in Deutschland mal in Gänze nachzubacken, habe sie nur angetippte Stirne und Kopfschütteln geerntet, erzählt Henning. Doch seiner Legende nach fand sie dann beim Auspacken ihrer Koffer nach dem Rückflug plötzlich einen kleinen Zettel, auf den ohne große Erklärungen das Rezept gekritzelt war. „Das Rezept wollte ich wiederum auch verdammt gern haben“, sagt Henning. „Aber sie sagte, das könne es mir nicht geben.“ Doch Geschichte wiederholte sich. Als er wiederum von Hamburg zurück in seine Heimat zog, fand er ebenfalls einen kleinen handschriftlichen Zettel – mit dem Rezept. Nicht das originale Papier, auf dem die Mengen in Cups und Ounces abgemessen waren und das die Freundin ihr Leben lang bei sich behalten wird. Aber ein von ihr bekritzelter Zettel. All das erzählte er mir, als ich kürzlich bei ihm im Restaurant zu Gast war – und es ein Stück sensationell guten Käsekuchen zum Dessert gab. Und ich war dreist genug, ihn nach dem Rezept zu fragen. Und wie es bei Freunden so ist, tun sie einem manchmal ja überraschende Gefallen.
Wie geheim das Rezept von „Junior’s“ wirklich ist, sei dahingestellt. Man findet Hunderte Rezepte des Käsekuchens rauf und runter im Netz, es gibt auch ein „Junior’s Cheesecake Cookbook“ (bei dem man natürlich auch nicht weiß, ob sie ihr Originalrezept verraten) und doch sind es zumeist private Versuche, dem Original nahezukommen. Und wie original die mir übereignete Variante ist, weiß ich auch nicht, weil das Originalrezept ist ja eigentlich geheim. Dass Quark darin verwendet wird, wo Quark nach europäischem Verständnis ja eher schwierig in den USA zu bekommen sein soll, mag wundern. Macht das Ganze aber luftiger als nur mit Frischkäse, sagen Back-Experten in meinem Umfeld. Vielleicht, ganz vielleicht, kann ich Euch hier aber eben dieses Originalrezept für einen New York Cheesecake mit Schmand-Topping verraten. Und selbst wenn das gar nicht das Echte ist, ist es immer noch ein ziemlich gutes.

Nun ist es aktuell ja relativ heiß. So sehr, dass das Hirn dabei schonmal wie Butter schmelzen kann, Gedanken verdampfen und entsprechend die Abstände von einem zum nächsten größer werden. Und wenn dann noch blinder Tateneifer dazukommt, man nicht nachdenkt und die Anweisungen rudimentärst sind, kann auch schonmal etwas nicht ganz so sauber klappen. Und weil ich vor mehr als einem Jahr versprochen habe, hier auch Sachen zu zeigen, die nicht ganz so blütensauber hingehauen haben – und weil ich meiner eigenen Ungeduld rasch auf die Spur gekommen bin, gibt es hier meine Dokumentation des Erstversuchs. Hat herausragend gut geklappt, sah aber ein bisschen aus wie eine Anmutung des Gehirns, das ich kurzzeitig nicht benutzt hatte.
Denn stillschweigend mitgedacht wird im Rezept die Ruhe- und Kühlzeit zwischen den Arbeitsschritten. Zunächst hatte ich den knusprigen Keksbruchboden (ich tippe grob, im Original werden Graham Crackers verwandt) hergestellt (die Kekse am besten in einen Plastikbeutel geben und mit dem Nudelholz kleinwalzen – oder im Schnitzelwerk der Küchenmaschine kleinhacken) und kurz gebacken. Ohne Werbung machen zu wollen: Hobbit-Kekse sind hier ne Eins-A-Wahl. Oder Lotus-Karamellkekse. Auch prima – wenngleich unnormal süß.
Dann wird ja die herrlich zartzitronige Basiscreme zusammengerührt, in der erst Frischkäse und Quark mit der schaumig gerührten Melange aus Zucker, Ei und Salz vermengt werden, dann vorsichtig geschlagene Sahne untergehoben wird und dann ein Spritzer Zitrone (ich habe auch noch ein paar Zesten abgerieben und reingeschmuggelt) das Ganze erfrischt. Eben das wandert 40 Minuten bei 160 Grad in den Ofen.
So weit, so klar war mir all das. Aber dass es quasi ein Cheesecake mit Schmand-Topping werden sollte, war mir nicht ganz so klar. Und auch sonst war mein Hirn nicht sehr frisch. Zunächst rätselte ich hitzegar, wieso ich denn jetzt noch eine weitere Masse aus Schmand und Vanillezucker herstellen soll und was ich damit tun soll. Dann hätte ich darauf kommen können, den Schmand rechtzeitig aus dem Kühlschrank zu nehmen, um ihn zimmerwarm leichter verarbeiten zu können. So ist das mit knapp gehaltenen Geheimnissen, die nicht alles mitverraten. Und zum Aufwärmen taugt die Sommerhitze aktuell ja prima.

Stattdessen habe ich den Kuchen aus dem Ofen geholt und noch heiß versucht, kühlschrankkühle Schmand/Vanillezuckermasse daraufzustreichen. Die versank dann eher klumpig wie ein Gangster auf der Flucht in lebendem Moor statt sich geschmeidig als Decke über den Kuchen streichen zu lassen.
Der Trick ist eben, den Schmand frühzeitig aus dem Fröstel des Kühlschranks zu holen, bis er Luft geholt hat, zimmerwarm ist und nicht mehr so ein steifer, unterkühlter Geselle. Der nächste Trick ist, auf gar keinen Fall doll zu rühren, während man den Zucker einrührt. Sanftmut ist das Zauberwort. Und das Ganze dann langsam von der Mitte kreisend nach außen auf den Kuchen gießen und ganz vorsichtig mit einem Silikonspatel verteilen. Falls Blasen aufploppen und man keine möchte, damit es auch schön sauber aussieht, kann man die mit dem Spatel zart plattbügeln. Oder mit einem Zahnstocher. Das ist dann ein wenig wie mit Knallfolie spielen. Und erst dann schiebt Ihr das Ganze nochmal in den Ofen für 10 bis 15 Minuten. In dem Moment hatte ich aber ein Kuchenbrett vorm Kopf. Und so wie bei mir sieht das Original in New York mutmaßlich zumindest nie aus.
Nun ist der Unterschied beim Richtigmachen der, dass sich der Schmand deutlich gleichmäßiger verteilen lässt und nicht ungleichmäßig klumpt und am Ende wie Gehirn aussieht – wie bei mir. Rein geschmacklich macht es nur insoweit einen Unterschied als die Verteilung der verschiedenen Schichten eben etwas abenteuerlicher ist. Köstlich war auch mein Erstversuch in jeder Form. So köstlich, dass er in Windeseile ratzfatz verputzt war.


Musik zum Kuchen
Bei so viel Geheimnissen, geschmolzenem Hirn, Kuchen, dessen Topping zerebrale Strukturen optisch imitierte, kann es musikalisch ja fast nur mit dem wunderschönen „secret meeting in the basement of my brain“ starten: The National – Secret Meeting.
Und wenn schon Käsekuchen, dann auch musikalisch: „Cheese cake“ von The Teeth of England.
Und weil man im Sommer manchmal auch einfach zu guter Musik tanzen möchte, und sei es, um das Hüftgold abzuschütteln: The Exit – Darlin‘
Sieht grandios aus – auch der Erstversuch. Demnächst werde ich mich auch an diese Kreation heranwagen! Danke für die Tipps und das Rezept.
Die Story dahinter hat mich sehr gut unterhalten ☺️ Und ich finde sowieso, dass ein guter Käsekuchen maßlos unterschätzt ist/wird. So manche über Stunden gezauberte Torte mit linksgedrehter Sahne und farbenfrohen Verzierungen und drölf Schichten verschiedenster Gaumenfreunden würde ich für einen guten Käsekuchen stehenlassen. Ich freu mich jetzt schon!!
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Hej Aike, das freut mich sehr! In jeder Form. Und ich war lange, ehrlich gesagt, kein sonderlich großer Käsekuchen-Fan. Das wandelt sich aber langsam. Was über Stunden gezauberte Torten mit linksgedrehter Sahne, im schlimmsten Fall noch mauerdicken Schichten Fondant oder Marzipan betrifft: ganz bei Dir. Liebe Grüße, hab nen schönen Abend!
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Wieder einmal köstlich geschrieben und fotografiert. Der US Käsekuchen ist wirklich eine kleine Sünde wert. Liebe Grüße Cornelia
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Das freut mich außerordentlich, Cornelia! Ganz lieben Dank. Und wir sind uns einig. Herzlichste Grüße Ole
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Cheesecake- so fein! Dieses Rezept kommt dem welches ich in den 80ern in den USA kennenlernen durfte sehr nahe, ich kann mir vorstellen dass die Quark-Creamcheese Mischung luftiger daherkommt als Frischkäse solo.
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Ungefähr das hat Henning auch gesagt. Ganz lieben Dank, meine Liebe! Wenn ich ganz ehrlich bin, bleibt mein liebster Cheesecake ja der mit Passionsfruchtspiegel und weißer Schokolade von Christian Hümbs, den ich hier auch nochmal beizeiten vorstellen muss (wollte ich längst, hab damals aber nur Scheißfotos gemacht – und noch keine Zeit gefunden, ihn nochmal zu backen). Aber die Geschichte, die diesen Kuchen begleitet, egal wie seemannsgarniert die Story von Henning sein mag, allein reicht. Und der Kuchen ist prima. 🙂
Große Grüße
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Hammer, Ole. Die Geschichte und das Rezept. Ich glaub ich muss den Cheesecake mal testen, ich liebe solche Kuchen. Liebe Grüße schickt dir Karin
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Das freut mich riesig, Karin. Hoffe, er wird Dir schmecken. Aber ich fand ihn wirklich amtlich. Ganz liebe Grüße zurück!
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Mein lieber Herr Walgesangsverein, das klingt ja geil.
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Beim Donnerdrummel, riesigen Dank!
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Was für eine tolle Geschichte.
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Das freut mich riesig. Tausend Dank!
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Servus, sind die Temperaturangaben für den Ofen Umluft, oder „normal“ Ober-/ Unterhitze?
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Moin Christiane: Ich kann hier auch nur raten. Den Zettel oben hast Du ja womöglich gesehen. Das ist die vermeintliche Abschrift des Originalrezepts. Fast bar jeder Erklärungen. Ich würde tippen, dass 160° Umluft meint und Ober-/Unterhitze auf 180° gehen. Das fände ich auch üblich. Aber ich kann es Dir nicht sagen. Ich hab ja nur diesen kryptischen Zettel gesehen und abfotografieren dürfen.
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Was für ein toller Kuchen und was für eine wunderbare Geschichte!
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Was für ein wunderlieber Kommentar. Tausend Dank, meine Liebe – und große Grüße!
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Oh, Käsekuchen ist in allen Variationen fein. Auch wenn sich mir die Unterschiede zwischen klassischen Käsekuchen, American Cheescake und New York Cheescake noch nicht richtig hundertprozentig erschlossen haben. Mag den Kuchen auf jeden Fall am liebsten pur und ohne viel Früchte-Tüdelüt…dein Rezept hört sich auf jeden Fall klasse an!
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Ich find es auch durchaus lecker. Mein Lieblings-Cheesecake ist tatsächlich einer mit Früchte-Tüdelüt (Passionsfruchtspiegel und weiße Schokolade). Aber der hier ist auch wirklich ziemlich klasse. Und ich mag die Geschichte. Auch wenn sie ziemlich wahrscheinlich nur in vagen Ansätzen stimmt, wenn überhaupt. Aber gutes Seemannsgarn ist ja auch nie weg. Und wenn es einem auch nur ein befreundeter Koch aufbindet. 🙂
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