
Kümmel? Kannste kolossal knicken. Komplett. Fand ich viele Jahre. Spätestens, seit ich als Kind mal in ein Kümmelbrötchen gebissen hatte, dass ich irrigerweise für ein Mohnbrötchen gehalten hatte. Mein Motto fortan: May caraway stay far away from me! Doch ein ganz bisschen, auch dank dieses Gerichtes, wendet sich das Blatt bei mir. Im Leben begegnen einem ja immer wieder Überraschungen. Etwa, dass die rotzig rockende Schrubbelpunkband namens Pisse, die bis vor Kurzem nur ein kleiner pogender Kreis von Kennern kannte, es plötzlich geschafft haben mit ihrer schon vor sechs Jahren zu Schwurbelsynthies gekeiften Zeile „Aber ich will Dein Fahrradsattel sein“ einen kleinen Welthit zu landen. Dank Tiktok. Mehr als 46 Millionen Streams bei Spotify. Dass das Album sich Kohlrübenwinter nennt, wirft einen kleinen Gruselschauer über den Rücken mit Blick auf das, was kommen könnte Ende diesen Jahres. Aber düstere Aussichten sind hier nicht das Thema, sondern Überraschungen. Und zu denen gehört, dass inzwischen weltweit Menschen den rumpelnden Post-Punk von Pisse feiern.
Weltweit gefeiert werden dürften aber auch das folgende Rezept, in das sich Kümmel geschummelt hat und das Pasta mit Pilzrahm nochmal auf ein verführerisch höheres Level hebt, finde ich. Gefeiert werden dürfte es weltweit nur in verschwindend kleinem Maße meinetwegen, aber ich habe es auch nicht entwickelt, sondern Ixta Belfrage. Ich habe es nur minimal abgewandelt. Die in Italien aufgewachsene Tochter mexikanischer und brasilianischer Eltern ist für mich eine der aufregendsten und spannendsten Köchinnen und Kochbuchautorinnen der vergangenen Jahre. Nicht zuletzt ihrem Einfluss ist es zu verdanken, dass schon im Kochbuch „Flavour“, gemeinsam mit Legende Yotam Ottolenghi, frische Zutaten in völlig neuem Aromenlicht erstrahlen und die Geschmacksknospen überrascht vor Begeisterung ekstatisch tanzen lassen (schiefe Metaphern kann ich). Und nun ist – das hier mag an Werbung grenzen, ist aber in jeder Form unbezahlt, aus eigener Begeisterung – ihr erstes eigenes Kochbuch erschienen: „Mezcla“, was so viel heißt wie Schmelztiegel. Und genau das ist ihr Buch auch. Das Werk ist vor Kurzem auf Englisch erschienen, kommt im September auch auf Deutsch und verquickt auf verblüffende Weise Mittelmeerküche mit südamerikanischen und auch südostasiatischen Einflüssen, lässt Kontraste aufeinanderkrachen, die in ihrer Gegensätzlichkeit einander famos ergänzen. Passend für den Schmelztiegel ist, dass dieses Rezept eher osteuropäische Wurzeln hat.
Hier knuspert sich die Aromenfülle von Austernpilzenh im Ofen zu großer Form auf. Goldbraun karamellisierte Schmorzwiebeln werden von einem kecken Kümmelhauch geneckt, der aber alsbald von einem Bad in einer Melange aus Senf, Rahm und Brühe besänftigt wird. Zitronensaft reißt das Ganze frischsäuerlich aus seiner Schwere und verleiht dem Ganzen Sommerfrische. Ein Teil der Knusperpilze darf gemeinsam mit der Pasta erst noch ein paar Runden durch den köstlichen Senfrahm schwimmen, der Rest knackt am Ende obenauf und wird mit Dill und Schnittlauch sowie Zitronenzesten abgerundet. Die ganz zarte Bitterkeit des Kümmels und seine Wolf-im-Schafspelz-Zitronigkeit, die am Rande herausschmeckt, passt hier perfekt. Das Ganze ist sehr simpel – aber sündhaft lecker! Und schon durch die Knusperdimension, aber auch durch das Miteinander der Aromen hebt das Ganze sich schon ein wenig ab von all den Pilzrahm-Varianten, die ich sonst schon so liebe. Zum Zungeschnalzen. Lasst Euch (positiv) von diesem kleinen Umami-Wunder überraschen.





Zutaten
Für die Ofenpilze:
500 Gramm Austernpilze (da die nicht immer leicht zu kriegen und zudem teuer sind: Champignons etwa tun es auch, aber wer sie kriegen kann, zugreifen!)
3 Esslöffel Olivenöl
1/2 Teelöffel Salz
Pfeffer
Für die Sauce:
3-4 Esslöffel Butter
2 Zwiebeln, geschält, fein gewürfelt, in Ringe geschnitten, oder welche zerkleinerte Form auch immer Euch gefällt
3/4 Teelöffel Kümmelsamen (gemahlen geht auch)
1 gehäufter Teelöffel Salz
1 Teelöffel Zucker
2 Knoblauchzehen, geschält und gepresst oder feingewürfelt
2,5 Teelöffel Senf (wer hat und mag, hier wird englischer Senf empfohlen)
5 Esslöffel (75ml) Sahne
0,5 Liter Brühe (Hühnerbrühe wird empfohlen, Gemüsebrühe geht aber natürlich auch)
Für die Pasta:
Frische Eiernudeln (etwa Spätzle) oder Spaghetti oder was immer Ihr so da habt, in Salzwasser gegart.
Im Rezept sind 200 Gramm vorgeschlagen, das fand ich mit meinem hungrigen Magen etwas wenig.
Kurz vorm Servieren:
1 Zitrone, halbiert, den Saft der halben Zitrone ausgepresst, vor dem Halbieren die Schale der Hälfte abgerieben, für Histaminintolerante stattdessen zwei Teelöffel Cranberrysaft nehmen
10 Gramm Schnittlauch, kleingeschnitten
10 Gramm Dill, zerzupft, kleingeschnitten, wie auch immer
Crème fraiche, löffelweise, nach Gusto

So bereitet man die Austernpilz-Pasta zu
Den Ofen auf 220° C (Ober-/Unterhitze, oder 200° C bei Umluft) vorheizen.
Die Austernpilze waschen und abtrocknen und in mundgerechte Stücke zerzupfen. Wenn Ihr andere Pilze habt: ebenfalls in Stücke, die in Euren Mund passen, zerkleinern. In einer Schüssel mit dem Öl beträufeln und dem Salz bestreuen, vorsichtig, aber gründlich mit den Händen vermengen und wenden, so dass sich Öl und Salz gut verteilen. Dann auf einem mit Backpapier ausgeschlagenen Backblech oder -rost ausbreiten. Und rein damit in den Ofen, bis sie dunkler werden, vor allem aber knusprig.
Das Rezept schlägt eine Backzeit von 22 bis 25 Minuten vor. In meinem Fall brauchte es eher fast die doppelte Zeit. Mehr als eine halbe Stunde würde ich zumindest einplanen, wobei man nach gut einer Viertelstunde die Pilze einmal rausnehmen und wenden kann, damit sie auch rundum knusprig werden.
Währenddessen geht es an die Sauce: Eine große Pfanne auf mittlerer Stufe erhitzen. Die Butter darin auslassen. Die Zwiebeln hineingeben und ganz geduldig dunkelgolden schmoren. Das kann durchaus länger als eine Viertelstunde dauern. Etwa nach fünf Minuten einen Teelöffel Salz, den Zucker und den Kümmel zugeben. Immer mal wieder rühren. Auf keinen Fall die Hitze höherdrehen, sonst bekommt Ihr schwarze Bitternis statt sattaromatischer unwiderstehlicher Karamellzwiebeln. Nach einer Viertelstunde die Hitze runterdrehen auf niedrige Stufe und nochmal fünf Minuten zärtlich schmurgeln lassen.
Ungefähr jetzt die Nudeln aufsetzen.
Die Hälfte der Karamellzwiebeln rausnehmen und beiseitestellen (sie werden zum Topping).
Dann den Knoblauch hineinpressen/-geben und noch eine Minute (!) mitschwitzen lassen (möglichst nicht länger, sonst wird er bitter).
Einen halben Liter Wasser kochen und die Brühe darin auflösen (wenn Ihr selbst gekochte Brühe habt, umso besser! Dann einen halben Liter davon entsprechend erwärmen). Das Ganze in die Pfanne zur Zwiebel/Knoblauch-Feiergesellschaft geben. Ebenso wie die Sahne, den Senf, noch eine gute Prise Salz (Achtung! Nur noch etwa nen halben Teelöffel) geben und mit der Pfeffermühle wie bei einem Stadtrundflug ungefähr 30 Runden, mahlend, über der Pfanne drehen.
Die Hälfte der inzwischen knusprigen Pilze und auch die fertig gekochte Pasta dazugeben und das Ganze nochmal 5 bis 10 Minuten auf niedriger bis mittlerer Hitze schmurgeln lassen, auf dass es etwas einkocht und die Aromen sich verbinden und auch die Nudeln Geschmack annehmen.
Zum Schluss den Zitronensaft einrühren, ebenso wie die Hälfte der frischen Kräuter. Kurz ziehen lassen, dann auf Teller verteilen, die restlichen Pilze und Karamellzwiebeln auf dem Pastahügel anrichten, die Zitronenzesten und den Rest der Kräuter darauf verteilen. Wer mag, kann auch noch ein paar Spritzer Olivenöl draufgeben. Voilà!

Musik zum Menü
Wenn hier schon vom verblüffenden Erfolg des Songs „Fahrradsattel“ von Pisse die Rede war, sollt Ihr ihn natürlich auch zu hören kriegen:
Weil aber die Geschmacksknospen auch bei diesem Rezept ekstatisch tanzen und weil Sommer ist und nichts schöner ist, als beschwingt glücklich zu sein, ergänze ich die dadaistische Düsternis der Post-Punker gern um das wundertolle „Alive with the glory of love“ von Say Anything.
Und dann war da ja noch der Kümmel. Und da habe ich für Euch noch einen anderen, fast komplett unbekannten Schatz ausgegraben: eine Band namens Caraway, die also auf Englisch heißt wie Kümmel. Und die auch ein bisschen Laune macht und Sommergefühl durchs offene Fenster wehen lässt. Und „Ocean devotion“ ist auch ein feiner Titel, denn wo, wenn nicht am Meer, mag man jetzt gern sein?
Ich finde die Tatsache gerade sehr spannend, dass man Kümmel NICHT mögen kann 😉
Ich für meinen Teil bin ja mit Kümmel aufgewachsen, das war überall drin, im Brot, in der Suppe, …. und am allerliebsten mag ich den gekochten Kümmel, der beim Auslöffeln meiner geliebten Rahmsuppe am Tellerboden wartet!
Es sei dir gesagt: Ich habe auch schon Erdbeeren mit Kümmelobers zubereitet (aber noch nicht verbloggt) – es war ein Gedicht, wenn auch ungewöhnlich. Fazit: Kümmel kann (fast) alles.
Alles Liebe!
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Die transalpine Tradition des Kümmelinallesreinkippens ist ja auch noch deutlich verbreiteter als sie es hier oben ist – kurz vorm Ende der Welt, wo die Nordseewellen an den Strand branden. Wie gesagt, wir nähern uns ja zart an. Aber für mich bestand ein Alptraum-Essen gern aus Thunfisch, Rosenkohl, Marzipan und Kümmel. Vielleicht noch mit kräftig Muskatnuss dazu. Und ich bin fast kümmelfrei aufgewachsen, das mag sicherlich ne Rolle spielen. Wobei Kümmelschnaps hier oben ja auch gern mal getrunken wird (auch das eher selten von mir). Kreuzkümmel, der nun auch nicht gerade prägend für die ostfriesische Küche war und ist, mag ich deutlich lieber. Aber, wie gesagt: Ich nähere mich an, der Allmacht des Kümmels zu verfallen. 😉
Alles Liebe zurück!
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Den Kümmel lernte ich vor allem als Arzneipflanze zu schätzen. Kümmel als Aufguss bei Bauchgrimmen oder als heißer Umschlag und für die ganz Kleinen gibt es Windsalbe auf Kümmelbasis. Wirkt ungelogen wahre Wunder. Kochte Mam Kohl, kamen ein paar Körnchen Kümmel dran. Ersatzweise frisch geriebene Muskatnuss – die übrigens die Durchblutung fördert, auch sie zählt zu meinen Gewürzlieblingen. Mit Kumin hadert und fremdelt mein Gaumen immer noch, doch manche Genüsse müssen erst erarbeitet werden, wenn sie dem Gewöhnungsgaumen zu exotisch sind.
Deine Komposition mit Karamellzwiebeln klingt wieder köstlich. Eben goutierte ich dann noch Pisse und pogote mich keifend eine Runde über 34 qm. Hinterher fühlte ich mich wie ein Fahrradsattel im Steckrübensommer.
Wieso kannte ich die denn bloß noch nicht?
Liebe Grüße an die Wasserkante aus dem zundertrockenen Teuto.
Liebe Grüße
Amélie
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Die magenberuhigende und windstillende Wirkung von Kümmel ist auch an mir nicht vorbeigegangen. Spannend auch, dass Du die zwei Gewürze, mit denen ich schon besonders fremdle oder gefremdelt habe, Deine liebsten nennst. 🙂 Find ich gut. Und ich entwickel‘ mich ja durchaus auch noch weiter. Hoffe ich. Ich bin deutlich digger mit Kumin. Mit dem trinkt mein Gewöhnungsgaumen regelmäßig Bruderschaft. 😉 Bei Pisse… na, die kannte bis kürzlich ja auch keiner, ehe irgendein Typ aus Japan den Song nicht zuletzt wegen der Peitschenhiebe am Anfang dann zur Untermalung eines Videos genutzt hat… dann ging das Ganze plötzlich viral. Fand Nachahmer in rund 26.000 Videos weltweit… und führte zu 46 Millionen Streams bei Spotify. Ich find die Nummer auch großartig. Wildschön und bescheuert. In umgekehrter Reihenfolge. Erfrischende Grüße aus dem ebenfalls etwas staubigen Küstenhinterland in die Teuto-Zundertrockenheit!
Liebe Grüße
Ole
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Das klingt ja wieder mal äußerst verlockend. Die Pilze gehen bei Histaminintoleranz? Ich kann ja keine Champignons vertragen und an Austernpilze hab ich mich nicht getraut Schönen Sonntag wünscht Christine
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Pilze sind ja umstritten. Und nicht jeder Pilz wirkt gleich. Maria hatte keinerlei Probleme nach dem Essen – trotz massiver Histamin- und Fruktose-Intoleranz. Wobei auch Champignons, frisch gekauft, gleich verarbeitet, hier gehen
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Hallo Ole,
au ja, die Frau kann was!
Kümmel ist echt so eine Sache – ich mag ihn zum Glück auch gerne. Cooles Rezept.
Liebe Grüße
Barbara
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moin Ole,
das liest sich ja sehr gut. Kümmel spaltet wirklich die Geister. Ich frage mich aber, meinst du „hiesigen“ Kümmel, also solchen, den man (meist) in Bayern in den Krautsalat und ins Brot gibt oder meinst du „Kumin“, also Kreuzkümmel. Die Gewürze sind zwar nicht verwand, soweit ich weiß, aber auch Kumin/Cumin wird oft als Kümmel bezeichnet.
Ich habe festgestellt, dass ich Kümmel eher mag, wenn er ehr fein gemörsert und nicht ganz ist. So kommen seine Aromen auch besser zur Geltung.
Liebe Grüße, Karin
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Mit Kümmel habe ich Kümmel gemeint. Genau den. Kreuzkümmel mag ich sehr. 🙂
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