
Diesen Text widme ich Lisa, meiner lieben Kommilitonin
und Ex-Wohnheim-Mitbewohnerin, die viel
zu früh schon vor einigen Jahren verstorben ist.
Diese meine Liebe entflammte in einem gefliestem Loch mit quadratischem Grundriss. Mit abschließbaren Fächern, die sogar Anfänger knacken konnten. Mit einem Herd, dessen Platten Schenja, die Russin, im Winter alle auf volle Pulle stellen sollte, um den Raum damit zu heizen. Dieses Loch stand einst in Flammen, als Danny aus Chemnitz einen Kochbeutel Reis in einen Topf gepfeffert, ihn auf höchster Stufe erhitzt, sich aber nichtmal die Mühe gemacht hatte die Anleitung zu lesen. „Wie, da muss Wasser rein?“ Dort, wo auch der lockenverwuschelte, unglaublich trantütige Tobi etwas schlaumeierte, ehe er sich in sein Kabuff zurückzog, um sich – Studi-Jobber bei Liebes-Bezahl-Chats – bis tief in die Nacht als Frau auszugeben und Leidenschaft zu heucheln. Dort, wo „Tüti“, der eigentlich ganz anders hieß, philosophierend Joints baute, die ihm den Spitznamen eintrugen. Es war ein Loch, in dem zerdrückte Bierdosen knackten und als blecherne Basketbälle im Mülleimer oder daneben landeten. (An diesem Freitag ist übrigens internationaler Tag des Bieres – und der Unterwäsche. Ob da ein Zusammenhang besteht?) Es war ein Loch, dessen Bewohner einige Stunden, nachdem sie es abends betreten hatten, später doppelt sahen. Zumindest fast. Und zwischendurch zockten sie Skat oder verschwanden in einem der Zimmer, um auf dem Computer Comicwürmern den Garaus zu machen – oder „Zimmer frei“ zu gucken, während andere zähneknirschend über spätmittelalterlichen Ablautreihen, dem Konstanzer Konzil oder Molekülstrukturen brüteten.
Das Loch, in dem diese meine Liebe entflammte, verbarg sich im Bauch eines vierflügligen Betonklotzes aus den 70er Jahren am äußersten Stadtrand von Münster. Brüll-fader Brutalismus, weiß getüncht, mit rostbraunen und türkisen Beschlägen. Horstmarer Landweg, Studentenwohnheim, 507 Zimmer, je zwölf Quadratmeter groß, eine Dusche für acht, und wenn die Zimmertür zufiel, von außen durchs Fenster einbrechen. Einführungen in… die Literaturwissenschaft, anorganische Chemie, Ökotrophologie… auf schmalen Regalbrettern. Postkarten an rote Türen geklebt. Junge Leidenschaft auf viel zu engen 75-Zentimeter-Kombi-Pritschen mit klappbaren Sofalehnen, die auf verrosteten Hollandrädern in durchfeierte Nächte entschwanden. Am Rande des Areals: eine kleine alte Sternwarte. Gegenüber: hügelige Ackerflächen. Dahinter: noch mehr Betonklötze. Studentenburgen.

Nun wohnten auf unserer Etage des Wohnheims auch drei Marokkaner, Aadil, Shakib, Rashid. Wenn sie die Küche betraten, und sei es nur, dass sie Bratkartoffeln brutzelten, wehten plötzlich Düfte durchs Wohnheim, die Fernweh weckten, die neu und fremd waren. Verführerisch und spannend. Denn bei ihnen landeten Kreuzkümmel oder Ras-el-hanout auf den Erdäpfeln. Aprikosen oder Rosinen und Zimt schmorten mit Fleisch gemeinsam. Und ich staunte, weil das alles für mich eigentlich gar nicht zusammen passen wollte und doch so toll harmonierte – und begann zu begreifen, wie gut Süße, Säure, Salziges und Scharfes als gefühlte Gegensätze einander ergänzen, verstärken, vervollkommnen, wenn sie im richtigen Maß aufeinandertreffen und sich umarmen. Drei, vier Jahre später habe ich mir mitten in der Nacht am Kölner Hauptbahnhof die „Stimmen von Marrakesch“ von Elias Canetti gekauft, während ich auf der Rückreise aus Paris auf einen Zug wartete. Habe sie verschlungen, die Geschichten über den Handel in den Souks, die Kameltreiber, die Düfte und Gewürze auf den Basaren. Seitdem wurde Marrakesch zu meinem Sehnsuchtsort. Zwei geplante Reisen dorthin platzten extrem kurzfristig. Bis heute ist Marrakesch meine „Unvollendete“. Der vollendet köstlichen Küche Marokkos gebe ich mich trotzdem gern hin.

In der traditionellen marokkanischen Küche tragen die Schmortöpfe gern Zylinder: einen spitz zulaufenden Hut, das Ganze meist aus Steingut getöpfert, das lässt den Dampf zirkulieren. Tajine heißt das so besondere Gefäß. Viele der marokkanischen Schmorgerichte, in denen auch damals im Wohnheim gern Salzzitronen und Oliven gelandet, heißen nach dem Spitzhut-Pott auch Tajine. Vergleichbare Ergebnisse erzielt man durchaus aber auch in einem Schmortopf mit gut schließendem Deckel.
Das, was ich diesmal (in einer Tajine) zusammengeworfen habe, fußt lose auf der „Chicken Kdra“ aus dem wundervollen Kochbuch „Casablanca“ von Nargisse Benkabbou, verquickt das Ganze aber mit weiteren Ideen aus der Kochbuch-Bibel für marokkanische Küche schlechthin, „The food of Morocco“ von Paula Wolfert. Hier umflattern Aromen von Ingwer, Zimt und Kurkuma, vielleicht sogar ein Hauch von Safran wie Schmetterlinge kurz knusprig gebratene Hähnchenbrüste, die sich danach wie Prinzessinnen auf der (Kicher-)Erbse ins Dampfbad der Tajine begeben. Umringt von einem Hofstaat aus getrockneten Aprikosen, von mit Honig karamellisierten Zwiebeln, mit einem sommerfrischen milden Zitrushauch von frisch gepressten Orangen, in deren Flüssigkeit, ergänzt um Brühe, das Ganze simmert. So lange der Deckel drauf ist, hört man die Majestäten auch nicht meckern, wenn eine Kichererbse sie in den Rücken piekt. Was am Ende herauskommt, ist zumindest ein rauschender Festball, auf dem die Geschmacksknospen tanzen. Zugegeben, diese Variante ist edler und auch etwas raffinierter als das, was Aadil, Shakib und Rashid einst im Wohnheim brutzelten. Auch ich hatte damals wenig Ansporn und Zeit, aufwändig zu kochen. Die Welt wollte doch erobert werden. Und das Nachtleben der Stadt. Doch sei dieses Rezept den Dreien gewidmet; sie haben mit ihren Kochkünsten diese meine Liebe entflammen lassen. Dieses Rezept so dürfte hier und da Puristen knurren lassen, weil es ein paar originale Schritte umkurvt. Aber es hat nicht den Anspruch möglichst traditionsgetreu und ursprünglich zu sein, sondern lecker.

Zutaten für die Tajine
2 große Hähnchenbrüste (bevorzugt bio)
400 Gramm Kichererbsen (vorgekocht aus der Dose, abgespült und abgetropft – andernfalls über Nacht eingelegt und ewig in Salzwasser gekocht. Tipp: Die Kichererbsenflüssigkeit auffangen, sie lässt sich wie Eischnee schlagen und etwa toll zum Backen verwenden)
etwa 20 getrocknete Aprikosen
1 Saftorange, ausgepresst
3 große rote Zwiebeln, halbiert, auf feine Ringe geschnitten
1 Esslöffel Honig
4 Knoblauchzehen, in feine Würfel geschnitten oder gepresst
2 Teelöffel Ras-el-hanout
1 Teelöffel Ingwer
1 Stange Zimt
1/2 Teelöffel Kurkuma
2-3 Safranfäden, in einem Schnapsglas warmen Wassers aufgelöst (optional, aber super!)
1 Handvoll Sesam, trocken in der Pfanne geröstet
1-2 Handvoll Pinienkerne oder blanchierte Mandeln (ganz)
1/4 Liter Brühe (Gemüse- oder Hühnerbouillon)
Salz, Pfeffer
Olivenöl
frischer Koriander oder frische, glatte Petersilie
Couscous oder Bulgur in Salzwasser gezogen/geköchelt oder überm Dampfbad gegart, oder frisches Fladenbrot als Beilage.

Zubereitung
Vorab:
Die Hähnchenbrüste bestenfalls einen Tag vor der Zubereitung salzen und im Kühlschrank ziehen lassen (macht das Fleisch zarter).
Den Safran in einem Schnapsglas warmem Wasser auflösen.
Von einem Strauß Koriander die Stiele abschneiden und feinhacken.
Zwei Esslöffel Olivenöl in der Tajine oder dem Schmortopf auslassen (wenn Ihr die Tajine auf dem Herd nutzt, ganz langsam erwärmen, damit der Steingut nicht zerspringt) und darin bei am Ende großer Hitze die Hähnchenbrüste im Ganzen von beiden Seiten anbraten, bis sie goldenen Knusper und entsprechende Röstaromen entwickeln. Das Öl sollte hörbar zischen, wenn Ihr das Fleisch hineingebt. Umso besser kann man das Fleisch nach dem Braten herausnehmen – und dann erstmal beiseite stellen.
Nun runter mit der Hitze.
Zwei weitere Esslöffel Olivenöl in der Tajine/im Schmortopf auslassen. Die Zwiebeln, auf feine Halbringe geschnitten, bei niedriger bis mittlerer Hitze sanft schmurgeln lassen, mit dem Honig beträufeln und sanft karamellisieren lassen, bis sie goldene Farbe angenommen haben. Etwa eine Viertelstunde lang.
Dann Knoblauch, Ingwer, Kurkuma, Ras-el-Hanout sowie etwa einen Teelöffel Salz dazugeben, bis die Gewürze zu duften beginnen. Die Kichererbsen auf die Karamellzwiebeln geben, das Safranwasser-Schnapsglas, den frisch gepressten Orangensaft sowie die Brühe angießen. Das Huhn hineinlocken, den Deckel aufsetzen und etwa eine halbe Stunde schmoren lassen.
Das könnt Ihr statt auf dem Herd auch bei 160 Grad im Backofen machen.
Nach der halben Stunde die Aprikosen, die Korianderstiele sowie – wenn Ihr mögt – Pinienkerne oder Mandeln zugeben und den Deckel wieder aufsetzen und nochmal mindestens eine halbe Stunde schmurgeln lassen. Am Ende sollte das Fleisch zart fast zerfallen, sollten die Kichererbsen noch knackig sein, aber im Mund zergehen.
Rechtzeitig vorm Fertigwerden solltet Ihr den Couscous aufsetzen und fertig garen. Oder das Fladenbrot frisch und kross zur Hand haben. Und wenn Ihr mögt, könnt Ihr auch ein, zwei Handvoll Sesam ohne Fett vorsichtig in einer Pfanne anrösten und es darüber streuen.
Die Sauce vorm Servieren einmal probieren. Pfeffern. Eventuell mit etwas Salz abschmecken. Das Ganze, je nach Lust und Laune mit frischer, glatter Petersilie, den Korianderblättern und Sesam bestreut servieren. Auf Couscous oder Brot.
Guten Appetit!


Musik zum Menü
Bei Bier und Bratkartoffelduft fühlten die Jugend und das neue Leben fern von zu Hause so frei an, so neu. Und eine der Hymnen der Zeit war „Feel good hit of the summer“ der Queens of the stone age, gerade frisch erschienen, damals.
Ebenfalls großer Hit, große Hymne in späten Nächten und frühen Morgen in der „Sputnikhalle“: „Spiders“ von System of a down.
Und um hier auch ein wenig Marokkanisches einzuflechten, auch wenn es zugegeben wenig traditionelle Klanganleihen im Maghreb nimmt: „Chems mchat“ von Haraj.
Hallo, in deinem Rezept hast du vergessen, das Huhn wieder hinzuzufügen. Sonst kann es ja nicht zerfallen 😜
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Donnerknispel. Danke. 😀
Wobei Hühner manchmal wie radioaktive Isotope sind, die zerfallen an der Luft. 😉
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Was für ein Loch! Unfassbar, was man alles aushält, wenn man jung ist 😉
Die Fotos deiner Tajine sind traumhaft – wie gemalt.
Alles Liebe!
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oh jeh, Studentenwohnheim- wobei es bei mir doch ein wenig wohnlicher war. Einen Schwarzafrikaner gab es eine zeitlang auf dem Stockwerk- allerdings als Pharmaziestudent war der Alltag schon so mit Kocherei angefüllt dass es daneben wenig Ambitionen gab.
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Diese Tajine ist ein Traum, nicht nur im Sommer. Ganz lieben Dank für das Rezept !!
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