Mannheim, jetzt erzählt er uns plötzlich was über Mannheim – wo er selbst noch nie war. Und genau genommen geht es auch nur um Erfindungen. Schließlich sind in der zweitgrößten Stadt Baden-Württembergs erstaunlich viele bahnbrechende Dinge entwickelt worden. Mitte des 18. Jahrhunderts etwa bereicherten Komponisten am prunkvollen Hof dort sinfonische Werke mit der „Mannheimer Rakete“, einer rasch aufsteigenden Tonfolge (die bei allem doch nie im Weltall ankam). Im „Jahr ohne Sommer“ 1816, als die beim Ausbruch des Tambora-Vulkans vor Bali ausgespiene Asche die Sonnenstrahlen verdeckte, Menschen hungerten und Pferde starben, erfand Karl von Drais dort das Laufrad. Aus der kleinen Badischen Anilin- und Soda-Fabrik, kurz: BASF, die dort 1865 von Friedrich Engelhorn gegründet wurde, erwuchs der größte Chemiekonzern der Welt. 1880 stellte Werner von Siemens dort den allerersten elektrischen Fahrstuhl der Welt vor. Carl Benz, ließ dort den ersten pferdelosen Wagen, den ersten „Selbstfahrer“ patentierten – den Motorwagen Nummer 1, das erste Automobil. Nachdem er vorher schon den Zweitakt-Motor, den leichten Viertakter, die Achsschenkellenkung, Vergaser, Wasserkühler und die Gangschaltung erfunden hatte. Nach dem Ersten Weltkrieg stellte die Heinrich Lanz AG in Mannheim den Bulldog, diesen stinkenden, qualmenden, buppernden Schweröl-Trecker vor, der einst die Arbeit auf dem Felde erleichterte und auf dem Liebhaber bis heute gern zu Oldtimer-Treffen knattern. Dann waren da auch noch der vom Erfinder mit dem sensationellen Namen Prosper l’Orange entwickelte Vorkammer-Dieselmotor, aus dem der erste kompakte Diesel der Welt wurde, Ludwig Röbel, der den Generatorenbau revolutionierte… und passend zur Mannheimer Rakete, oder als Fortschreibung des Musikalischen in der Ingenieurskunst: Julius „Uss“ Hatry konstruierte 1929 das erste Raketenflugzeug der Welt.
Zwischen Motoren, Fahrrädern, Treckern, Chemie und Raketen – und auch Luftschiffen, die dort gebaut wurden, hat dort der Legende nach neben „Monnemer Dreck“, lebkuchenartigen Keksen, aber auch eine kulinarische Sensation ihre Wurzeln: das Spaghetti-Eis.
Zumindest behauptet Dario Fontanella bis heute, im Alter von 17 Jahren im Februar 1969 als erster auf die Idee gekommen zu sein. Zu Besuch bei einem Skirennen in Cortina d’Ampezzo in den Alpen will er das Desser „Mont Blanc“ gegessen haben, ist fasziniert von diesem pasta-ähnlichen Haufen – und entlockt der Besitzerin , dass sie dafür Esskastanienpüree durch eine Spätzlepresse gedrückt hat. Eben das will er in der Eisdiele seines Vaters in Mannheim nachmachen – aber in den Farben der italienischen Flagge. Erste Versuche scheitern, auch weil die Presse zu warm ist, auch aromatisch haut es nicht direkt hin, ehe die Fontanellas auf die Tomatensauce aus pürierten Erdbeeren und Parmesan aus einem geraspelten Osterei gekommen sein wollen.
Er selbst schreibt über sich in der dritten Person: „Die Kinder weinten zunächst, wenn es ihnen serviert wurde, weil sie keine Nudeln mit Tomatensauce, sondern ein Eis wollten.“ Und: „Es war das erste Mal, dass ein Eis nicht als Kugel oder gespachtelt serviert wurde, sondern in einer ganz neuen Form. Dario wollte sich die Idee patentrechtlich schützen lassen, aber sowohl der Vater wie auch der Anwalt des Vaters nahmen ihn nicht ernst und rieten ihm davon ab.“ Nun, so konnte sich die Idee indes umso schneller verbreiten. Und der längst hat Spaghetti-Eis seit Jahrzehnten dem Vorbild fast den Rang abgelaufen – und wann immer ich experimentierfreudiger Vogel in Eiscafés lande und denke: „Heute probiere ich mal was ganz Anderes“, die Wahrscheinlichkeit, dass mir am Ende ein Spaghetti-Eis zum Tisch gebracht wird, ist hoch. Viel zu verführerisch und in seiner Schlichtheit überragend gut ist und bleibt es.
Spannend kann es jetzt sein, von hier aus in ein kulinarisches Spiegelkabinett zu klettern – und den Eis-Klassiker, der einen Pasta-Klassiker mit eigenen Mitteln ähnlich und doch ganz anders imitiert, zurückzuverwandeln, daraus von Neuem ein Pasta-Gericht zu kreieren. Eben dies hat die famose Cettina Vicenzino in ihrem jüngsten, tollen Kochbuch „Cucina vegetariana“ (unterm Link mehr dazu) getan. Natürlich hätte sie als Pasta-Version einfach wieder Spaghetti mit Tomatensauce machen können.
Viel spannender, Gaumen kitzelnder, verführerischer und besonderer ist aber doch, beide Welten zu verbinden. Spaghetti, die nach einem Bad in Mascarpone, Pastawasser und echter Bourbon-Vanille, sich in Eiscreme-Aromen hüllen, umgarnt von einem Chutney aus karamellisierten Zwiebeln, die im Freibad mit Erdbeeren und Balsamico miteinander Schabernack getrieben haben – und überraspelt von nun wieder echtem Parmesan oder Pecorino Romano oder Grana Padano… geneckt von der Sommerfrische vom Stengel gezupfter Minzblätter. „Spaghettoni con Mascarpone, Vaniglia e Fragole“ hat Cettina das Ganze ebenso sinnlich wie pragmatisch getauft. Und weil gerade noch Erdbeer-Zeit ist, will ich nicht versäumen, Euch diese Köstlichkeit, die ich ein klein wenig angepasst habe noch vorzustellen.
Das braucht Ihr für die Spaghetti mit Mascarpone, Vanille und Erdbeeren
400 Gramm Spaghetti/Spaghettoni
400 Gramm Erdbeeren plus weitere 4-6 zum Garnieren
150 Gramm rote Zwiebeln
200 Gramm Mascarpone
1/2 Teelöffel Pfefferkörner, grob zerstoßen
Meersalz
Olivenöl
5 Esslöffel Aceto Balsamico
1 Vanilleschote
1 Esslöffel Zucker (plus/minus)
6 Esslöffel Grana Padano oder Parmesan, gerieben
einige Minzblättchen
1/2 Teelöffel abgeriebene Bio-Zitronenschale
Und so werden die Spaghetti-Eis-Spaghetti gemacht
Einen großen Topf mit ausreichend Wasser (das dürfen schon vier Liter sein) zum Kochen bringen und ausreichend Salz zugeben. Die Pasta, wenn es blubbert, dazugeben. Gar kochen, das Kochwasser aber mindestens 300 Milliliter auffangen, nicht weggießen!
Die Erdbeeren ordentlich waschen, ihnen die grüne Strubbelfrisur vom Schopf schnippeln und sie danach vierteilen. Die Zwiebeln schälen und hauchdünn ringeln.
Einen guten Schluck Olivenöl (für Pedanten: drei Esslöffel) in einer großen Pfanne auslassen und die Zwiebelringe bei niedriger Hitze darin etwa zehn Minuten lang sanft andünsten. Die Pfefferkörner in einem Mörser grob zerstoßen und mitrösten. Eine Suppenkelle (etwa 100 Milliliter) Nudelkochwasser angießen und den Zucker dazurieseln und auflösen. Einige Minuten köcheln lassen, dann die Erdbeerschnitze dazugeben und noch ein kleines Weilchen im Essig-Zucker-Pastawasser-Zwiebelsud und ihrem eigenen Saft schmoren lassen. Ein bis zwei Esslöffel Grana Padano oder Parmesan dazugeben für noch sattere Aromen.
Vorsichtig mit eventuell Salz und vielleicht auch noch etwas Zucker so abschmecken, dass es wunderbar rund schmeckt. Da Erdbeeren ebenso wie Balsamico je nach Reife und Qualität unterschiedlich süß und sauer sein können, ist hier der Gaumen gefragt und können Angaben nur annähernd einen Richtwert bieten fürs richtige Maß. Wer mag, kann auch noch ein klein wenig Zitronenzesten für einen Hauch mehr Frische dazugeben (aber Vorsicht, mehr ist hier nicht unbedingt besser, denn die Erdbeeren sollen schon der Star bleiben).
Die Vanilleschote aufschneiden, das Mark rauskratzen (den Rest der Schote nicht wegwerfen, sondern im Ganzen oder kleingehäckselt mit Zucker in ein Glas geben und eigenen Vanillezucker für wann anders machen) und mit zwei weiteren Schöpfkellen Nudelkochwasser sowie dem Mascarpone vermengen und die Pasta darin baden. Auch hier nochmal probieren und im Zweifel zart (!) und vorsichtig prisenweise nachsalzen, weil sich durch die Zugabe des Mascarpone die Grundsalzigkeit der Pasta in Richtung farbloser verschiebt.
Die Pasta auf Teller drapieren, mit dem Erdbeerchutney garnieren, zusätzlichen Grana Padano oder Parmesan darüberhobeln und mit frischen Minzblättern garnieren.
Was passt besser zum Sommer als Spaghetti-Eis? Fast nichts. Und so passt auch diese Nummer hier perfekt in die Aktion „Schnelle Sommer-Rezepte„, die die wunderbare Zorra sowie Jenny von „Jennyisbaking“ aus der Taufe gehoben haben.
Musik zu den Spaghetti-Eis-Spaghetti
Bei Mannheim würden natürlich musikalisch die Söhne Mannheims nahe liegen. Aber: Nein! Auf dieser Seite? Nienicht. Starten wir stattdessen klassisch – mit dem 4. Satz, dem Finale der g-Moll-Sinfonie KV 550 von Wolfgang Amadeus Mozart. Denn zu dessen Beginn sieht man in den Noten und hört auch eine der Mannheimer Raketen, die er auch im fernen Wien steigen lassen hat.
Und ist es nicht witzig, Spaghetti imitierendes Spaghetti-Eis mit Spaghetti zu imitieren? Daher: „Ain’t it fun“ vom Album „The spaghetti incident?“ von Guns’n’roses.
Und weil es heute wieder knackheiß und Sommer ist: Hier gibt es weiterhin 108 extra für Euch kuratierte musikalische Grüße an die Sonne, sommerliche Songs, rockig, gewitzt, beschwingt, zum Tanzen in heiße Sommerabende, zum Salatknabbern, zum Abenteuer genießen, Wegträumen, Genießen…. das sollte für eine Nacht reichen. Und wenn Ihr bis zum Morgengrauen macht, einfach vorn wieder anfangen! Verzeiht, dass ich das hier nur auf Spotify erstellt habe, aber der Dienst bei aller Kritikwürdigkeit derjenige ist, den die meisten Leute nutzen: Möglichst viele von Euch sollen ja Freude dran haben können.
mmmmmhhhhhhh. Kommt auch auf die Liste für später, also ab demnächst, wenn ich wieder zuhause bin. Ajooo Monnem, bin isch jo einzischartisch damit verbunne…. hm, wär ja mal ne Geschichte wert. Muss mal überlege 😉
Merci für das Spaghetti-Spaghetti-Eis. Und die Guns n‘ Roses – die Kombination mit Mozart? Einzigartig. Ich hol mal Kopfhörer…
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Uch ich habe kein Spotify…
Jetzt muss ich German Overalls von Peter Hammill zu Deiner Nudel-Erdbeer-Vanille-Trikolore-Komposition hören. Mannheim on a rainy Saturday…schmettert mir Peter ins Ohr, ein Beatniktext, schön wild und gross. Mozart passt tausend Mal besser. Seine Diamantmusik zu genialer Schlichtraffinesse.
Geschichtlich arbeitete ich mit Dir meine breit klaffende Bildungslücke bezüglich meines Lieblingseises auf. Lies bloß niemals „Wie ich Nonne wurde“ von César Aira, wenn Du Erdbeereis so richtig lecker findest. Das Buch ist zwar ein literarisches Juwel, doch mit dem Erdbeereis hatte der Autor eindeutig noch eine Rechnung offen.
Heute hörte ich Möwen! Und sah auch fünfe! In Bielefeld!
Ich fragte sie, ob sie mir den blanken Hans mitgebracht hätten. Nee, sagten sie, dann würde doch Ostfriesland absaufen. Da hatten sie natürlich Recht. Die Möwen. Dein Spaghettigericht würde ich gerne nachkochen wollen.
Liebe Grüße von Amélie 🔆🍃
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Mit Herrn Aira muss ich wohl mal ne Erdbeere 🍓 rupfen. Und ich liebe Erdbeereis sehr, bin darin aber auch von Literaten kaum zu beeinflussen. Eher reizt mich die Lektüre.
Ansonsten: Hier zuhause keine Möwen. Aber trockene Füße. Der blanke Hans bleibt, wo er bleiben soll.
Große Grüße gen Teuto!
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Wer liebt eigentlich Spaghetti-Eis nicht? Das kann doch kein Mensch sein, ich habe zumindest noch nie jemanden kennengelernt. Aber weißt Du, was mich bis heute stört und es wäre interessant zu erfahren, ob es im Sinne Dario Fontanellas gewesen wäre, ob es vielleicht sogar auf seinem Mist gewachsten ist (dann gäbe es Abzug in der Erfinder-B-Note): Dass das Spaghetti-Eis auf einen Klumpen Sahne gesetzt wird. Also erst drücken sie die Sahne aus dem Automaten und dann pressen sie das Vanille-Eis darauf. (Sie = die Menschen, die in italienischen Eisdielen arbeiten). Es dauert nicht lange, da stößt man dann mit seinem Eislöffel vom Eis auf die Sahne und das schmeckt mir erstens nicht, ich will ja Eis, keine Sahne, und zweitens kristallisiert durch die Eiseskälte^^ die Sahne. Man beißt also auf kleine Sahnekristalle, was jede lustvoll schmelzende Textur wieder zunichtemacht. Und das ist doch einfach nicht gut durchdacht, dieses Konzept. Aber klar, die Sahne kostet weniger als das Eis, sie plustert sich durch die Automaten schön auf, macht die ganze Portion also größer und somit zur Mogelpackung. Seufz … Ich bestelle also mein Spaghetti-Eis immer „aber bitte ohne Sahne“ (bitteschön für den Ohrwurm, gern geschehen). In manchen Eisdielen wird die Portion dann automatisch kleiner (Ha!), in anderen schämen sie sich ein bisschen und stocken mit noch mehr Vanille-Eis auf. 😉
Musikalisch möchte ich um die Rückkehr Sabatas ergänzen. Was wären denn Spaghetti-Eis-Spaghetti ohne Spaghetti-Western-Musik?
https://music.youtube.com/watch?v=KHmLU3ACqqg
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Ich muss gestehen: ein wenig gefrorene Sahne, gerade konsistenzhalber, aber auch aromatisch, finde ich super. Nicht als low-budget-Klumpen, aber filigran hinzugesellt. So gut ich auch Deinen Punkt sehe, verstehe und schon ebenso gefunden habe.
Und Spaghetti-Western-Musik macht sich natürlich super. Danke für den Tipp! Und: Alles erdenklich Gute und Wünschenswerte, Dir, auch hier nochmal zum Geburtstag, fürs neue Lebensjahr und seemeilenweit darüber hinaus! Lass Dich gebührend feiern, verwöhnen und passgenau beschenken! Große Gratulationsgrüße!
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Wieder eine äußerst vergnügliche Sonntagmorgen-Lektüre, vielen Dank dafür. Auch wenn ich mit der Erdbeerkreation hier kaum punkten kann 😁. Mit Mozart dafür umso mehr 🎼
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Wow, das ist einmal hin, zurück und wieder hin; dass man Spaghettieis auch wieder rückwärts interpretiert, nenne ich einen Geniestreich. Danke dir für diesen zweiten Beitrag!
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Wow, Jenny! Du tust was für meine Gesichtsdurchblutung! 🙂 ganz lieben Dank Dir!
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Ole, du kochst ja wieder irre Sachen! Und letztlich hat Monnem Schuld…..
Jetzt fehlt nur noch eine neue Pizzakreation 😉
Liebe Grüße!
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Lieber Ole … Das Buch auch eben erst gekauft, bin ich genauso begeistert wie du. Vom Rezept selbst – und von der Art, wie du es beschreibst, ganz Ole-style und sehr, sehr „mouth-watering“.
Komischerweise gibt es hierzulande kaum Spaghetti-Eis auf den Karten, aber wenn, ja wenn … wird sowas von fix eine Portion davon zu mir an den Tisch getragen.
Alles Liebe zu dir!
Maria
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Wow wie erfinderisch die Deutschen äh Mannheimer doch mal waren! Spaghetti-Eis habe ich übrigens noch nie gegessen, deine Spaghetti-Spaghetti-Eis schon in etwas abgewandelter Form.
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