Als in meiner kleinen ostfriesischen Heimatstadt etwas für mich Besonderes geschah, mag es um 1990 gewesen sein: In einer stillgelegten Tankstelle, keine 100 Meter von der Arbeitsstelle meines Vaters entfernt, zog ein türkischer Imbiss ein. Mir ist, als habe er „Istanbul“ geheißen. Ich war noch Kind, und mein Vater, wenn ich ihn ab und zu mittags auf seiner Arbeit besuchte, nahm mich dann gern mit zur Imbisstanke, in der es so aufregend fremd duftete, nach Knoblauch, nach Kreuzkümmel, nach Krautsalat, nach Cacik und frisch gebackenem Brot. Und dann gab es da Feta, salzigen Weißkäse, der aussah, als sei der Leibhaftige einem Gouda erschienen und der auf Schlag vor Schreck erbleicht. Oder wie gewürfelter Quark. Und dann gab es da insbesondere Sučuk. Diese hauchfein gekutterte, fettige, kross gebackene Wurst, in der noch mehr Knoblauchwucht und Kreuzkümmel steckte. Und dann drehten sich da Fleischspieße. Döner Kebap. Eine weiß geflieste, schmucklose fremde Welt auf 20 Quadratmetern in einer ehemaligen Tanke. All das war aufregend fremd und schön und tief verbindend, und mir ging jedes Mal das Herz auf, wenn wir gemeinsam in der Teestube der Arbeit meines Vaters knisternd die Fladenbrote aus der Alufolie zupften und ins krosse Aromenwunder bissen. Und hinterher stanken wir ein wenig, und Freunde rümpften die Nase, weil nur wenige damals in Ostfriesland nach Knoblauch rochen, und irgendwie war es dann wiederum aber auch egal, weil das Essen so einfach und doch überwöltigend köstlich schien – und es auf so schöne Weise verband.
Und wenn Dinge schön ist, gerade miteinander, dann verdienen sie es, erinnert zu werden, aber auch gesagt. Love will tear us apart, haben Joy Division gesungen, Bono sang, Love is blindness, auch wenn Cassandra Wilson seinen Song viel beeindruckender gesungen hat. John Mayer trällerte hingegen perwollweich und blank poliert Love is a verb. Kein Song, mit dem ich irgendetwas verbinde, den ich je gehört hätte (ich wusste nur, dass sein Körper ein Wunderland ist), bevor die wundervollen Katharina Mehring und NiNi zur Aktion #ichkochedeinensong aufgerufen hatten, ich gern aufgesprungen bin und mir eben dieser Song zugelost wurde. An so einer verbindenden Nummer komme ich als Musikvernarrter kaum vorbei. Liebe ist ein Tuwort. Und auf allen Ebenen hat Liebe ja viel mit Tun zu, nun, tun. Und Menschen, die man liebt, denen kann man das ruhig höufiger sagen.
Und so selten ich sie auch esse, schmeckt Sučuk für mich auch immer noch nach Liebe, nach tiefer Verbundenheit. Was ich zudem in seiner Einfachheit und seiner parmesan-cremigen Vollmundigkeit liebe, ist Spaghetti Carbonara. Was mich nun spontan dazu brachte: Wo insbesondere in der Türkei doch Rührei mit Tomaten und Sučuk – Menemen – ein großer Klassiker ist. Warum die Pasta mit Ei-Sauce nicht statt mit Guanciale, Pancetta oder Bacon (amerikanische Soldaten sollen nach dem Zweiten Weltkrieg zentral mit der Entstehung des Gerichts zu tun gehabt haben) mit Sučuk zubereiten? Und die Aromenwelt der Levante-Küche mit italienischer Pasta-Grandezza kreuzen? Statt krossen Schinkenspecks nun der Knusperwurst mit ihrem Würzschiller das Rampenlicht überlassen? Sučuk-Carbonara quasi. Ob das schmecken würde? Ich hatte Zweifel. Aber Gegensätze ziehen sich an. Und manchmal einander auch lustvoll aus. Liebe ist ein Verb. Manchmal muss man Dinge tun, wagen, springen, sich trauen. Das habe ich getan. Zurecht. Vertraut und ungewohnt zugleich, regt die Nummer die Sinne an. Ein wenig wie damals in jungen Jahren, als diese Aromen noch so ungewohnt und frisch und neu und anders waren. Und ich es gern und immer wieder probiert habe. Aus Neugier. Aus Liebe.
Zutaten für die Sučuk-Carbonara
500 g Spaghetti oder Linguine (gern aus Bronzeformen, die nehmen die Sauce besser auf – nicht die glatten)
4 Eier
150 g Parmesan
200 g Sučuk
Pfeffer
Salz
frischer Koriander und/oder Petersilie (optional)
frische Tomaten (optional)
Zitronenschalenabrieb (optional)
So bereitet man die Sučuk-Carbonara zu
Die Pasta in ordentlich viel gesalzenem Wasser in einem Topf zum Kochen bringen und al dente kochen.
Die Sučuk aus der Pelle friemeln, in kleine Würfel oder Streifen schneiden und in einer Pfanne bei mittlerer Hitze ohne Fett braten (die Wurst benötigt zum kross Braten kein zusätzliches Öl).
Derweil die Eier in eine Schüssel schlagen und den Parmesan hineinreiben. Mit einem Spatel oder Schneebesen zu einer glatten Creme verschlagen.
Ob ihr das Fett der gebratenen Würste für mehr Aroma hinzugebt oder nicht, weil weniger fett, sei Euch überlassen, ich habe es „mit“ probiert. Dann die al dente gekochten Nudeln abgießen, aber ein bis zwei Schöpfkellen Nudelkochwasser auffangen und zur Sauce geben. Einrühren und verbinden und danach die heißen Nudeln hinzugeben und mit der Sauce vermengen, die Sučuk-Würfel unterheben und das Ganze noch kurz ziehen lassen. Wer es noch deutlicher mit Menemen kreuzen möchte, kann noch frische Tomatenwürfel zugeben. Ein wenig geriebene Zitronenschale sorgt für einen Frischehauch (ich habe drauf verzichtet). Mit Salz und Pfeffer abschmecken. Frischen Koriander oder Petersilie hacken und zum Servieren drüberstreuen.
Gar nicht so weit von diesem Rezept entfernt ist übrigens mein allerliebstes Pastarezept:
Musik zum Menü
Dieser Beitrag ist ein Novum. Untrennbar mit Musik verquickt ist ja jede meiner Geschichten, mal lose assoziiert, mal auch, indem komplette Songtexte in Geschichten gewoben sind oder sie den Geschichtenverlauf prägen. Aber die Auswahl habe ich Musikverrückter kuratiert. Nun also Neues, denn bei #ichkochedeinensong darf der hirninterne Assoziationsblaster sich zu einem zugelosten Song Dinge und Gerichte ausdenken. Bei mir: „Love is a verb“ von John Mayer.
Ein wenig erinnert mich der Song ja an „I can’t make you love me“, ursprünglich von Bonnie Raitt aufgenommen. Ein im Ursprung mir zu kitschverklebt unter den Keyboardteppich gefegter Song, der aber in der Interpretation von Justin Vernon alias Bon Iver ganz wundervoll strahlt.
Nun, und wenn man schon Joy Division ins Spiel bringt, kann man das bittere Spiel mit der Liebe auch zu Ende bringen.
Und dann ist da noch „Love is blindness“ – nicht in der U2-Fassung, sondern der wundervollen von Cassandra Wilson.
Und wenn schon Liebeslieder, dann noch ein paar mehr sehr schöne, innige, gewitzte, traurige, besondere? Bittesehr: eine Playlist, extra für Euch!
So wunderbar, ich bin hellauf begeistert 🤩
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bei uns gab es gestern „originale Rigatoni alla carbonara“ mit Guanciale und Pecorino. Das war göttlich und schmeckte wie in Rom. Hach ja, so carbonara ist schon was feines…. deine schmeckt bestimmt auch mega.
Herzlichst Karin
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