Nordindischer Kichererbsen-Eintopf mit Ostfriesentee.

Moorwasser? Buchweizen- oder Kartoffelschnaps? Vor allem war es wohl selbst gebrautes Bier, das die Vorfahren in meiner Heimat getrunken haben, bevor vor knapp 400 Jahren die ersten Segelschiffe der Oost-Indien-Compagnie kistenweise Tee aus Südostasien nach Amsterdam brachten und von Bord gehievt wurden – aus ausgebeuteten Kolonien herbeigeschifft, und Torfschiffer mit Spitzmutten oder anderen Kähnen einen Teil davon ein paar Hundert Kilometer weiter zu uns brachten. Längst ist Tee Nationalgetränk in Ostfriesland, der Gegend, in der ich lebe. Jahr für Jahr berichten Tee-Verbände, dass hier jeder Einzelne 300 Liter Tee im Jahr trinkt, im Schnitt. Bedenkt man, wie viele Menschen auch hier lieber Kaffee trinken, müssen da schon einige wahre Tee-Durchlauferhitzer unter uns weilen. Vermutlich lässt die Statistik die Horden von Touristen außer Acht, die das Jahr über hierher strömen und als Mitbringsel, natürlich, das Nationalgetränk Tee kaufen, im Koffer verstauen und später selbst trinken oder verschenken. Aber Tee mitsamt seiner ganz besonderen Zeremonie ist hier Kulturgut, immaterielles UNESCO-Kulturerbe, verflüssigtes Nationalheiligtum.
Nun reizt mich von jeher die Idee, Althergebrachtes in neue Kontexte zu setzen und aus anderen Perspektiven zu beleuchten. Und mehrfach habe ich schon überlegt, auf welche spannenden Weisen man auch mit Tee kochen könnte, statt nur Tee zu kochen.
Vor einigen Monaten habe ich Panna Cotta mit Earl Grey gekreuzt, was hinreißend schmeckte (und hier beizeiten auch noch mal Thema wird), doch nun bin ich auf ein Gericht gestoßen, das für mich auf noch viel mehr Weisen passt. Es ist ein Kichererbsen-Eintopf aus den Weiten der Punjab-Ebene unterhalb des Himalaya im Grenzgebiet von Pakistan und Indien, und der paart sich mit Assam, der Mischung, aus der Ostfriesentee besteht.
„Chole“ nennt sich das Ganze, worin mein kompletter Vorname steckt – Ole – und zudem noch der erste Buchstabe meines Nachnamens. Das musste ich ausprobieren. Entdeckt habe ich das Rezept beim wundervollen Nik Sharma, dessen famoser Blog „A brown table“ wie auch dessen fantastische, kreative und bereichernde Kochbücher „Season“ und „The flavor equation“ ich allen Kochbegeisterten, die des Englischen mächtig sind, nur ans Herz legen kann. Und auch dieses Gericht von ihm ist ein Gaumen-Abenteuer im positiven Sinne. Es kitzelt den Gaumen mit Aromenverbindungen, die man selbst in den Currys indischer Restaurants hierzulande so kaum mal findet, und es schmeckt nach Ferne, nach auch für mich unbekannten Weiten, nach Reisen, das ich so vermisse.

Die zarten Noten des Tees und Chilischärfe zwicken die teigige Gleichgültigkeit der Kirchererbsen in die Seite, getrocknetes Mangopulver (oder Limettensaft) sorgen für fruchtig-frische Säure, Kardamom, Nelken und Zimt pinseln feine Details ins bunte Aromengemälde und nehmen Kreuzkümmel das Grobe. Tomatenmark gibt ein sattes Fundament. Und statt Zwiebeln und Knoblauch gibt es hier „Teufelsdreck“: Asafoetida oder Stinkasant – stechend, aber in kleinen Dosen eine sehr spannende Bereicherung. Damit das Ganze nicht zu sehr ins Säuerliche gleitet, habe ich zum süßen Ausgleich – als Hommage an Ostfriesland – ein paar Kluntjebrocken hineinklackern lassen und aufgelöst. Überraschenderweise verbittert Tee das Ganze nicht, sondern gibt der Sache mehr Fülle, rundet das Ganze ab und gibt dem Eintopf eine sattdunkle Farbe. Der Kashmiri-Chili und der schwarze Kardamom gibt dem ganzen auch eine ganz zart rauchige Note. Wer das nicht mag, nimmt lieber normales Chilipulver und ersetzt den schwarzen Kardamom durch etwas mehr grünen.


Und, weil es in der Punjab-Region Indiens typisch ist, gab es Bhaturas, ebenfalls nach Rezept von Nik Sharma – sagenhaft leckere, knusprig frittierte Ballon-Fladenbrote mit lustigen Luftbeulen dazu. Achtung: Der Teigansatz hierfür sollte am besten schon am Nachmittag vor dem Kochen zusammengerührt und in den Backofen gestellt werden, damit er gut durchsäuern kann und das Brot umso fluffiger und schmackhafter wird.
Zutaten für die „Chole“, für 4 Personen
2 Dosen gekochte Kichererbsen (à 800 Gramm)
1 Teelöffel Salz
2 Liter Wasser
4 Teebeutel Ostfriesentee (oder 4 Teelöffel losen Ostfriesentee, in einem Teefilterbeutel)
8 Nelken
2 Zimtstangen
8 Kapseln grünen Kardamom (oder 2 Teelöffel gemahlenen)
2 Kapseln schwarzen Kardamom (optional)
2 Esslöffel Kreuzkümmelsamen (notfalls auch gemahlen)
4 Teelöffel Chiliflocken (bevorzugt Kashmiri-Chili)
1 Teelöffel Kurkuma
1/4 Teelöffel Asafoetida (optional)
2 Esslöffel frischen Ingwer, gerieben oder in feine Würfel geschnippelt
6 Esslöffel Tomatenmark
4 gestrichene Teelöffel Amchur (Mangopulver, gibt es in einigen Asialäden, in meinem leider nicht, deshalb hab ich es online bestellt), alternativ gehen aber auch 4 Teelöffel Limettensaft.
1 Handvoll Kandiszuckerbrocken (oder 2 Esslöffel Zucker)
Frischen Koriander zum Garnieren
Öl
Die Kichererbsen abgießen. Wer mag, kann das Kichererbsenwasser auffangen – man nennt es auch Aquafaba, und daraus kann man prima veganen „Eischnee“, also „Kicherschnee„, herstellen. Kichererbsen in einen Topf geben, mit zwei Litern Wasser übergießen, den Teelöffel Salz einrühren und auf mittlerer Hitze zum Kochen bringen.
Den losen Tee (4 Teelöffel) in einen Teefilterbeutel geben, gut zudrehen oder mit einem Gummiband zubinden, damit nichts rausflutscht, und mit in den Topf legen.
Die grünen Kardamomkapseln aufpulen und das Innere zusammen mit den beiden Zimtstangen, den Nelken und dem schwarzen Kardamom in einem Mörser zerstoßen, damit die aromatischen Öle freigesetzt werden – oder in einer Kaffee-/Gewürzmühle schreddern. Danach ebenfalls in Teefilterbeutel rieseln lassen – am besten gleich in zwei, sonst wird das so eng darin. Den Beutel oder die Beutel ebenfalls zuknoten und ebenfalls mitkochen lassen.
Wenn alles kräftig blubbert, die Hitze runterschalten und den Topfdeckel auflegen. Etwa eine halbe Stunde köcheln lassen.
In einer Pfanne 2 Esslöffel geschmacksneutrales Öl auslassen und erhitzen. Wenn es richtig heiß ist, die Kreuzkümmelsamen hineingeben, auf dass sie kräftig im heißen, zischenden Fett tanzen. Direkt danach auch Asafoetida dazugeben, das lustig schäumt. Die Pfanne ein bisschen ruckeln und dem Tanz der Gewürze neue Richtungen geben (nicht bis außerhalb der Pfanne), nach 30 bis 45 Sekunden runterschalten und auch den Ingwer und die Kurkuma mitschwitzen. Kurz darauf auch das Tomatenmark und die Chiliflocken mit anrösten, aber nicht zu lang, es soll nicht dunkel und bitter werden.
Das Ganze mit in die blubbernden Kichererbsen geben und nochmals etwa eine halbe bis dreiviertel Stunde simmern lassen. Das Mangopulver oder den Limettensaft dazugeben und die Kluntje (Kandisbrocken) oder den Zucker hineinklackern oder -rieseln lassen. Am Ende mit etwas Salz, falls nötig, abschmecken. Mit frischem Koriander garniert servieren. Wer es gern noch schärfer mag, kann auch noch frische Chili auf feine Ringe schneiden und dazugeben.
Für die Bhaturas/Knusper-Ballonfladenbrote:

Am Tag vorher: der Teigansatz.
120 Gramm Naturjoghurt
70 Gramm Mehl und
1 Esslöffel Zucker verrühren.
In eine ofenfeste Schale oder einen Topf geben und zugedeckt bei 40-50° C in den Ofen stellen. Nach Möglichkeit für mindestens 16 Stunden, maximal aber 24 Stunden, damit der Teigansatz aufgeht und durchsäuern kann.
Am Backtag: der Teig.
250 Gramm Mehl in eine Schüssel geben (kann auch die Rührschüssel einer Küchenmaschine sein).
1/2 Teelöffel Backpulver und
1/2 Teelöffel Salz vorsichtig hineinrühren und vermischen.
Den Teigansatz vorsichtig einrühren und mit der Hand, einer Gabel oder der Küchenmaschine auf niedriger Stufe einkneten.
2 Esslöffel Öl sowie
4 Esslöffel Wasser (bzw. 60 Milliliter) einarbeiten.
Das Ganze vorsichtig kneten. Falls es zu sehr klebt, etwas bemehlen. Den Klumpen in kleine Kügelchen zerzupfen und auf einem bemehlten Brett mit dem Nudelholz in kleine, dünne Fladen rollen.
Wer mag, kann sie noch mit schwarzem Sesam bestreuen (kräftig festdrücken).
Etwa einen halben Liter Öl in einem Wok oder einem höheren Topf erhitzen, und wenn es knackig heiß ist, die Teigfladen hineingeben, nach etwa einer Minute wenden (mit nichts Scharfkantigem, sonst gehen die Luftblasen kaputt). Nach einer weiteren Minute rausnehmen und abtropfen lassen.
Eventuell warmhalten, oder sofort zum Kichererbsen-Eintopf essen. Guten Appetit!
Die Teile kann man natürlich auch prima zu anderen Dingen essen.



Musik zum Menü:
Weil man das Ganze morgens wie abends essen kann und es zu jeder Tageszeit köstlich ist, weil der „Bombay Bicycle Club“ einen Hauch von Indien im Bandnamen trägt und weil eine gute Freundin dieses Lied so liebt, empfehle ich heute: „Evening/Morning“.
2 Gedanken zu “Mit Tee kochen statt Tee kochen”