
Kürzlich habe ich beim Supermarkt meines Vertrauens so eine Papptüte mitgenommen, wie es sie jetzt öfter gibt. „Retter-Tüte“ nennt sie sich, reckte und spannte sich knackend, als ich sie hochgehoben habe. Ihr Innenleben war eine Art Gemüse-Gnadenhof. Vor Kurzem noch frischer Spinat, Tomaten, die erste Gedanken an ein Lifting verschwenden, Pilze, die nach der Ernte nun ans Ende ihres Daseins gekommen sind, kurz davor, für immer zu kippen. Dazu ein wenig Obst. Eine Tüte voll Frischem, das sonst weggeworfen würde und für einen Bruchteil des sonstigen Preises verkauft wird.
Ich mag die Idee, zumal allein in Deutschland rund 18 Millionen Tonnen an Lebensmitteln pro Jahr ungegessen im Abfall landen – ein Drittel im Vergleich zur Gesamtmenge an Lebensmitteln, die tatsächlich aufgefuttert wird. Fast ein Fünftel aller weltweit erzeugten Lebensmittel wird beim Transport beschädigt, verdirbt unterwegs, genügt irgendwelchen Normen nicht, vergammelt in Regalen, setzt Schimmel an, landet auf dem Kompost, in Mülltüten, wird entsorgt.
Ich bin an dem Punkt fürwahr kein Heiliger, verschussele selbst immer wieder, mich auch um die wertvollen Zutaten zu kümmern, die ich impulsiv und voll übersprudelnder Ideen gekauft habe. In der Regel überschätze ich mein Zeitbudget fürs Kochen gern mal maßlos. Jetzt aber habe ich mal wieder eine „Retter-Tüte“ gekauft, und damit habe ich mir selbst den Druck erhöht, nun damit auch wirklich etwas zuzubereiten, bevor es welkt, nässt, vergärt und ich Geld und Ressourcen verschwendet habe.
Frischen Spinat kaufe ich in der Regel eher selten, weil es Zeit, Energie und Nerven kostet, all die Blätter in sprudelndem Salzwasser zu blanchieren und in Eiswasser zu versenken, die sich danach gern – Rudelbildung nix dagegen – zu einem nassen Klumpen vereinen, den man erst wieder kleinhacken oder auseinanderfummeln darf. Ab und zu kann man das aber ruhig mal wieder machen, zumal es schon noch etwas frischer schmeckt als bei aufgetautem Tiefkühlspinat (der aber natürlich deutlich weniger Arbeit macht und im Haushalt selbst weniger Energie verbraucht).
Meine erste Idee war nun: Ich mach‘ mal wieder meine heiß geliebten Spinat-Tomaten-Feta-Blätterteigtaschen, die saulecker und extrem unaufwendig sind. Perfekte Kombi insofern. Aber sprangen meine Gedanken weiter, fort aus dem arschnasskalten norddeutschen Herbst, nach Sri Lanka, wo man scharfe Currys gern auch in knusprigem Gebäck an Straßenständen feilbietet: häufiger in süßem Brioche-Teig, was noch größeren Kontrast bietet und legendär gut ist, und seltener in Blätterteig, und genau den hatte ich ja eh schon im Auge. Warum also nicht mal was ganz Neues machen? Indisch-inspiriertes Fingerfutter, das die Sinne betört. Heiß, knusprig, knisternd, scharf, knackig, raffiniert, draufgängerisch, wild, aber zugleich wohl ausbalanciert, von höflicher Freundlichkeit.
Zwischen tanzenden Senfkörnern und duftenden Kreuzkümmelsamen werden Zwiebeln karamellisiert, paaren sich mit einer Paste aus geriebenem oder gehacktem Ingwer, Knoblauch und Salz, werden geblendet vom komplexen Aromen-Spiegelkabinett der Gewürze (Chili, scharfes Curry/Garam Masala, Koriander) satten Umami einer großen Ladung Tomaten(sauce), in der dann knackig-zartschmelzende Kichererbsen Rückenschwimmen üben, ehe der Herbst kommt und die (Spinat-)Blätter hineinfallen.

Weil ich auch noch Kichererbsen im Keller hatte, die ein wenig unruhig mit den Schalen scharrten, endlich mal im Kochtopf zu tanzen, habe ich kurz überlegt, das sensationelle „Chole“ mit Ostfriesentee in Blätterteig zu verstecken, aber ich hatte ja auch noch Spinat und Pilze. Weshalb ich einen anderen veganen und unverschämt leckeren nord-indischen Klassiker ins Auge gefasst habe: „Chana saag“. Eins der beliebtesten und spannendsten Gerichte überhaupt in Indien, Pakistan, Bangladesch, aber auch rund um den Globus, inzwischen.
Chana bedeutet Kichererbsen, saag steht für Blätter im Allgemeinen, meint oft aber Spinat. Ein unglaublich köstliches Ding, in dem Kichererbsen für hauchzarten Biss sorgen, der Spinat für subtile Bitternoten, Tomaten feinsäuerlich-sattes Umami beisteuern, während ein Kleiderschrank voller Gewürze dem ganzen etwas aufregend Geheimnisvolles verleihen samt knackiger Schärfe. Genau mein Ding.
Weil ich ja nun auch noch Champignons überhatte, die die Umami-Vollmundigkeit noch stützen, sich sonst aber auf der Aromen-Party als höfliche Beobachter mit einem Glas Sprudelwasser an den Rand stellen, bis sie angesprochen werden, habe ich sie mit hineingemendelt. Das ist fern von traditionell, aber wurscht, weil lecker – und wer sagt, dass es unter Abermillionen Indern nicht auch Großmütter gibt, die in ihr geheimes Familienrezept für „Chana saag“ auch Pilze verstecken? Und in Blätterteigtaschen sieht man das Ganze auch seltener. Macht sich darin aber fantastisch. Fingerfood, der als Mittagssnack taugt, auf Partybuffets verblüffen kann, in jedem Fall aber ratzfatz verputzt ist, weil man nicht aufhören kann zu naschen.
Vor allem aber: Das „Chana saag“ schmeckt auch ohne Blätterteig fantastisch, zu frischem Naan-Brot, mit Bhaturas, also frittierten Ballon-Fladenbroten, oder mit Reis.

Das braucht Ihr fürs „Chana saag“-Fingerfood
Zwei bis drei Rollen Blätterteig (optional, Veganer greifen hier am besten auf vegane Varianten zurück)
1 Eigelb (optional)
500 Gramm Kirschtomaten oder eine Dose Tomaten ähnlichen Gewichts
500 Gramm frischen Spinat oder tiefgekühlten
400 Gramm Champignons (optional)
400 Gramm Kichererbsen in der Dose
2 große Zwiebeln, geschält, halbiert, in Ringe geschnitten
4 Knoblauchzehen
2 cm Ingwer, geschält und feinst gehackt oder gerieben
3 Esslöffel neutrales Speiseöl oder Ghee
Für die Würze:
1 Teelöffel Senfkörner (bevorzugt: schwarze)
1 Teelöffel Kreuzkümmelsamen
1,5 Teelöffel gemahlener Koriander
2 Teelöffel scharfes Thai-Curry oder Garam Masala
1/2 – 1 Teelöffel Chiliflocken
1/2 Teelöffel Amchur (nur optional, weil nichtmal in jedem Asialaden zu bekommen; es ist gemahlene, getrocknete grüne Mango; auch ein Teelöffel Limettensaft wäre eine Alternative)
1 Teelöffel Salz
1-2 Teelöffel Rohrzucker
Eventuell zum Andicken:
1-2 Handvoll Milchreis
1 Esslöffel Kokosraspel, beides gemeinsam grob angemörsert

Und wie macht man das jetzt?
Wer frischen Spinat ergattert und entsprechend viel Zeit und Geduld hat, blanchiert ihn. Das klingt hochgestochen, meint aber nur, man bringt einen großen Topf voll mit gesalzenem Wasser sprudelnd zum Kochen und rieselt nach und nach die Blätter hinein. Bloß nicht alle auf einmal. Und dann jeweils nach einer Minute mit nem Schaumlöffel rausheben. Das Ganze nimmt dem Spinat Bitterstoffe. Wer es stilecht machen möchte, wirft die Blätter danach ins Eisbad. Dann bleibt es schön grün. Was allerdings ein Stück weit sinnlos ist, weil der Spinat danach ja noch in würziger Tomaten-Kichererbsen-Curry-Sauce weiterschmurgelt und da dann doch sein grünes Kleid einige Flecken bekommt.



Es empfiehlt sich, den blanchierten Spinat nochmal zu hacken, wenn man keinen grünen Riesenklumpen haben möchte. Wer tiefgefrorenen Spinat nimmt, sollte ihn rechtzeitig vorher auftauen.
Ingwer schälen, kleinreiben oder ganz fein hacken. Knoblauchzehen schälen und pressen. Beides mit dem Teelöffel Salz im Mörser zu einer Paste zermörsern. Das Salz hilft dabei, die festen Fasern aufzulösen, ein bisschen wie Schmirgelpapier.
Die großen Zwiebeln schälen, halbieren, in feine Ringe schneiden.
Die Champignons trocken abputzen, das Unterste vom Stiel dünn abschneiden, dann in Ringe schneiden (oder welche Form Euch zusagt).
Öl oder Ghee in einer Pfanne auf mittlerer Stufe erhitzen. Die Senfkörner und Kreuzkümmelsamen darin anrösten, bis die Senfkörner beginnen, knackend durch die Gegend zu hüpfen.
Dann die Hitze verringern und die Zwiebeln dazugeben. Anschwitzen. Den Zucker drüberrieseln und bei niedriger Hitze eine knappe Viertelstunde golden karamellisierend anbraten. Immer mal wieder rühren, aufpassen, dass nix schwarz wird.
Wenn die Zwiebeln golden und butterweich sind, bei weiterhin niedriger die Hitze die Pilze dazugeben und weitere fünf Minuten anschwitzen. Nun auch die Ingwer-Knoblauchpaste dazugeben, etwa eine Minute lang mitschmurgeln lassen, bis es duftet.
Dann die Tomaten und die Kichererbsen dazugeben, mit Koriander, Curry/Garam Masala, Chili und Amchur würzen und eine halbe Stunde lang bei offenem Deckel köcheln lassen (wer das Curry nicht im Schlafrock servieren möchte, sondern als reines Curry essen möchte, kann es auch bei geschlossenem Deckel köcheln lassen, für die Teigtaschen empfiehlt es sich aber, dass das Ganze nicht allzu sehr „suppt“, weil sonst der Teig klitschig wird). Sollte es nach einer Viertelstunde Köchelns noch allzu flüssig sein, ein, zwei Handvoll Milchreiskörner zusammen mit einem Esslöffel Kokosraspeln zermörsern und dazugeben, das hilft, die Flüssigkeit zu binden und gibt zudem noch etwas crunchigere Textur.

Den Spinat dazugeben. Wer kein Amchur genommen hat, kann hier gut den Teelöffel Limettensaft reinmogeln und dann abschmecken: Scharf genug? Sonst noch etwas Chiliflocken nachlegen, einen halben Teelöffel vielleicht. Das darf schon Wumms haben. Ausgewogen genug oder kippt es ins Säuerliche? Dann ein wenig Zucker, vielleicht einen Teelöffel, nachsteuern. Vielleicht auch noch ne Prise Salz, falls nötig.
Wer das Ganze mit Reis essen möchte, sollte ihn langsam mal aufstellen. Ansonsten kann man nun anfangen, den fertig gekauften Blätterteig zu entrollen und in möglichst gleichmäßige Quadrate zu zerteilen (wie Ihr seht, war das nix bei mir, aber windschief schmeckt trotzdem.

Jeweils eine kleine Portion Curry – ich vertraue Eurem Augenmaß – drauflöffeln, dann zuklappen, von den Ecken her.



Die Blätterteigtaschen dann eventuell mit etwas verschlagenem (ein paar mal mit der Gabel durchrührtem) Eigelb dünn bestreichen (für Veganer entfällt dieser Schritt, dann auch auf veganen Blätterteig achten). Und dann rein in den auf 180 Grad vorgeheizten Ofen (langsame Gare von unten hoch taugt bei Blätterteig weniger, weil der Hitzeschock ihn umso luftiger aufgehen lässt). Etwa 20 Minuten drinlassen, wobei Öfen ja verschieden ticken: Fertig sind die Taschen, wenn sie goldgelb sind.
Grob reicht die Menge für zwei Blätterteige. Aber selbst dann könnte noch etwas überbleiben. Nehmt eventuell einen dritten, oder Ihr entscheidet Euch, einen Teil des köstlichen Currys doch zu Reis, Naan oder Bhaturas zu servieren. Das Gute ist, das Ganze lässt sich auch super einfrieren für weiteren Genuss zu späteren Zeitpunkten, mit oder ohne Knusperhülle. Wer also etwas übrig behält, gewinnt nur (entsprechenden Platz im Gefrierfach oder -schrank vorausgesetzt).
Nun kann man sie in der „Retter-Tüte“ umhertragen, frisch verspeisen (allerbeste Option). Verschenken. Reinbeißen. Verschlingen. Genießen.








Musik zum Menü
Ich mag es, manchmal auch Überraschendes zu kreuzen, Bekanntem einen neuen Twist zu geben, aus dem im besten Fall tolles Neues entsteht. Das ist dann manchmal wie eine überraschende Coverversion eines Lieblingsliedes, mal ganz anders arrangiert. Und deswegen gibt es derer hier heute ein paar. Und heute wird es zum Teil ausnahmsweise auch einen Tick jazziger als zuletzt. Den Anfang machen die „Screaming Headless Torsos“, die mit ihrem wild-virtuos-verspielten Jazz-Anarcho-Funk auf ihrem furiosen Debüt Mitte der 90er unter anderem die in sich ruhende, zauberschöne und doch komplexe Jazzballade „Blue in green“ von Miles Davis zerlegt und wild brodelnd neu aufgekocht haben.
Viereinhalb Jahre ist es her, da verschwand Scott Hutchison plötzlich. Der Sänger der hinreißenden Band „Frightened Rabbit“ ging in die Einsamkeit der schottischen Hügel und kam nicht mehr lebend zurück. Zu seinen Ehren und der tollen Band hat sich ein wunderbares Tribute-Projekt gebildet, bei dem große andere Künster, darunter Mitglieder so famoser Bands wie Biffy Clyro, The National oder preisgekrönte Sängerinnen wie Julien Baker die Songs interpretieren. Hier nun eine Coverversion von Julien Baker zusammen mit dem Gitarristen von The National, Aaron Dessner: „Nitrous gas“.
Und dann war da, etwa zeitgleich, das Brad Mehldau Trio, das sich später auch mit sensationellen Klavierjazz-Adaptionen von Radiohead oder Soundgarden Ruhm erwerben sollte, zu Beginn aber besonders mit seiner Version von „Blackbird“ der Beatles verzauberte.
Egal, wie sehr einem zart-gruselnde Schauer beim Text übern Rücken rennen mögen, Soccer Mommys Cover von Bruce Springsteens Hit „I’m on fire“ ist traumschön.
Auch fantastisch, wie zauberstill Sidsel Endresen und Bugge Wesseltoft den Paul-Simon-Klassiker „50 ways to leave your lover“ zartes Leben eingehaucht haben.
Und abseits von Coverversionen kann man hier ja ruhig auch mal einen rätselhaften kichererbsigen Track platzieren: „Chickpea“ von Tantrum. Kennt keiner. Könnte aber durchaus.
Coole Sache diese „Retter-Tüte“ und was die Lebensmittelverschwendung in Österreich betrifft, sieht die Sache leider auch nicht besser aus. Da hatten wir wohl ähnliche Gedanken mit dem Curry und deine Fingerfood-Variante sieht köstlich aus.
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Ich bin hoch fasziniert von der Ähnlichkeit unserer Textanlässe und Ideen 😀
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moin Ole,
hach, jetzt krieg ich direkt Appetit auf deine leckeren Täschchen. Blätterteig mag ich total und dein Rezept guck ich mir gleich genauer an.
Liebe Grüße von Katharina
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Anhand deiner wunderbaren Beschreibungen kann ich gut nach nachvollziehen, wenn Leute behaupten, Essen hätte etwas mit Erotik zu tun….
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