
Wenn die Sonne sengt, der Staub der Tage an den Schweißperlen der Stirn kleben bleibt und die Hitze das Hirn schmilzt, bleibt die Küche besser kalt. Dann braucht es keine wärmenden Seelentröster auf dem Teller, dann lechzt der Körper nach Kühle. Nach Wasserschlachten am Ufer des Badesees, nach Füßen tief im Nass, nach brausend brandenden Wellen, danach, vom Winde verwehte Möwen abzuwehren, die Dir Deine Pommes mopsen wollen. Und dann legst Du Dich mitten im Sommer im Herbst Deines Frühlings nachts iin den Stadtpark. Ins lang und trocken gewordene Gras auf dem Hügel, versinkst mit den Blicken im Dunkel des Himmels und erfindest neue Sternbilder. Die verschüttete Fanta etwa. Vielleicht den Waldwurm. Die Seeschelle. Die mascara-geschminkten Augenbrauen von HP Baxxter, wenn er zu Rouladen bei Muttern aufm Sofa sitzt. Der Kaktusgarten, in dem Leute einen laut den „Sternen“ einsperren wollen. Es gibt so vieles Benennenswerte in den Weiten der Multiversen. Gut ist auch, sich in völliger Dunkelheit Spielplatz-Seilbahnen hinunterzuschwingen – mit dem Kick nur erahnen zu können, wann die Fahrt wuchtig mit einem Klong endet. Und gut ist, wenn man sich an den heißen Tagen beim Mittagessen schnippelhalber nicht verausgabt und köstlich Kühles verschlingen kann. „Okroschka“ etwa.

Als mein Kumpel Rasmus über Jahre zur See fuhr und im Sommer die Sonne den Stahl der Oberdecks auf den Frachtern in kochend heiße Grillplatten verwandelte, auf denen irre wäre und knusprig würde, wer barfuß liefe, fuhr über Jahre auch ein ukrainischer Koch mit. Ich weiß nicht, wie er hieß, ich war ja auch nicht dabei. Aber an diesen gegrillten Tagen tischte er immer wieder „Okroschka“ auf, eine Suppe, die eiskalt serviert wird und in der Ukraine wie auch in Russland eine Art Sommer-Nationalgericht ist. flüssigerer Kartoffelsalat – nur ohne die bleierne Schwere von Mayo-Massen, die die Erdäpfel sonst umglitschen. Das hier ist aber leichtfüßiger, wie Kleinkinder die durch taunasses Gras tanzen. Mit Kefir und Smetana, dem russischen Sauerrahm, von dem Romanautor Nikolaj Gogol einst sagte: In der Hälfte aller Gerichte, die er kenne, sei Sauerrahm die Hauptzutat. Drei Dinge sind in Osteuropa selbstverständlich, sagt ein Sprichwort: Schnee, Gastfreundschaft und Sauerrahm. Aufgefrischt wird das Ganze noch durch Mineralwasser. Die mildsäuerliche Ursuppe wird dann von keckfrechem Senf etwas aufgemischt, der hervorragend mit der Bitzigkeit frischer Radieschen harmoniert, Kartoffeln tragen ihre Stärke zur Schau, Frühlingszwiebeln zicken darin ein wenig herum, Gurken bemühen sich mit Milde das Gerangel zu beruhigen, und bei denen, die mögen, mischen sich auch Fleischwurst oder Kochschinken oder Bauchspeck noch hinein. Hartgekochte Eier wölben friedfertig ihre Rundungen. Es gibt auch Varianten, in denen Kwas, also Brottrunk, die würzig-flüssige Basis bildet. Gewürzt wird mit Salz, vielleicht etwas Pfeffer, mit viel frischem Dill und vielleicht etwas Petersilie – mit dem, was draußen im Garten vor den Holzhäusern oder den Sommer-Datschen wächst.
Und so sehr sich eine andere, bittere Schwere aktuell über fast alles legt, das mit Russland verknüpft ist wegen des völkerrechtswidrigen, von Putin befohlenen Angriffskriegs auf die Ukraine, so ist dieses Gericht, weil es in der Ukraine ebenso geliebt wird, vielleicht ein Gericht, das verbindet. So wie gutes Essen grundsätzlich Grenzen überwinden und Leute zusammenbringen kann. Und für Tage, an denen es nicht ganz so heiß ist, kann man die Salzkartoffeln auch heiß dazugeben, sodass sich ein spannendes Miteinander von Temperaturen ergibt. Da ich den ukrainischen Smutje von den Frachtern, auf denen Rasmus die sieben Weltmeere befahren hat, nie kennengelernt habe, habe ich mich an ein Rezept aus dem russischen Kochbuch „Kachka“ von Bonnie Frumkin Morales und Dina Prichep angelehnt. Mir hat es köstlich gemundet. Und die heißesten Tage sind ja nunmehr schon vorbei für dieses Jahr, insofern ist mein Timing nicht mehr ganz das passende, aber warm ist es ja noch immer. Und auch für lauwarme Tage passt diese kühle Suppe wunderbar. Zumal die Zubereitung denkbar simpel ist und vor allem aus Kleinschneiden und Zusammenschmeißen und -kippen besteht. Und an die Elektrolyte denkt die Suppe auch. Gegessen werden kann sie auch direkt auf dem Badehandtuch am See. Entsprechend sind die Fotos diesmal entstanden.

Zutaten für die „Okroschka“
für 4 Personen
1/2 Liter Kefir, natur
500 g Smetana (russischer Sauerrahm) oder saure Sahne/Schmand
1/2 Liter Mineralwasser mit Kohlensäure, gekühlt
5-6 Kartoffeln, in Salzwasser gekocht, zuvor geschält und in kleine Würfel geschnitten
2 kleine Gurken, wie es sie beim Araber gibt, kleingeschnitten und gewürfelt – oder ein Drittel einer großen
1/2 Bund Radieschen, geputzt, mit dem Sparschäler in feine Scheiben geschnitten
1/2 Bund Frühlingszwiebeln, die trockenen Strünke und Schalen entfernt, fein geringelt
1 gehäufter Teelöffel scharfer Senf (Dijon etwa)
1 gehäufter Teelöffel süßer Senf (Weißwurstsenf zum Beispiel)
1 Teelöffel Salz
1 Teelöffel Zucker
1 Fleischwurst, kleingeschnitten (optional und für Vegetarier problemlos wegzulassen, oder eine entsprechende Menge Bauchspeck, zerkleinert, oder Kochschinken, gewürfelt
1/2 Bund Dill, fein gehackt
1/2 Bund Petersilie, fein gehackt (optional)
6 Eier, hartgekocht und halbiert

Zubereitung der Okroschka
Kartoffeln schälen, kleinwürfeln, in Salzwasser gar kochen (und im Zweifel abkühlen lassen). Eier hart kochen, schälen, halbieren. Alle weiteren festen Zutaten kleinhacken oder raspeln.
Den Kefir, den Smetana/Schmand/die Saure Sahne und das Mineralwasser zusammengießen und mit einem Schneebesen oder einer Gabel so vermischen, dass keine Klumpen mehr umherschwimmen. Dann mit dem Salz und dem Zucker würzen.
Die weiteren Zutaten hineingeben, ein wenig vom Dill als Garnitur beiseite lassen. Kräftig umrühren, garnieren, direkt servieren. Wer so hartgesotten wie die Eier ist, trinkt vielleicht sogar bei größter Hitze Wodka dazu. Ich empfehle hier aber eher, den Rest des Mineralwassers zu trinken.
Musik zur Suppe
Weil ich unter Sternen liegen liebe, weil die „Sterne“ auch gerade in meiner Heimatstadt gespielt haben und weil der Kaktusgarten ein grandioses Sternenbild wäre und weil es auch gut 25 Jahre später noch ein Riesenhit ist: „Was hat Dich bloß so ruiniert?“
Irgendwann in meiner Jugend bin ich, ich weiß gar nicht mehr wo, auf ein Konzert der „Farlanders“ um die Moskauer Sängerin Inna Zhelannaya gestolpert, ich glaube auf dem Kultursommer in Oldenburg. Die Nacht war lau, die Band war lau und die Klänge schmeckten nach Ferne.
Und wo schon Smetana die osteuropäische Küche so prägt, darf Smetana natürlich in den Musikempfehlungen nicht fehlen. „Vltava“ aus „Ma vlast“.
Moin Ole,
Okroschka – hätte mich wer gefragt, was ich mir unter diesem Wort vorstelle, wäre mir allerhand eingefallen: Ah, Okroschka, kenne ich! Das war doch dieser berühmte Maler, welcher, glaube ich, Oskar hieß? Okroschka klar, das ist bayrisch für etwas Angeknuspertes. Das ginge schon in Richtung kulinarische Genüsse…auf jeden Fall was mit Kunst?…käme es noch kleinlaut hinterher gefragt. Ja, Kultur verbindet und Liebe geht bekanntlich durch den Magen. Darum liebe ich Kochrezepte aus fremden Ländern. Und Musik jetzt demnächst auch viel aus Deitschland. Famoses Liedgut, das ich kredenzt bekomme. Käpt’n Peng – radieschenscharf. Ach, einmal delphisches Tentakel sein. Aber Waldwurm im Sommer meines Winters sein kann auch Spaß machen.
Lesedank für den gewohnt reichhaltigen Beitrag und liebe Grüße
Amélie
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