
O Du Ausgeburt der Hölle,
kannst Dich nicht zusammenraufen?
Hört nur wegen Dir, Du Virus,
meine Nas‘ nicht auf zu laufen!
Es gibt Tage, an denen bist Du garer als stundenlang verkochter Haferbrei. Tage, an denen Erkältungsviren Dein Wohlgefühl zerlegen wie ein Akkuschrauber, sie Pottwale auf Deiner Stirn stranden lassen, Deinen Hals mit Schleifpapier abschmirgeln und unsichtbare Senkbleie an Deine Glieder binden – bis Du vor Schwerkraft fast durchs Lattenrost brichst, auf dem Du pappschlapp liegst. Kälte kriecht in Deine Glieder, obwohl Du wider alle Vernunft sogar ein wenig die Heizung aufgedreht hast. Sowas nervt, kommt aber vor – und geht vorbei. Ich bin niemand, der sich im Selbstmitleid suhlt wie ein Hausschwein im regenmatschigen Koben und in den Wind jammert, viel besser ist es, wenn man Abhilfe schafft. Heiße Zitrone schlürft, Ingwertee aufgießt, mit Salzwasser inhaliert – oder sich heiße Hühnersuppe kocht. Und sich fragt: Was genau ist eigentlich dran an den wundersamen Heilkräften?
Als ich klein war, kochte mir meine Mutter gern Hühnersuppe zum Gesundwerden. Zumeist klassisch, mit kräftiger Brühe, Möhren, vielleicht auch Eierstich. Der kindliche Glaube an die heilenden Zauberkräfte der Suppe samt der Liebe, die mit hineingekocht war, hat allein schon Wunder gewirkt. Und doch ist da mehr.
Dr. Stephen Rennard, der an der University of Nebraska Medical Center (UNMC) eigentlich vor allem an Lungenkrankheiten forscht, hat sich den geheimen Ursachen der Wirkmacht guter Hühnersuppe gewidmet und herausgefunden, dass die Suppe in der Lage ist, bestimmte weiße Blutkörperchen zu blockieren, die bei Viruserkrankungen – etwa bei Grippe – in rauen Mengen freigesetzt werden und Entzündungsprozesse mitauslösen: Neutrophile.
Zudem steckt Cystein in der Hühnersuppe, ein Baustein für Eiweiße, und der hemmt Entzündungen und lässt Schleimhäute abschwellen. Zudem macht Zink bei Erkältungen das Immunsystem flotter, und das findet sich in Hühnersuppe an einen weiteren Eiweiß-Baustein gebunden: Histidin.
Nun bin ich, seit ich vor Jahren einige Wochen lang Vietnam bereisen durfte, den Aromenwundern der dortigen Nudelsuppen verfallen. Und so sehr ich die Hühnersuppe meiner Mutter liebe, so koche ich selbst mir doch, wenn mich ein Infekt in den Schwitzkasten genommen hat, lieber Phở Gà, die traumhafte vietnamesische Variante. Als Gegenspielerin zu scheußlichem Lebertran und anderen Dingen, die gesund machen, aber grässlich schmecken, ist diese Suppe ein kleines Wunder, weil sie auch fast jeden Gesunden (sofern er Huhn zu sich nimmt) zum Zungeschnalzen und verzückt Schnurren bringt – aber zudem noch zusätzliche Anti-Erkältungs-Asse aus dem Ärmel schüttelt, dank derer sie im Zweifel Erkältungsviren ebenso wie ähnliche Suppen haushoch im Schneider schlägt: Denn dieser Brühe geben Sternanis und Fenchel, Kardamom und Koriander, Zimt, Pfeffer, Knoblauch, Chili, Ingwer und Nelken köstliche Würze. Sie ist gleichzeitig sanft und scharf, heiß und subtil, verführerisch und geerdet.

Wie stechen die Asse? Sternanis wird eine starke Heilwirkung zugeschrieben. Er löst Schleim und ist deshalb auch Bestandteil einiger Hustensäfte. Das gilt ebenso für Fenchelsamen. Die im Zimt gebundenen Öle wärmen den Körper und wirken entzündungshemmend bei Erkältungen. Auch die „Scharfstoffe“ des Ingwers verjagen Erkältungsviren und hemmen ihre Wirkmacht. Knoblauch bietet Viren ebenfalls die Stirn, gilt zudem als „natürliches Antibiotikum“. Auch Pfeffer löst Schleim und wirkt Erkältungen und Entzündungen entgegen, ebenso wie Chilischärfe. Und auch die Nelken wirken in dieselbe Richtung, ebenso wie die Heilkräfte des Korianders. Das Wundervolle an alledem ist, dass die Gewürze sich aufs Hinreißendste zu einem ebenso klaren und knackigen wie auch komplexen Aromenwunder in der Brühe verbinden. Hinzu kommt noch die an Vitamin C reiche Zitrusfrische von Limetten. Ein zarter Hauch von Fischsauce spannt subtil, kaum merklich, aber unglaublich raffiniert den Aromenfächer noch weiter auf und verleiht mit ihrer Umamifülle der Sache Tiefe. Ein bisschen vom Erkältungstee abgezwackter Kluntje hellt das Gemüt auf und rundet ab. Frischer Koriander, vielleicht sogar Thai-Basilikum und Minze, runden das wohltuend Ganze ab, und wer mag macht der Suppe mit einem Schuss Sriracha-Sauce noch zusätzlich Feuer unterm Hintern.
So ist Phở Gà deutlich kecker, vielschichtiger und schillernder als die fraglos edle, feine, klassische und etwas brave europäische Variante, steht in der Gunst der Welt zu Unrecht aber immer wieder im Schatten ihres noch weitaus berühmteren Bruders Phở Bò, der in meinen Augen besten Rindfleisch-Nudelsuppe der Welt (auch wenn es mit Ramen einen ambitionierten Konkurrenten gibt). Besonders gern genossen in den unzähligen Garküchen, bei denen man mit wachem Auge die besten schnell daran erkennt, dass sie am schnellsten aus dem Straßenbild verschwunden sind: alles ausverkauft.


















Nun ist in vielen Rezepten die vietnamesische Hühnersuppe auch zahmer als ihr Rindsbruder. Und wer sie richtig klassisch kochen möchte, kocht ein ganzes Huhn samt Karkassen aus. Nicht nur wenn man krank ist, möchte und kann man vielleicht aber nicht stundenlang in der Küche stehen, Schaum abschöpfen und so weiter. Deswegen gibt es hier und heute meine kleine persönliche Variante dieser Suppe. Eine, die sich das Wilde und Ungezähmtere ihres Rindsbruders leiht. Eine, die aber, wie ich finde, auch ohne komplett selbst gekochte Brühe mit gekörnten Alternativen zu einem wundervollen Ergebnis kommt. Eine, die keinen Anspruch hegt darauf, besonders authentisch zu sein, auch wenn sie für mich in jedem Tropfen Erinnerungen an tropische Reise-Erlebnisse birgt und komplett nach Vietnam schmeckt.
Und wenn man davon absieht, dass man vor dem Kochen zumindest einmal im Asialaden kräftig ins Gewürzregal gegriffen haben sollte, ist die Suppe auch in keiner Weise aufwändig und kompliziert zu kochen. Das Geschnippel ist übersichtlich, die Suppe wird einfach ne Zeitlang sich selbst überlassen und köchelt vor sich hin. Die teils ja durchaus festen Gewürze landen mit Ausnahme des Pfeffers, der angequetscht in der Suppe frei umherdümpeln darf, in einem Teebeutel, so dass sie ihren Zauber entfalten und in der Flüssigkeit verteilen können, aber mit einem Schwupp aus der Flüssigkeit verschwunden sind, ohne dass man sie später mühsam vom Teller fummeln muss.

Zutaten für die Phở Gà
Vier Hähnchenschenkel plus zwei Hähnchenbrustfilets
Zwei große weiße Zwiebeln, grob geschält und halbiert
1 Knoblauchzehe, geschält, angequetscht
Sechs Zentimeter Ingwer (möglichst mit wenig Knubbeln und Rhizom-Verästelungen)
2,5 Liter Wasser
6 Teelöffel Hühnerbrühe (zwei Päckchen „klare Hühnersuppe extra“ von Maggi wären hier die noch klarere Empfehlung)
4 „Kluntje“, also grobe Kandiszuckerbrocken (besser noch gelben chinesischen „Rock sugar“, den es im Asialaden gibt, der aber nicht immer leicht zu kriegen ist)
1 Teelöffel schwarze Pfefferkörner, grob zerstoßen
3 Esslöffel Fischsauce
Salz
Für das Gewürzsäckchen:
3 Sternanis
1 große Stange Zimt, angequetscht
5 Kapseln grünen Kardamom, geöffnet (typischer ist der rauchiger schmeckende schwarze Kardamom, davon sonst 1/2 Kapsel, aber ich finde, zu Huhn passt der feinere grüne besser)
1/2 Teelöffel Fenchelsamen
3 Nelken
1 Teelöffel Koriandersamen
1 weiteren Teelöffel schwarze Pfefferkörner
200 Gramm bánh phở (Pho-Reisbandnudeln, gibt es im Asialaden)
Zum Servieren:
1 Limette
1/2 Bund frischer Koriander, die Stängel von den Blättern getrennt und feingehackt
einige Stängel Thai-Basilikum (optional)
einige Stängel Minze (optional)
1-2 rote Chilis, entkernt (optional)
1 Handvoll Mungbohnensprossen (optional)
1 Frühlingszwiebel, die äußere Schicht abgezogen, Wurzelansatz weggeschnitten, fein geringelt (besonders optional)
Sriracha-Sauce (optional)
Fischsauce (optional)
So wird meine Version der Phở Gà gemacht
Hähnchenschenkel und die Brustfilets unter kaltem Wasser gründlich abbrausen und waschen. Brustfilets salzen und in einer zugedeckten Schüssel im Kühlschrank beiseitestellen.
Bei Zwiebeln und Ingwer geht es jetzt drum, dass sie karamellisieren. In Vietnam werden sie samt Schale (vorher einmal waschen und abbürsten!) zwischen die Kohlen der Kochstelle gesteckt, bis sie mindestens angeschwärzt sind, dann kurz vorm Verwenden geschält/das Dunkle weggekratzt. Das mildert die Bitzigkeit der Beiden und öffnet weiteren Aromen die Tür. Man kann Ingwer und Zwiebeln auch unterm Grillrost auf höchster Einschubstufe und bei maximalem Wumms rösten. Oder man schält den Ingwer, nimmt zumindest die äußere Schicht der Zwiebel ab, halbiert sie und röstet sie in einer Pfanne ohne Fett auf mittlerer Stufe auf dem Topfboden an. Auch das funktioniert, kann aber bei der Zwiebel insbesondere bei Edelstahltöpfen zu schwierig wegzuputzenden schwarzen ringförmigen Flecken führen. Wenn Ihr das so macht, bewegt die Zwiebel zumindest öfter mal. Ich übernehme nicht ansatzweise Verantwortung für fiese Topf-/Pfannenbodenflecken.
Den Ingwer rausnehmen, eventuell schälen, in mehrere Scheiben schneiden und mit einem Messerknauf kräftig anquetschen, dann in den Topf (am besten 3-4 Liter Fassungsvermögen) geben.
In dem Atemzug gleich auch die Knoblauchzehe schälen und ebenfalls angequetscht in den Topf bugsieren.
Die abgespülten Hähnchenschenkel mit hineinlegen. Mit 2,5 Litern kaltem Wasser aufgießen, die Brühe hinzugeben, zum Kochen bringen.
Die Säckchengewürze in einen Teebeutel stecken, mit einem Gummiband oder besser noch etwas Bindfaden zubinden, damit die Halunken nicht ausbüxen.
Die Pfefferkörner grob anmörsern und in die Brühe streuen, das Gewürzsäckchen auf große Fahrt gehen lassen im Topf.
Vom frischen Koriander die Blätter von den Stielen lösen und die Stiele ganz fein hacken und mit hinzugeben in die Brühe.
Die „Kluntje“ (für Nicht-Ostfriesen: Kandisbrocken) hineinpurzeln lassen.
Die Fischsauce hineinlöffeln.
Sobald das ganze brodelt, den Herd auf niedrige Stufe herunterschalten und ganz sanft köcheln lassen mit zugedecktem Deckel.
Jetzt könnt Ihr Euch erstmal ne Stunde lang hinlegen und ausruhen. Auch länger, längeres Köcheln intensiviert die Aromen nur.
Eine halbe Stunde vor dem Servieren die Reisnudeln mit leicht gesalzenem warmem Wasser bedecken und 20 Minuten lang einweichen. Ihr könnt sie auch kochen. Schaut am besten auf die Packungsanleitung. Wichtig ist aber, sie in einem getrennten Topf zuzubereiten, weil sie sonst in der kostbarköstlichen Brühe immer mehr Flüssigkeit aufsaugen und immer breiiger werden, und sie sollen doch Biss haben und die Brühe nicht eindickend trüben.
Nun noch die Chili sowie die Frühlingszwiebel (falls Ihr die nutzt) in dünne Scheiben schneiden. Entkernen, wenn Ihr kalkulierbarere Schärfe möchtet. Oder weniger, vor allem.
Die weiteren frischen Gewürze waschen.
Die Limette vierteln.
Eine Viertelstunde vor dem Servieren die vorgesalzene Hähnchenbrust aus dem Kühlschrank nehmen und im Ganzen gute zehn Minuten in der köchelnden Brühe ziehen lassen.
Herausnehmen, fünf Minuten ruhen lassen, dann auf Scheiben schneiden.
Auch die Hähnchenschenkel herausnehmen, die Haut ablösen, das Fleisch von den Knochen lösen. Das Fett beiseitenehmen (man kann es beim Wiedererwärmen noch zur Würze nutzen), die Knochen entsorgen.
Das Fleisch zurück in den Topf geben.
Die Suppe abschmecken, eventuell noch etwas Salz hinzugeben. Dann in bestenfalls vorgewärmte Schalen mit einer Kelle schöpfen.
Mit frischem Koriander, Thai-Basilikum und/oder Minze nach Gusto bestreuen, wer mag (Puristen rümpfen die Nase, ich liebe es, gerade in Schniefzeiten) spritzt sich nen Klecks Sriracha-Sauce rein, streut ein paar Chilischeibchen drauf, streut auch noch ein paar frisch angemörserte Pfefferkörner drüber. Und wer noch nen zusätzlichen Umami-Kick möchte, gibt noch einen guten Spritzer Fischsauce hinzu. Und zerquetscht noch die Limettenspalte.
Chúc ngon miệng! Guten Appetit!
Musik zur Suppe
Ein bisschen wild, ziemlich geschmackvoll und ein großer Hit ist nicht nur diese Suppe, sondern auch die neue Single der „Subways“, „Vex machine“.
Vielleicht noch besser zum Herbst, wärmend, wenn Kälte durch die Ritzen kriecht, passt „Cold water“ von Damien Rice von seinem fantastischen Meisterwerk „O“, das in diesem Jahr 20 Jahre alt geworden ist. Hier in einer Live-Session mit der wundervollen Lisa Hannigan, die auch auf dem Album mitsingt. Und mit kaltem Wasser wird die Suppe ja auch aufgesetzt.
Und wo wir bei „Cold“ sind, auch wenn es hier nicht um Erkältung geht, dürfen auch die wundervollen Ben Folds Five, die ja nie Fünf, sondern nur Drei waren, noch aufspielen: „Selfless, cold and composed“.
Oh Mann hätte ich davon jetzt gerne einen großen Teller 🙂
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Es ist leider schon alles verputzt 😀 Danke!
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Danke für dieses Suppen-Rezept, das man in dieser Jahreszeit immer gut gebrauchen kann. Bisher habe ich mir immer über die Erkältungszeit mit Knochenbrühe (aus Rind oder Geflügel) hinweg geholfen, doch deine Suppe schmeckt sicherlich köstlich. Werde ich ausprobieren – mit einer kleinen Änderung: die Maggi-Zutat spare ich mir und nehme lieber meine selbst zubereitete Kräuter-/Gemüsepaste.
Liebe Tessiner Grüsse von Sabine
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Das Maggizeugs hab ich erwähnt, weil es unter den Fertigbrühen, die ich kenne, den unaufdringlichsten und natürlichsten Hühnergeschmack mitbringt. Und dadurch den Gewürzen umso klarer und selbstloser die Bühne überlässt. 🙂
Nimm gern Deine eigene Paste. Abwandeln ist ja eh ne schöne Sache. Könnte sich, je nachdem, welche Kräuter Du nutzt in Deiner spannenden Paste, nur entsprechend ein wenig wegbewegen vom klassischen Aroma. Was ja auch bereichernd und spannend sein kann.
Und gern! Ganz lieben Dank Dir!
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Diese magische Suppe muss ich unbedingt nachkochen! Mich irritiert ein bisschen der Kandiszucker, aber ich werde mich herantasten…
Übrigens, dein 1. Absatz ist genial formuliert!
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In Vietnam nutzt man Yellow Rock Sugar, der quietschgelb ist und mehr Eigenaroma mitbringt als hiesiger Kandis, der ja einfach nur süß ist. Die Süße hilft, das Gericht auszubalancieren gegenüber der zartfrischen Säure, die unter anderem durch die Limetten sonst etwas stumpf werden und das Gleichgewicht kippen könnte. Aber nimm einfach erstmal weniger. Und Du kannst auch Rohrzucker nehmen. Das hier sind ja einfach grobe Vorschläge, wie es mir super schmeckt und in der Erinnerung nah and Original kommt. Abwandeln ist ja nur legitim 🙂
Ganz lieben Dank Dir!
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Lieber Ole,
Myamoto Musashi, ein berühmter japanischer Schwertkämpfer und Nationalheld, schwor auf Hühnersuppe bei Erkältungen und Immunschwäche und ich verfeinere mein Hühnersuppenrezept zusätzlich gerne mit Pastinaken und Petersilienwurzel. Meinen Kindern kredenzte ich sie als“Husten-Schnupfen-Geh weg!-Suppe und wenn ich mich mickrig fühle, bringt sie mich garantiert wieder zum Gackern. Was Dein Phó Gà-Rezept alles für Heil- und Zauberkräfte entfaltet, kann ich mir vorstellen, doch mit Sicherheit kann sie verzaubern. Schon beim Lesen wird mir warm ums Gemüt.
Vor sich hin herbstelnde liebe Grüße
Amélie 🍂🍁✨
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