
Gurunüsse wachsen am Stinkbaum.
Irgendwann spätnachts, wenn die ersten Leute schon zur Tanke gelaufen sind, um Bier-Nachschub zu holen und wenn sich die mit Hummusresten beschmierten Pappteller in der Spüle stapeln, streuen Partygäste, während sie in die leergetrunkenen Pullen aschen, ja gern ein wenig skurriles Halbwissen in Gespräche. Wäre ich an Silvester auf einer Party gewesen, hätte ich vielleicht erzählt: „Gurunüsse wachsen am Stinkbaum – und ohne sie hätte der Apotheker John Stith Pemberton nie Coca-Cola erfunden, als er im Jahr 1886 eigentlich einen Sirup gegen Kopfschmerzen herstellen wollte.“ Was durchaus wahr ist und im Zweifel vielleicht dazu geführt hätte, dass die Umherstehenden umso eifriger Weinbrand in ihre Limo gekippt hätten. Und zwei Meter weiter hätten sich zwei Aneinander-Interessierte angenähert. Und vielleicht hätte er gefragt: „Sollen wir morgen auf dem Aasee gemeinsam Tretboot fahren?“ Und sie hätte geantwortet: „Im Leben nicht! Ich werd doch schon unter der Dusche seekrank.“ Stattdessen: „Zu mir?“ – „Gehen wir.“ Und im Nebenraum hätte irgendwer windschief zu „Wonderwall“ von Oasis und besonders laut zu „Fuck forever“ der Babyshambles gegrölt oder Salz auf einen riesigen Rotweinfleck im Teppich gerieselt – oder Bier-Pong gespielt. Und irgendeiner der Nachbarn hätte die Polizei gerufen wegen Ruhestörung. Morgens um 5.
Und im Schatten des Doms hätte vielleicht ein Doktorand der Musikwissenschaft, der wehende Trenchcoats und Föhnwelle zum bohèmen Sechs-Tage-Bart trug, ein Dîner gegeben. Er, der „Kokain“ von Pitigrilli und „Gegen den Strich“ von Huysmans verehrte, sich selbst ein wenig für Adrian Leverkühn aus Thomas Manns „Doktor Faustus“ hielt und für Brahms und Rachmaninov brannte, hatte früher in wilden Zeiten auch schonmal ganze Käselaibe auf dem Rückweg von Parties – morgens um 5 Uhr, während die Nachbarn woanders die Polizei riefen – vom Wochenmarkt geklaut. Er selbst trank Rotwein nur noch aus Bleikristallgläsern. Und auf dieser Party wäre vielleicht Soundgarden, vielleicht aber auch Stravinskijs „Sacre du Printemps“ aufgelegt worden (getanzt hätte eh niemand). Und vielleicht hätten die Geladenen im Dunst des Côtes du Rhône auch fachzusimpeln begonnen. Sich nochmal aufs mit Lachskaviar dekorierte Canapé geschmiert, dass „Lucy in the sky with diamonds“ der Beatles doch eigentlich nur ein kaum verstecktes Liebeslied an LSD war, und wie es wohl auf Timothy Learys „Magic bus“ gewesen sein mag. Hätten womöglich Walter Benjamin aus der Mottenkiste geholt: „Was im Zeitalter der digitalen Reproduzierbarkeit des Kunstwerks verkümmert, ist seine Aura.“ Oder, Krawehl! Krawehl!, sich Loriot-Zitatfetzen zugeworfen. Guck mal ein Eichhörnchen. Und darüber sinniert, wie E.T.A. Hoffmann 1802 in Posen einen Skandal mit Karikaturen der oberen Kaste auslöste – und dass jetzt im Winter ja die beste Zitrusfruchtzeit ist. „Habt Ihr schonmal Meyer-Zitronen gekostet? Das MÜSST Ihr machen. Und endlich gibt es ja wieder Grapefruits. Diese Bitternoten. Als Kind verabscheut man die, weil Bitterkeit ja auch Giftigkeit signalisieren kann, wusstet Ihr das? Und Bio-Orangen sind ja auch endlich wieder zu kriegen.“
Und dann hätte irgendwer sein Jackett zurechtgezupft und, weil es doch um Grapefruits ging, über „The Wolesley“ am Piccadilly in London doziert, dieses schweineteure, luxuriöse Café neben dem Ritz, das in einem imposanten silbergrauen Gebäude steckt, mit Marmor-Schachbrettboden, goldverziertem Schnörkelgeschmeide an der Außenfassade, goldverzierten Säulen und Türrahmen und echten Silberhauben, unter denen das Essen serviert wird. Und dass die Kochbuchautorin Leah Hyslop auch so davon geschwärmt hat und in ihrem Kochbuch „Made in London“ jubiliert: „Irgendetwas an den Deckengewölben und dem Farbenspiel aus Schwarz und Gold lässt mich dort sofort tief ausatmen und entspannen.“ Und dass sie sich, wann immer sie dort frühstückt, gern Grapefruit kredenzen lässt, deren Filets „erst ausgelöst und bis zur Perfektion karamellisiert und anschließend wieder in der Fruchtschale geschichtet werden“, und dass sie selbst zu Hause dann eine etwas rustikalere Variante erdacht hat, in der sie die bitteren Zitrusfrüchte in Honig karamellisiert, auf einem Bett aus Joghurt serviert und mit gehackten Pistazien überstreut, das ganze noch mit dem neckischen Biss kandierten Ingwers und zerdrückter Kardamomkapseln ergänzt, und dass, wer mondän frühstücken mag, an so einer Köstlichkeit kaum vorbeikommt. Zumal der karamellisierte Honig ein wenig vom verspielten Goldstuck des Cafés erahnen lässt. Und dann hätten die umstehenden Gäste vielleicht „Mmmmmhhh“ oder „Ooooohhhh“ gesagt und überlegt, dass das ja doch sehr simpel für ein ganz schön grandioses Frühstück ist. „Und doch so raffiniert.“ Und dann hätten sie den kleinen Finger von ihrem Bleikristallglas abgespreizt und sich aus der Karaffe nochmal nachschenken lassen.

Das braucht Ihr an Zutaten
Für 4 Portionen
2 Pink Grapefruits
5 Esslöffel flüssigen Honig (gönnt Euch guten, keinen aus aller Herren Länder zusammengepanschten)
500 Gramm griechischen Joghurt (mit um die 10 Prozent Fett)
3-4 Kardamomkapseln (die Samen herausgelöst und angemörsert oder zerdrückt)
5 Würfelchen kandierten Ingwer (100 Gramm, Pi mal Daumen)
1 kleine Prise Salz
80 Gramm gehackte Pistazien (wenn Ihr sie zur Hand habt und mögt)
So wird’s gemacht
Die Grapefruits so schälen, dass Ihr die bittere weiße Haut mit ablöst. Wer mag, kann sie natürlich auch richtig filettieren, es reicht aber eigentlich, die Früchte danach einfach in etwa sechs, je etwa einen halben Zentimeter dicke Scheiben zu schneiden.
Den Honig auf niedriger bis mittlerer Stufe erhitzen. Nach etwa einer Minute beginnt er zumeist zu brodeln und schäumen. Den Blasenwerf-Spaß darf man ihm ein wenig lassen, insgesamt etwa fünf Minuten lang. Währenddessen einfach vor sich hinkochen lassen, den Topf nur hier und da etwas schwenken. Eine kleine (!) Prise Salz hinzustreuen. Messerspitze.
ACHTUNG: Auf keinen Fall wegrennen und auf dem Balkon erstmal eine rauchen oder mal eben die Wäsche aus dem Trockner räumen, weil der Punkt, an dem er sich vom Zielpunkt „bernsteinfarben karamellisiert“ entfernt und dann zu deutlich dunkler, bitter oder gar ungenießbar entwickelt, ist ein sehr kurzer Moment, den man besser nicht verpasst. Und wie Zuckerkaramell kann dann auch karamellisierter Honig schnell anbrennen. Und alles von vorn machen, schwarze Krusten aus Töpfen kratzen: All das braucht und will man nicht zum Frühstück und für einen guten Start in den Tag. Wobei das Ding sich auch als Dessert hervorragend macht.
Wenn das Ziel „bernsteinfarben“ karamellisierter Honig erreicht ist, kann man den Topf vom Herd nehmen und die Grapefruitscheiben samt dem drumherum verspritzten Saft in den Honig rutschen lassen. Mit einem Silikonspatel oder Pfannenwender ein wenig in der zuckrigen Masse wenden, damit die sich von allen Seiten an die Früchte kleben und sie ummanteln kann. Zehn Minuten lang darin ziehen und abkühlen lassen.
Die kandierten Ingwerwürfel in feine Scheibchen schneiden und mit dem Joghurt und den Kardamomkrümeln vermengen. Auf Teller oder Schälchen verteilen und in ihnen ein Bett daraus bereiten.
Darauf dürfen dann die Honig-Karamell-Grapefruits sich edel ausstrecken. Zugedeckt mit ein wenig darüber geträufeltem restlichem Karamellhonig. Und als köstliches Schmuck-Ornat hernach noch mit gehackten Pistazienkernen überstreut.
Ravishingly royal!
Musik zum Dessert
Gehen wir zurück zu Party Eins: Hier kommt, ganz unroyal, „Fuck forever“ von den Babyshambles.
Und dann natürlich Soundgarden. „Fell on black days“
Wer mag, kann sich natürlich auch Strawinskijs revolutionäres Ballett geben: „Le sacre du printemps“
Oder doch lieber „Lucy in the sky with diamonds“?
Und für ein wenig royalen Glanz, den die Aromen dieses köstlichen Desserts vertrömen, hier noch ein wenig Pomp und Circumstances: „Land of hope and glory“.
Was für eine grandioser Text! Ausladend und Einladend zugleich! Und das alles nur um dieses wahrscheinlich total leckere Rezept vorzustellen?
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Wow! Tausend Dank für solch ein Kompliment! Du tust was für meine Gesichtsdurchblutung! Und ja, die Geschichte hatte tatsächlich nur den einen Zweck. Plus Lust am Quatsch 🙂
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Wäre sehr langweilig, wenn du mir Rezepte präsentieren würdest. Durch das Drumherum wird’s echt interessant. Lust am Quatsch ist immer die beste Voraussetzung fürs Schreiben.😉🤭
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Das freut mich sehr. Und nur Rezepte fände ich auch spaßbefreit öde. Auch wenn andere genau das vielleicht auch anstrengt, weil sie so weit scrollen müssen, bis das Rezept beginnt 🙂
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Deinen richtigen Fans ist das egal…die scrollen gerne!!!🤣😊
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Na wenn das mal kein super Naschstart im neuen Jahr ist… sieht und klingt zum Nachmachen gut aus!
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Ganz lieben Dank Dir! Frohes Neues!
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Soundgarden und ’ne Doppelportion ohne Pistazien, bitte.
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Von Herzen gern. Laut und pistazienfrei.
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