
Es gab Tage, da blickte Babusya, also Oma, durch Didi hindurch, als wäre er ein Fenster. Didi, so nannte sie Opa. Es passierte oft im Spätsommer, wenn sie den Überfluss an Tomaten und Auberginen, der rund um die gedrungene kleine Holzhütte wucherte, von den Strünken gepflückt, in Wäschekörben hineingeschleppt hatte und auf dem Holzschemel in der Küche saß, um die Früchte zu putzen. Es geschah auch, wenn sie, wie jetzt, etwas Bärlauch geerntet hatte, der an den feuchten Stellen des Gartens sprießt – gerade im Frühling, wo Blaumeisen und Zaunkönige sich wieder in den Kirschbäumen zur Chorprobe trafen. Wobei er nicht sicher war, ob sie glaubte, dass sie ihn durchschaut, oder sie nur durch ihn hindurchblickte. Sie wusste, dass er nicht in der Lage war zu pinkeln, wenn jemand das Plätschern hörte. Er errötete immer, wenn er das Wort „Schmetterling“ hörte – warum auch immer – und bewunderte Zauberer umso mehr, nachdem er ihre Tricks enträtselt hatte. Zuweilen kniff Babusya die Augen zusammen, wenn sie Didus ansah. Schob die Falten in ihrer Stirn zusammen zu einem Labyrinth. Dann blickte sie eher, als sei er ein schlecht geputztes Fenster, das eines alten Holzschuppens, durch den im Winter der Wind pfeift, und dessen Scheiben von Spinnweben-Gardinen verhängt sind, in denen unverspeiste tote Fliegen baumeln: Man bekam nicht immer den rechten Durchblick bei ihm. Und dann war da dieser eine Tag, an dem er nach Hause kam und ihm ein Kreissägeblatt im Kopf steckte, vom Scheitel bis hinab in die Stirn, da sah sie nicht durch ihn hindurch, sondern vor die Stirn, darauf. Sah genauer hin. „Wir müssen Dich zum Arzt bringen“, sagte sie. Er sagte nichts. Draußen watschelten Enten über den staubigen Dorfweg in Starosillya. Wind flüsterte den Ähren auf den Kornfelder vor dem Dorf kleine Geheimnisse ins Ohr. Im Schweinekoben schnaufte und grunzte und schmatzte der Rüssel der Sau in der kleinen Schlammpfütze. Dort, wo Babusya etwas Wasser ausgegossen hatte. Der Matsch klatschte und schmatzte. Eine Krähe krächzte.



Und dann sagte er doch etwas. „Bevor wir zu irgendeinem Arzt fahren, mach mir Pfannkuchen. Die, die ich liebe. Da können mir noch so viele Kreissägenblätter in der Stirn stecken.“
Die Pfannkuchen, wie Didus sie liebte, waren klein und zart und er liebte es, wenn auf ihnen ein Viertelpfund Butter schmolz und man sie klein aufrollte. So wie im unglaublich wundervollen Kochbuch „Summer kitchens“ von Olia Hercules ihr Sohn sie liebt, der sie „Rock and roll“-Pfannkuchen nennt. Sie sind zart und fluffig und luftig und die Ukrainerin hat darin auch das Rezept dafür verraten. Doch noch mehr liebte Didus diese Pfannkuchen im Frühjahr, wenn Wiktor mit dem Traktor aus Odesa zurückgekommen war und dort Parmesan gekauft hatte. Und wenn Babusya dann Zwiebeln auf dem Herd karamellisierte und mit Tomaten und Parmesan zu einer Art Pfannenkonfitüre einkochte, mit einem Spritzer Weinessig oder Granatapfelsirup. Und wenn sie dann, wie so oft im Frühling, noch zwei Handvoll frischen Bärlauch dazugab, konnte er mindestens so dahinschmelzen wie die Butter auf den „Rock and roll“-Pfannkuchen.





**** Exkurs ****
Ich möchte niemandem vorgaukeln, je in der Ukraine gewesen zu sein. Diese Geschichte ist rein fiktiv. Aber die Köstlichkeit der Pfannkuchen ist real. Und das berührend tolle Kochbuch von Olia Hercules, ist es auch. Sie, die aus der Ukraine stammt, hat die Aktion #CookForUkraine mit ihrer russischen Freundin Alissa Timoshkina ins Leben gerufen. Dabei geht es auch um Hilfe für die Ukraine – und um mehr. Im „Guardian“ gibt es einen sehr lesenswerten Bericht dazu. Und sie möchte auf diese Weise Menschen dazu bringen, sich mit Leben, Kultur und Küche der Menschen in der Ukraine und in Osteuropa generell zu befassen, Verständnis dafür zu entwickeln und sich den Betroffenen und ihrer Heimat über die Kriegsnachrichten hinaus zu befassen.
Das Pfannkuchenrezept ist von ihr, die Tomaten-Bärlauch-Konfitüre von mir. Denn gerade sprießt er wieder wundervoll, lässt sich an Wegesrändern pflücken – oder, wie im Bild oben im Garten meiner Eltern. Wer Bärlauch mag, dürfte auch die fantastischen Ricotta-Gnocchi damit lieben. Die hatte ich voriges Jahr ja schonmal vorgestellt.
Olia Hercules selbst lässt nach einem Rezept ihrer Oma üppig Butter darauf schmelzen und rollt die Pfannküchlein eng auf. Und der Trick ist, dass der Teig noch etwas zarter und luftiger wird durch die Zugabe von einem guten Schluck kochenden Wassers, das das Mehl schon etwas vorgart, bevor es in der Pfanne knusprig gebrutzelt wird.
Mir war nach einem herzhafteren Twist, zumal gerade draußen so herrlicher Bärlauch sprießt. Und weil gerade in der Schwarzmeer-Region der Ukraine so tolle Tomaten gibt, und weil es jetzt ja auf Sicht auch um Integration und Miteinander gehen wird. Es ist dies das erste von mehreren Rezepten aus der Ukraine, die Euch hier in der kommenden Zeit begegnen werden. Kein Borschtsch, keine Wareniki oder Kunduny zum Auftakt. Dafür fehlte die Zeit.
Wie aber macht man die Teile nun?

Zutaten
Für die Pfannkuchen, für zwei hungrige Mäuler:
2 Eier
1/2 Liter Milch
1/2 Teelöffel Salz
1 Esslöffel Zucker
2 Esslöffel Öl
250 Gramm Mehl
75 Milliliter kochendes Wasser
Für das Tomaten-Parmesan-Chutney mit Bärlauch:
6 kleine Tomaten, in dünne Scheiben geschnitten
2 rote Zwiebeln, fein gewürfelt
2-3 Esslöffel Butter
1-2 Esslöffel Balsamico-Essig oder Granatapfelsirup (möglichst säuerlichen, kriegt man in arabischen Läden, nicht den nachts leuchtenden, farbstoffberstenden überzuckerten Schiet von Bols)
Geraspelter oder gehobelter Parmesan nach Gusto (drei Esslöffel oder so)
1/2 Teelöffel Salz
1 gestrichener Esslöffel Zucker
1/2 Teelöffel Chiliflocken (optional)
2-3 Handvoll frisch gepflückten Bärlauch, gewaschen und feingehackt
Wie wird’s gemacht?
Eier und Milch und Salz und Öl und Salz und Zucker vermischen und mit dem Schaumbesen verschlagen. Also mit schnellen Schlägen verrühren. Dann Schubs für Schubs das Mehl hinzugeben, mindestens so eifrig umherwirbelnd, damit es nicht klumpt. Im Anschluss in einem Schuss das kochende Wasser zugeben und schnell mit einrühren. Kurz ruhen lassen.
Zwiebeln in feine Ringe schneiden, Tomaten auch. Butter auf niedriger Stufe in einer Pfanne auslassen. Darin die Zwiebeln und die Tomaten sehr gemütlich anschmurgeln. Zucker hinzugeben und vorsichtig karamellisieren lassen. Aufpassen! Es darf nicht schwarz und soll auch nicht dunkel werden, nur golden.
Salzen. Dann den Schluck Balsamico oder Granatapfelsirup hinzugeben, kurz köcheln lassen, eventuell auch ein, zwei Esslöffel Wasser reingeben. Parmesan dazuhobeln oder reiben und schmelzen lassen. Bärlauch waschen und fein hacken. Einen Teil direkt dazugeben und mitköcheln lassen, einen Teil draußen lassen. Wer mag, kann noch Chiliflocken nach eigener Schärfevorliebe dazugeben.

Für die Pfannkuchen zwei Teller beiseitestellen. Eine Pfanne auf mittlerer Stufe erhitzen. Einen kleinen Knopf Butter auslassen. Weil schon Öl im Teig ist, sollte man sie nicht allzu üppig einfetten müssen, hängt aber auch davon ab, wie temperamentvoll die Pfanne ist und wie rasch Dinge anhaften. Sollte das schnell passieren: großzügiger fetten.
Eine Kelle voll Teig in die Mitte der Pfanne geben und alsbald kippend schwenken, damit der Teig sich besser verteilt und dünn bleibt. Sicherheitshinweis: Damit ist nicht gemeint, sie wild umherzuwedeln, auf dass Ihr Euch mit heißem Fett verletzt oder das Zeug in der Küche klebt.
Etwa eine Minute lang backen, vielleicht zwei. dann, wenn der Teig sich gefestigt hat und kleine Blasen wirft und die Ränder bräunen, mit einem Silikonspatel vorsichtig ringsum die Ränder anheben – und dann den Spatel bis zur Mitte schieben und einmal – Schwupps! – vorsichtig wenden.
Exkurs: Wer Olia Hercules‘ „Rock and Roll“-Rezept folgt, sollte ab hier nur noch 10 bis 15 Sekunden lang weiterbrutzeln, weil sie ihr zufolge sonst übergaren und ihre zarte Struktur verlieren. Auf einen Teller legen und das große Stück Butter drauflegen und es schmelzen lassen, während man den nächsten Pfannkuchen backt. Sobald der fertig ist, kommt der auf den zweiten Teller – und auch die Butter. Dann den ersten mit Ahornsirup oder Marmelade bestreichen und aufrollen. Das Aufrollen gehört für sie essenziell zum Namen – und, dass die Pfannkuchen rocken.
In meiner Version hab ich schon noch etwas länger, vielleicht ne Dreiviertelminute auf der zweiten Seite gebacken, weil es dann etwas krosser wird.
Rausnehmen. Auf’n Teller. Nächsten Pfannkuchen backen. Der erste kann dann schon mit der inzwischen eingedickten, karamellisierten und duftenden Tomaten-Parmesan-Bärlauch-Konfitüre bestrichen werden. Einen Schwung der übrigen frischen Bärlauchblätter dazustreuseln und noch ein bisschen Parmesan drüber reiben. Guten Appetit.

Musik zum Menü
Zum schwungvollen Essen gibt es einen schwungvollen Hit des schrägen ukrainischen Indie-Pop-Stars Dziodzio, selbst wenn einem schon beim Startbild Klöße im Hals stecken bleiben können ob der Gräuel, die aktuell verübt werden.
Und weil es hier ja auch um „Rock and roll“ geht, auch noch ein wirbeliger Riesenhit im Anschluss:
Danke dafür! In jeder Hinsicht ein Genuss. Grüße, Anita
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Das freut mich wirklich riesig!
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„Peace, Pancakes & Rock ’n‘ Roll“!!! 🙏
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Aber hallo! Danke! Hab nen tollen Tag!
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