
Der Morgen kam langsam und zerfällt schon am Nachmittag zu Zwielicht. Die Nacht hatte ihr Ende verkündet, nachdem er eine Gallone halb verdautes Porter auf den Bodenbohlen einer Wirtschaft in der Parnell Street zurückgelassen hatte und irgendwie zurück ins Hostel getaumelt war. Wulnikowski sah sich gezwungen, seinen Anzug in einen Plastiksack zu stopfen und ihn luftdicht zuzubinden, weil mindestens zwei seiner Sinne Anstoß daran nahmen und er andernfalls einen unfreiwilligen Sprint ins Bad riskiert hätte. Dies tat er auch aus Rücksicht auf Christian, mit dem er eigentlich das größte der irischen Feste, St. Patrick’s Day, in Irlands Hauptstadt erleben wollte – doch der hatte schon im Flieger zu spucken begonnen. Und das hatte sich sogar noch verschlimmert, nachdem Christian sich gleich zwei Päckchen Aspirin akut reingepfiffen hatte, in der Hoffnung, damit die Übelkeit zu besiegen. Denkste. Der also blieb, die Welt verfluchend, weil in der Regel war immer irgendwer Schuld nur nicht er selbst, im Bett liegen, während Wulnikowski sich allein ins Getümmel stürzte.
Überall Leute in Koboldkostümen, nun, eigentlich ist der Leprechaun, dieser Naturgeist, ja gar kein Kobold. Und die Welt fusselt vor roten Bärten, und wohin Du blickst: grüne Hüte und Guinnessmützen, wer soll da wen noch wiedererkennen und je wiederfinden? Aber natürlich auch immer und überall neue Leute, die sind ja auch da. Und die Stadt eine einzige Parade.
Dunkel erinnert er sich daran, wie er an einem winzigen indischen Imbiss vorbeigekommen war und noch staunte, dass sie an diesem Abend sogar dort Colcannon in einem riesigen Pott rührten, das irische Nationalgericht, was eigentlich vor allem Kartoffelbrei ist, in den man Weißkohl oder Grünkohl rührt – der Name rührt vom Irisch-Gälischen cál ceannann, was so viel heißt wie weißköpfiger Kohl. Die Inder hatten Grünkohl hineingeworfen und das Ganze ein wenig wie Curry gewürzt, was verblüffend köstlich war. Und irgendwie muss man ja ne Grundlage schaffen für das ganze Bier und die ganze grüne Lebensmittelfarbe, die an diesem Abend drin landet, dachte Wulnikowski, und so orderte er eine Portion. Und sie war auf verblüffende Weise auch indisch gewürzt, und es war köstlich – auch wenn die Portion nicht allzu lange bei ihm bleiben sollte.
Und für einen Moment ahnt er sich zu erinnern, wie er gestaunt hatte, dass all die Irinnen bei Eiswindböen um 3 Grad über Null in Miniröcken durch die Nacht staksten und wie ihn plötzlich ein Pub verschluckte, ein erster, dann der nächste und noch einer, weil er unvermittelt inmitten der tollen Traube nach „Temple Bar“ geraten war, und wie sie ihm Kleeblätter ins Gesicht klebten und Wildfremde ihn umarmten und ihm Sätze ins Ohr brüllten, wie „Man kann einen Kuchen nicht essen, ohne dass er dann weg ist“, und wie die Stadt bebte unter zu Fiddle, Flöte und Klampfe gegrölten Gassenhauer. Es ist noch Whisky im Fass. Und Roddy Doyle rotiert im Grab wie ein Spanferkel. Und wie Pint für Pint die Erinnerung schaler wurde wie zu lange stehen gelassenes Stout, und Sackzement, was kostete ein Pint da inzwischen. Und wie ihm ein Lockenkopf, dessen Lederjacke einen Teil des Porters abbekommen hatte, seine Fäuste schwang und ihm hinterherrief: „Pass auf, wenn Du mir im Mondschein begegnest!“ Und irgendwo auf dem Heimweg war er einem begegnet, der einem Indianer nicht unähnlich sah, während er mit einem alten Teewärmer auf dem Kopf in den Morgenstunden vor einem Hauseingang herumtobte, mit der Faust auf eine Blechbüchse einschlug und brüllte: „Ja! Jaka, Jaka, Jaka!“
Und an einem Obststand am Straßenrand verpackte eine Dirne dicke Birnen, Kopf bei Rumpf, und zwischen ihnen reife, schamgesichtige Pfirsiche. Und ein geschniegelter Jüngling, seifenglatter Schleicher, ging in neuen lohbraunen Schuhen vor dem obstduftenden Stand auf und ab, hob Früchte auf, junge, saftige und pralle rote Tomaten, schnüffelte Düfte und unterhielt sich großkotzig mit sich selbst und Wulnikowski fragte sich, wieso man um sechs in der Früh nach der wildesten Feier des Jahres schon Obst brauchte und derart geschniegelt übers Trottoir gockelte. Leere Pötte machen den meisten Lärm. Soll doch irgendein Meinherr aus Teutschland sein Lebenlang nach tiefverborgenen Bedeutungen dieses Tuns in der Tiefe seines Waschkorbs wühlen. Der liebe Gott ist kein Possenreißer in einem billigen Tingeltangelbums.
Und jetzt hängt Wulnikowski mindestens so durch wie das Lattenrost und die Matratze im Hostel, von der er noch Schamhaare oder wasweißichfür Locken von irgendwelchen vorherigen Gästen gesammelt hatte, und nun plötzlich ist aber Christian wach und trommelt ungeduldig mit den Fingern auf dem Bettgestänge und will unbedingt die Bibliothek im Trinity College sehen und Guinness und Hammelnieren zum Frühstück wie in Joyces „Ulysses“. Und beim Gedanken daran, da, da, da, da ist Wulnikowski dann nicht mehr so – sein Gesicht wurde so emeraldgrün, wie sich der Chicago River jedes Jahr zu St. Patrick’s Day färbt und wie die Lebensmittelfarbe, die sie in all den Pubs in Bier und Cider gekippt hatten. Und draußen vorm Hostel sitzt einer mit einem Bart wie eine explodierte Vogelscheuche und wartet, was ihm der Himmel heut wieder in die Kehle regnen lassen wird. Und dabei, denkt Wulnikowski, wie kann er nur? Ich habe keinen Kater mehr, das ist schon ein Panther.

Grünkohl mal anders
Im Kindergarten, wo andere vielleicht insbesondere „Anne Kaffeekanne“ hörten und trällerten, habe ich – als ich gerade gelernt hatte, den Schallplattenspieler meiner Eltern zu bedienen – besonders gern die Sauflieder und irischen Volksweisen der Dubliners aufgelegt. Dass „Wild Rover“ von Klaus & Klaus dann noch zu „An der Nordseeküste“ halb-verballhornt zum Cola-Korn-Partyschunkler wurde, band das Ganze noch enger an meine Heimat an. An solche Dinge erinnert man sich schonmal, wenn St. Patrick’s Day wieder gefeiert wird.
Nun ist es so: Wer als Ostfriese keinen Grünkohl mag, wird von manchem mit Verachtung gestraft, oder mit Kopfschütteln. Könnte sogar ein Grund für Ausbürgerung sein. So köstlich die klassische Variante mit Mettenden, Pinkel und/oder Kassler ist, so spannend und wundervoll sind doch auch andere Zubereitungen – wie diese, mit denen ich diesmal (ein wenig zu spät) den St. Patrick’s Day nachfeiere, wie auch den Sieg der Iren beim „Six Nations“-Turnier im Finale gegen England. Und statt einfach nur blanchierten Grünkohl oder Weißkohl oder Wirsing in den Kartoffelbrei zu zwirbeln, hat mich die Idee angesprungen, den Grünkohl anzubraten und indisch zu würzen, grob inspiriert von Nik Sharma.
Ein Rezept, das vegetarisch fantastisch funktioniert, das als Hauptgericht herrlich taugt, sich auch prima veganisieren lässt, wenn man Butter/Ghee durch Öl und Milch durch eine Pflanzenmilch eigener Vorliebe ersetzt. Ein Rezept, das aber durchaus famos funktioniert, ergänzt um krosse Baconschnipsel, Bratwurst oder was Ihr sonst geneigt seid, Euch an Fleisch in Topf oder Pfanne zu hauen.

Zutaten
Fürs Kartoffelpüree:
1 Kilo Kartoffeln, bevorzugt mehligkochend
200 Gramm Butter oder Ghee (oder Öl, wenn Ihr es vegan möchtet)
1/4 Liter Milch (oder Pflanzenmilch Eurer Wahl)
1 Teelöffel Salz
300 Gramm Grünkohl (nicht aus dem Glas, entweder tiefgefroren oder frisch, gewaschen, Strünke entfernt)
2 Zwiebeln
Für die Würze:
1,5 Esslöffel Chaat Masala
oder:
1 Teelöffel Kreuzkümmelsamen
1 Teelöffel Garam Masala
1 Teelöffel Currypulver, scharf
1/2 Teelöffel Kardamom
1/4 Teelöffel Zimt
1/2 Teelöffel Amchur (grüne Mango, getrocknet und pulverisiert)
1/2 Teelöffel gemahlener Ingwer
1 Messerspitze Asafoetida
eventuell 1 Teelöffel Zucker
Salz, Pfeffer zum Abschmecken
optional für Fleischesser dazu: Bacon, zerhackt und kross gebraten, frisch gebratene grobe Bratwürste oder worauf Ihr auch Lust habt

So wird das Colcannon mit Grünkohl-Curry gemacht
Die Kartoffeln schälen und in etwa einen Zentimeter große Würfel schneiden. In einen Topf geben, mit Wasser auffüllen und bedecken, so, dass etwa ein Zentimeter Wasser über den Würfeln schwappt. Einen Teelöffel Salz dazugeben. Auf mittlerer Stufe gar kochen (zum Energiesparen bevorzugt mit Deckel).

Parallel die beiden Zwiebeln schälen und in feine Würfel hacken. Von der Butter etwa zwei Esslöffel abnehmen. Eine Pfanne auf niedriger bis mittlerer Stufe erhitzen, die Butter darin auslassen und die Zwiebeln darin langsam golden andünsten.

Grünkohl waschen und von Strünken befreien (beides falls frisch) und in jedem Fall schön kleinhacken. Dann mit in die Pfanne geben, ebenso wie die Gewürze, bei niedriger bis mittlerer Hitze unter mehrmaligem Rühren anbraten. Mit Salz, Pfeffer und eventuell auch einer Prise Zucker abschmecken.



Sobald die Kartoffeln gargekocht sind (in der Regel nach etwa 20 Minuten): abgießen. Dann die restliche Butter (etwa 150-170 Gramm) und die Milch zugeben und mit einem Kartoffelstampfer zu Brei stampfen. Wer faul ist, püriert mit dem Pürierstab. Aber mir wird es dann zu kleisterig.


Wer krossen Bacon dazu haben möchte, kann den in feine Stückchen schneiden und nun in einer gesonderten Pfanne (ohne zusätzliches Fett) kross braten.
Sobald der Brei glatt ist, das Ganze mit dem Grünkohl vermengen. Mit Salz und Pfeffer abschmecken. Und dazu einen Krug Porter? Oder Guinness? So oder so: Sláinte! Prost!








Musik zu Brei und Besäufnis
Schon 1964 auf Platte gebannt, begegnete der „Wild Rover“ in dieser frühen Fassung mir, als ich etwa drei Jahre alt war. Der Ohrwurm blieb lang, und ich hatte keine Ahnung, was „No, nay, never“ hieß, noch hatte ich je Whiskey, Bier und Zahlungsschwierigkeiten in Kneipen genauer kennengelernt. Aber: Großer Hit. Auch und gerade zu St. Patrick’s Day.
Und wenn wir schon dabei sind: Da ist auch noch „Whiskey in the jar“. Und den sollte man tunlichst austrinken, bevor der Schwips schwindet und der Morgen anbricht. Oder?
Und so richtig Schwung in die Bude kommt, wenn auch der zahnlos gesoffene Shane McGowan und die Pogues zusätzlich Gas geben.
Und natürlich könnte die Fraktion „Pro Bono“ jetzt sagen: Wo bleiben U2, wo wir doch bei irischer Musik sind? „In der Schublade“, antworte ich. Aber als Absacker oder verzaubernd schöne Anti-Kater-Musik gibt es hier noch den fantastischen Damien Rice. Zauberzarte Melancholie mit „The blower’s daughter“.
„Man kann einen Kuchen nicht essen, ohne dass er dann weg ist“ -😂
Gerne lese ich deine Geschichten, danke dafür, weiter so 😉
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Das freut mich enorm! Tausend Dank und nen traumhaften Abend Dir!
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Sauflieder im Kindergarten – zum Niederknien! :-))) Deine vegetarische Kartoffel-Grünkohl-Kombi ebenso. Wie immer ist es ein Genuss, hier zu sein, lieber Ole!
Alles Liebe,
Maria
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Nicht nur Sauflieder! Ich hab auch „Hannes Wader singt Arbeiterlieder“ gehört und „Auf, auf zum Kampf, zum Kampf, zuuum Kaaaaampf sind wir geboooooren“ gesungen… wusste aber nicht, wer Karli Knecht ist (Karl Liebknecht), und warum Luxemburg rosa war. 😀
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Tausend Dank für Deine lieben Worte! Deine Besuche freuen mich immer besonders!
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