
Wirklich gute Freunde verschönern Leben. Sie lehnen einem starke Schultern, wenn man sie braucht, sind zur Stelle, wenn Not am Mann ist, brechen mit Dir vielleicht auch nach Mitternacht von einer Gartenfeier auf, kratzen das letzte Geld zusammen und klären beim Flaschendrehen, wer der Nüchternste ist, um dann ins Auto zu steigen und spontan nach Paris aufzubrechen, weil Ihr gerade überlegt habt, dass Café au lait in einer kleinen Seitenstraße unterhalb von Sacre-Cœur genau jetzt eine gute Idee wäre. Gute Freunde wissen, um zu verstehen, auch stillschweigend. Und das besonders Schöne an guten Freunden ist, dass man sich zum Teil auch jahrelang nicht gesehen haben kann: Sobald man sich in die Arme fällt, sobald man sich wieder sieht, sich die ersten Witze oder auch traurigen Geschichten erzählt, sobald man beieinander ist, am Grill Würstchen oder Auberginenscheiben wendet, sich ein Bier aufmacht oder die Gabel in ein Stück Kuchen steckt: Fühlt es sich an, als hättet Ihr Euch vorgestern zuletzt getroffen. Auch wenn dafür der Bart des Einen in Rekordgeschwindigkeit gewachsen sein müsste, der Bauch rasant gewachsen oder geschwunden, die Haare wieselflink ergraut wären.
Ähnlich wie mit guten Freunden ist es manchmal auch mit Leibspeisen – und ganz besonders mit denen, die man selbst in der Kindheit geliebt hat. Man mag sie jahrelang nicht mehr im Topf oder auf dem Teller gehabt haben: Sobald der so vertraute Duft wieder in die Nase steigt, sobald der erste Bissen die Geschmacksknospen zärtlich umarmt, ist diese unverwechselbare Geborgenheit zurück, schwärmen alte, schöne Erinnerungen aus, ist es, als ob ein guter Freund Dir am Lagerfeuer eine Kuscheldecke umlegt. Und Lieblingsgerichte, die, die tief im Herzen berühren, müssen zumindest bei mir nicht schick und schnieke sein, sich nicht aufbrezeln, niemanden beeindrucken, können wie gute Freunde in zerschlissenen Jeans und verwuschelten Haaren auftauchen, weil ich sie genau so besonders liebe. Und so sind meine ganz tief geliebten Gerichte oft auch welche, die eigentlich sehr simpel sind. Geerdet, echt, ungekünstelt und gerade dadurch umso tiefer verbunden.
Béchamel-Kartoffeln sind und bleiben für mich so ein Gericht, das sich vom ersten Bissen an anfühlt wie Nach-Hause-Kommen, nach liebevollen Umarmungen und Quatschmachen in der Kindheit, nach Geborgenheit. So beeindruckend gut, vielseitig und auch raffiniert meine Mutter kochen kann und kocht, so ist dieses eigentlich doch so simple Gericht eins, das mir ganz besonders als Kindheitserinnerung geblieben ist. Eins, das eine ganze Weile auch in Vergessenheit geraten war bei mir und bei dem ich kürzlich dachte, das mag ich mal wieder. Und fast ein wenig falsch, vielleicht sogar verwegen, aber auch schön fühlt es sich an, sich plötzlich selbst an den Herd zu stellen, um es zu kochen, vielleicht sogar auch eigene kleine Veränderungen einzubasteln, wo doch Teil der Erinnerung ist, dass meine Mutter in der Küche stand, irgendwann zum Essen rief und das köstliche Mahl aus dem Topf und von den Tellern dampfend fertig auf dem Tisch stand. Es ist ein sehr simples: Mehlig gekochte Kartoffeln, die fast schon zerfallen, umschmiegt von würzig-zartsämiger Béchamelsauce, mal Kochschinkenwürfeln, mal Speck und obendrauf ein wenig bitziger Bissknack und freche Frische von Schnittlauch, manchmal auch Petersilie. Schon zu Kindergartenzeiten habe ich das Gericht geliebt und auch später, wenn ich als Torwart in jeder Pause durch den Matsch hechtend Tag für Tag von der Grundschule nach Hause kam mit einer Hose, die eher einem Golfplatz nach einer Flutkatastrophe glich: klitschnass, matschig und mit mindestens 18 Löchern.
Wo aber, habe ich mich jetzt gefragt, hat die Sauce Béchamel ihren Ursprung, eine der vier heiligen Grundsaucen, auch „mères“ oder „Muttersaucen“ der französischen Küche?
Die italienische Legende der „besciamella“ besagt, dass die Sauce im 14. Jahrhundert entstand und dank Katharina von Medici (1519-1589), der in Italien geborenen Königin von Frankreich, Eingang in die französische Küche fand. Im Rahmen einer italienisch-französischen dynastischen Allianz wurde Katharina 1533 mit Heinrich, dem Herzog von Orléans (dem späteren König Heinrich II. von Frankreich), verheiratet. Dank der italienischen Köche und Konditoren, die ihr nach Frankreich folgten, lernten die Franzosen den Geschmack der italienischen Küche kennen, die sie am französischen Hof einführten. Antonin Carême (1784-1833), einst berühmter Koch und Autor, schrieb 1822: „Die Köche der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts lernten den Geschmack der italienischen Küche kennen, die Katharina von Medici am französischen Hof einführte.“
Aber stimmt das? Denn andere Quellen behaupten etwa, dass die Béchamelsauce um 1600 von Herzog Philippe De Mornay (1549-1623) erfunden wurde, Gouverneur von Saumur und Herr des Plessis Marly. Die Bechamelsoße ist eine Abwandlung der weißen Grundsoße von Mornay. Er gilt auch als Erfinder der Mornay-Sauce, der Sauce Chasseur, der Sauce Lyonnaise und der Sauce Porto.
Und dann war da ja auch noch Marquis Louis de Béchamel (1603-1703), ein Finanzier aus dem 17. Jahrhundert, der das Ehrenamt des Haushofmeisters im Haushalt von König Ludwig XIV. (1643-1715) innehatte,. Auch der soll die Bechamelsauce erfunden haben – und zwar, als er versuchte, eine neue Art des Servierens und Verzehrs von getrocknetem Kabeljau zu entwickeln. Es gibt keine historischen Aufzeichnungen, die belegen, dass er ein Feinschmecker, ein Koch oder der Erfinder der Béchamelsoße war. Mehr noch: Der Kerl soll überhaupt nicht kochen gekonnt haben. Das ist der Legende im Zweifel egal. Dem Herzog d’Escars aus dem 17. Jahrhundert wird angeblich die Aussage zugeschrieben: „Dieser Kerl Bechameil hat das ganze Glück! Ich habe schon mehr als 20 Jahre vor seiner Geburt Hühnerbrust à la creme serviert, aber ich hatte noch nie die Gelegenheit, auch nur einer bescheidenen Sauce meinen Namen zu geben“.
Wahrscheinlicher ist, dass der Koch Francois Pierre de la Varenne (1615-1678) die Béchamelsauce erfunden hat. Er war Hofkoch während der Herrschaft von König Ludwig XIV. (1643-1715), also in der gleichen Zeit, in der auch Béchamel entstand. Er wird oft als Begründer der Haute Cuisine (die die klassische französische Küche definieren sollte) bezeichnet. La Varenne schrieb das legendäre Werk „Le Cuisinier François“ (Der wahre französische Koch), in dem die Béchamelsauce enthalten ist. Es wird vermutet, dass er es dem Marquis de Béchamel als Würdigung widmete. In den Rezepten von La Varenne wurde eine Mehlschwitze aus Mehl und Butter (oder anderen tierischen Fetten) verwendet, anstatt Brot als Verdickungsmittel für Soßen zu verwenden.
Bis es im Volk ankam, dauerte es bei allem, denn die Hausfrauen im 17. Jahrhundert verfügten nicht über den Luxus moderner Kühltechniken, und da war Milch in der Küche etwas, das nur die Reichen und Könige in ihren Saucen verwendeten. Wie anders das heute ist, aber wie königlich lecker diese Sauce bis heute so vieles noch leckerer macht, auch die Béchamel-Kartoffeln meiner Mutter. Dieses Rezept ist meine Huldigung, weil ich ihr Originalrezept aber verlegt habe, muss erstmal meine eigene Interpretation herhalten. Aber als ich die gekocht habe, habe ich zumindest sehr viel Kinderzeitliebe wieder gespürt, so falsch kann das nicht gewesen sein. Und gerade jetzt, nach der Sommerhitze, wo es zwar gefühlt erst drei Wochen her ist, dass ich am Badesee gelegen habe, die trockene Hitze aber längst der Herbstkühle gewichen ist und morgens Nebel die Knöchel kitzelt und die ersten Blätter sich wie Lemminge in den Abgrund stürzen: Da kehrt die Lust auf solch ein Gericht zurück – und sobald man ihm begegnet ist es, als sei es nie fortgewesen.

Zutaten
1 Kilo Kartoffeln (am liebsten mehlig kochende), geschält, in etwa einen Zentimeter dicke Scheiben geschnitten und in Salzwasser gar gekocht
2 Zwiebeln, geschält, fein gewürfelt
4 Esslöffel Butter
4 Esslöffel Mehl
500 Milliliter Brühe (Gemüse- oder Hühnerbrühe bevorzugt)
500 Milliliter Milch
150-200 Gramm Kochschinken oder Schinkenwürfel (optional)
Zesten oder abgeriebene Schale von einer kleinen Bio-Zitrone
2, 3, 4 Esslöffel geriebenen Parmesan oder Gruyère (nach Geschmack)
1 Prise geriebener Muskat
1 Teelöffel Zucker
Pfeffer, wie ein betrunkener Doppeldeckerpilot in vielen Schleifen mahlend überm Topf kreisend (Experten empfehlen hier weißen Pfeffer, ich mag schwarzen lieber)
1/2 Bund Schnittlauch, feingehackt
nach Geschmack auch ein wenig frische Zitronenverbene und/oder Petersilie, fein gehackt

So macht man die Béchamel-Kartoffeln
Die geschälten und auf Scheiben geschnittenen Kartoffeln etwa 20 Minuten lang in Salzwasser gar kochen.
Die Zwiebeln feinwürfeln. In einem Topf die Butter auslassen und darin die Zwiebeln bei niedriger Hitze goldgelb und zart schmoren (man kann diesen Schritt auch weglassen und die Zwiebeln erst viel später zugeben, wenn man etwas mehr Crunch und Biss mag, wer wiederum krossen Schinken will, gibt den beim anfänglichen Anbraten hier mit dazu), dabei den Zucker drüberrieseln und vorsichtig karamellisieren lassen. Rühren mit einem Schneebesen nicht vergessen. Und aufpassen auch nicht, weil sonst wird irgendwas schwarz und brennt an, und das will ja keiner.
Wenn die Butterzwiebeln zart sind, unter kräftigem Rühren das Mehl zugeben, bis sich aus allem eine dicke, womöglich etwas krümelige Masse gebildet hat. Etwa 2 bis 3 Minuten sollte oder darf das Ganze dauern. Die Milch kalt nach und nach unter ständigem Rühren einrühren und langsam aufkochen lassen.
Die Brühe, je nachdem ob ihr selbst gemachte oder körnige verwendet, am besten mit kochendem Wasser aus dem Wasserkocher ansetzen, einrühren und dann ebenfalls der Masse zugeben, Schluck für Schluck, rührend.
Ich würde hier erst die Schinkenwürfel zugeben und noch ein wenig mitziehen lassen. Auch der Parmesan oder Gruyère darf sich hier dann dazugesellen.
Die gekochten Kartoffeln abgießen, kurz abdampfen lassen. Dann die Béchamelsauce darüber gießen und noch ein paar Minuten ziehen lassen, maximal bei niedriger, gern auch ganz ohne Herdhitze.
Die Zitronenzesten drüber streuen, einrühren und auch noch etwas ziehen lassen, damit die Sauce das Aroma noch zart annimmt. Kurz vorm Servieren die Kräuter kleinhacken und drüberstreuen, sobald man den Teller mit den Béchamel-Kartoffeln gefüllt hat. Bon appetit!

Musik zum Menü
Wenn schon Béchamel-Kartoffeln, dann auch ein Song namens „Bechamel“, zumal ein sehr schöner, finde ich – von den Pernice Brothers.
Und wenn es hier schon um Jugenderinnerungen und Schönes, das man erlebt hat geht, und auch um Sauce, dann gehört hier auch „Baby’s got sauce“, einer der großen Hits einer meiner liebsten Bands – abseits meiner großen Grunge-Begeisterung – der Jugendzeit dazu: G. Love & Special Sauce.
Was meine Mutter, gerade als ich kleiner war, immer wieder gern gehört hat, waren die zart-traurigen und manchmal überschäumenden Klarinettenweisen von Giora Feidman. Das Album, das bei uns zu Hause besonders oft erklang, war „The singing clarinet“, von dem auch dieses Stück stammt: „The blessing Nigun“. Eins, das Dich umfängt, als wollte es Dich in den Arm nehmen. Was immer uns das Video dazu auch sagen möchte.
Du hast das Wesen der Freundschaft in warme Worte gehüllt wie die Kartoffeln in Béchamel-Soße. Auch die geschichtlichen Hintergründe dieser auf einer Einbrenne basierenden Soße lasen sich spannend.
Das Gedächtnis unseres Riechrüssels sei das älteste, las ich mal irgendwo. Kindheit kennt viele Düfte und meistens sind sie schlicht und ergreifend wie braune zerlassene Butter oder der Duft nach frisch gebackenen Plätzchen.
Dein Rezept klingt so, als könne ich die Zutaten sogar alle da haben – wunderbar!
Liebe Grüße
Amélie
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Der Duftpunkt ist definitiv wahr – und Dufterinnerungen treffen oft auch besonders unvermittelt ins Mark. Sehr schöne Worte. Riechrüsselnden Dank Dir, schönen Start in die Woche!
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Mmmh, das gab es bei uns nicht. Ich glaube ich habe da was nachzuholen. Liebe Grüße Cornelia
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